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6. »Shoot him«

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Zur selben Zeit wurde Peter HomannHomann, Peter von den PalästinenserPalästinensern aus dem Lager abgeholt und in einem alten Mercedes nach Amman gefahren. Er bekam ein Zimmer zugewiesen, erhielt englische Zeitungen und einen Betreuer. Dann gab ihm die PLOPLO Palästinensiche Befreiungsorganisation den Auftrag, einen Bericht über die Gruppe und ihr Verhältnis zur politischen Situation in der Bundesrepublik anzufertigen. Er verfasste etwa zehn Seiten und hielt sich mit seinem negativen Urteil über die Baader-Mahler-Meinhof-Truppe nicht zurück. Als er seinen Bericht abgeliefert hatte, lud Abu HassanAbu Hassan ihn zum Essen ein. Dabei kam dieser auf Homanns Konflikte mit der Gruppe zurück. »Du bekommst von mir die Möglichkeit, ihnen zuzuhören; was sie zu sagen haben und auch, was sie über dich sagen werden.«

Das Treffen fand am nächsten Abend auf der Terrasse des Hauses statt, in dem HomannHomann, Peter untergebracht war. Er konnte das Gespräch Abu HassanAbu Hassans mit Baader, Ensslin, MahlerMahler, Horst und Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite durch das geöffnete Fenster aus fünf Meter Entfernung verfolgen. Das Zimmer, in dem er saß, war dunkel, die Terrasse nur vom Nachthimmel über Amman erleuchtet. Ab und zu hörte man Schüsse und fernes Maschinengewehrfeuer. Die anderen konnten ihn nicht sehen. Anfangs ging es um die Rückkehr der Gruppe nach Deutschland. Diplomatisch und distanziert erklärte Abu Hassan, die Fatah werde selbstverständlich dafür sorgen, dass die Gruppe unbeschadet nach Berlin zurückkehren könne. Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt war die Wortführerin der vier, weil sie als Einzige fließend Englisch sprach. Baader machte seine Bemerkungen auf Deutsch und zischelte Gudrun ungeduldig zu: »Übersetz ihm das doch, übersetz ihm das doch.« Gudrun fragte, ob El FatahEl Fatah der Gruppe WaffenRAF Rote Armee Fraktion-Waffen zur Verfügung stellen würde. Abu Hassan hielt das für denkbar, machte aber keine Zusagen.

Dann sprach Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt davon, dass Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seites Kinder, zwei siebenjährige MädchenRöhl, Bettina, zurzeit auf Sizilien versteckt seien. Dort könnten sie aber nicht länger bleiben. Ob es denkbar sei, dass die ZwillingeRöhl, Regine nach Jordanien gebracht und dort in einem der Ausbildungslager für palästinensische Waisenkinder aufgezogen würden? Abu HassanAbu Hassan konnte sich das vorstellen, aber er bemerkte: »Wenn das geschieht, werdet ihr die Kinder nie wiedersehen. Dann sind sie palästinensische Waisenkinder.«

Hans-Jürgen BäckerBäcker, Hans Jürgen sagte später im Rückblick auf die Wochen in Jordanien: »Ulrike war zu dieser Zeit fix und alle, weil sie nicht wusste, was aus ihren beiden Töchtern werden sollte. Sie hatte dieses Kopf- und Bauchdenken. Sie wollte nicht, dass RöhlRöhl, Klaus Rainer die Kinder kriegt, aber sie wollte sie auch nicht nach Palästina schicken. Wir hatten ja die ›Jungen Rosen‹, die Organisation der El Fatah für junge Mädchen, in Jordanien gesehen, zumeist Waisen, die eine Ausbildung an der Waffe bekamen.« Er selbst habe mit Ulrike darüber gesprochen und ihr zugesichert, dass er, sobald er Zeit habe, nach Sizilien fahren würde, wo die Kinder vorübergehend untergebracht worden waren.

Horst MahlerMahler, Horst sagte später, eigentlich habe Ulrike die KinderRöhl, Regine in die DDR bringen wollen: »Sie wollte auf jeden Fall verhindern, dass RöhlRöhl, Klaus Rainer die KinderRöhl, Bettina kriegt. Sie hatte einen maßlosen Hass gegen ihn. Sie hatte ein sentimentales Verhältnis zur illegalen KPDKommunistische Partei Deutschlands KPD, in der sie und Röhl Mitglied waren. Die spätere Idee, die Kinder in ein jordanisches Flüchtlingslager zu bringen, war eine Notlösung.«

Zum Schluss des Treffens im jordanischen Ausbildungslager kam das Gespräch auf Peter HomannHomann, Peter.

