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31. Vorbereitungen für eine Gefangenenbefreiung
ОглавлениеBaader hatte immer noch unter den Folgen seiner Gelbsucht zu leiden. Deshalb war er nach der FestnahmeRAF-Mitglieder:Festnahmen zunächst in die Krankenabteilung des Untersuchungsgefängnisses MoabitUntersuchungsgefängnis Moabit verlegt worden. Er saß dort Zelle an Zelle mit Bommi BaumannBaumann, Michael Bommi, der ebenfalls Gelbsucht hatte, und einem Mann namens Eckehard L.L., Eckehard
Sie waren sich sofort einig, dass sie gemeinsam ausbrechen würden. Bommi hatte schon damit begonnen, den Türrahmen in seiner Zelle herauszukratzen, was ihm dann aber zwecklos erschien, weil die Beamten seine Zellentür ohnehin ständig offen stehen ließen. Bommi war nämlich ein freundlicher Gefangener, der zum Aufsichtspersonal der Anstalt ein gutes Verhältnis »von Proletarier zu Proletarier« pflegte. Sein Zellennachbar Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt war da anders. Er beschimpfte die Beamten ständig mit den unflätigsten Ausdrücken. Daraufhin wurde seine Zellentür geschlossen gehalten. Die Haftärzte besuchten Bommi gelegentlich und verliehen ihrer Verwunderung Ausdruck: »Also, Herr BaumannBaumann, Michael Bommi – Sie sind ja ganz nett. Aber Ihr Kollege Baader, der ist ja fürchterlich.«
Bommi fand, dass Baader durch sein rotziges Verhalten jede Chance zur Flucht versaute. »Statt dass der nun auch ein bisschen auf nett macht, hat er die angemacht. Wir hätten den ganzen Tag im Haus herumspazieren können. Dann hätte bloß einer an der Außenmauer vorbeifahren müssen. Anker an das Gitter und hinten am Auto fest, losfahren, bing, wäre das Gitter weg. Wären wir draußen gewesen, gar kein Problem. Einfach rausgesprungen aus dem Fenster und weg, Wiedersehen. Da war doch damals keine Bewachung, nichts.«
Abends saßen sie am Fenster und redeten miteinander über die unterschiedlichsten Fluchtmöglichkeiten. Ihr Nachbar »Ecke« bekam das in allen Einzelheiten mit.
Baader wurde immer ungeduldiger, er konnte die Haftsituation nicht ertragen. Bommi BaumannBaumann, Michael Bommi fand, dass er sich anstellte wie der erste Mensch: »Der hat sich so aufgeführt, dass sie ihn in die Klapsmühle gesteckt haben. Der hat sich nie gewaschen und lauter so ’ne Geschichten. Dann war denen das unheimlich, er kriegte solche Depressionen, dass sie ihn in die PN, die psychiatrisch-neurologische Abteilung, steckten. Baader war dann schon dabei, die Gänge immer hoch und runter zu laufen, die richtige Knastmacke.«
Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt lief inzwischen draußen von Tür zu Tür, um Leute für eine BefreiungBaader-Befreiungsaktion zu mobilisieren. Niemand wollte so richtig mitmachen. Theoretisch stand GefangenenbefreiungGefangenenbefreiung derzeit im Mittelpunkt der politischen Diskussion. Aber konkret planen, organisieren? Das war die Sache der meisten in der Szene nicht.
Inzwischen hatte Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt eine Zelle im Haus I der Vollzugsanstalt TegeJustivvollzugsanstalten:Vollzugsanstalt Tegell bezogen. In den nächsten Tagen und Wochen erhielt er regelmäßig Besuch. Seine Mutter Anneliese BaaderBaader, Anneliese erschien, Horst MahlerMahler, Horst als Anwalt, Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite, sie allein fünfmal.
Und eines Tages, es war der 30. April, meldete sich nach 12.00 Uhr mittags eine Frau an der Anstaltspforte und legte einen Personalausweis auf den Namen Dr. Gretel WeitemeierDecknamen vor. Keinem der Beamten fiel auf, dass es sich um die ebenfalls gesuchte Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt handelte, die ihren Freund Andreas besuchen wollte. Für eine Stunde konnten sie zusammen sein, unter Aufsicht eines Justizbeamten. Weil alles gutgegangen war, besuchte Ensslin ihn noch zweimal, zuletzt einen Tag vor der BefreiungBaader-Befreiung.
An jenem 30. April war auch ein Kriminalhauptmeister von der Staatsschutzabteilung der Berliner Polizei in Tegel. Gemeinsam mit einem Staatsanwalt vernahm er den Strafgefangenen Eckehard L.L., Eckehard Der Häftling galt bei der Polizei als Wichtigtuer, der sich gelegentlich durch frei erfundene Hinweise auf bevorstehende APOAPO Außerparlamentarische Opposition-Aktionen Vorteile verschaffen wollte.
