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3. Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt
ОглавлениеDer junge Mann, der am 14. Mai 1970 aus dem Fenster in die Freiheit gesprungen war und das Studium sozialer Fragen und einen alten angeschossenen Mann hinter sich gelassen hatte, war kurz zuvor 27 Jahre alt geworden.
Geboren wurde Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt am 6. Mai 1943 in München als Sohn des Historikers und Archivars Dr. Berndt Phillipp BaaderBaader, Berndt Phillipp 73, der seit 1945, nachdem er als Soldat in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war, vermisst blieb.
Die Mutter hatte nicht wieder geheiratet.
Andi, wie er zärtlich genannt wurde, war ein von Mutter Anneliese BaaderBaader, Anneliese, der Großmutter und einer Tante verwöhntes Kind.
Intelligent, aber sprunghaft sei er gewesen, so das Urteil von Erziehern und Verwandten, faul, wenn ihn etwas nicht interessierte, aber von ausgeprägter Willensstärke.
Sein Vater hatte zu Beginn des Krieges an der Münchener Universität studiert. Als die Geschwister SchollScholl, Hans und Sophie verhaftet wurden, kam er erregt nach Hause und erklärte seiner Frau, nun müsse er in den Widerstand gehen.
»Damit setzt du die Existenz der Familie aufs Spiel«, warf seine Frau ein. Der Schritt in den Widerstand blieb aus.
»Weil er Angst hatte«, sagte Anneliese BaaderBaader, Anneliese später über ihren MannBaader, Berndt Phillipp, »das macht den Unterschied zwischen den beiden aus. Andreas hatte nie Angst. Er führte alles bis zur letzten Konsequenz durch.« Anweisungen oder gar Befehlen folgte Andreas als Kind nicht, ohne nach dem Warum zu fragen. Irgendwann gab die Mutter es auf, erzieherische Maßnahmen durchzusetzen. Es war schwer für sie, seine Handlungen und Reaktionen vorauszusehen. Mal teilte er uneigennützig alles, was er hatte, zog seinen Pullover aus, wenn er jemanden frieren sah, dann wieder konnte er bedenkenlos jemanden um Geld erleichtern.
Im Frauenhaushalt lehnte er sich gegen viele Rituale auf: Aus Protest wollte er sich nicht waschen, zum Essen musste er oft an den Ohren herbeigezogen werden; was ihm nicht schmeckte, das aß er nicht. Er ließ sich nicht konfirmieren, weil er den Religionsunterricht hasste, wollte seinen Geburtstag nicht feiern und versuchte, seiner Mutter das Weihnachtsfest auszureden.
In Diskussionen hatte er immer eine ausgeprägte Meinung und verteidigte sie bis zum Jähzorn. Er prügelte sich oft, aber nicht nur für seine eigenen Interessen.
Seine Großmutter hielt ihn keineswegs für brutal, sondern eher für weich. Sie vermisste den männlichen »Mumm« und vor allem eine jungenhafte Sportlichkeit. Sport hasste er, und wenn andere Bergtouren unternahmen, blieb er unten im Tal.
Schon in der Grundschule musste Andreas eine Klasse wiederholen, dennoch war seine Mutter der Auffassung, der Junge müsste Abitur machen. In der fünften Klasse blieb er »wegen Vernachlässigung seiner Hausaufgaben und Schwierigkeiten mit den Lehrern« erneut sitzen. Daraufhin meldete ihn seine Mutter auf dem Internat in Königshofen an. Er wohnte im evangelischen Schülerheim. Doch auch in der neuen Umgebung besserte er sich nicht. Im Juli 1956 schrieb ihm der Klassenlehrer ins Zeugnis: »Der SchülerSchüler, Manfred, der die Klasse wiederholt, hat eine blasse, kränkliche Gesichtsfarbe. Häufig versäumt er wegen Krankheit den Unterricht. Seine Begabung ist mittelmäßig, die Phantasie rege. Sein Denken wird von einer auffallenden Verträumtheit überschattet. Sein Arbeitseifer und seine Mitarbeit im Unterricht sind äußerst gering; hier fällt er höchstens durch sein vorlautes Benehmen auf. Er macht den Eindruck eines hoffnungslos verwöhnten Kindes, das jeder Schwierigkeit aus dem Weg geht.« Die Aussichten für ein weiteres Studium seien demnach sehr gering.
