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5.Lebensversicherungen

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98Ob und inwieweit Lebensversicherungen zum einsetzbaren Vermögen zählen, kann nicht pauschal beantwortet werden. Hier kommt es besonders auf die Einzelfallprüfung und Ausgestaltung des Vertrages an.

Ist der Betrag der Lebensversicherung bereits ausgezahlt, ist dieser wie andere Kapitalbeträge unter Beachtung des Schonvermögens gem. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII als Vermögenswert einzusetzen.678

Die Frage des Vermögenseinsatzes einer noch nicht ausgezahlten Lebensversicherung stellt sich nur, soweit es sich um eine kapitalbildende Anlageform handelt. In erster Linie ist hierbei an die Kapitallebensversicherung oder die fondgebundene Lebensversicherung zu denken, bei deren Ablauf dem Versicherten eine bestimmte Summe bzw. der derzeitige Aktienwert ohne Zweckbindung frei zu Verfügung gestellt wird.679

Aber auch als Rentenversicherung bezeichnete private Versicherungen können ein sog. Kapitalwahlrecht anbieten. Der Versicherungsnehmer kann in diesem Fall nach Ablauf der Versicherung frei wählen, ob er die Auszahlung des Kapitalwertes oder die laufenden Rentenzahlungen in Anspruch nehmen möchte. Auch diese Versicherungsform stellt daher grundsätzlich einzusetzendes Vermögen dar.680

Reine Rentenversicherungen ohne Kapitalwahlrecht und Risikolebensversicherungen bilden hingegen kein Kapital und stellen somit kein Vermögen dar, welches einsetzbar sein könnte.

Der Rechtsuchende genießt ferner Schutz vor dem Einsatz seiner staatlich geförderten Altersvorsorge;681 angesammeltes Kapital einschließlich der Erträge der sog. Riester-Rente dürfen nicht eingesetzt werden (§ 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII), auch bei Bestehen einer regulären Altersvorsorge in der gesetzlichen Rentenversicherung.682

Lebensversicherungen, die der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer zugunsten des Arbeitnehmers geschlossen hat (Direktversicherung nach den Vorschriften des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung – BetrAVG), kann der Arbeitnehmer nicht verwerten,683 da eine vollständige oder teilweise Auszahlung des Rückkaufswertes zudem arbeits- und steuerrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde.

99Die Frage der Verwertungspflicht einer als Kapitalwert verwertbaren Lebensversicherung ist immer anhand des Einzelfalls zu beurteilen.684

Grundsätzlich ist bei einer vorhandenen Lebensversicherung eine Verwertung zu bejahen – sei es im Wege der Beleihung685 oder im Wege der Realisierung des Rückkaufswertes – bevor die Solidarität der Allgemeinheit durch Gewährung von Beratungshilfe in Anspruch genommen wird.686

Zunächst ist zu prüfen, ob die Lebensversicherung für die Altersvorsorge des Rechtsuchenden bestimmt ist. Eine Lebensversicherung, deren Wert das Schonvermögen übersteigt, kann nämlich dann außer Betracht bleiben, wenn sie der Altersvorsorge des Rechtsuchenden dient und nur eine niedrige gesetzliche Rente zu erwarten ist.687 Die Bestimmung ist nur anzuwenden, wenn erkennbar ist, dass die Alterssicherung dereinst unzureichend sein wird.688 Dies gilt dann, wenn der Rechtsuchende nach heutigem Stand voraussichtlich keine Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten wird.689

Die Verwertung stellt in diesem Fall eine Härte dar, wenn die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung erschwert würde.690 Die Verwertung darf nicht in hohem Maße unwirtschaftlich sein.691 Ein vereinbarter Verwertungsausschluss gem. § 168 Abs. 3 VVG ist zu berücksichtigen.692

Andere Formen der Kapitalbildung sind grundsätzlich zur Finanzierung heranzuziehen, auch wenn diese der Altersversorgung dienen.693 Allerdings gelten die vorgenannten Grundsätze entsprechend.

Praxistipp:

Der Rechtsuchende hat die Darlegungspflicht, welche Alterssicherung er bisher erworben hat und warum diese künftig nicht ausreicht.694 In Zeiten strapazierter Rentenkassen sollte man hier aber nicht allzu kleinlich verfahren.695 Ob der Einsatz unzumutbar ist und ein Härtefall i. S. d. § 115 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 90 Abs. 3 SGB XII darstellt, ist jeweils anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu prüfen.696

Die Verwertung der Lebensversicherung ist unzumutbar, wenn diese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Altersvorsorge dient697 und die Aufwendungen hierfür unterhalb von 4 % des Gesamtbruttoeinkommens liegen.698

Grundsätzlich ist daher anhand der vertraglichen Ausgestaltung des Versicherungsvertrags zu prüfen, ob das gebundene Kapitel für eine Altersvorsorge entsprechend bestimmt und geeignet ist.699 Unverbindliche Absichten oder Behauptungen reichen nicht aus, der Rechtsuchende könnte ansonsten das Kapital hieraus auch anderweitig nutzen.