»Wo ist er überhaupt?«, fragte Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt.

»Wir mussten ihn erst mal von euch trennen.«

»He is an Israeli spy. Shoot him«, sagte Gudrun.

»Das hättet ihr mir früher sagen müssen«, antwortete Abu HassanAbu Hassan.

MahlerMahler, Horst bestreitet, dass es sich damals um ein Tribunal »im eigentlichen Sinne« gehandelt habe, schließlich sei der Angeklagte gar nicht dabei gewesen. »Das war eine Diskussion innerhalb der Gruppe, machen wir’s oder machen wir’s nicht und wie machen wir’s und was muss man dabei beachten?« Die Wortführer dabei seien EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt und BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt gewesen. »Und UlrikeMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite, die den HomannHomann, Peter aus persönlichen Gründen wohl gehasst hat, die waren ja mal zusammen, irgendwie. Da sind so menschliche Abgründe, die da plötzlich sichtbar wurden.« Eine solche Aktion sei im Übrigen nur im Einvernehmen mit den Palästinensern durchführbar gewesen. Er selbst habe seinen Standpunkt klargemacht, der »nicht moralisch begründet« gewesen sei, sondern »gruppendynamisch«.

»Wenn das geschieht«, habe er gesagt, »HomannHomann, Peter auf einen Verdacht hin umzubringen, das zerstört die Gruppe sofort, weil von diesem Augenblick an jeder versuchen würde, bei den anderen ein Flattern in den Augen zu sehen. Bist du der Nächste, der verdächtigt wird und auf diese Weise dann beseitigt wird?« Das würde die Gruppe nicht ertragen. »Ich habe mich also gegen die Liquidation von Peter HomannHomann, Peter ausgesprochen und galt damals als unsicherer Kantonist.«

Er sei dann mit der »üblichen Methode, einen in die Verantwortung zu ziehen« beauftragt worden, an dem entscheidenden Gespräch mit Abu HassanHassan, Abu teilzunehmen, ohne einen eigenen Standpunkt zu artikulieren. Er habe nur übersetzen und sich auf diese Weise mit in die Geschichte hineinziehen lassen sollen. So sei das eben üblich gewesen.

Außer HomannHomann, Peter wollten noch zwei andere Mitglieder der Gruppe nicht länger dabei sein. Sie wurden aber nicht von der Polizei gesucht, und ihre Rückreise war unproblematisch.

Wenige Tage nach dem nächtlichen Gespräch auf der Terrasse sprach Abu HassanAbu Hassan noch einmal kurz mit HomannHomann, Peter über die Berliner und ihre Reise: »Sie sind als Freunde gekommen und werden entsprechend der arabischen Gastfreundschaft auch als Freunde sicher wieder hinausgeleitet.« Er werde noch ein Treffen zwischen ihm, den beiden anderen Dissidenten und der Gruppe herbeiführen, damit man gemeinsam die Modalitäten der Abreise besprechen könne.

Die Verhandlungen in einem kleinen Hotel in Amman waren kurz. HomannHomann, Peter wollte eigene Wege gehen.

Die Gruppe flog nach Berlin-Schönefeld und wechselte mit der U-Bahn in den westlichen Teil der Stadt über. Die Polizei merkte nichts davon. Sie hatte nicht einmal jene Wohnungen aufgestöbert, in denen die Truppe vor der Jordanienreise Unterschlupf gefunden hatte. Die Wohnungen konnten wieder benutzt werden.

HomannHomann, Peter bekam von den PalästinensernPalästinenser einen arabischen Reisepass, der auf den Namen Omar Sharif lautete, seinen gefälschten deutschen Reisepass, 200 US-Dollar Reisegeld und ein Flugticket Beirut–Rom. Eine Woche nachdem die anderen in Berlin angekommen waren, passierte er am römischen Flughafen die Passkontrolle. Er kaufte sich eine Fahrkarte und bestieg am Abend den Zug nach Hamburg.

