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2. Kapitel »Die ungestüme Herrlichkeit des Terrors« 1. Die Reise nach Jordanien

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Am 8. Juni 1970 flog eine Westberliner Reisegruppe vom Ostberliner Flughafen Schönefeld nach Beirut. Auf der Passagierliste der Interflug-Maschine fand die Polizei später unter anderem die Namen BäckerBäcker, Hans Jürgen, GrashofGrashof, Manfred, SchelmSchelm, Petra, MahlerMahler, Horst, DudinDudin, Said und RayRay, Michèle.

Offenbar hatte die französische Journalistin ihren Pass in Berlin gelassen. Said DudinDudin, Said, ein Verbindungsmann zur palästinensischen Befreiungsorganisation El FatahEl Fatah, hatte die Flugtickets im Reisebüro »Karim« in Westberlin gekauft.

Er kannte Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73 aus der Zeit der StudentenbewegungStudentenbewegung und von ihrer Lehrtätigkeit am Publizistischen Institut der Freien Universität BerlinFreie Universität Berlin. DudinDudin, Said schätzte sie als »Journalistin und Humanistin« und war erschrocken, als er sie nach der Baader-BefreiungBaader-Befreiung zum ersten Mal sah: »Sie war ein Wrack von einem Menschen.« Ulrike sagte ihm, eine Freundin würde sich um ihre Kinder kümmern.

Um 15.30 Uhr landete der erste Teil der Truppe in Beirut. Von dort aus sollte es ins jordanische Amman weitergehen. Der Flug fiel jedoch aus, weil in Jordanien Vorgefechte einer bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung zwischen KönigKönig, Dieter HusseinHussein, König und der PLOPLO Palästinensiche Befreiungsorganisation aufgeflammt waren. Königstreue Truppen und palästinensische Freischärler lieferten sich bereits blutige Kämpfe.

Ganz unplanmäßig mussten die Reisenden den Transitraum verlassen und dabei eine libanesische Kontrolle passieren. Drei von ihnen hatten statt eines Reisepasses lediglich ihren behelfsmäßigen Berliner Personalausweis dabei. Der Beamte wollte seinen Stempel in die Ausweise drücken, fand aber keinen dafür vorgesehenen Platz. Er blätterte hin, blätterte her, dann kam ihm die Sache nicht ganz geheuer vor, und er holte seinen Chef. Der kassierte die Personalpapiere der gesamten Reisegruppe aus Berlin und setzte sie fest. Said DudinDudin, Said protestierte vergebens. Der Kommandant gab die Ausweise nicht wieder heraus. Die Gruppe wurde im Zollraum interniert, an den Fenstern und Türen hingen Trauben sich amüsierender Araber. Der Kommandant blickte auf die Uhr und stellte fest, dass Feierabend war. Er nahm den Stapel Personalausweise und schloss ihn in einen Metallschreibtisch ein. Dann ging er.

Die konspirativekonspirative Umstände Reisegesellschaft war ratlos. Schließlich konnte man sich nicht wie eine normale Touristengruppe an die konsularische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland wenden.

Horst MahlerMahler, Horst hatte die Idee, die Vertretung der DDR einzuschalten, deren Geschäfte seiner Meinung nach von der französischen Botschaft wahrgenommen wurden. Das war allerdings ein Irrtum. Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Libanon hatte Frankreich die Vertretung der bundesdeutschen Interessen übernommen.

MahlerMahler, Horst hängte sich ans Telefon: »Hier ist Rechtsanwalt Mahler aus Berlin.« Hans-Jürgen BäckerBäcker, Hans Jürgen und Petra SchelmSchelm, Petra, die neben ihm standen, bemerkten, mit wem Mahler sprach, und drückten die Gabel herunter. »Klick«, machte es, aber der Beamte des Bereitschaftsdienstes in der »Deutschen Interessenvertretung bei der Französischen Botschaft« hatte genug gehört. Hektisch begannen die deutschen Behördenvertreter, von den libanesischen Sicherheitsdiensten die Festnahme der Touristengruppe zu verlangen. Telefonate wurden geführt, Haftbefehle hin und her geschickt. Aber die libanesischen Polizeidienststellen hatten wenig Neigung, sich mit palästinensischen Gruppierungen anzulegen, unter deren Schutz die Deutschen offenkundig standen.