Maßgebliche Kriterien für die Wahrscheinlichkeit der Verwendung zur Altersvorsorge können dabei insbesondere sein:

– die Laufzeit des Vertrages in Relation zum Alter der bedürftigen Partei (Fälligkeit);

– eine Ausgestaltung der vertraglichen Leistung als Rente für die Alterssicherung (Zweckbindung);

– die Höhe des zu erwartenden Rückkaufwertes.

Die Frage der Angemessenheit der Alterssicherung kann sich daran orientieren, dass der Rechtsuchende im Rentenalter ohne die entsprechende Lebensversicherung voraussichtlich sozialleistungsbedürftig wird.700 In der Praxis ist diese Einschätzung sehr schwierig, da sie von vielen noch unbekannten Faktoren abhängig ist.

Dies kann z. B. auch anhand der bereits erworbenen Entgeltpunkte im Rahmen von Versorgungsanwartschaften beurteilt werden. Es kann ermittelt werden, welche künftige fiktive Altersrente der Rechtsuchende erwerben kann. Zur Berechnung kann der bis zum Renteneintritt verbleibenden Zeitraum, die Berücksichtigung von Teil- oder Vollerwerbsfähigkeit sowie der durchschnittliche Jahresbruttolohn ermittelt werden. Hieraus ergibt sich, wie hoch die weiteren pro Berufsjahr anfallenden Entgeltpunkte multipliziert mit dem aktuellen Rentenwert sind.701

Beispiel zur Berechnung nach Entgeltpunkten (angelehnt an OLG Koblenz, FamRZ 2016, 393)

Die Rechtsuchende ist im vorliegenden Fall 44 Jahre alt, sie ist aktuell zu einer Erwerbsleistung im Rahmen einer 30-Stunden-Woche fähig, verfügt über ein mon. Nettoeinkommen i. H. v. ca. 1.650,00 EURO/mon. Bruttoeinkommen i. H. v. ca. 2.400,00 EURO. Im vorliegenden Fall hatte sie bis zum Eheende bereits 17,7476 Entgeltpunkte erworben, hinzukommen weitere 4,4798 Entgeltpunkte im Rahmen des VA-Verfahrens.

Anmerkung: Sollte in dem zu bewertenden Fall kein Scheidungsverfahren zugrunde liegen, wären die bis zur Bewertung im Rahmen der Beratungshilfe erworbenen Entgeltpunkte zu ermitteln.

Berechnung:

Das jährliche Bruttoeinkommen (hier im Fall: 28.800,00 EURO) ist durch das vorläufige Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung (für das Jahr 2021 beträgt dieses 41.541,00 EURO) zu dividieren, um die pro weiterem Berufsjahr zu erreichenden Entgeltpunkte zu ermitteln:

28.800,00 EURO ./. 41.541,00 EURO = rund 0,69 Entgeltpunkte pro weiterem Berufsjahr.

Der nächste Berechnungsschritt berücksichtigt die Zeit, die die Rechtsuchende voraussichtlich noch erwerbstätig ist (hier wird die Erwerbsleistung im Rahmen der 30-Stunden-Woche weiter zugrunde gelegt). Geht man von einer weiteren Erwerbstätigkeit von 20 Jahren aus, so ergeben sich hierfür 20 Jahre x 0,69 Entgeltpunkte/Berufsjahr, dies ergibt insgesamt 13,8 Entgeltpunkte. Zusammen mit den oben bereits erworbenen Entgeltpunkten (17,7476 + 4,4798 = 22,2274) ergeben sich 36,0274 Entgeltpunkte.

Diese werden mit dem aktuellen Rentenwert (ab Juli 2020: 34,19 EURO) multipliziert, um den voraussichtlich zu erwartenden gesetzlichen Rentenanspruch nach derzeitigem Stand zu ermitteln:

36,0274 Entgeltpunkte x 34,19 EURO (akt. Rentenwert) = 1.231,78 EURO

Hieran kann dann beurteilt werden, ob neben diesem Wert eine weitere ergänzende Altersvorsorge aus einer Lebensversicherung notwendig ist.

