Читать книгу Der Baader-Meinhof-Komplex - Stefan Aust - Страница 9
6. Die Chefredakteurin
ОглавлениеAnfang der fünfziger Jahre war die Zeitschrift »Studentenkurier« in Hamburg gegründet worden. Starthilfe wurde gegeben durch Spenden, die Klaus HübotterHübotter, Klaus, ein junger Funktionär der bereits 1951 verbotenen kommunistischen FDJ, angeblich beim »Paulskirchenkreis«, bei Verlegern und parteiunabhängigen Politikern gesammelt hatte. Zusammen mit ihm hatten Klaus Rainer RöhlRöhl, Klaus Rainer und Peter RühmkorfRühmkorf, Peter das Blatt initiiert.
Die Redakteure dieses »Magazins für Kultur und Politik« dachten und schrieben in der Tradition eines linkeLinken und literarischen Journalismus der »Weltbühne«Weltbühne 73 Carl von OssietzkyOssietzky, Carl vons. Auf den Titelseiten fanden sich Collagen, die an John Heartfield erinnerten, im Literaturteil stritt Peter RühmkorfRühmkorf, Peter für Kunst und Aufklärung und gegen die restaurativen Leitbilder der AdenauerAdenauer, Konrad-Ära.
Der Dichter Arno SchmidtSchmidt, Arno schrieb an die Redaktion: »Ihr seid die beste deutsche Kulturzeitung. Warum heißt Ihr ›Studentenkurier‹? Auch Nicht-Studenten sollen Euch kaufen.«
Im Herbst 1957 wurde der »Studentenkurier« in »konkret«konkret umgetauft. Auf einer Pressekonferenz der Atomwaffengegner hatte der »konkret«-Chefredakteur RöhlRöhl, Klaus Rainer 1958 die durch ihre Aktivitäten in Münster bekannt gewordene Studentin Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite kennengelernt und war ein paar Wochen später mit ihr und anderen »konkret«-Mitarbeitern nach Ostberlin gefahren, um sich dort mit Mitgliedern der verbotenen Kommunistischen Partei DeutschlandsKommunistische Partei Deutschlands KPD zu treffen. Scheppel, alias Manfred KapluckKapluck, Manfred, später ein wichtiger Funktionär der in der Bundesrepublik neugegründeten DKP, war begeistert: »Die hat eine große politische Karriere vor sich. Eine ganz große Karriere.«
Tatsächlich spielte Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite schon bald eine wichtige Rolle im Hauptausschuss der studentischen AtomwaffengegneAntiatombewegung 1958 / 59r. Zum 3./4. Januar 1959 war zu einem großen Studentenkongress gegen Atomrüstung in Westberlin aufgerufen worden. Dort standen sich vor allem zwei Fraktionen gegenüber: Die Studenten der offiziellen Parteilinie der SPD und die »konkret«-Gruppe im SDSSozialistischer Deutscher Studentenbund SDS, in den heftigen Diskussionsschlachten hauptsächlich durch Ulrike Meinhof vertreten.
Die SPD-Fraktion wagte gerade noch ein vages »Gegen den Atomtod in Ost und West« mit allerlei Abgrenzungsmanövern gegenüber der DDR. Auf Initiative der »konkret«-Fraktion legte der Arbeitskreis »Atomrüstung und Wiedervereinigung« dem Kongress eine Resolution vor, die für Aufregung sorgte: »Die weltpolitische Lage wird in Kürze die beiden Teile Deutschlands zwingen, miteinander zu verhandeln. Damit solche Verhandlungen möglich werden, ist es nötig, dass Formeln wie ›mit Pankow wird nicht verhandelt‹ aus der politischen Argumentation verschwinden.«
Nach nächtelangen Diskussionen, nach Geschäftsordnungstricks und Zermürbungstaktik setzte sich die »konkret«-Fraktion durch. In der Schlussresolution wurden Verhandlungen mit der DDR gefordert. Der Konsens des AntikommunismusAntikommunismus der AdenauerAdenauer, Konrad-Zeit wurde öffentlich in Frage gestellt. Die bundesdeutsche Presse war schockiert.
»Skandal an der Freien Universität – Anti-Atom-StudentenAntiatombewegung 1958 / 59 für Konföderation Bonn–Pankow«.
»Studentenkongress mit Linksruck und Skandal«.
»Überrollte Idealisten«.
»Gefährliche Dummheit.«
»Ein Kongress der politischen Scharlatane.«
Die SPDSPD antwortete mit dem Ausschluss aller »konkret«-Mitarbeiter aus dem SDS. Die Mitarbeit bei »konkret« wurde für unvereinbar mit der SPD-Mitgliedschaft erklärt.
