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22. Horst MahlerMahler, Horst und die Steineschlacht am Tegeler Weg

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Zur selben Zeit fand in Berlin das Ehrengerichtsverfahren gegen Rechtsanwalt Horst MahlerMahler, Horst statt. Vor allem wegen seiner Rolle bei den Anti-Springer-DemonstrationenSpringer-Demonstration nach dem Attentat auf Rudi DutschkeDutschke-AttentatDutschke, Rudi sollte gegen ihn BerufsverbotBerufsverbot verhängt werden. Rechtsanwalt Josef AugsteinAugstein, Josef, der Bruder des »Spiegel«DerSpiegel-Herausgebers Rudolf AugsteinAugstein, Rudolf, vertrat MahlerMahler-Prozeß. Und während im Landgericht am Tegeler Weg verhandelt wurde, kam es draußen zur schwersten StraßenschlachtStraßenschlacht, Berlin, die Berlin bis dahin gesehen hatte.

Bei der »Steineschlacht am Tegeler Weg« wurden 130 Polizeibeamte und 22 Demonstranten zum Teil erheblich verletzt. Rocker kämpften an der Seite der etwa tausend Studenten. Die vorrückenden Polizisten wurden mit einem Steinhagel empfangen und mussten zurückweichen. Zum ersten Mal behielten Demonstranten im Kampf mit der Polizei die Oberhand. Die politische Führung der Stadt zog sofort die Konsequenzen. Nach der »Schlacht« wurden die Polizeibeamten neu ausgerüstet. Der traditionelle TschakoTschako hatte ausgedient. Stattdessen wurden die Beamten mit Spezialhelmen, Gesichtsschutz, Plastikschilden und extralangen Schlagstöcken bewaffnet.

Horst MahlerMahler, Horst wurde am 23. Januar 1936 in Schlesien als Sohn eines Zahnarztes geboren. Im Februar 1945 flüchtete die Familie vor der Roten Armee nach Naumburg an der Saale. Ein knappes Jahr später siedelten sie nach Dessau, und nach dem Tod des Vaters, 1949, nach Westberlin über. Mahlers Vater, ein glühender Nazi und Antisemit, hatte sich selbst erschossen.

Auch MahlerMahler, Horst wurde von der StudienstiftungStudienstiftung gefördert. In seiner Bewerbung schrieb er am 25. November 1954 über seinen Vater: »Der jahrelange erbitterte Kampf um das tägliche Brot, der Zusammenbruch seiner Ideale, seines Vaterlandes und nicht zuletzt das drückende Verantwortungsbewusstsein für die zahlreiche Familie verzehrte ihn.«

Er leide als Spätfolge eines Explosionsunglücks an jahrelanger Schlaflosigkeit und Depression. »Er starb am 12. Februar 1949 von eigener Hand, und nur dem Zufall und der Geistesgegenwart meines älteren Bruders verdanken wir vier Kinder unser Leben.«

Der Tod seines Vaters ließ ihn nicht mehr los. Der Vorprüfer für die Aufnahme in die Studienstiftung schrieb, dass MahlerMahler, Horst nichts Jungenhaftes an sich hatte, ihn eine unter Schülern seltene äußere Gelassenheit und Korrektheit auszeichneten und »in ungewohntem Maße Ernst und Gesammeltheit über seinem Wesen liegen«. Das sei wohl vor allem in den schweren Erlebnissen begründet, die den 13-jährigen Jungen trafen, als sein Vater 1949 freiwillig aus dem Leben schied.

»Über Nacht rückte alles, was ich einst für selbstverständlich hielt, in unerreichte Ferne«, schrieb Horst MahlerMahler, Horst in seinem Lebenslauf. Nun, da sein Vater fehlte, schien ein Studium unmöglich. Doch sein Klassenlehrer wies ihm einen neuen Weg: »Er nannte mir einen Preis, den ich für die Verwirklichung meiner Ziele zahlen sollte.«

MahlerMahler, Horst trat in die FDJ ein, wurde schnell zum Vorsitzenden der Schulgruppe und durfte als »Junger Pionier« zum Landeskongress der FDJ nach Halle fahren. »Mit der Zeit«, so schrieb er rückblickend in seiner Bewerbung für die StudienstiftungStudienstiftung, »wäre ich immer tiefer gerissen worden, bis ich mich unwiderruflich mit Haut und Haaren dem System verschrieben hätte.« Davor bewahrte ihn seine Mutter »mit erzieherischen Mitteln«.

