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10. Napalm und Pudding

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Die Luftwaffe der Vereinigten Staaten hatte 1963 mit Flächenbombardements der ländlichen Gebiete SüdvietnamDemonstration:Vietnamkriegs begonnen. Ab August 1964 flogen die amerikanischen B-52-Bomber auch die Städte Nordvietnams an. Im Frühjahr 1965 bombardierten sie die Deiche des Roten Flusses.

Der Terror gegen die vietnamesische Zivilbevölkerung löste in den USA und vielen anderen Ländern der Welt Empörung und eine Welle von ProtestProtestbewegungmärschen aus.

Am 5. Februar 1965 zogen 2500 Studenten durch die Straßen Westberlins. 500 von ihnen verließen die von der Polizei genehmigte Demonstrationsroute und marschierten vor das Amerika-HausAmerika-Haus, Berlin. Sie setzten die US-Fahne auf halbmast, und jemand schleuderte fünf Frischeier auf das Gebäude.

Die Öffentlichkeit, allen voran die Berliner Zeitungen des Axel-Springer-VerlagesSpringer-Verlag, war entsetzt. Der Regierende Bürgermeister Willy BrandtBrandt, Willy entschuldigte sich beim US-Stadtkommandanten.

In der Nacht klebten Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) Plakate: »ErhardErhard, Ludwig und die BonnerBonner, Clyde Parteien unterstützen Mord. Mord durch Napalmbomben. Mord durch Giftgas. Wie lange noch lassen wir zu, dass in unserem Namen gemordet wird?« Der Krieg der Amerikaner in VietnamDemonstration:Vietnamkrieg wurde mehr und mehr zum beherrschenden Thema der rebellierenden Studenten. Er lieferte Bilder von bis dahin unvorstellbarem Grauen – im Namen der freien Welt.

Damals immer dabei, der Anwalt Horst MahlerMahler, Horst, früher sozialistisch, später rechtsradikal: »Wir waren ja alle sehr moralisch. Das hat uns also nicht kaltgelassen. Ich erinnere mich noch an die Szene mit Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite, wie sie dann bei einer Fernsehberichterstattung über Vietnam mit diesen grausigen Bildern heulend aufsprang und sagte, dass sie sich das nicht antun lässt, das ist eine Herabwürdigung, und sie hat gesagt, wir müssen was tun, wir dürfen nicht im Sessel sitzen bleiben.«

Krieg in Vietnam. Die mächtigste Kriegsmaschinerie der Welt im Kampf gegen eine Guerilla-Armee. Bomben, Napalm, Entlaubung des Dschungels. Bilder, die um die Welt gingen, sich schmerzhaft einprägten, Konsequenzen forderten. VietnamDemonstration:Vietnamkrieg als Prüfstein für die Moral des freien Westens. Für viele damals: der Sündenfall. Plötzlich gab es für manche wieder »gerechte Kriege«.

Die Journalistin Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite dazu in einer Fernsehdiskussion: »Wir sind engagiert für diejenigen, die sich versuchen zu befreien von Terror und Gewalt. Und wenn ein anderes Mittel als das des Krieges ihnen nicht übrigbleibt, dann sind wir für ihren Krieg. Und sind gegen diejenigen, die ihren Terror eskalieren bis hin zur Anwendung von Nuklearwaffen, was gegenwärtig ja in Bezug auf Vietnam diskutiert wird.«

Aus Empörung wurde ProtestProtestbewegung, aus Protest Widerstand, aus Widerstand Gewalt. Und von Anfang an wurden Parallelen gezogen zum Dritten ReichDrittes Reich. So sagte Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73: »In dem Augenblick, wo es ihnen mit der Solidarität mit dem vietnamesischen Volk ernst wird, wo es ihnen darum geht, die amerikanische Position überall in der Welt, wo es nur möglich ist, so zu schwächen, dass das vietnamesische Volk davon einen Vorteil hat, dann weiß ich, dann sehe ich wirklich nicht mehr den Unterschied zwischen dem Polizeiterror, den wir in Berlin schon erlebt haben und der uns angedroht wird, und dem SA-Terror der dreißiger Jahre.«

In der Wahrnehmung der rebellierenden Studenten und ihrer Fürsprecher wandelte sich die Bundesrepublik zum Polizeistaat. Und genüsslich kitzelten etwa die Provokateure von der »Kommune I«Kommune I den Feind im Polizisten hervor. Es war eine politische HappeningHappening-Kultur, die viele Menschen anzog. Und es wurde ein Spiel mit der Gewalt.

Im April 1967 kündigte sich der amerikanische Vizepräsident Hubert HumphreyHumphrey, Hubert zu einem Besuch in Berlin an. Der Allgemeine Studentenausschuss (ASTA) der Freien UniversitätFreie Universität rief zur ProtestProtestbewegungdemonstration auf. Andere bereiteten sich auf ihre Weise auf den Empfang des Vizepräsidenten vor.