Richtungskämpfe im SDS folgten. Nach dem Godesberger Parteitag der SPD im November 1959, dem Kurswechsel von der Arbeiter- zur Volkspartei, erklärte die SPD auch die Unvereinbarkeit von Mitgliedschaft in SDS und SPD. Ein neuer sozialdemokratischer Hochschulbund, der SHB, wurde gegründet.
Im Herbst 1959 hatte der sowjetische Ministerpräsident Nikita ChruschtschowChruschtschow, Nikita die USA besucht und sich in Camp David mit US-Präsident EisenhowerEisenhower, Dwight D. getroffen, Anzeichen eines Tauwetters zwischen Ost und West. Der Kalte KriegKalter Krieg schien zu Ende zu gehen. Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite schrieb in »konkret« ihre erste Kolumne. Überschrift: »Der Friede macht Geschichte«:
»Die Wende ist da, der Friede ist zum bestimmenden Faktor politischen Handelns geworden. In Camp David haben die Kräfte der Vernunft und der Menschlichkeit gesiegt. Die sie schwächen, stehen auf verlorenem Posten. Die sie stärken, haben das Mandat der Geschichte, handeln im Auftrag der Zukunft.«
Im Januar 1960 wurde Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite Chefredakteurin von »konkret«.konkret Am 27. Dezember 1961 heirateten Ulrike Meinhof und KlausKlaus, Alfred Rainer RöhlRöhl, Klaus Rainer.
1960 wurde in den USA ein neuer Präsident gewählt. John F. KennedyKennedy, John verstand es, mit seiner Politik der »New Frontier« bei vielen Jugendlichen – nicht nur in Amerika – Hoffnungen auf einen neuen Kurs zu wecken: Beendigung des Kalten KriegesKalter Krieg, Gerechtigkeit für die armen Länder der Dritten Welt, Beseitigung des Elends und der Rassendiskriminierung im eigenen Land.
Bei seinem Staatsbesuch in der Bundesrepublik kam KennedyKennedy, John auch nach Westberlin und wurde im Juni 1963 von den Studenten bejubelt wie nie ein Politiker zuvor – jedenfalls nicht seit Kriegsende.
Fünf Monate nach seinem Besuch in Bonn und Berlin wurde Präsident KennedyKennedy, John in Dallas (Texas) ermordet.
Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite kommentierte in »konkret«:konkret »Die Trauer verebbt, die Leere bleibt. Der Mann, von dem die Völker der Welt glaubten, er werde Frieden machen, ist tot … Was gefunden werden muss, sind nicht Rückwege, sondern Auswege – Alternativen … Es muss begriffen werden in Deutschland, dass unser Geschick in unseren eigenen Händen besser aufgehoben ist als in den Händen eines großen Bruders, der selbst Spielball ist von Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen. Es ist an der Zeit, dass die deutsche Bundesrepublik von ihrer vor acht Jahren erlangten Souveränität souveränen Gebrauch macht.«
Zur gleichen Zeit erschien in Westberlin ein Flugblattmanifest, das ganz andere Töne anschlug. Die Überschrift: »Auch Du hast KennedyKennedy, John erschossen«:
»Der Schock, dass Halbgötter durch eine Kugel sterben können, findet seinen Ausdruck im Erstaunen, dass der Tote wirklich tot ist. In Wahrheit wird durch den Rummel nach dem Mord vorgetäuscht, in einer Welt austauschbarer Marionetten sei ein KennedyKennedy, John nicht austauschbar und ein Einzelner könne noch Geschichte machen, wo doch jeder nur noch wollen kann, was er soll, und wo doch die autonomen Mechanismen der repressiven Gesellschaft in jedem Einzelnen zwangsläufig sich reproduzieren …«
»Durch diese Manifest geben wir kund, dass der gegängelte Zauber nicht mehr überall ankommt.«
Das war eine neue Farbe auf der Palette linkeLinker Argumentation.
Unterschrift: »Subversive Aktion«Subversive Aktion.
Die Autoren: Dieter KunzelmannKunzelmann, Dieter, Rudi DutschkeDutschke, Rudi, Bernd RabehlRabehl, Bernd und andere Mitglieder des Westberliner SDS.
Eine neue studentische Generation hatte sich erstmals an die Öffentlichkeit gewandt.
Damals bereitete sich die oppositionelle SPDSPD darauf vor, in der anstehenden Bundestagswahl 1965 die verbrauchte und bereits durch die »Spiegel-Affäre«Spiegel-Affäre im Oktober 1962 schwer angeschlagene CDU/FDP-Regierung abzulösen.
Günter GrassGrass, Günter gründete das »Wahlkontor der Schriftsteller«, trommelte für die »Es-Pe-De« und ihren Kanzlerkandidaten Willy BrandtBrandt, Willy.
Im »Wahlkontor« in Berlin arbeitete auch eine junge Germanistikstudentin für den Erfolg der SPD. Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt war zu Beginn des Jahres 1964 aus dem Schwäbischen in die alte Reichshauptstadt gekommen.