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7.Härteklausel gem. § 90 Abs. 3 SGB XII

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102Die Regelungen des § 90 Abs. 2 SGB XII sollen gewährleisten, dass es durch die Bewilligung von Beratungshilfe nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der vorhandenen Lebensumstände kommt. Dem Rechtsuchenden und seiner Familie soll ein angemessener Bewegungsspielraum verbleiben und der Wille zur Selbsthilfe erhalten bleiben.744

Daher darf die Bewilligung von Beratungshilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögenswertes abhängig gemacht werden, soweit dies für den Rechtsuchenden und seine Familie eine Härte bedeuten würde, § 90 Abs. 3 SGB XII. Diese Norm enthält die Möglichkeit, atypische Sachverhalte unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hilfegemäß zu erfassen.745

Es kommen hier besondere, schwere Belastungen des Rechtsuchenden oder seiner Familie in Betracht, die eine an sich zulässige Verwertung von Vermögensgegenständen als unzumutbar erscheinen lassen, also von der Erfüllung besonderer schwerwiegender Voraussetzungen abhängig ist.

Bei der Verwertung von Vermögensgegenständen ist daher wie folgt zu prüfen:

– wie dringlich ist die Klärung des Rechtsstreits/der Rechtswahrnehmung?

– wie lange dauert die Verwertung des Vermögensgegenstandes?

– welche Verluste drohen dem Rechtsuchenden durch die Verwertung?

– in welchem Verhältnis stehen Verluste/Prozesskosten und Gegenstand des Verfahrens zueinander?

Durch diese Norm ist eine große Flexibilität in besonderen Fällen möglich.

Eine Härte ist – wie bereits vorliegend erörtert – dann zu bejahen, wenn die Aufrechterhaltung einer angemessenen Altersversorgung durch den Vermögenseinsatz wesentlich erschwert würde.746 Dies wäre der Fall, wenn der Rechtsuchende im Rentenalter ohne die dann vorhandene einzusetzende Altersversorgung voraussichtlich sozialleistungsbedürftig wird.747 Es können auch Regelungen mit einem vergleichbaren Schutzzweck herangezogen werden (§ 851c Abs. 2 ZPO).748 Dabei sind immer die konkreten Gesamtumstände des Rechtsuchenden zu betrachten.749

Wie bereits oben erwähnt, kann ein selbstständig Tätiger selbst entscheiden, ob und wie er für sein Alter vorsorgt. Daher kann der Einsatz von Beträgen, die von der Höhe her der Anwartschaft in der gesetzlichen Versicherung entsprechen, in dieser Höhe zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Altersversorgung, auch wenn sie nicht vor anderer Verwendung besonders geschützt sind, als Härtefall angesehen werden.750

Dagegen ist die Verwertung einer Lebensversicherung mit Kapitalwahlrecht auch dann zu bejahen, wenn deren Verwertung dieser zu einem wirtschaftlichen Schaden führt, da der Rückkaufswert hinter dem tatsächlichen Wert der Versicherung zurückbleibt.

Bleibt bei der Verwertung einer Lebensversicherung beispielsweise der Rückkaufswert um 14,8 % hinter den eingezahlten Beiträgen zurück (= Differenz zwischen Rückkaufswert und eingezahlten Beträgen),751 liegt noch keine Härte i. S. v. § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII vor.752

Über den Wortlaut des § 90 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII hinaus wird auch Vermögen aus der Verwertung einer Lebensversicherung geschützt, wenn es zum behindertengerechten Umbau des bereits im Eigentum des Rechtsuchenden stehenden Hausgrundstücks dienen soll und diese Verbindlichkeit zumindestens bereits konkret absehbar ist.753

Beispiel:

Ein 46-jähriger steht im Arbeitsverhältnis und besitzt zwei Lebensversicherungen, der Rückkaufswert beträgt insgesamt 35.000,00 EURO.754

Bei den Lebensversicherungen handelt es sich vorliegend um einsetzbares Vermögen. Die Schutzregelungen des § 90 Abs. 3 SGB XII greifen vorliegend nicht ein, da die Lebensversicherungen nicht zwingend auf die Altersvorsorge des Rechtsuchenden ausgerichtet sind. Dieser kann vielmehr, selbst wenn er bei normalem Verlauf planen würde, mit ihnen zu seiner Alterssicherung beizutragen, nach deren Auszahlung über die Guthabensbeträge frei verfügen. Sie unterfallen auch nicht dem Pfändungsschutz des § 851c ZPO. Eine Schutzbedürftigkeit liegt hier nur dann vor, wenn die Zahlungen später zwingend in die Altersvorsorge fließen.

Eine Verwertung kann z. B. durch die Aufnahme eines sog. Policendarlehens (= die Rückzahlung ist erst im Zeitpunkt der Auszahlung der Lebensversicherung fällig, es verbleibt so alleine die ihm zumutbare Zinsbelastung) erfolgen.

Die Auflösung eines Bestattungsvorsorgevertrages kann eine unbillige Härte darstellen, da angemessene Mittel zur Deckung der Bestattungskosten sowie der Grabpflege verbleiben müssen.755 Ein derart zweckgerichtetes angespartes Vermögen ist nicht nach § 90 Abs. 2 SGB XII geschützt,756 die Sicherung von diesen Kosten ist nur über die Regelung des § 90 Abs. 3 SGB XII möglich. Die Höhe bemisst sich hier nach den Kosten für eine würdige, schlichte Beerdigung.

Der Einsatz eines umfangreichen Vermögens (hier: 154.000,00 EURO) bedeutet eine besondere Härte, wenn das Vermögen zur Deckung fortdauernder Pflegekosten benötigt wird.757

Die Grundrente nach dem OEG (Opferentschädigungsgesetz) zählt nicht zum Einkommen und kann eine besondere Härte darstellen. Betreffend einer Nachzahlung liegt grundsätzlich für ein Jahr ab Zufluss der Nachzahlung bis zur Höhe der Freibeträge gem. § 25f Abs. 2 und 4 BVG eine besondere Härte vor, je nach Zweck können auch weitere Beträge geschützt sein.758

Bei Vorhandensein eines Kraftfahrzeuges kann ein Härtefall dann gegeben sein, wenn der Rechtsuchende aufgrund seiner Erkrankungen spezielle Mobilitätsbedürfnisse (diese müssen nicht zwingend in einer Erwerbstätigkeit begründet sein) hat und daher nicht generell auf die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln verwiesen werden kann.759 Beruflich sind Kraftfahrzeuge nur zu berücksichtigen, wenn die Arbeitsstelle nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist. Die Nutzung eines angemessenen Fahrzeuges muss gerade erforderlich sein, um krankheits- oder behinderungsbedingte Nachteile so weit wie möglich ausgleichen zu können. Hier kann zum Begriff der Angemessenheit des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II (Wert: 7.500,00 EURO) herangezogen werden.

Vermögen, welches auf Invaliditätszahlungen der privaten Unfallversicherung beruht, ist von der schadensausgleichenden Funktion und opferbezogenen Merkmalen, insbesondere Eingriffe in das Leben des Unfallopfers, geprägt, und stellt damit grundsätzlich ein Härtefall im Sinne von § 90 Abs. 3 SGB XII dar.760

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