Eine Angemessenheit kann auch anhand der in § 42 SBG XII aufgeführten Versorgungsleistungen gemessen werden. Z.B. wurde eine Altersrente für einen 67-jährigen in Höhe von 951,91 EURO/mon. als ausreichend betrachtet.702

Es kann in diesem Zusammenhang auch die Frage gestellt werden, welche Altersvorsorge kann der Rechtsuchende ohne den entsprechenden Teil der zu verwertenden Lebensversicherung noch erzielen703 und welche künftigen Erwerbsmöglichkeiten bieten sich ihm noch.704 Beispielsweise ist die Lebensversicherung eines 38-jährigen Berufstätigen, die seiner Altersvorsorge dienen soll, einzusetzendes Vermögen.

Die entsprechenden Aspekte hat – wie oben bereits erwähnt – der Rechtsuchende schlüssig darzulegen.705 Ergibt die Prüfung, dass die Vermögensbildung nicht der Altersvorsorge dient, so steht das Kapital dem Rechtsuchenden nach Auszahlung frei zur Verfügung. In diesem Fall ist es unter Berücksichtigung des Schonvermögens für die Kosten des Prozesses heranzuziehen.

Die Lebensversicherung eines Selbständigen dient in der Regel der Altersvorsorge und kann daher außer Betracht bleiben.706 Grundsätzlich ist es einem Selbständigen überlassen, wie er für sein Alter vorsorgt. Daher ist bei einem ausschließlich selbständig Tätigen auch ein Betrag in der Höhe, der ein in vergleichbarer Weise nicht selbständig Tätiger als Anwartschaft in einer gesetzlichen Rentenversicherung erworben hätte, ein möglicher Härtefall gem. § 90 Abs. 3 SGB XII.707 Betreibt ein Selbständiger zum weit überwiegenden Teil seine Altersvorsorge mit privaten Renten- und Lebensversicherungen und liegen die Renteneinkünfte zum Zeitpunkt des regulären Renteneintritts voraussichtlich im Bereich des Sozialhilfeniveaus, so ist eine Verwertung nicht zumutbar.708

Bereits erworbene Altersversorgungen von Arbeitnehmern und Beamten gehören nicht zum einzusetzenden Vermögen. Die auf den Heiratsfall der Tochter abgeschlossene Lebensversicherung dient hingegen nicht der eigenen Altersvorsorge und ist daher unter Beachtung des Schonvermögens einzusetzendes Vermögen.709

Wurden die Ansprüche aus der Lebensversicherung abgetreten, so zählen diese bereits mit Abschluss des Vertrages gem. § 398 Satz 2 BGB nicht mehr zum Vermögen des Rechtsuchenden.710

99aKommt man nach der obigen Prüfung zu dem Entschluss, dass eine grundsätzliche Verwertbarkeit der Lebensversicherung zu bejahen ist, ist im Rahmen der Prüfung der Verwertung zunächst der einsetzungsfähige Wert der Versicherung festzustellen. Hierbei wird von dem aktuellen Rückkaufswert ausgegangen, da dieser dem Verkehrswert zum Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses entspricht, bei Kündigung also tatsächlich an den Versicherungsnehmer ausgezahlt wird. Ob der Rückkaufswert hinter den bereits eingezahlten Versicherungsbeiträgen zurückbleibt, spielt hierbei grundsätzlich keine Rolle.711

Nach vielfacher Meinung ist der Rückkaufswert dann einzusetzen, wenn er den sog. Schonbetrag gem. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII – ggfs. zusammen mit weiterem verwertbarem Vermögen – so weit übersteigt, dass die Kosten der Rechtsverfolgung hiermit bestritten werden können.712 Dies ist nachvollziehbar, da die Verwertung der Lebensversicherung in der Auszahlung des Rückkaufswertes besteht und somit letztlich ein Geldbetrag i. S. d. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zur Zahlung der Prozesskosten verbleibt. Allerdings muss der nach dem Rückkauf der Versicherung und der Begleichung der Kosten verbleibende Betrag deutlich über dem Schonvermögen liegen.713 Dies gilt insbesondere, wenn mit dem vorzeitigen Rückkauf ein größerer Wertverlust einhergeht und ersichtlich unwirtschaftlich ist.714

