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1. Kapitel Wege in den Untergrund 1. Tod in Stammheim

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»00.38 Uhr. Hier ist der Deutschlandfunk mit einer wichtigen Nachricht. Die von Terroristen in einer LufthansaLandshut-Boeing entführten 86 GeiselGeiseln sind alle glücklich befreit worden. Dies bestätigt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums soeben in Bonn. Ein Spezialkommando des Bundesgrenzschutzes hatte um 00.00 Uhr die Aktion auf dem Flughafen von Mogadischu gestartet. Nach den ersten Informationen sollen drei Terroristen getötet worden sein.«

Zwei Minuten später wiederholte das gemeinsame Nachtprogramm der ARD die Meldung im Wortlaut. Es war Dienstag, der 18. Oktober 1977. Im siebten Stock der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-StammheimStammheim, Strafvollzugsanstalt wachte einsam der Justizassistent Hans Rudolf SpringerSpringer, Hans Rudolf über die Gefangenen Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt, Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt, Jan-Carl RaspeRaspe, Jan-Carl ab Seite durchgängig erwähnt und Irmgard MöllerMöller, Irmgard. Er saß in der Wachkabine, getrennt von den Gefangenen durch Wände, Gitter und Türen. Über Fernsehmonitore konnte er den großen Flur vor den Zellen beobachten. Nichts regte sich.

Die Meldung, eingestreut in das nächtliche Musikprogramm, riss Springer vom Stuhl. Er ging in den hinteren Flügel des Zellentrakts und stellte sich vor das Gitter zum Flur. Alles war still. Springer ging zurück in seinen Wachraum und starrte weiter auf die Monitore.

Um 6.30 Uhr wurde der Justizassistent von einem Kollegen abgelöst. Langsam erwachte die Anstalt.

Um 7.15 Uhr traten die Vollzugsbediensteten MiesterfeldMiesterfeld, Klaus, StapfStapf, Willi, StollStoll, Willy Peter, GriesingerGriesinger, Horst und HermannHermann, Ernst ihren Dienst an. Hauptsekretär KlausKlaus, Alfred Miesterfeld holte bei der Vollzugsdienstleitung die Zellenschlüssel ab und quittierte mit seiner Unterschrift. Dann schaltete er die Alarmanlage aus. Er öffnete die Gittertür zum Zellenflur und zog die Jalousien vor dem Fenster am hinteren Zellenflur auf. Licht fiel durch die Glasbausteine. Die Beamten wuchteten gemeinsam die gepolsterten Spanplatten von den Zellentüren, mit denen nächtliche Sprechkontakte zwischen den Gefangenen verhindert werden sollten.

MiesterfeldMiesterfeld, Klaus öffnete die Sicherheitsschlösser aller vier Zellen. Um 7.41 Uhr schloss Obersekretär StollStoll, Willy Peter die Tür zur Nummer 716 auf. Neben ihm stand der Hauptsekretär Willi StapfStapf, Willi. Die beiden Beamten hatten den Frühstückswagen mit Kaffee, Graubrot und einem gekochten Ei in den Trakt geschoben. Ihnen war seltsam zumute. Der Gefangene RaspeRaspe, Jan-Carl ab Seite durchgängig erwähnt stand nicht, wie sonst, an der Tür. Ihre Kollegen, unter ihnen die Vollzugsbeamtin Renate FredeFrede, Renate, die während der Nacht im siebten Stock Bereitschaftsdienst gehabt hatte, standen einige Schritte entfernt.

StollStoll, Willy Peter warf einen Blick in die Zelle und drehte sich abrupt um: »Komm einmal her. Schau mal, da ist was los!«

Die Beamten drängten sich in die Türöffnung. Das Bett Raspes stand wie gewöhnlich quer zum Eingang. Es reichte fast von einer Zellenwand zur anderen. RaspeRaspe, Jan-Carl ab Seite durchgängig erwähnt saß mit ausgestreckten Beinen auf dem Bett. Mit dem Rücken lehnte er an der Treppenhauswand. Sein Kopf war leicht nach rechts gedreht und hing nach unten. Von der linken Schädelseite rann Blut. An der Wand hinter Raspes Kopf war ein Blutfleck. StollStoll, Willy Peter bemerkte, dass Raspe atmete, und hörte ihn stöhnen.

»Mach sofort wieder zu!«, ordnete Hauptsekretär MiesterfeldMiesterfeld, Klaus an. Keiner der Justizbeamten hatte die Zelle betreten. StollStoll, Willy Peter schloss die Tür und verständigte den stellvertretenden Vollzugsdienstleiter Horst BubeckBubeck, Horst. Miesterfeld rief das Krankenrevier an.

Die Beamten sprachen leise, damit die Gefangenen in den übrigen Zellen nichts von den Geschehnissen mitbekamen. Kaum drei Minuten später betraten zwei Sanitäter in Begleitung von Amtsinspektor Erich GötzGötz, Erich und Hauptsekretär HeinzHeinz, Werner MünzingMünzing, Heinz den Zellentrakt. Die Tür wurde wieder aufgeschlossen, und die Beamten gingen in Raspes Zelle. »Da liegt eine PistoleStammheimer Waffen!«, rief einer der Beamten.

»Der lebt ja noch«, entfuhr es GötzGötz, Erich. »Vorsichtshalber nehme ich die Pistole weg.« Mit seinem Taschentuch ergriff er die Waffe vorn am Lauf und zog sie an sich. MiesterfeldMiesterfeld, Klaus holte ein Geschirrtuch und wickelte die Pistole ein. Götz steckte sein Taschentuch weg. Es klebte kein Blut daran.