Am 17. August 1970 um 13.15 Uhr legte eine junge Frau am Grenzübergang Berlin-Friedrichstraße einen französischen Pass auf den Namen Michèle RayRay, Michèle vor und begehrte Einlass in den Ostteil der Stadt. Sie gab sich als Studentin aus und hatte eine Ausgabe des »Spiegel«DerSpiegel und eine »Frankfurter AllgemeineFrankfurter Allgemeine« dabei. Daraufhin wurde sie einer LeibesvisitationLeibesvisitation unterzogen. Die Frau reagierte »erbost«, wie der Grenzer anschließend in seinem Protokoll notierte. Er stellte fest, dass »die Bürgerin« schon mehrmals in die Hauptstadt der DDR eingereist war. Auf Befragen erklärte sie, das Büro der palästinensischen Befreiungsbewegung besuchen zu wollen, und erkundigte sich bei dem Grenzer, ob er wisse, wo das sei. »Da kann ich keine Auskunft geben«, sagte der. »Dann werde ich mich bei Professor Kaul erkundigen.«

Der Beamte notierte: »Die Bürgerin machte einen mittelmäßigen Eindruck. Sie sprach gut Deutsch.« Die Zeitschriften wurden eingezogen. Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite durfte passieren.

Sie ging schnurstracks zum Zentralrat der FDJ Unter den Linden und verlangte an der Eingangskontrolle, sie zu dem hochrangigen Genossen Günther JahnJahn, Günther vorzulassen. Sie weigerte sich, ihren Namen zu nennen, und sagte nur, sie komme aus Westberlin und wolle eine dringende vertrauliche Angelegenheit besprechen. Wenn keine Möglichkeit zum Gespräch mit Jahn oder anderen führenden Genossen bestehe, wolle sie zum Genossen WernerWerner, Hans-Ulrich Lambertz oder zu Albert NordenNorden, Albert gehen. Beide standen ganz oben in der DDR-Hierarchie. Man schickte sie zum Sekretär des Zentralrats der FDJ, Ernst RauRau, Ernst, dem sie ihren richtigen Namen nannte. Rau fragte, warum sie gekommen sei. Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite antwortete: »Die FDJ könnte sicher helfen, mit Genossen, mit denen man eine politische Diskussion führen kann, in Verbindung zu kommen.«

»Wie sind Sie denn in die DDR gekommen, und wo halten Sie sich auf?«

»Mein Aufenthaltsort ist Westberlin. Da verbergen wir uns, zusammen mit anderen Freunden.« Ihre beiden Kinder seien bei Bekannten sicher untergebracht. Sie sei mit einem französischen Pass auf den Namen Michèle RayRay, Michèle eingereist.

»Es ist nicht Sache der DDR, den Widerstand in Westberlin zu organisieren«, sagte der FDJ-Sekretär. »Es ist unüberlegt von Ihnen, zum Zentralrat der FDJ zu kommen. Der kann für Sie kein Partner sein.«

»Wir suchen das Gespräch mit Genossen der SED«, erwiderte Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite. »Das ist für uns politisch wichtig. Wir wollen den Zentralrat der FDJ natürlich nicht durch illegale Geschichten im Ausland belasten.« Dann sprach sie abfällig über die »intellektuellen Linken«, die nur theoretische Linien ausarbeiten würden, aber nicht bereit seien, den Kampf mitzuführen.

Der SED-Mann hielt dagegen: »Die Auffassung und das Wirken vieler Splittergruppen, die zugleich Antiimperialismus und Antikommunismus auf ihre Fahne geschrieben haben, sind dem antiimperialistischen Kampf nicht dienlich.«

»Man muss sich eben über vieles politisch verständigen«, lenkte Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73 ein.

Der FDJ-Sekretär notierte später in seinem als streng vertraulich gekennzeichneten Gesprächsprotokoll: »Ich hatte den Eindruck, dass Ulrike M. nach einem Ausweg aus ihrer prekären Lage suchte und ziemlich ratlos ist. Sie machte einen hilflosen Eindruck.«

Zum Schluss fragte Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite noch einmal, ob es möglich sei, sofort mit verantwortlichen Genossen Verbindung aufzunehmen und ihren Wunsch weiterzuvermitteln.

