Читать книгу Goschamarie Alte Geschichten - neue Freunde - Stefan Mitrenga - Страница 5

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Gleich, dachte Walter, gleich passiert es. Wie jeden Morgen. In einer Minute würde sein Radiowecker über den neuen Tag entscheiden. Walter war immer vor dem Wecker wach, blieb aber mit geschlossenen Augen liegen, um das erste Lied des Tages zu hören. Ein Lied, das ihm gefällt, bedeutete einen guten Tag, andernfalls wäre es ein schlechter. Eingestellt war sein Lieblingssender S4 Bodenseeradio. Die Minutenanzeige sprang auf 2.30 Uhr und aus dem Lautsprecher erklang Beatrice Egli mit „Mein Herz“. Walter lächelte und öffnete die Augen. Er mochte die kleine dralle Schweizerin mit ihren Pausbäckchen, dem ehrlichen Lächeln und den sternenhaft funkelnden Augen. Also ein guter Tag. Er schob die Daunendecke beiseite und schlüpfte schnell in den bereit gelegten Morgenmantel. Er fröstelte leicht, denn es war kalt im Schlafzimmer. Auf der Treppe hinunter zur Küche hörte er schon Balus erwartungsvolles Winseln. Seit drei Jahren war der Wolfspitzrüde sein Mitbewohner. Sein einziger Mitbewohner und sein bester Freund.

Nach der allmorgendlichen stürmischen Begrüßung bei der Balu um ihn herum hüpfte und ihm die Hände leckte, öffnete Walter den Holzherd und scharrte mit dem Schürhaken in der Asche. Zwei kleine Glutnester taten sich auf und Walter warf ein paar Scheite Anzündholz darauf, die sofort Feuer fingen. Er füllte den Wasserkessel, steckte das Signalpfeifchen auf den Ausgießer und stellte ihn auf den Herd.

„Wie wär’s mit Frühstück, alter Freund?“

Balu verstand und seine Augen wurden groß, während er sich mit der langen Zunge feucht ums Maul leckte. Walter füllte Balus Napf mit Hundefutter und warf drei große Stücke Buchenholz in den Herd.

Der Wasserkessel meldete sich mit einem anschwellenden Pfeifen, als Walter gerade aus dem Bad kam. Er schüttete das kochende Wasser in seine französische Kaffeemaschine und ging sich anziehen. Warme Unterwäsche, Hemd, Hose, Hosenträger. Bis vor kurzem hatte noch ein Gürtel ausgereicht, doch dann waren um Weihnachten herum noch ein paar Kilos dazugekommen und Walter musste sich Hosenträger kaufen. Dabei war er nicht dick. Mit 1,68 m war er nur einfach etwas zu klein für die 92 Kilo.

Unten bellte Balu zweimal für „Besuch“ und nur Sekunden später wurde ein Auto vor dem Haus abgestellt. Walter öffnete im Vorbeigehen die Eingangstür und presste dann in der Küche den Kaffee ab. Zwei Tassen standen auf dem Tisch, als Jusuf freudig von Balu begrüßt wurde.

„Ei Walter – gute Morge!“

„Guten Morgen, Jusuf. Alles gut?“

Der Türke schaute angewidert Richtung Tür und schlang sich die Arme um den Oberkörper.

„Nix gut heute. Ist scheißenkalt da drauße. Hab isch müssen kratzen Scheibe. Aber bin isch hier jetzt.“

Walter musste lächeln. Er kannte Jusuf seit er vor drei Jahren den Job als Zeitungsausträger angenommen hatte. Jusuf brachte die Zeitungen von der Druckerei zu den Austrägern. Durchgefroren klammerte er sich an seine dampfende Kaffeetasse, während sie noch ein bisschen tratschten. Mit einem „Machst du gut heute, Walter“, machte er sich dann wieder auf den Weg. Noch vier weitere Austräger warteten auf ihre Zeitungen.

