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13. Frühe Begegnungen

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Klaus Rainer RöhlRöhl, Klaus Rainer wurde in Danzig geboren und ging nach Kriegsende in der norddeutschen Kleinstadt Stade zur Schule. Gemeinsam mit seinem Freund, dem Dichter Peter RühmkorfRühmkorf, Peter, machte er am Athenaeum Abitur. Auch seine Eltern lebten in Stade, ebenfalls sein gut zehn Jahre jüngerer Bruder WolfgangRühmkorf, Wolfgang.

Auch ich selbst war in Stade aufs Athenaeum gegangen. Es war mir nicht in die Wiege gelegt worden, Journalist zu werden. Das Feld der Politik wurde bei uns zu Hause wenig beackert. Stattdessen wurden auf dem kleinen Bauernhof Runkelrüben angebaut oder Kartoffeln, zu späteren Zeiten Äpfel und Sauerkirschen. Die sechs Kühe ertranken bei der Sturmflut 1962. Mein Vater war zwischen den Kriegen 15 Jahre lang in Kanada gewesen, als Cowboy, Trapper und während der Weltwirtschaftskrise auch als Hilfsarbeiter. Im Sommer 1939 kam er auf Heimatbesuch nach Hamburg – und fand sich wenige Monate später als Wehrmachtssoldat in Polen wieder. Offenbar hatte er die Zeitungen nicht gründlich genug verfolgt.

Er überstand den Krieg, heiratete und beschloss, dass seine fünf Kinder allesamt Abitur machen müssten. Die beste Adresse dafür war das Athenaeum. Der Krieg und das Dritte ReichDrittes Reich lagen bei meiner Einschulung sieben Jahre und bei meinem Abitur gerade mal 21 Jahre zurück. Zu Hause wurde nicht darüber gesprochen und in der Schule auch nicht – denn die meisten Lehrer hatten ja zu diesem epochalen politischen und moralischen Desaster beigetragen.

Am Athenaeum gab es eine Schülerzeitung mit dem Namen »Wir«, bei der ich mich bereits in der achten Klasse engagierte. Als Journalist – auch bei der Schülerzeitung – konnte man kritisieren, konnte seine Nase in alles stecken, was einen interessierte. Man war zudem irgendwie wichtig, was schon daraus ersichtlich war, dass die Schulleitung Zensurmaßnahmen einführen wollte. Am Widerstand konnte man wachsen. Es lag etwas in der Luft, ein Hauch von Aufklärung und Rebellion. Man war nicht eigentlich links, eher ein wenig anarcho-liberal, kritisch nach allen Seiten. Mein Klassenlehrer schrieb zu meinem Abitur in die interne Bewertung, die ich gut 50 Jahre später anlässlich der 425-Jahr-Feier unserer Schule einsehen durfte, wo ich die Festansprache hielt: »Eine gewisse Oberflächlichkeit, jugendlicher Überschwang und altersgemäße Protesthaltung führen zu leicht negativer, ablehnender Beurteilung von Lebensfragen. Überkommenen Werten und Lebensgewohnheiten gegenüber ist er sehr skeptisch, wobei er sich jedoch die Möglichkeit, sich zu arrangieren, offenhält. Ehrgeiz und Tatkraft führen zu selbständiger publizistischer Betätigung.« Doch dann kam es knüppeldick: »In einigen schulischen Sachgebieten zeigte er verschiedentlich provozierendes Desinteresse und mangelnden Fleiß … gegenüber Älteren ist er gelegentlich respektlos und herausfordernd.«

Mit in der Redaktion arbeitete Wolfgang RöhlRöhl, Wolfgang, der zwei Klassen unter mir war. Durch ihn lernte ich damals auch Klaus Rainer RöhlRöhl, Klaus Rainer und dessen Ehefrau und Kolumnistin Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite kennen. Gemeinsam saßen WolfgangRöhl, Wolfgang und ich in der Wohnung der Eltern und sahen uns im Fernsehen Reportagen seiner Schwägerin an, die etwa für »Panorama«Panorama NDR-Magazin Filme über die Ausbeutung von Frauen am Fließband machte.

Der junge RöhlRöhl, Wolfgang war ein guter Schreiber, so wie auch andere Mitarbeiter, die ich nicht nur in unserer Schule rekrutierte. Darunter etwa Henryk M. Broder, den ich auf einer Reise der »Jungen Presse« kennengelernt hatte. Ich selbst fungierte als »Herausgeber«, managte das Blatt, machte das Layout und die Titel und sorgte für die Finanzierung durch Anzeigen.