Anfang 1967 hatten in Berlin Studenten eine Wohngemeinschaft gegründet, die sich »Kommune I«Kommune I nannte. Es ging um den »Versuch der Revolutionierung des bürgerlichen Individuums«. In der Kommune sollten sich »sexuelle Bedürfnisse ungehemmter entfalten, die Vereinzelung aufgehoben und der Kampf um die Befreiung von Zwängen der kapitalistischen Gesellschaft wirkungsvoller geführt« werden. Der Protest gegen die bürgerliche Gesellschaft wurde zunehmend chic.

Mit von der Partie war auch das Münchner Fotomodell Uschi ObermaierObermaier, Uschi, an dem der Kommunarde Rainer LanghansLanghans, Rainer Gefallen gefunden hatte. Die damals gerade Zwanzigjährige zierte mit freiem Oberkörper die Titelseite des »Stern«Stern und wurde so etwas wie das Aushängeschild der K 1, ein lebender Beweis dafür, wie sexy und modern das Kommuneleben war. Dabei war es alles andere als das. Fast ein halbes Jahrhundert später bekannte Uschi ObermaierObermaier, Uschi, die nach Los Angeles ausgewandert war, in einem Interview für die Dokumentation »Die Insel West-Berlin«, die ich für das ZDF machte: »Das war doch nur eine so große Geschichte, weil das alles die unerwünschten Träume von allen Leuten waren.« Die meisten Leute hätten geglaubt, das ginge bei der Kommune so richtig ab. »Das war gar nicht so. Die sind ja zusammengezogen, weil sie wussten, dass sie emotional verkümmert waren.« Die Kommune sei alles andere als schön gewesen. Alle hätten in einem großen Raum zusammengewohnt. Es gab keine Privatsphäre, man konnte sich nirgends ausklinken oder mal die Tür zumachen. Aber das habe damals alles als Wert an sich gegolten: »Das muss man einfach mal hinter sich lassen!«

Dieter KunzelmannKunzelmann, Dieter, Initiator der »K1« und sechzehn Jahre später für die »Alternative Liste«Alternative Liste im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte damals aufgerufen: »Ihr müsst euch entwurzeln! Weg mit euren Stipendien! Weg mit eurer Sicherheit! Gebt das Studium auf! Riskiert eure Persönlichkeit!«

Am Tisch der Kommuneküche wurde Pudding angerührt, mit dem Hubert HumphreyHumphrey, Hubert beworfen werden sollte. Im Grunewald probierte die Gruppe das PuddingattentatPuddingattentat an einigen Baumriesen aus. Doch die Aktion flog schon vor der Durchführung auf.

Uschi ObermaierObermaier, Uschi rückblickend: »Mich hat das PuddingattentatPuddingattentat fasziniert. Das war ein Witz. Das war eigentlich locker, spielerisch. Aber natürlich haben die Leute das wieder total ernst genommen. Denen wäre es am liebsten gewesen, es wäre eine richtige Bombe gewesen.«

Die Berliner Zeitungen, und nicht nur sie, überschlugen sich tatsächlich vor Empörung, und aus dem Puddingattentat wurde plötzlich ein Sprengstoffanschlag.

»Bild«Bild in einer Schlagzeile, die über die halbe Seite lief: »Geplant: Berlin – Bombenanschlag auf US-Vizepräsidenten«.

Auf der Basis dieser überdimensionalen Falschmeldung kommentierte »Bild« im Innenteil des Blattes: »Mit diesen Bombenlegern werden wir fertig! Die Mehrheit der Deutschen hat Verständnis für den Kampf der Amerikaner in Asien …«

Die »Verschwörer« wurden in Haft genommen, kurzzeitig, denn bald ließ sich nicht mehr leugnen, dass der Sprengstoff nichts als PuddingPuddingattentat und Quark gewesen war.

In »konkret«konkret kommentierte Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite das geplante Polit-HappeningHappening: »Nicht Napalmbomben auf Frauen, Kinder und Greise abzuwerfen ist demnach kriminell, sondern dagegen zu protestieren. Nicht die Zerstörung lebenswichtiger Ernten, was für Millionen Hunger und Hungertod bedeutet, ist kriminell, sondern der Protest dagegen.

Es gilt als unfein, mit Pudding und Quark auf Politiker zu zielen, nicht aber, Politiker zu empfangen, die Dörfer ausradieren lassen und Städte bombardieren … Napalm ja, Pudding nein.«

Der Brand im Brüsseler WarenhauWarenhausbrand in Brüssels »À l’Innovation« am 22. Mai 1967, bei dem mehr als 300 Menschen ums Leben kamen, inspirierte die Kommunarden zu einer neuen, makabren Inszenierung. Sie verfassten eine Reihe von Flugblättern und verteilten sie an der Freien UniversitätFreie Universität. Das erste Flugblatt überschrieben sie: »Neue Demonstrationsformen in Brüssel erstmals erprobt«.