Der mit der vorzeitigen Auflösung der Lebensversicherung verbundene Wertverlust ist von dem Rechtsuchenden hinzunehmen.715 Eine Vermögensbildung zu Lasten der Allgemeinheit ist abzulehnen. Der Einsatz von Vermögenswerten ist auch bei einem Wertverlust zumutbar;716 eine Härte i. S. d. § 90 Abs. 3 SGB XII wird hiermit nicht begründet.717 Es gehört zum allgemeinen Lebensrisiko, dass sich ein finanzieller Bedarf zur vorzeitigen Kündigung ergeben kann, der mit finanziellen Einbußen einhergeht.718

100Kommt die Prüfung zu dem Ergebnis, dass eine Verwertung der Lebensversicherung möglich ist, so sind je nach Art des abgeschlossenen Vertrages folgende Verwertungsmöglichkeiten denkbar:

Kündigung und (teilweiser) Einsatz des Rückkaufwertes als verwertbares Vermögen;

– alleinige Auszahlung der Überschussanteile, die im Allgemeinen nur der Laufzeitverkürzung dienen;

Beleihung der Lebensversicherung in Form eines sog. Policendarlehens,719 welches die Partei nicht belastet, da die Rückzahlung durch Verrechnung bei der Auszahlung der Lebensversicherungssumme erfolgt und insoweit nur durch die Verzinsung Verluste entstehen. Es ist kostengünstiger als ein Bankkredit, die Versicherungsgesellschaft trägt kein Kreditausfallrisiko, da sie lediglich eine Vorauszahlung leistet. Die zusätzliche monatliche Belastung muss tragbar sein.720 Es wird davon ausgegangen, dass die Konditionen, zu denen eine Versicherung beliehen werden kann, in der Regel nicht unwirtschaftlich sind. Sollte eine derartige Beleihung nicht möglich sein, muss der Rechtsuchende konkret und substantiiert darlegen, dass seine Versicherung diese Form der Beleihung nicht anbietet und sie auch nicht bei einem Drittanbieter beliehen werden kann;721

befristete Stilllegung des Vertrags und Zahlung der Kosten anstelle der Versicherungsbeiträge.

Angesichts der im Vergleich zur Prozesskostenhilfe geringeren Kosten der außergerichtlichen Beratung wird es oftmals angemessen sein, die Lebensversicherung im Bereich der Beratungshilfe außer Betracht zu lassen, soweit der Rückkaufswert das Schonvermögen nur gering übersteigt, wobei auch zu bedenken ist, dass es zu Lasten des Rechtsuchenden geht, aus den Sparbeiträgen keine anderweitigen Rücklagen gebildet zu haben.

100aCheckliste – Prüfung, ob eine Lebensversicherung mit Kapitalwahlrecht verwertet werden kann

1. ist die Lebensversicherung für die Altersvorsorge bestimmt?

1.1. die Lebensversicherung muss durch vertragliche Gestaltung für die Alterssicherung bestimmt sein – Prüfung anhand folgender Kriterien:

1.1.1. Lebensalter des Rechtsuchenden und Laufzeit des Vertrages (Fälligkeit)

1.1.2. Zweckbindung (Altersvorsorge) – eine bloße Absicht genügt nicht

1.1.3. sonstige Regelungen

2. ist die Verwertung der Lebensversicherung angemessen?

2.1. keine pauschale Verwertbarkeit – immer am Einzelfall zu prüfen

2.2. der Rechtsuchende darf im Rentenalter bei einer Verwertung der Lebensversicherung voraussichtlich nicht sozialleistungsbedürftig werden

2.3. welche Altersversorgung kann der Rechtsuchende ohne den entsprechenden Anteil der Lebensversicherung insgesamt noch erzielen? – hier ggfs. anhand der entsprechenden Versorgungsleistungen gem. § 42 SGB XII oder anhand der zu berechnenden Entgeltpunkte (bei Rentenversicherungen) beurteilen

2.4. welche zukünftige Erwerbstätigkeiten sind möglich?

2.5. bei selbständig Tätigen: Sicherung der künftigen Altersvorsorge überwiegend durch die Lebensversicherung?

3. Darlegungspflicht des Rechtsuchenden

4. kein Ausschluss der Verwertbarkeit

– z. B. Altersvorsorge der Beamten etc.

5. nur bei Prüfung – Einsatz des Rückkaufswertes

5.1. Besteht ein Rückkaufswert?

5.2. Übersteigt der Rückkaufswert das Schonvermögen i. S. d. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII? (Frage der Höhe)

5.3. Ist die Verwertung (Rückkauf) der Lebensversicherung in hohem Maße unwirtschaftlich? (Gegenüberstellung von eingezahlten Beträgen und bereits erworbenen Rückkaufswert)

Beratungshilfe mit Prozess- und Verfahrenskostenhilfe

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