Daraufhin verhandelte der aus Berlin mitgekommene PalästinenserPalästinenser Said DudinDudin, Said mit einem Vertreter des libanesischen Innenministeriums und vereinbarte, dass die Gruppe freigelassen würde und innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen müsse. Dudin und ein paar Männer der PLOPLO Palästinensiche Befreiungsorganisation-Sicherheit, Mitglieder der El FatahEl Fatah, fuhren zum Flughafen und befreiten die Berliner aus dem Zollraum. Einige der FedayinFedayin fuhren zur Villa des Beamten, den sie für den Kommandanten hielten. Sie verprügelten ihn und forderten die Herausgabe des Schlüssels für den Metallschreibtisch, in dem die Ausweise lagen. Aber es handelte sich nur um den Stellvertreter, und er hatte keinen Schlüssel. Da luden sie den gesamten Schreibtisch auf einen Lastwagen und nahmen ihn mit.

Die Reisegruppe wurde im Hotel »Strand« untergebracht. Mitten in der Nacht tauchte die libanesische Miliz auf und nahm die Deutschen fest. Wieder ging es zum Flughafen, und wieder wurden sie von den PalästinenserPalästinensern befreit und im Auto sofort über die libanesisch-syrische Grenze nach Damaskus gebracht. Dort wurde die Gruppe in einer geheimen Unterkunft der Palästinenser einquartiert. Bevor die Reise fortgesetzt werden konnte, zeigten die FedayinFedayin den Deutschen die Plantagen nahe der Stadt, wiesen sie auch schon einmal in den Gebrauch von Schusswaffen ein. Zwischendurch besuchten die Reisenden ein Schwimmbad, wo sie sich als Schweden oder DDR-Bürger ausgaben. Von Syrien aus wurden sie nach Jordanien gebracht. Die Fahrt endete in einem AusbildungslageAusbildungslager, jordanischesr wenige Kilometer vor Amman an der Straße in Richtung Jerusalem. Das Camp lag inmitten der Gebirgswüste auf einem Plateau, umgeben von verkarsteten Hügeln. Zwei Steinhäuser, ein freier Platz für militärische Übungen, eine Schießhalle aus Beton, Zelte. Das war alles. Die Ausbildung begann. Horst MahlerMahler, Horst ließ sich einen Bart wachsen.

Etwa zehn Tage nach Abflug der ersten Gruppe kehrte Said DudinDudin, Said nach Berlin zurück, einen Stapel Pässe der Vereinigten Arabischen Republik im Gepäck, die mit den Fotos der Baader-BefreiBaader-Befreiunger versehen worden waren.

Am 21. Juni um 6.30 Uhr wurde die neue Reisegruppe, unter ihnen Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt, Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt, Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite – und Peter HomannHomann, PeterHomann, Peter – von Helfern im Auto nach Neukölln gefahren. HomannHomann, Peter schloss sich der Gruppe an, obwohl er an der Baader-BefreiungBaader-Befreiung nicht mitgewirkt hatte. Doch weil die Polizei wusste, dass er mit Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite 73 zusammengelebt hatte, hielt sie ihn für einen Mittäter. Und noch schlimmer: weil sie sich nicht zusammenreimen konnte, wer sonst bei der Baader-BefreiungBaader-Befreiung geschossen hatte, hielt man ihn für den Schützen. Das galt als Mordversuch. Obwohl unschuldig, hatte HomannHomann, Peter allen Grund zum Untertauchen. Da fiel ihm nichts Besseres ein, als mit der Gruppe in den Nahen Osten zu fliegen.