Auf einer Schülerzeitungsreise nach Paris lernte ich einen außerordentlich begabten jungen Dichter namens Rolf HeuerHeuer, Rolf kennen, den ich in stundenlangen Gesprächen davon überzeugte, dass es besser sei, Reportagen zu schreiben – natürlich für unsere Zeitung. Schon die erste Geschichte, die er auf unserer Reise recherchiert hatte, sorgte für große Aufmerksamkeit. Es ging um »Gammler«, die ersten Vorläufer der Hippie-Bewegung. Sein Text trug den Titel »Paris von unten«, und Wolfgang RöhlsRöhl, Wolfgang älterer Bruder, der Herausgeber von »konkret«, wurde auf den Autor und unsere Zeitung aufmerksam.

Röhl Röhl, Klaus Rainerschrieb einen Wettbewerb für junge Autoren aus, die über ihre Schule schreiben sollten. Erwartungsgemäß gewann RolfHeuer, Rolf&%&<jm22>Siehe Heuer, Rolv, der auf meinen Vorschlag hin seinen langweiligen Vornamen in RolvHeuer, Rolv 73 änderte. Auch wir druckten den sprachlich großartigen Text ab, von dem viele »konkret«-Leser nicht glauben wollten, dass er von einem 19-jährigen Gymnasiasten stammte. Sie tippten auf den Dichter Peter RühmkorfRühmkorf, Peter als tatsächlichen Urheber des Textes.

Kaum hatte Rolv HeuerHeuer, Rolv Abitur gemacht, stellte RöhlRöhl, Klaus Rainer ihn als festen Autor an, der von da an jeden Monat für »konkret«konkret eine große Reportage schrieb – von den Beatles in Liverpool bis zu Analysen von Zeitungen und Zeitschriften. Rolv HeuerHeuer, Rolv war das größte Talent, das mir jemals begegnet ist. Ich besuchte ihn damals gelegentlich in der Redaktion von »konkret«konkret, und kurz vor meinem Abitur im Frühjahr 1966 heuerte auch ich dort an.

Dass es sich um ein linkes Magazin handelte, störte mich nicht, auch wenn ich bei weitem nicht so links war wie der Herausgeber oder gar dessen Kolumnistin Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite. Eigentlich hatte ich Betriebswirtschaft studieren wollen, aber über mehr als vier Besuche in der Universität kam ich nicht hinaus: einmal zum Einschreiben, einmal zum Belegen, einmal zur Vorlesung über »Die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals« und einmal zum Sommerfest. In der »konkret«konkret-Redaktion war es einfach spannender, denn es formierte sich erst langsam, dann immer hektischer die StudentenbewegungStudentenbewegung. Und ich war ganz nahe dran.

Als ich wenige Tage nach dem Abitur bei »konkret«konkret anfing, hatte die Redaktion neben der Sekretärin Johanna PollitzPollitz, Johanna nur einen einzigen festen Mitarbeiter, das war ich. RöhlRöhl, Klaus Rainer brachte mir bei, wie man das Layout machte, sich Überschriften, Bildunterschriften und Vorspänne ausdachte. Ich holte Texte von Sebastian HaffnerHaffner, Sebastian ab, redigierte und kürzte die Geschichten von Autoren, die doppelt oder dreimal so alt und erfahren waren wie ich. Oft flog ich nach Berlin, lernte dort die Anführer der StudentenbewegungStudentenbewegung kennen, Rudi DutschkeDutschke, Rudi, Christian SemlerSemmler, Christian, Bahman NirumandNirumand, Bahman, lud Peter SchneiderSchneider, Peter auf Redaktionskosten zum Essen ein, traf die Anwälte Otto SchilySchily, Otto 73, Christian StröbeleStröbele, Christian und Horst MahlerMahler, Horst.

Bei Demonstrationen lief ich am Rande mit – ich war ja Reporter und kein politischer Aktivist. Ich hatte Sympathien für manche Anliegen der Außerparlamentarischen OppositionAPO Außerparlamentarische Opposition, ihr Eintreten für die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, die Kritik am VietnamkriegVietnamkrieg und an ehemaligen Nazis im Regierungsapparat und in Behörden etwa. Aber die Sympathien vieler studentischer Aktivisten für die kommunistischen Regime in Osteuropa konnte ich nicht nachvollziehen; die DDR war für mich vor allem ein sozialistischer Polizeistaat. Seine Bürger einzusperren war vollkommen indiskutabel – da halfen auch die Kinderkrippen nicht.

In Bezug auf die DDR hielt ich es mit den Worten meines ehemaligen Klassenlehrers aus Stade, der bei einer Schülerreise nach Berlin und einem Abstecher nach Ostberlin gesagt hatte: »Sollen wir das Scheiß-Land doch endlich anerkennen.«

Meine politische Abstinenz war Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite nicht verborgen geblieben, und sie meinte in manchen Redaktionsgesprächen ganz von oben herab: »Du bist einfach unpolitisch.« Das war die schlimmste Form der Verachtung, schlimmer noch, als von jemand als »rechts« bezeichnet zu werden. Nachdem AdenauerAdenauer, Konrad gestorben war, sagte sie bissig: »Jetzt ist dein Vorbild tot.« Das war übertrieben.

Der Baader-Meinhof-Komplex

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