Читать книгу Der Baader-Meinhof-Komplex - Stefan Aust - Страница 36
2. Im Camp
ОглавлениеHorst MahlerMahler, Horst sah mit seinem Bart und der grünen Militärmütze aus wie Fidel CastroCastro, Fidel in der Sierra Maestra. Er strahlte und war ganz Chef einer Guerilla-Einheit, von seinen Leuten akzeptiert und von den PalästinenserPalästinensern anerkannt.
Nach Baaders Ankunft sollte sich das innerhalb weniger Stunden ändern. Schon beim ersten gemeinsamen Essen startete Baader seinen Angriff auf den Führer der Vorhut. Er warf ihm die Panne auf dem Beiruter Flughafen – verschiedene deutsche Zeitungen hatten davon berichtet – als Beweis seiner vollständigen Unfähigkeit vor. MahlerMahler, Horst hatte dem nicht viel entgegenzusetzen. Der bisherige GuerillaGuerilla-Chef wurde schon an diesem Abend degradiert.
Horst MahlerMahler, Horst, der brillante Anwalt, der vor Gericht so geschliffen argumentieren konnte, war dem aggressiven, höhnischen Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt nicht gewachsen. Baader konnte anderen ihre Unfähigkeit auf eine Weise vorhalten, die sie völlig aus der Fassung brachte. Er geiferte die anderen an, bis er im wahrsten Sinne des Wortes Schaum vorm Mund hatte. Rationalen Argumenten war er nicht zugänglich, und wenn er nicht mehr weiterwusste, sprang Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt ein und predigte ihre neue Moral von der Übertretung aller bürgerlichen Gesetze, der »tiefsten Freiwilligkeit«, mit der jeder RevolutionRevolutionär sich unterordnen müsse, oder dass man die IllegalitätIllegalität nur in der Illegalität erlernen könne. Nach den Ausfällen Baaders folgte dann Gudrun Ensslins Mao-BibelMao-Bibelstunde. Mit dieser Arbeitsteilung waren Baader und Ensslin schnell das unbestrittene Führungspaar der entstehenden RAFRAF RotenArmeeFraktion.
Anfangs hatten die Gastgeber nur ein Programm vorbereitet, das eine Art RevolutionstourismusRevolutionstourismus zum Inhalt hatte, wie sie es vielen Ausländern präsentierten, die damals zu den kämpfenden PalästinenserPalästinensern kamen. Die riesigen Zeltstädte wurden gezeigt, in denen die Menschen oft noch zwei Jahrzehnte nach ihrer Vertreibung aus Palästina lebten. Lazarette mit verwundeten Frauen, Kindern und Männern, die eigenen Schulen, in denen Lernen und militärische Ausbildung eine Einheit bildeten. All dies bekamen die Deutschen ebenfalls zu sehen. Aber dann setzten sie durch, an einer richtigen militärischen Ausbildung teilnehmen zu können.
Alle wurden truppenmäßig eingekleidet, erhielten grüne Kampfanzüge und Mützen. Nur Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt wollte weiterhin seine hautengen Samthosen tragen, in denen er später beim Training durch die steinige Wüste robbte. Die Gruppe der Deutschen bestand aus über zwanzig Frauen und Männern, die nach den Vorstellungen des algerischen Kommandanten AchmedAchmed getrennt untergebracht werden sollten. Frauen waren bisher noch nie in diesem Lager ausgebildet worden. Es gab den ersten Protest. Baader und Ensslin verlangten, dass gemischt geschlafen werden durfte. Sie hielten die Zusage für einen großen emanzipatorischen Erfolg und merkten nicht, dass sie den Grundstein für dann folgende Auseinandersetzungen gelegt hatten.
Das Haus, in dem alle untergebracht waren, hatte vier Räume. Zwei dienten als Schlafräume, ein dritter als Küche und Aufenthaltsraum, wo sich die Deutschen an einem großen Tisch zum Essen und zu Diskussionen versammelten. Der vierte Raum war Büro und Schlafzimmer des Kommandanten.
Auf den Tisch kam das dürftige Essen, von dem die PalästinenserPalästinenser schon seit vielen Jahren lebten: Fleisch aus Konserven, von der UNRRA, der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, gestiftet, meist mit Reis vermischt. Dazu gab es arabisches Fladenbrot und Wasser, Obst nur selten, frisches Fleisch nie.