Er trat aus der FDJ aus, und nach erheblichen Repressalien bereitete seine Mutter den Umzug nach Westberlin vor. Als vorläufiges Berufsziel gab er der StudienstiftungStudienstiftung den Beruf des Rechtsanwaltes an, doch sein eigentlicher Wunsch sei es, »im politischen Leben tätig zu werden«.

Mehr als ein halbes Jahrhundert später saß Horst MahlerMahler, Horst in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg seine längste Strafe ab; zu insgesamt 12 Jahren war er wegen Volksverhetzung und Leugnen des Holocaust verurteilt worden.

Für einen Film über »Die Insel West-Berlin« hatte ich bei der Haftanstalt die Genehmigung zu einem Interview beantragt. MahlerMahler, Horst, inzwischen Ende siebzig, machte bei dem Vorgespräch und bei dem Interview einige Wochen später einen durchaus wachen Eindruck, trotz der vielen Jahre, die er inzwischen hinter Gittern verbracht hatte – zunächst wegen seiner Mitgliedschaft in der RAFRAF und der Beteiligung an verschiedenen Banküberfällen, dann als Holocaust-Leugner.

Jetzt blickte er zurück auf seine ersten Jahre in Berlin und sagte: »In irgendeiner Situation hatte ich beschlossen, Politiker zu werden.« Die eng begrenzte Insellage Westberlins habe dazu geführt, dass man nicht ausweichen konnte und sich ständig über den Weg lief.

»Das würde dann so eine Art kritische Masse, die dann eben auch zur Explosion gebracht wurde.« Berlin sei ein politischer Echo-Raum gewesen: »Man konnte also gar nicht unpolitisch sein in dieser Stadt.« Auch seine spätere politische Rechts-Wendung habe irgendwie mit Berlin zu tun gehabt: »Berlin war eben die Hauptstadt des Deutschen Reiches, und es gab so eine Art Trauer über den Verlust dieses Reiches.« Das Deutsche habe eben eine ganz bestimmte »menschheitliche« Bedeutung: »Und das war plötzlich alles ohne Rahmen, ohne ein Fundament, das war alles unberührbar geworden, und das lässt einen nicht kalt.«

Horst MahlerMahler, Horst wurde Anwalt und 1953/54 Mitglied der schlagenden Studentenverbindung »Landsmannschaft Thuringa«. 1956 wurde er Mitglied der SPD und trat, weil die SPD die Unvereinbarkeit der Parteizugehörigkeit mit einer Mitgliedschaft in schlagenden Verbindungen beschlossen hatte, zum Abschlusskonvent aus der Thuringa wieder aus. MahlerMahler, Horst wurde Mitglied des Sozialistischen Deutschen StudentenbundesSDS, Sozialistischer Deutscher Studentenbund und daraufhin 1960 aus der SPD ausgeschlossen. Er vertrat Positionen, die nahe an denen der SED waren, und pflegte Kontakte zu Vertretern der DDR und der Sowjetunion. Einer seiner besten Freunde wurde der Journalist Wolfgang BarthelBarthel, Wolfgang, der als Agent für den Ostberliner Staatssicherheitsdienst arbeitete. Rückblickend sagte MahlerMahler, Horst: »Er hat nichts, was mich betraf, verraten. Aber er hat mich enttäuscht.« Auch auf MahlerMahler, Horst hatte das Ministerium für StaatssicherheitDDR, Ministerium für Staatssicherheit ein Auge geworfen, man überlegte, ihn als »Inoffiziellen Mitarbeiter« einzusetzen. So wurde am 13. November 1962 eine IM-Vorlaufakte angelegt, mit dem Vermerk »Vorbereitung zur Werbung«. Man führte mit MahlerMahler, Horst »ein Kontaktgespräch unter Legende«, nahm dann aber von einer Anwerbung als Agent Abstand.

1963 eröffnete MahlerMahler, Horst in Westberlin eine Anwaltskanzlei und spezialisierte sich überwiegend auf Wirtschaftsverfahren. Er wurde Rechtsberater der Firma »Hotel am Kaiserdamm GmbH & Co. KG«, einer Abschreibungsfirma westdeutscher Kommanditisten, und war ein erfolgreicher Wirtschaftsanwalt.