Die MutterBaader, Anneliese gab nicht auf und meldete Andreas auf dem Maximiliansgymnasium an. Der Klassenlehrer entwickelte eine gewisse Sympathie für den schwierigen Jungen: »Er besitzt eine überdurchschnittliche Intelligenz, ist fähig, logisch zu denken und kritisch zu urteilen. Seine Phantasie ist gut entwickelt.« Dennoch fiel Baader immer wieder auf. Die über zwanzig Einträge in seinem Personalbogen passten nicht auf eine Seite: dauerndes Schwätzen, fortgesetzte Schlamperei, fortschreitende Unterrichtsstörung, fortwährende Vergesslichkeit, ungezogene Bemerkungen zum Tode eines Lehrers. Verständnisvoll notierte der Lehrer: »Dass er in der 2. Klasse scheitert, ist am allerwenigsten seine Schuld. Es fehlt dem Buben die starke Hand zu Hause. Der Vater ist vermisst. Die Mutter ist berufstätig und bringt zu ihrer täglichen Berufsarbeit nicht die Kraft auf, dem Buben den fehlenden Vater zu ersetzen.«
Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt musste die Schule wieder verlassen. Seine MutterBaader, Anneliese brachte ihn auf einem Privatgymnasium unter. Dort hielt er es trotz dürftiger Leistungen und Verhaltensauffälligkeiten immerhin drei Jahre aus. Manche Lehrer mochten den schlampigen, rebellischen und dennoch charmanten Rüpel offenbar.
1959 bemerkte sein Klassenlehrer: »Seine Lausbubenstreiche unterscheiden sich nicht von denen anderer, sind aber immer mit Humor gewürzt. Gesamteindruck: Sympathisch, berechtigt zum pädagogischen Abwarten. Entsprechend der Begabung könnte der Schüler jederzeit die Hochschulreife erreichen.«
Als er siebzehn war, wollte Baader ein Jugendbuch über bessere Erziehungsmethoden verfassen. Wie viele in diesem Alter schrieb er Gedichte, interessierte sich für Literatur und Philosophie, las SartreSartre, Jean Paul, NietzscheNietzsche, Friedrich, BalzacBalzac, Honoré de, Thomas WolfeWolfe, Thomas und vor allem Raymond ChandlerChandler, Raymond.
An dem jugendlichen Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt schieden sich die Geister von Klassenkameraden, Nachbarn, Lehrern. »Bei ihm gab es nur zwei Möglichkeiten«, meinte seine Mutter, »entweder man liebte oder man hasste ihn.« Ein Mitschüler erinnerte sich: »Andreas war intelligenter als der Durchschnitt. Aber er war frech und aufsässig und wollte sich den Regeln nicht unterwerfen. Er war ein dunkler Typ, sah aus wie ein Franzose oder Ire, und er wirkte irgendwie romantisch. Eine Zeitlang hat er uns vorgespielt, Krebs oder Tuberkulose zu haben. Er lief in München herum, mit dem Gesicht eines Mannes, der wusste, dass er sterben muss, aber das Beste daraus machen will. Er tat immer so, als würde er Blut in sein Taschentuch husten, aber das Tuch blieb weiß.« Andreas Baader prügelte sich in der Schule so oft, dass sich der Schulleiter schriftlich bei der Mutter beschwerte: »Einen zweiten Baader könnte meine Schule nicht tragen.«
Der Schuldirektor war aber auch sicher: »Er war ein besonders begabter junger Mann. Damals nahm ich an, er würde irgendwann einmal Journalist oder Schriftsteller werden. Er schrieb hervorragende Aufsätze.« Während seines letzten Jahres auf der Oberschule entdeckte Baader den Reiz von Motorrädern. Auf einer gestohlenen Maschine raste er mit 120 Stundenkilometern durch den Englischen Garten. Er wurde beim Fahren ohne Führerschein erwischt und zu drei Wochen Jugendarrest verurteilt. Verkehrsdelikte waren fortan seine Spezialität. Er hat nie einen Führerschein besessen, jedenfalls keinen echten.
Die Schule musste Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt nun verlassen. Er war für »untragbar« erklärt worden. Mitschüler hatte er zum Motorraddiebstahl animiert, am Unterricht kaum noch teilgenommen oder ihn gestört.
Er schrieb sich für kurze Zeit an einer privaten Kunstschule ein und versuchte sich als Werbetexter. Nachts bewegte er sich dort, wo sich Münchener Schickeria, Halb- und Unterwelt und schöne Künste begegneten.
Arrivierte Homosexuelle zeigten sich gern mit dem aggressiven und exotischen Burschen, der sie seinerseits mit bösartigem Spott bedachte. Er deutete oft eine geheimnisvolle Herkunft an, irgendwo warte eine phantastische Zukunft und ein großes Erbe auf ihn.
In den Cafés saß er mit denen zusammen, die eine große künstlerische Zukunft planten. Dem damals unbekannten Rainer WernerWerner, Hans-Ulrich FassbinderFassbinder, Rainer Werner begegnete er oft. Fassbinder schrieb fünfzehn Jahre später zu seinem Terroristen-Film »Die dritte Generation«: »Ich schmeiße keine Bomben. Ich mache Filme.«