»Das ist mir nicht möglich«, sagte RauRau, Ernst. »Ich werde lediglich meine Genossen informieren, dann könnten Sie eventuell morgen noch einmal vorbeikommen.«

Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite erklärte, sie würde am nächsten Tag gegen 10.30 Uhr wieder da sein: »Was soll ich machen, wenn ich an der Grenze festgehalten werde?«

»Sie müssen selbst wissen, was Sie auf sich nehmen, wenn Sie sich mit falschen Papieren in der DDR aufhalten.«

»Es ist mir ganz gleichgültig, wenn ich aufgehalten werde. Dann bitte ich darum, mit den Genossen von der StaatssicherheitMinisterium für Staatssicherheit der DDR zu sprechen.«

»Das ist Ihre Angelegenheit und nicht die der FDJ.«

»Kann ich dann sagen, dass ich zum Genossen Rau möchte?«

»Das können Sie den Genossen natürlich sagen.«

Nach zwanzig Minuten war das Gespräch beendet. Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73 verabschiedete sich. Genosse Rau informierte die Westabteilung des Zentralkomitees der SED über seine Besucherin. Von dort aus wurde noch am Abend die Hauptverwaltung Aufklärung, die Auslandsspionage des Ministeriums für Staatssicherheit, informiert. Gegen 20.00 Uhr verließ Ulrike Meinhof über den Bahnhof Friedrichstraße die DDR wieder.

Auch Stasichef MielkeMielke, Erich wurde laut Aktennotiz sofort unterrichtet, und der reagierte sofort, im Protokoll wurde festgehalten: »Entsprechend der Weisung des Genossen Minister wurde der Meinhof die Einreise in die DDR und die Hauptstadt der DDR sowie der Transitverkehr gesperrt. Entsprechende Maßnahmen wurden durch die HA VI eingeleitet.«

Am nächsten Morgen gegen 10.30 Uhr tauchte Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73 wieder bei der Einreisestelle für Ausländer am Bahnhof Friedrichstraße auf. Sie legte ihren französischen Pass vor, der sofort abgelichtet wurde. Dann teilte man ihr mit, ihre Einreise in die DDR sei nicht erwünscht. Ulrike Meinhof war verwirrt: »Das ist mir unverständlich. Meine Einreise ist notwendig. Ich bin mit Vertretern des Zentralrats der FDJ verabredet. Da kann ich nicht einfach fernbleiben.« Sie verlangte, den Vorgesetzten des Offiziers zu sprechen oder wenigstens mit ihrem Jugendfreund Rau vom Zentralrat der FDJ zu telefonieren.

Der Vorgesetzte erschien und forderte sie ohne weitere Diskussion auf, nach Westberlin zurückzukehren.

»Dann will ich einen Vertreter der StasiMinisterium für Staatssicherheit der DDR sprechen«, verlangte Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73. »Ich gehe nicht weg, ohne einen davon gesprochen zu haben.« Es wurde ein weiterer Vorgesetzter geholt. Der erklärte ihr, dass niemand mit ihr sprechen würde. »Sie haben unverzüglich nach Westberlin zurückzugehen.«

Die Stasioffiziere notierten: »Es muss eingeschätzt werden, dass sich die R. [Ray] sehr korrekt benahm, sehr bewusst auftrat, ohne dabei laut und provokatorisch zu werden. Sie sprach ein gut verständliches Deutsch.«

Zwei Tage später, am 20. August 1970, änderte Stasichef MielkeMielke, Erich offenbar seine Strategie. Der »Linie Passkontrolle« wurde mitgeteilt:

»Der Genosse Minister hat mich beauftragt, folgende Maßnahmen gegen die Westberliner Bürgerin Meinhof, Ulrike, weitere Personalien bekannt, einzuleiten.

Der M. ist beim Erscheinen an der Grenzübergangsstelle die Einreise zu gestatten. M. wird möglicherweise einen französischen oder anderen ausländischen Pass vorweisen.«

Während der Abfertigung sei sofort der Leiter der Hauptabteilung IX zu informieren.

Was das Ministerium für Staatssicherheit mit Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73 vorhatte, geht aus den nach der Wiedervereinigung aufgefundenen Akten nicht hervor.

Auch was sie selbst von den Genossen in der DDR wollte, ist nicht klar. Horst MahlerMahler, Horst behauptete später, Ulrikes Ostreise sei mit Baader, Ensslin und ihm selbst abgesprochen gewesen. Sie habe erkunden wollen, ob sie ihre damals acht JahreRöhl, Regine alten ZwillingeRöhl, Bettina in der DDR unterbringen könne. Doch auch dafür gibt es keinen Beweis.

Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite, der Mielke persönlich die Einreise gestattet hatte, kam nie wieder in die DDR.

Der Baader-Meinhof-Komplex

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