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4. Krach im Lager

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Von Zeit zu Zeit konnten die mit leichten Waffen ausgerüsteten FedayinFedayin und ihre deutschen Gäste israelische Kampfflugzeuge am Himmel kreisen sehen. Wenige Kilometer vom Camp entfernt wurden jordanische Truppen zusammengezogen. Krieg lag in der Luft. Tatsächlich begann, wenige Wochen nachdem die Deutschen das Land wieder verlassen hatten, der Kampf jordanischer Truppen gegen die Fatah.SchwarzerSeptember Im Camp in der Nähe Ammans gab es kaum Überlebende. Auch der algerische Kommandant AchmedAchmed fiel.

Zuvor, im Juni und Juli, spielten sich im Camp Szenen ab, die nichts mit der Realität des Landes zu tun hatten. Die bunt zusammengewürfelte Gruppe aus Berlin hatte die unterschiedlichsten politischen Meinungen mitgebracht.

Allen gemeinsam waren das dumpfe Gefühl einer Niederlage der großen ProtestbewegungProtestbewegungbewegung und eine vage Hoffnung, durch exemplarische Aktionen die verlorengegangene Einheit, die es in Wirklichkeit nie gegeben hatte, wiederherzustellen. Die öffentliche Reaktion auf die Baader-BefreiungBaader-Befreiung hatte die daran Beteiligten in eine Hochstimmung versetzt. Die Akteure fühlten sich als Avantgarde auch im fernen Jordanien.

Zu Beginn der Ausbildung wurde Munition in jeder gewünschten Menge zur Verfügung gestellt. Doch bald merkten die Ausbilder, dass das sinnlose Geballer der Deutschen ihnen Ärger mit den eigenen Leuten einbrachte, die zum sparsamen Verbrauch von Munition angehalten wurden.

So wurden den Gästen pro Tag und Person nur noch zehn Patronen zugebilligt. Baader sah darin eine Benachteiligung seiner StadtguerillaStadtguerilla durch die palästinensische Landguerilla und brach einen lautstarken Streit mit dem Kommandanten vom Zaun, dem er mit einem Ausbildungsstreik drohte. Der Kommandant war zunächst sprachlos, dann aber fest entschlossen, von seiner Befehlsgewalt im Lager Gebrauch zu machen. Es blieb bei zehn Patronen pro Tag. Am nächsten Morgen weigerten sich die Gäste, zu ihrer Ausbildung anzutreten, und Baader verlangte, mit Abu HassanAbu Hassan gleichberechtigt von Partisanenchef zu Partisanenchef zu verhandeln.

Doch die Berliner hatten den Einfluss des drahtigen kleinen Lagerkommandanten unterschätzt. Vom Algerienkrieg angefangen, hatte er sich in fast allen kriegerischen Auseinandersetzungen im arabischen Raum bewährt und galt, trotz seines verhältnismäßig niedrigen Ranges, bei den PalästinensernPalästinenser etwas. Vor allem hatte er erstklassige Beziehungen zu Abu HassanAbu Hassan. Er hatte den Deutschen mehrmals Zugeständnisse gemacht. Frauen und Männer konnten zusammen übernachten, sie hatten sogar ein eigenes Haus bezogen.

Die Gäste begriffen wenig von fremden Traditionen. Während des »Streiks« sonnten sich weibliche Gruppenmitglieder auf dem auch für die FedayinFedayin einsehbaren Dach des Hauses, und zwar nackt. Die jungen palästinensischen Kämpfer hatten zumeist noch nie vorher in ihrem Leben eine nackte Frau gesehen und wurden unruhig.

Dem Algerier platzte der Kragen: »Wir sind hier nicht am Touristenstrand von Beirut.«

Das hüllenlose Sonnenbaden musste eingestellt werden. Abends kam es zu heftigen Diskussionen: »Antiimperialistischer Kampf und sexuelle Befreiung gehören zusammen.« Oder, um es mit den Worten Baaders zu sagen: »Ficken und Schießen sind ein Ding.« Die Deutschen machten sich Gedanken darüber, wie man die jugendlichen PalästinenserPalästinenser über ihre sexuelle Unterdrückung durch ihre militärischen Führer aufklären könnte.

In den Nächten wurde häufig Gefechtsalarm gegeben. Alle im Lager, auch die Berliner StadtguerillaStadtguerilla, mussten kampfbereit und angezogen die Nacht verbringen.