Das Essen schmeckte den Deutschen nicht, und sie mäkelten von Anfang an daran herum. Eines der jungen Mädchen verlangte, im Wüstenlager einen Cola-Automaten aufstellen zu lassen.
Morgens um sechs Uhr, es gab süßen starken Tee, begann das Training mit einem Dauerlauf. Danach standen Schießübungen auf dem Plan, am Gewehr, an der Maschinenpistole und auch mal an der Haubitze. Jeder erhielt eine russische »Kalaschnikow«, die abends an den Bettpfosten gehängt wurde. Mit einem Angriff war jederzeit zu rechnen.
Auch das Werfen von Handgranaten wurde geübt. Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73 bekam eines Tages eine russische Stielhandgranate. Der Ausbilder zeigte ihr, wie man die Kapsel abschraubt, um dann den frei werdenden RingRing, Josef zu ziehen. Ulrike zog, die Granate begann leicht zu fauchen, Qualm entwickelte sich. Statt zu werfen, betrachtete Ulrike die Granate in ihrer Hand und fragte: »Was soll ich jetzt machen?«
»Wegschmeißen!«, schrie jemand. Kurz vor der Explosion konnte Ulrike das unheimliche Ding noch wenige Meter weit schleudern. Alle waren hinter Steinhaufen in Deckung gegangen.
Vor allem Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt machte sich über die ungeschickte Intellektuelle lustig. »Ulrike wurde von denen wie Müll behandelt«, erinnert sich Peter HomannHomann, Peter. »Es war gotteserbärmlich, so etwas zu sehen.« Hemmungslos schrie Baader sie an: »Du bist die letzte bürgerliche Sau.«
Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite konnte dem nichts entgegensetzen. Vor allem zwischen Baader und HomannHomann, Peter krachte es. Baader begann, wild auf ihn einzuschlagen. Homann holte aus und traf Baader voll. Der fiel in den jordanischen SandSand, Theodor. Ensslin und die anderen Frauen kreischten: »Du Arschloch! Du hast Andreas geschlagen.«
Schon jetzt galt HomannHomann, Peter als Verräter.
Said DudinDudin, Said, der palästinensische Kontaktmann aus Berlin, besuchte die Gruppe dreimal in ihrem LagerAusbildungslager, jordanisches. Später sagte er: »Der Kommandant Abu AchmedAchmed war ein Schwein, ein Söldner, der schon für die Franzosen in Indochina in der Fremdenlegion gekämpft hatte.« Im Grunde habe der sich einen Spaß daraus gemacht, die Berliner Truppe durch den SandSand, Theodor robben zu lassen. Als es Spannungen gab, musste Dudin vermitteln. Er sagte Abu Achmed: »Das sind unsere Gäste, die dürfen nicht beleidigt oder bedroht werden.« Und die Berliner mahnte er: »Ihr seid hier Gäste, also benehmt euch entsprechend.«
Von Zeit zu Zeit wurden GuerillaGuerillataktiken geübt, die die Gruppe nach ihrer Rückkehr in deutschen Großstädten anwenden wollte. Auf dem Schulungskalender stand auch: »Wie raube ich eine Bank aus?« Der algerische Lagerleiter war vertraut mit diesem Thema. Während des algerischen Unabhängigkeitskrieges hatte er selbst an solchen »Enteignungsaktionen« teilgenommen.
Baader achtete streng darauf, dass das Training in engem Praxisbezug zum »Job« stand, wie er die großstädtische Guerilla nannte.
Als eines Tages geübt wurde, durch unwegsames Gelände zu robben, und die PalästinensePalästinenserr, wie üblich, mit scharfer Munition dazwischenschossen, um einen realistischen Eindruck vom Kampf zu vermitteln, protestierte Baader: »Das ist für eure Verhältnisse sicher richtig. Aber bei uns in der Großstadt gibt es solche Situationen nicht.«
Später inspizierte der für die Ausbildungslager zuständige Palästinenserführer Abu HassanAbu Hassan das CampAusbildungslager, jordanisches. Zur Ehre seines Besuches kochten ihm die jungen Fedayin ein frisch geschlachtetes Huhn. Baader beschwerte sich: »Was ist denn das für ein autoritärer Haufen hier? Wenn der Oberkommandierende kommt, gibt es Fleisch für ihn, und wir kriegen keins.«