Mit der U-Bahn ging es zum Bahnhof Friedrichstraße in Ostberlin. Nach einer kurzen Passkontrolle konnten die mit gefärbten Haaren in »Araber« verwandelten Deutschen den Transit zum Flughafen Berlin-Schönefeld fortsetzen. Die Volkspolizei machte keinerlei Schwierigkeiten.

Doch der Flug nach Damaskus fiel an diesem Nachmittag aus. Die Reisegruppe wurde in einem Hotel in Flughafennähe untergebracht.

Es wurde wenig gesprochen an diesem Tag in Berlin-Schönefeld. Miteinander deutsch sprechende Araber wären zu auffällig gewesen. Wenn sie sich von der Volkspolizei unbeobachtet glaubten, redeten Baader und Ensslin miteinander, tauschten Urteile über einzelne Mitglieder der Reisegruppe aus und verbreiteten Urteile über ihre Vorzüge und Nachteile, auch wenn die Betroffenen es hören konnten.

Ulrike MeinhofMeinhof, Ulrike Marie durchgängig erwähnt bis Seite kam dabei schlecht weg. »Die taugt eigentlich zu nichts«, sagte Baader immer wieder. Ulrike schluckte das widerspruchslos. Andreas BaaderBaader, Andreas durchgängig erwähnt und Gudrun EnsslinEnsslin, Gudrun durchgängig erwähnt waren die Führungspersönlichkeiten, daran durfte niemand zweifeln.

Die vollbesetzte Maschine landete am nächsten Nachmittag in Damaskus. Wieder gab es Probleme mit der Einreise. Diesmal wollten die syrischen Beamten die Deutschen nicht ins Land lassen. Aber damals hatten auch dort die PalästinenserPalästinenser ein gewichtiges Wort mitzureden. Nur wenige Stunden wurde die Gruppe auf dem Flughafen festgehalten. Said DudinDudin, Said, der als Einziger den Raum hatte verlassen dürfen, kam mit einem Papier und vier bewaffneten Palästinensern zurück.

Die Reisenden konnten nun passieren, bestiegen Taxis und wurden zum selben Geheimquartier gefahren, in dem schon die erste Gruppe gewohnt hatte. Einer der Palästinenser prahlte mit waffentechnischen Kunststücken und anderen Kraftakten. Dann gab es ein karges Mahl, geschlafen wurde in großen Räumen auf übereinandergestellten Feldbetten.

Am nächsten Morgen ging die Reise weiter. An der Grenze zwischen Syrien und Jordanien brauchte Said DudinDudin, Said nur mit einem Passierschein der El Fatah zu winken. Alle Posten waren auch von bewaffneten PalästinenserPalästinensern besetzt. In beiden Ländern existierte zu dieser Zeit eine Art Doppelherrschaft.

Am frühen Nachmittag erreichten sie Amman und wurden von militärischen Führern der FatahEl Fatah empfangen. Der Sicherheitsdienst der Fatah fotografierte die Gäste. Auf Karteikarten vermerkten die palästinensischen Geheimdienstler alle wichtigen persönlichen Daten. Dann musste jeder mit seinem richtigen Namen unterschreiben. Später eroberten die Israelis in Beirut das Hauptquartier des El-Fatah-Geheimdienstes und gelangten in den Besitz dieser Akten.

Nach einer knappen Stunde erreichte die Reisegruppe das LagerAusbildungslager, jordanisches außerhalb der Stadt. Es war früher Abend und noch hell. Sie bog von der Hauptstraße ab auf einen geschlängelten Sandweg, der zum Camp führte. Nach einigen hundert Metern hatte sie den Eingang erreicht. Das Berliner Vorauskommando erwartete sie schon und begrüßte die Neuankömmlinge mit Schulterklopfen und Umarmungen.

Der Baader-Meinhof-Komplex

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