So waren die Beamten skeptisch, als sie dem Gefangenen gegenübersaßen. Sie waren auf das, was er ihnen sagen wollte, vorbereitet. Schon eine Woche zuvor hatte sich der Häftling an einen Vollzugsbeamten gewandt: »Ein Gefangener aus dem Haus I will ausbrechen. Er soll mit Hilfe der APO befreit werden.«
Der Wachtmeister fragte nach dem Namen. »Baader«, sagte der Häftling.
Der Vollzugsbeamte kannte Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt nicht. Er kannte aber einen anderen Häftling mit dem Namen BaderBader, Paul, Paul.
Er schrieb seine Meldung an den Anstaltsleiter: »Dem einsitzenden Gefangenen BaderBader, Paul, Paul, soll mit Hilfe der APO eine Entweichung ermöglicht werden.«
Der Polizeibeamte vom Staatsschutz, APO-Spezialist, erkannte den Irrtum und wies den Justizbeamten darauf hin, dass nicht Paul BaderBader, Paul, sondern Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt gemeint war. Die Meldung wurde handschriftlich abgeändert. Aus »Paul« wurde »Andreas«. Um ganz sicherzugehen, unterrichtete der Kriminalbeamte auch noch den Anstaltsleiter GlaubrechtGlaubrecht, Wilhelm persönlich über den angeblich geplanten Ausbruch Andreas Baaders.
Am selben Tag ging in der Anstalt ein Brief des Verlags Klaus WagenbachWagenbach, Klaus ein, in dem es hieß, dass Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt und Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite gemeinsam ein Buch über randständige Jugendliche verfassen sollten. Bei einem der Besuche fragte Ulrike Meinhof, ob es nicht möglich sei, dass Andreas Baader zur Sichtung von Literatur ausgeführt werden könne. In einem wissenschaftlichen Institut in Berlin gebe es Zeitschriften aus den zwanziger Jahren, deren Lektüre für das Buchprojekt unverzichtbar sei.
Der Anstaltsleiter GlaubrechtGlaubrecht, Wilhelm lehnte ab: »Eine mehrfache Ausführung ist schon wegen unseres Personalmangels nicht möglich.«
Baaders Anwalt Horst MahlerMahler, Horst war gerade in Tegel. Er wollte sich damit nicht abfinden und bestand darauf, sofort den Anstaltsleiter zu sprechen. Dort zog der Rechtsanwalt noch einmal alle Register. Es gebe niemanden, der Baader die Auswahl aus der Autorenkartei abnehmen könne.
GlaubrechtGlaubrecht, Wilhelm zeigte sich beeindruckt und stimmte einer einmaligen Ausführung von zwei bis drei Stunden zu, MahlerMahler, Horst unterrichtete Baader, der gerade Besuch von Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite hatte, vom Erfolg seiner Bemühungen.
Als der Anwalt gegangen war, bat GlaubrechtGlaubrecht, Wilhelm um die Akte Baader. Noch am selben Tag rief jemand aus der Anstaltsleitung beim Institut für soziale Fragen an und vereinbarte den Häftlingsbesuch für den übernächsten Tag, Donnerstag, den 14. Mai 1970, 9.00 Uhr morgens.
Der Verleger Klaus WagenbachWagenbach, Klaus hatte zwar einen Buchvertrag mit Ulrike Meinhof und Baader aufgesetzt, um dessen Flucht zu ermöglichen. Er war aber »absolut dagegen, dass Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite in den Untergrund geht«. Weil er annehmen musste, dass sein Verlag überwacht wurde, unternahm er mit Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite einen Spaziergang, um sie von ihrem Plan abzubringen. »So viele gute Federn wie dich gibt es nicht«, sagte er ihr. Doch UlrikeMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite ließ sich nicht mehr zurückhalten.
Die Kerntruppe, die sich zum Ziel gesetzt hatte, Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt zu befreien, bestand im Wesentlichen aus Frauen. Dass der bekannte Anwalt Horst MahlerMahler, Horst nicht selbst bei der Befreiung mitwirken konnte, leuchtete allen Beteiligten ein. Dennoch sollte – Emanzipation hin, Emanzipation her – auf jeden Fall ein Mann an der Aktion teilnehmen. Daraufhin gab Mahler einen Tipp. Wenige Tage vor der Befreiung sprach Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt den von Mahler vorgeschlagenen Mann im »Republikanischen Club«Republikanischer Club an. Sie wusste, dass er schon im Knast gesessen und einige »harte Sachen« gemacht hatte. Für die Aktion waren das recht günstige Voraussetzungen, so schien es ihr. Der Mann sagte spontan zu, konnte wohl auch nicht so richtig überblicken, welche Tragweite seine Entscheidung hatte.