Später waren sich die Beamten nicht einig, wo die Pistole tatsächlich gelegen hatte. Einer der Sanitäter meinte, sie habe sich auf Raspes geöffneter Hand befunden. Amtsinspektor GötzGötz, Erich erinnerte sich dagegen, er habe sie unter der geschlossenen Hand weggezogen. Verwertbare Fingerabdrücke waren nachher nicht mehr festzustellen.

RaspeRaspe, Jan-Carl ab Seite durchgängig erwähnt blutete aus Mund, Ohren und Nase. Er hatte an beiden Augen Blutergüsse, groß wie eine Kinderfaust. Die Sanitäter konnten auf den ersten Blick keine Schussverletzung feststellen. Ohne Raspes Lage zu verändern, alarmierten sie den Notarztwagen.

Gegen 8.00 Uhr traf der Unfallwagen des Roten Kreuzes ein. Zwei Sanitäter hängten RaspeRaspe, Jan-Carl ab Seite durchgängig erwähnt an den Tropf und legten ihn auf eine Trage. Wenig später kam auch der Notarzt. Unter Begleitung von zwei Justizbeamten wurde Raspe zum Katharinenhospital gebracht. Zwei Polizeifahrzeuge fuhren vorweg und machten die Straße frei.

Im Operationssaal war alles vorbereitet. RaspeRaspe, Jan-Carl ab Seite durchgängig erwähnt wurde geröntgt und ärztlich versorgt. Aber alle Hilfe war vergebens. Jan-Carl Raspe starb um 9.40 Uhr.

Nach Raspes Abtransport war um 8.07 Uhr die Tür zu Baaders Zelle geöffnet worden. Von innen lehnte eine Schaumstoffmatratze gegen den Rahmen. Sanitäter SoukopSoukop, Adolf schob die Matratze zur Seite und betrat die Zelle. Die Fenster waren verhängt. Es war so dunkel, dass er zunächst kaum etwas erkennen konnte. Baader lag auf dem Zellenboden, ausgestreckt, den Kopf in einer Blutlache. Der Mund stand offen, die Augen waren starr nach oben gerichtet. Der Sanitäter versuchte, den Puls zu fühlen, aber Baader war schon tot. Seine Hand war kalt. Links von ihm lag eine Pistole. »Guck, da haben wir die Bescherung, da liegt noch eine PistoleStammheimer Waffen«, sagte einer der Justizbeamten. Foto: Leiche Baader

Auf Anweisung eines inzwischen eingetroffenen Mitglieds der Anstaltsleitung wurde die Tür zu Baaders Zelle wieder verschlossen.

Da bei Baader in Zelle 719 nichts mehr zu retten war, hasteten die Beamten zur gegenüberliegenden Zelle 720. Wieder betrat der Sanitäter als Erster den abgedunkelten Raum. Links vom Eingang stand eine Art spanische Wand, hinter der Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt ihr Matratzenlager hatte. SoukopSoukop, Adolf tastete sich im Halbdunkel an der Stellwand entlang und sah dahinter. Er konnte die Gefangene nicht entdecken und rief laut nach ihr. Keine Antwort. Als er sich umdrehte, sah er zwei Füße unter der Decke hervorhängen, mit der das rechte Zellenfenster abgedunkelt war. In diesem Moment betrat der Anstaltsarzt Dr. Wolf MajerowiczMajerowicz, Wolf die Zelle. Er griff nach der Hand der Gefangenen. Sie war kalt.

Inzwischen eilten die Beamten weiter zur Zelle 725. Irmgard MöllerMöller, Irmgard, in Jeans und T-Shirt, lag zusammengekrümmt auf der Matratze, die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Der Sanitäter fasste sie an der rechten Schulter, drehte sie auf den Rücken und zog die Decke weg. Irmgard Möller stöhnte. Adolf Soukop spürte Blut an seinen Händen. Er vermutete, sie hätte sich die Pulsadern aufgeschnitten, und untersuchte ihre Handgelenke. Als er keine Verletzungen finden konnte, schob er das schwarzblaue T-Shirt der Gefangenen hoch und sah, dass sie in der Herzgegend mehrere Stichverletzungen hatte. Er fühlte den Puls und stellte achtzig Schläge pro Minute fest. Dann versuchte er, ihr in die Pupillen zu sehen, aber Irmgard Möller kniff die Augen zusammen. Unterdessen betrat der Anstaltsarzt Dr. MajerowiczMajerowicz, Wolf die Zelle und untersuchte die Verletzte. Er kam zu dem Ergebnis, dass lebensgefährliche Stichwunden nicht vorlagen. Nach seinem Eindruck war Irmgard Möller bei vollem Bewusstsein. Er gab ihr eine Spritze mit einem Herz-Kreislauf-Mittel und deckte die Wunden ab.

Inzwischen war der zweite Notarztwagen eingetroffen. Irmgard MöllerMöller, Irmgard wurde in das Robert-Bosch-Krankenhaus gebracht. Rechts von der Matratze in Irmgard Möllers Zelle lag ein blutverschmiertes Anstaltsmesser auf dem Fußboden; ein normales, oben abgerundetes Besteckmesser mit Wellenschliff.

In der Abteilung für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie der chirurgischen Universitätsklinik stellten die Ärzte fest, dass Irmgard MöllerMöller, Irmgard vier eineinhalb bis zwei Zentimeter tiefe Stiche im unteren Viertel der linken Brust hatte. Bei der Operation zeigte sich, dass das Gewebe vor dem Herzbeutel blutig durchtränkt, der Herzbeutel selbst aber nicht verletzt war.

Der Baader-Meinhof-Komplex

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