Читать книгу Goschamarie Alte Geschichten - neue Freunde - Stefan Mitrenga - Страница 10

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Walter ging nicht in die Kirche. In keine Kirche. Das letzte Mal hatte er vor vier Jahren einen Gottesdienst besucht. Es war die Beerdigung seiner Frau Anita gewesen. Danach sah er keinen Sinn mehr darin zu einem Gott zu beten, der ihm das Liebste im Leben genommen hatte. Früher waren er und Anita sonntags regelmäßig gemeinsam zur Messe gegangen und hinterher zur Goschamarie. Walter war jedoch überzeugt, dass man auch ohne Kirchbesuch zum Frühschoppen gehen konnte. Das hatte sogar einen Vorteil: er konnte ein paar Stunden länger schlafen.

Balus Fell war frisch gebürstet und Walter trug sein bestes Hemd. Der Frühnebel hatte sich schon verzogen und die Sonne strahlte überraschend kräftig für einen Morgen im März. Walter war früh dran und der Parkplatz vor der Wirtschaft war noch leer. Als er die Gaststube betrat, wurde er von Marie herzlich begrüßt.

„Morga Walter. Bischt wieder der Eerscht! Hocksch die schomal nah, i sott no da Ofa schiera.“ Der große Kachelofen war die einzige Heizung in der Gaststube und musste regelmäßig befeuert werden. Es war kühl und Walter fröstelte leicht, als er sich an den Stammtisch setzte. Es roch streng nach kaltem Zigarettenrauch und schalem Bier, aber Walter widerstand dem Wunsch alle Fenster aufzureißen, da es sonst noch kälter geworden wäre. Balu unter der Eckbank spitzte die Ohren, als von draußen Stimmen zu hören waren. Mehrere Autotüren wurden geöffnet und wieder zu geschlagen. Dann kam einer nach dem anderen herein. In nur zwei Minuten füllte sich die gesamte Gaststube und der Lärmpegel stieg durch die vielen Gespräche fast ins Unerträgliche. Elmar kam mit seinem Bruder Theo, Max und Peter kamen alleine. Auch Otto und Manne, zwei ältere Taldorfer, setzten sich verfroren an den Stammtisch. In der Kirche war es kalt gewesen. Otto legte die Hände zusammen und pustete durch die Finger, um sie aufzuwärmen. „Warum kann man eigentlich eine Kirche nicht vernünftig heizen? Das würde doch dem Gottesdienst nicht schaden, oder?“

Manne stimmte ihm zu. „Vielleicht gehört es ja dazu, dass man am Ende die Zehen und Finger nicht mehr spürt.“

Als Marie die Getränke brachte wurde lautstark angestoßen, dann wurden die Gespräche leiser. Elmar zündete sich gierig eine Zigarette an.

„Was war denn heute mit dem alten Pfarrer Sailer los? Der hat ja Feuer gehabt wie ein Zwanzigjähriger!“ Alle lachten, mussten aber zugeben, dass der Pfarrer heute wirklich recht aufgedreht gewesen war. „Gepredigt hat er wie ein Politiker im Bundestagswahlkampf. Richtig mit Feuer und Leidenschaft. Sonst muss ich bei ihm immer aufpassen, dass mir die Augen nicht zu fallen.“

Marie hatte zugehört. „Woisch Elmar, dätsch du samschtags a wäng frier Hoim ganga hetsch au sonntags koine Probleem mit deine Auga, Kerle!“ Elmar blickte schuldbewusst auf seine Zigarette.

„Du hast vielleicht Recht. Schaut mal, mir zittern sogar die Finger. War gestern wohl das ein oder andere Bierchen zu viel.“ Tatsächlich vibrierte die Lord zwischen seinen Fingern, und auch der Wechsel in die linke Hand brachte nichts.