Das zweite Flugblatt trug den Titel: »Warum brennst Du, Konsument?«

»Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelt zum ersten Mal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabei zu sein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen mussten … Sosehr wir den Schmerz der Hinterbliebenen in Brüssel mitempfinden: Wir, die wir dem Neuen aufgeschlossen sind, können, solange das rechte Maß nicht überschritten wird, dem Kühnen und Unkonventionellen, das, bei aller menschlichen Tragik, im Brüsseler Kaufhausbrand steckt, unsere Bewunderung nicht versagen …«

Im dritten Flugblatt gingen die Kommunarden noch weiter:

»Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?

Bisher krepierten die Amis in VietnamDemonstration:Vietnamkrieg für Berlin. Uns gefiel es nicht, dass diese armen Schweine ihr Coca-Cola-Blut im vietnamesischen Dschungel verspritzen mussten. Deshalb trottelten wir anfangs mit Schildern durch leere Straßen, warfen ab und zu Eier ans Amerikahaus, und zuletzt hätten wir gern HHH [Hubert Horatio HumphreyHumphrey, Hubert] in PuddingPuddingattentat sterben sehen.

Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: Sie zünden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben, und Brüssel wird Hanoi. Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk bei der Frühstückszeitung zu vergießen. Ab heute geht er in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidekabine an.

Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genauso wenig wie bei der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi.

Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben: burn, ware-house, burnWarenhausbrand in Brüssel!«

Die Berliner Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen sieben Kommunarden. Sie hätten gemeinschaftlich durch Verbreitung von Schriften zur Begehung strafbarer Handlungen aufgefordert, nämlich zum vorsätzlichen Inbrandsetzen von Räumlichkeiten, welche zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dienten, und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen in denselben sich aufzuhalten pflegten. »Die Aufforderung«, so die Staatsanwaltschaft, »ist bisher ohne Erfolg geblieben.«

Und doch machte der makabre Scherz der Kommunarden in der Berliner Politszene geradezu Karriere. An der Wand des SDSSozialistischer Deutscher Studentenbund SDS-Zentrums am Kurfürstendamm stand der Spruch »Es brennt, es brennt, ein Kaufhaus brennt …« Davor saß Rudi DutschkeDutschke, Rudi auf einem Tisch und gab ein Fernsehinterview zum Thema Gewalt. Mit seiner heiseren, sonoren Stimme dozierte er: »Wir sind in den Metropolen dazu verpflichtet, wir, die wir ein bisschen Bewusstsein entwickeln dürfen, müssen gegen dieses System, was notwendigerweise zur Katastrophe drängt, müssen gegen das System mit aller Gewalt vorgehen.« Und so, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, fügte er hinzu: »Wir dürfen daher von vornherein nicht auf eigene Gewalt verzichten, denn das würde nur einen Freibrief für die organisierte Gewalt des Systems bedeuten.«

Es war ein Spiel mit dem Feuer. Das sensible Gleichgewicht der eingemauerten Stadt geriet in Gefahr – bedroht nun auch von innen. Jetzt gingen die Westberliner Bürger auf die Straße.

»Eine Sauerei ist das, eine große Sauerei«, rief einer der Demonstranten in die Fernsehkamera. »Sehen Sie doch die Gestalten hier an. Das sind Tagediebe. Die sollen arbeiten!«

Ein anderer schrie: »Verbrennen müsste man sowat!« Und wieder ein anderer: »Die sollte man in einen Sack stecken und über die Mauer schmeißen!«

Da musste sich nur noch einer finden, der die Volksmeinung exekutierte.

Der Filmemacher Wolfgang VenohrVenohr, Wolfgang filmte Rudi DutschkeDutschke, Rudi, wie er auf der Rückbank eines Autos in der Zeitung blättert. »Schon fünfmal haben Sie in den letzten Monaten Ihre Wohnung gewechselt«, sagte er zu ihm. »Beim letzten Mal hatten Unbekannte Stinkbomben durch den Briefschlitz geworfen und mit roter Farbe neben die Tür geschmiert: ›Vergast DutschkeDutschke, Rudi !‹ Haben Sie nicht manchmal Angst, dass Ihnen einer über den Kopf schlägt?«

Dutschke antwortete betont gelassen: »Nicht Angst. Das kann passieren. Aber Freunde passen mit auf. Normalerweise fahre ich nicht alleine rum. Es kann natürlich irgendein Neurotiker oder Wahnsinniger eine Kurzschlusshandlung durchführen.«

Der Baader-Meinhof-Komplex

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