1966, zu Beginn der Studentenbewegung, gehörte Horst MahlerMahler, Horst zu den Mitbegründern des »Republikanischen Clubs«Republikanischer Club und war später einer der bekanntesten Verteidiger linkeLinker Studenten vor Gericht.

Als Anwalt von Unternehmen der Berliner Bauwirtschaft hielt er noch am 20. Januar 1967, als die Studentenbewegung ihrem Höhepunkt zustrebte, eine Rede beim Richtfest eines Geschäftsgebäudes am Kurfürstendamm 101: »Das Besondere an diesem Bau ist nicht die Tatsache, dass er durch seine ausgewogene architektonische Gestalt das Stadtbild bereichert, das Besondere an diesem Bau ist seine Geschichte. Durch die Hilfe der Bundesrepublik, deren Parlament das Berlinhilfegesetz geschaffen hat, ist das Interesse westdeutscher Unternehmer gefördert worden, sich am Wiederaufbau und an der wirtschaftlichen Entfaltung dieser Stadt zu beteiligen.«

Das war zu jener Zeit, als Horst MahlerMahler, Horst schon als eine der zentralen Figuren der Außerparlamentarischen OppositionAPO Außerparlamentarische Opposition auf DemonstrationDemonstrationen mitmarschierte – bekleidet mit Regenmantel, Anzug, Krawatte und Schirm.

Ein gutes Jahr später legte MahlerMahler, Horst seine Mandate aus der Bauwirtschaft nieder und gründete, zusammen mit den Rechtsanwälten Hans Christian StröbeleStröbele, Hans Christian und Klaus EschenEschen, Klaus, das erste »sozialistische AnwaltskollektivSozialistisches Anwaltskollektiv Berlin«.

Mahlers Karriere als Wirtschaftsanwalt war zu Ende.

Seit Mai 1968 waren allein in Westberlin fast 1900 Strafverfahren gegen Angehörige der Außerparlamentarischen OppositionAPO Außerparlamentarische Opposition Außerparlamentarische Opposition eingeleitet worden. Im Zusammenhang mit diesen Prozessen entstanden an den Universitäten »Justizreferate« und »Ermittlungsausschüsse«, aus denen später die »Rote Hilfe«-Gruppen hervorgingen.

Spätestens seit der »Schlacht am Tegeler WegSchlacht am Tegeler Weg« ließen Teile der APO die Auseinandersetzung mit Polizei und Justiz bewusst eskalieren. Aus der theoretischen Formel »Zerschlagt die KlassenjustizKlassenjustiz« wurde bald für einzelne Fraktionen der in sich zerstrittenen Protestbewegung der Aufruf zum bewaffneten Kampf gegen die Repräsentanten des Staatsapparates.

Es galten Parolen wie »Macht kaputt, was euch kaputt macht«Machtkaputt,waseuchkaputtmacht oder »High sein, frei sein, Terror muss dabei sein«. Aktionen wurden in dieser Zeit unter den verschiedensten Etiketten durchgeführt. Die Gruppen nannten sich zum Beispiel »Tupamaros Westberlin« oder »Schwarze Ratten«. Die Polizei ging davon aus, dass die an den Aktionen beteiligten Personen weitgehend identisch waren und lediglich die Namen der Kommandogruppen wechselten. Die Anschläge richteten sich zumeist gegen die Einrichtungen der Polizei, der Justiz und des Strafvollzugs. Waffen waren MolotowcocktailsVerfassungsschutz:Molotowcocktails und selbstgebastelte Brand- und Sprengsätze. Als »Rädelsführer« in Verdacht hatte die Polizei vor allem Ralf ReindersReinders, Ralf, Georg von RauchRauch, Georg von, Thomas WeisbeckerWeisbecker, Thomas und »Bommi« BaumannBaumann, Michael Bommi. Ganz oben auf der Fahndungsliste stand Dieter KunzelmannKunzelmann, Dieter.

Später wurde er angeklagt, bei einem Besuch des Berliner Juristenballs mit seiner Freundin einen Brandsatz abgestellt zu haben, der allerdings nicht zündete. Aufgrund der Aussagen seiner mitbeschuldigten Exfreundin wurde KunzelmannKunzelmann, Dieter zu neun Jahren Haftstrafe verurteilt. Doch der BundesgerichtshofBundesgerichtshof hob das Urteil wieder auf. Im Wiederholungsprozess wurde Kunzelmann freigesprochen.

Der Baader-Meinhof-Komplex

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