Walter genoss es zu so früher Stunde mit seinem Fahrrad durch Taldorf zu fahren. Zuerst hatte er seine Zeitungen in Alberskirch und Dürnast verteilt, war über die Höhe nach Wernsreute gefahren und war nun auf dem Heimweg. Es war vollkommen ruhig. Frühnebelschwaden krochen von den Wiesen in die Ortschaft und zeichneten alle Konturen weich. Balu trottete vergnügt voraus und wartete am nächsten Briefkasten.

„Hey Balu! Willst du dich in meinen Pferdeäpfeln wälzen? Die sind schön warm!“, höhnte eine Stimme hinter einer halb geöffneten Stalltür. Bimbo. Balu kannte den Haflinger Wallach seit er als Welpe nach Taldorf gekommen war. Und er mochte ihn nicht. Keines der Tiere im Dorf mochte Bimbo. Was die Menschen immer als freundliches Gewieher verstanden, waren in Wahrheit meist üble Beschimpfungen oder vulgäres Geplapper. „Friss Dreck!“, kläffte Balu schroff zurück und trottete weiter. „Hälst dich wohl für was Besseres, weil du frei rumlaufen darfst, hä?“, geiferte der Wallach. „Geh mal nach China! Da werden Tölen wie du in den Topf geschmissen!“

Doch Balu war schon außer Hörweite.

Walter pfiff leise die Titelmelodie einer alten TV-Serie. Noch fünf Zeitungen bis zum Feierabend und die letzten Häuser mochte er am liebsten. Es war das sogenannte „Hinterdorf“ von Taldorf mit dem Gasthof „Zur Traube“ als Mittelpunkt. Die Gäste kamen von weit her, doch sprachen sie nie von dem Lokal „Zur Traube“, sondern von seiner einzigartigen Wirtin, der Goschamarie. Arbeiter, Handwerker, Bauern kamen hierher, aber auch Polizisten, Politiker und Prominenz. Es war Goschamaries Art mit den Gästen umzugehen, die einen Besuch in der Traube zu einem unvergleichlichen Erlebnis machte.

Jetzt um kurz vor vier war bei der Goschamarie alles ruhig, was nicht selbstverständlich war. Walter hatte schon einige Male die Zeitung vor die Tür gelegt, während drinnen noch ordentlich gezecht wurde. Heute klemmte er sie zwischen Tür und Klinke und tastete dann vorsichtig den Fenstersims rechts neben der Tür ab. Auf einem Bierdeckel fand er das Schnapsglas, das für ihn bereit stand. Goschamaries Art „danke“ zu sagen.

Während er den eiskalten Schnaps nippte, schlenderte eine schlanke Tigerkatze unter einem im Hof abgestellten Heuwagen hervor. Balu begrüßte sie mit wedelnder Rute.

„Hi Kitty. Schon Mäuse erwischt?“ Kitty ließ sich gerne von Balu beschnüffeln und rieb ihren Kopf an seiner Flanke. „Nein. Bis vor einer halben Stunde war hier noch richtig was los. Da verziehen sich die kleinen Biester immer in die Scheune. Außerdem hab ich keinen Hunger - Marie hat mir Hackbraten rausgestellt. Willst du probieren?“ Balu folgte der Katze um den Heuwagen herum zum Napf und aß ein paar Happen. „Kommt ihr heute Abend zum Stammtisch?“, fragte Kitty. Die Zeitung, die Walter austrug, erschien sechsmal in der Woche, aber Stephan, ein Junge aus Taldorf, brauchte Geld, da er sich einen Roller kaufen wollte, und Walter hatte ihm den Samstag gern überlassen. So konnte er sich freitags mit seinen Freunden zum Stammtisch treffen ohne ständig auf die Uhr zu sehen. „Na klar kommen wir. Du kannst ja etwas früher rüber kommen und uns abholen!“ „Mach ich“, antwortete Kitty, stupste Balu in die Flanke und verschwand in Richtung Scheune.

Woher kommt eigentlich das Sprichwort „die verstehen sich wie Hund und Katze“, dachte sich Walter oft, wenn er die beiden Tiere beobachtete. Er stellte das leere Schnapsglas zurück und machte sich auf den Heimweg. Es war Freitag und er freute sich auf den Abend mit seinen Freunden.

Goschamarie Alte Geschichten - neue Freunde

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