In der Gruppe entbrannten Auseinandersetzungen über die gegenwärtige Praxis und den künftigen Kurs. Am härtesten wurde der Streit mit Peter HomannHomann, Peter, der nur mehr oder weniger zufällig dabei war. Er lag quer zu Politik und Führungsanspruch von Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähntBaader-Befreiung. Nach Jordanien war er mitgefahren, um vorerst der Fahndung zu entgehen. Den wirklichen Schützen kannte er, wollte aber dessen Namen nicht nennen, nur um sich selbst aus der Affäre zu ziehen.

Aus gemeinsamen Zeiten in der Berliner Künstlerszene kannte er Baader gut, zu gut, um in ihm den künftigen Volkshelden zu sehen. Sie gerieten mehrmals heftig aneinander. Homann zog sich im CampAusbildungslager, jordanisches von den anderen zurück, besuchte die FedayinFedayin in ihren Zelten und hatte, unter den misstrauischen Blicken von Baader und Ensslin, einen persönlichen Draht zum algerischen Kommandanten hergestellt. Als alle anderen in ein anderes Haus umgezogen waren, blieb er allein. Man ging sich aus dem Weg. Aber abends, wenn er auf der Terrasse seines Hauses saß, trug der Wind Wortfetzen aus den Gesprächen der anderen herüber. Er hörte etwas von einem »Volksprozess«Volksprozeß und von einem kurzen Prozess, den Baader vorschlug, der als Schießunfall getarnt werden könnte. Der größte Teil der Unterhaltung ging im Gekläff der Hunde unter, die im Lager streunten.

Er hatte richtig gehört. In einem Gespräch, das Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt, Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt, Horst MahlerMahler, Horst, Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73, Hans-Jürgen BäckerBäcker, Hans Jürgen und andere führten, ging es um sein Leben. Baader und Ensslin forderten die Liquidierung. HomannHomann, Peter sei ein Verräter. Horst Mahler als Rechtsanwalt plädierte für einen Prozess, und Bäcker und Ulrike Meinhof wollten ihn von den PalästinenserPalästinensern einsperren lassen.

Horst MahlerMahler, Horst, vierzig Jahre später im Gefängnis Brandenburg: »Und da wurde immer mit BrechtBrecht, Bertolt argumentiert. Ich glaube, es ist ›Die Maßnahme‹.«

Bertolt Brechts »Lehrstück« über den Umgang mit Verrätern, in dem es um einen jungen Kommunisten geht, der sich ganz dem KollektivKollektiv unterwirft und am Ende seiner eigenen Vernichtung zustimmt, wurde so etwas wie die Standardlektüre der RAFRAF RotenArmeeFraktion.

Mahler erinnerte sich: »Es war genau diese Situation: Der hatte noch nichts gemacht, aber galt als Gefahr. Und da ist er eben liquidiert worden im Namen einer höheren Notwendigkeit, um den revolutionären Akt nicht zu gefährden.«

Am späten Abend ging eine der Frauen an Homanns Baracke vorbei.

»Na, was wird?«, fragte er. Sie zog eine Patrone aus der Tasche und nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Das«, sagte sie und verschwand in der Dunkelheit.

Die Deutschen hatten ihren »Streik« nach kurzer Zeit beendet. Eines Tages kam wieder einmal Abu HassanAbu Hassan, der Kommandeur der Ausbildungslager der PLOPLO Palästinensiche Befreiungsorganisation, zu einem Kontrollbesuch ins CampAusbildungslager, jordanisches. Bei dieser Gelegenheit wollte er den unzufriedenen Gästen einen Überblick über die politische und militärische Lage des palästinensischen Befreiungskampfes geben, um sie mit den Verhältnissen besser vertraut zu machen.

Doch er konnte seinen Vortrag nicht zu Ende bringen. Immer wieder wurde er unterbrochen. Die Deutschen hörten nicht zu und meldeten stattdessen neue Forderungen an.

Von nun an änderte sich alles. Hassan befahl dem Lagerkommandanten, den Deutschen nichts mehr durchgehen zu lassen. Als sie am folgenden Tag das Ausbildungsprogramm bemäkelten, handelten die Gastgeber. Eine Gruppe von PalästinenserPalästinensern stürmte in einem Handstreich das Haus und entwaffnete die Gäste. Sie durften die Baracke nicht mehr verlassen. Zwei bewaffnete Posten bewachten die Tür. Das militärische Training wurde abgesagt.

Der Baader-Meinhof-Komplex

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