„Das muss heute am Wetter liegen“, raunte Max. „Da schau, bei mir ist es das Gleiche, und ich war gestern um zehn im Bett.“ Auch Max konnte seine Hände nicht ruhig halten. Jetzt streckten alle die Arme aus und beobachteten, wie ihnen die Hände zitterten. Außer Walters. Der schaute sich erst seine Hände an, dann die der anderen. Da begriff er: die anderen wollten ihn hier ordentlich verarschen. Nett. Walter lachte.

„Das liegt daran, dass ihr alle Alkoholiker seid! Ihr hattet noch keinen Stoff und deshalb zittern eure Hände. Aber zum Glück ist ja „Doktor Walter“ bei euch. Jetzt kuriere ich euch mal schnell. Auf geht’s - zum Wohl!“

Alle nahmen einen ordentlichen Schluck Bier, der tatsächlich zu helfen schien. Ein neutraler Beobachter hätte aber doch festgestellt, dass alle heute etwas zappeliger und fahriger waren als sonst.

Mittlerweile tauchten auch die ersten fremden Gäste auf. Ein anscheinend kälteresistentes Pärchen kam in kurzer Radlermontur mit klappernden Biker-Schuhen in die Gaststube gestakst. Als sie die Tür öffneten, flitzte Kitty geschickt an ihnen vorbei und kroch sofort zu Balu unter die Eckbank.

„Hi Balu! Was hab ich verpasst?“ „Ich soll dich von Seppi grüßen. Der ist gestern schon unterwegs gewesen, um zu fressen. Ich hab ihm gesagt, dass er was von deinem Nassfutter auf der Terrasse haben kann. Ich hoffe, das war in Ordnung?“ Kitty mochte den schüchternen Igel sehr und freute sich, dass es ihm gut ging. „Aber klar doch. Der wird ganz schön Hunger haben nach seinem Winterschlaf. Hast du die beiden da drüben gesehen? Das sind die ersten Radfahrer dieses Jahr. Und in diesen kurzen Klamotten … die müssen verrückt sein!“ Gerade kam Marie an den Tisch der Radler und musterte sie skeptisch. Das hautenge Radlershirt der Frau betonte ihre üppige Oberweite. „Jo Mädle! Hosch du koi Angscht, dass deine Duttla verfrierat? Mir hend doch no it Sommer!“ Die Angesprochene lief rot an und zog die Arme vor den Körper, um ihre Brüste zu verstecken, sagte aber nichts. Ihr Begleiter schmunzelte. „Das Geheimnis ist Thermounterwäsche, Frau Wirtin. Da gibt es wirklich tolle Sachen heutzutage“, erklärte er. „Kann ich bei Ihnen denn gleich bestellen?“ Marie schaute ihm herausfordernd in die Augen. „I woiss it, ob du des kasch. An Kerle, der über Underwesch schwätzt, ka wahrscheinlich it sooo viel!“ „Wir hätten gerne zwei Radler.“ „Radler hon i it. Du kasch a Bier und a Flasch Schprudel hon.“ „Dann nehme ich das.“ Der Radler schaute irritiert, als Marie ihm kurz darauf eine Flasche Bier und eine Flasche Sprudel auf den Tisch knallte. „Ähm … wir bräuchten noch zwei Gläser zum Mischen …“ Marie rollte die Augen und ging maulend Richtung Theke. „So an feina Pinkel! Gläser mecht er hon. Und i schtand nochher wieder a Stund beim Spiala!“ Rundum wurde gelacht. Derartige Szenen gab es öfter, vor allem wenn Fremde kamen. Durch die vielen Menschen wurde es in der Gaststube schnell wärmer. Auch der Zigarettenrauch waberte schon wieder in einer dichten Wolke über den Köpfen, doch trotzdem war es einfach gemütlich. Überall wurde geredet, diskutiert und gelacht. Plötzlich wurde die Tür mit einem Knall aufgestoßen. Im Rahmen stand Karle aus Alberskirch, schwer atmend und mit hochrotem Kopf. Alle starrten ihn an, während er nach Luft rang. Dann endlich hatte er sich etwas beruhigt und konnte wieder sprechen. „Pfarrer Sailer ist tot!“

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