Was fehlte, waren WaffenRAF Rote Armee Fraktion-Waffen, und die konnten am einfachsten in der kriminellen Szene erworben werden. Zwei der Frauen folgten einem Tipp aus der Unterwelt und suchten spätnachts eine dem rechtsradikalen Milieu zugehörige Kneipe mit dem Namen »Wolfsschanze« auf. Sie sprachen den Geschäftsführer an, ob er ihnen eine Pistole oder gar eine Maschinenpistole verkaufen könne. Er reagierte abweisend. »Du kannst es dir ja noch mal überlegen«, sagte die eine und verschwand wieder. Zwei Tage später stand die Frau wieder in der »Wolfsschanze«. Diesmal erklärte ihr der Geschäftsführer: »Ich will mal sehen, was sich da machen lässt.«
Am 12. Mai gegen 23.00 Uhr, zwei Tage vor Baaders Ausführung in das Institut für soziale FragenInstitut für Soziale Fragen, ließ sich etwas machen. An der Theke in der »Wolfsschanze« stand Günter V., der dem Wirt schon einmal Waffen angeboten hatte. An einem Tisch saßen die beiden Interessentinnen. »Guck mal, da sitzt die Olle«, sagte der Kneipier. Der Waffenlieferant setzte sich zu den beiden. Nach einiger Zeit verließen alle drei das Lokal. Der Mann, der sich »Teddy« nannte, nahm die Frauen mit in die Wohnung einer Freundin, wo er ein kleines Waffenlager unterhielt. Teddy verkaufte den beiden zwei PistolenRAF Rote Armee Fraktion-Waffen, eine Beretta und eine Reck inklusive Schalldämpfer. Er hatte die Pistolen illegal aus der Schweiz eingeführt und dazu selbst passende Schalldämpfer konstruiert. Die Frauen bezahlten die Waffen mit 1000 Mark pro Stück. Die Vorbereitung für die BefreiungBaader-Befreiung ging in die Endphase.
Am 14. Mai 1970 um 9.00 Uhr morgens war es so weit. Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt wurde mit WaffengewaltRAF Rote Armee Fraktion-Gewaltpolitik aus dem Institut für soziale Fragen im Westberliner Stadtteil Dahlem befreit.
Der Institutsangestellte Georg LinkeLinke, Georg erlitt dabei schwere Schussverletzungen.
Baader und seine Befreier entkamen.
Mit dem Sprung aus dem Fenster des Instituts für soziale FragenInstitut für Soziale Fragen beendete Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73 ihre journalistische Karriere und ging in den UntergrundUntergrundkampf.
Ihr Film »Bambule«,Bambule der in diesen Tagen gesendet werden sollte, wurde kurzfristig vom Fernsehprogramm gestrichen.
Ich war Mitte Juli 1969 aus den USA zurückgekommen, sah die erste Mondlandung nachts im Fernsehen, wollte eigentlich studieren, doch die kommenden Ereignisse hielten mich davon ab.
Kurz nach der Baader-BefreiungBaader-Befreiung rief ein »Panorama«-Redakteur, den ich aus den »konkret«konkret-Tagen kannte, an und gab mir den Auftrag, die Hintergründe der Baader-BefreiungBaader-Befreiung zu recherchieren. Ich nahm einen Flug nach Berlin und versuchte dort, Peter HomannHomann, Peter zu finden, von dem ich wusste, dass er mit UlrikeMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite zusammengelebt hatte. Der war verschwunden. Ich rief Jan-Carl RaspeRaspe, Jan-Carl ab Seite durchgängig erwähnt an, der zusammen mit Marianne HerzogHerzog, Marianne in einer Wohnung wohnte, in der ich Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73 Anfang 1970 am Vorabend ihres Prozesses wegen des Falschparkens am Gründonnerstag 1968 vor dem Springer-Haus das letzte Mal gesehen hatte.
RaspeRaspe, Jan-Carl ab Seite durchgängig erwähnt traf sich mit mir in einem Café am Kurfürstendamm, wusste aber angeblich nichts von den Untergetauchten. Ich interviewte die Mädchen aus dem Eichenhof, wo Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite ihren Film »Bambule«Bambule gedreht hatte. Wir filmten den Leseraum im Institut für soziale FragenInstitut für Soziale Fragen Berlin in Dahlem, wo Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite und BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt aus dem Fenster gesprungen waren. An jeder Litfaßsäule klebte ein FahndungsplakatFahndungsplakat mit dem Foto von Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite. Der Film wurde nicht bei »Panorama«Panorama NDR-Magazin, sondern nur in einem Magazin des Dritten Programms gesendet. Es war mein erster Fernsehbeitrag. Und nicht der letzte über Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite und die RAFRAF.