Читать книгу Goschamarie Alte Geschichten - neue Freunde - Stefan Mitrenga - Страница 18

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Walter war um kurz nach sieben aufgewacht und nach einer Tasse Kaffee mit seinem altersschwachen Peugeot 205 nach Ravensburg gefahren. Balu hatte er, mit dem Auftrag das Haus zu bewachen, in der Küche zurück gelassen. Zu seinem großen Ärger war das Parkhaus am Marienplatz schon belegt gewesen und er hatte ins Bahnstadt Parkhaus ausweichen müssen. Nach einem zehnminütigen Spaziergang trippelte er jetzt aber doch im Strom der Menschenmassen zwischen den Ständen hindurch. Der Markt in Ravensburg war immer gut besucht. Sogar bei schlechtem Wetter. An einem sonnigen Frühlingssamstag wie diesem waren die schmalen Gassen gefüllt wie ein Fußballstadion beim Endspiel. Es waren an die hundert Händler, die ihre Stände in der Marktstraße und am Gespinstmarkt aufgebaut hatten. Walter ließ sich einfach mit der Masse treiben und bewunderte die Auslagen auf den Tischen. Obst und Gemüse dominierten eindeutig, und Walter fragte sich, wie das alles schon jetzt aus der Region kommen konnte. Mehrere Verkaufswagen mit Spezialitäten aus Italien und Griechenland lockten ihre Kundschaft mit dem Duft von Knoblauch und Olivenöl an. An einer Stelle stockte der Strom, da sich vor einer Gruppe peruanischer Musikanten eine kleine Traube gebildet hatte. Mit Felltrommeln, Gitarren und einer Panflöte gaben die sechs Männer in ihren bunten Ponchos mit riesigen Strohhüten auf dem Kopf ihr Bestes und hofften im Gegenzug auf eine kleine Spende. Gerade spielten sie „Der einsame Hirte“ auf der Panflöte und die meisten Zuhörer glaubten, es handele sich um ein peruanisches Volkslied. Tatsächlich war es ein Klassiker von James Last aus dem Jahr 1977. Walter mochte diese Art von Kapellen nicht. Inkas gehörten nicht auf den Ravensburger Markt. Er selbst hatte früher Posaune gespielt und fragte sich, wie wohl die Peruaner reagieren würden, würde er sich vor eine ihrer Maja-Pyramiden setzen und den Defiliermarsch blasen. Bei dem Gedanken musste er grinsen.

Ein paar Meter weiter stieg ihm der Duft von frischem Kaffee in die Nase und zeigte ihm, dass sein Ziel nicht mehr weit war. Francescos Kaffeestand. Sein Besitzer: Francesco, ein herzlicher, über die Jahre etwas rund gewordener Barista aus Süditalien. Mit seiner fahrenden Kaffeebar war er vom Ravensburger Markt nicht wegzudenken. Er hatte auf der Ladefläche seines roten italienischen Dreirads eine professionelle Kaffeemaschine montiert und machte damit alle Marktbesucher glücklich, die mal eine kleine Pause brauchten.

Walter sah Manni schon von weitem, der ihm mit seiner roten Stoffmütze zuwinkte. An einem Stehtisch standen außer Manni noch zwei weitere Männer und eine junge Frau. Den einen der Männer hatte Walter schon mit Manni bei der Goschamarie gesehen. Alle hielten ihre Kaffeebecher mit beiden Händen fest umschlossen, um die Finger aufzuwärmen. Manni stellte seinen Becher ab und lief ein paar Meter auf Walter zu, um ihn zu begrüßen. Dann nahm er Walter am Arm und schob ihn zu den anderen.

„Das ist mein alter Freund Walter. Wir kennen uns noch aus der Grundschule in Taldorf.“

Alle lächelten und nickten freundlich.

„Walter – das ist mein Kollege Hans, mit dem ich meistens auf Streife bin. Das da ist der Hubert von der Kripo und unser Küken hier ist die Anne aus der Pathologie. Da hat sie eine Assistenzstelle bei Dr. Vorn-Lang.“

Walter schüttelte jedem die Hand und versuchte sich die Namen zu merken. Anne war eindeutig die jüngste in der Runde und hatte die Ausstrahlung von Weihnachten. Sie strahlte und lachte, wobei ihre Augen leuchteten wie Kinderaugen bei der Bescherung. Walter mochte sie auf Anhieb und stellte sich neben sie.

„So, Sie sind also in der Pathologie? Sicher spannend!“, versuchte Walter sich unbeholfen in Smalltalk. Die strahlende Anne machte einen Schmollmund und piekte ihn in die Seite, so dass Walter zusammen zuckte und einen überraschten Quieklaut von sich gab.

„Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, dass du „Sie“ zu mir sagst? Ich mache dir nen Vorschlag: ich hole uns beiden jetzt nen Kaffee und mit dem stoßen wir dann aufs „Du“ an, okay?“

Walter fehlten die Worte und nickte deshalb nur, wohlwissend, dass er gerade ziemlich verdattert aussah. Während Anne ihren leeren Kaffeebecher in eine Mülltonne pfefferte und sich auf den Weg zu Francesco machte, hatten Streifenkollege Hans und Kripo-Hubert Mühe nicht laut los zu lachen.

„So ist unser Küken – immer gute Laune und immer Vollgas. Man muss sie einfach lieben!“

Walter brummte zustimmend und schob sich etwas dichter an Manni heran.

„Sag mal, was passiert denn jetzt hier in dieser Runde?“

Während Walter gerade fast geflüstert hatte, gab sich Manni ganz offen.

„Na – wir kriegen raus, was dem alten Pfarrer wirklich passiert ist. Ich habe den anderen hier“, er schwenkte seinen Arm über die Runde, „schon erzählt, worum es geht. Und ehrlich gesagt, glaubt keiner an einen natürlichen Tod. Wir wollen selber Nachforschungen anstellen und dafür sind wir ja eigentlich ganz gut aufgestellt. Was uns bisher fehlt, ist jemand vor Ort. Einer der Pfarrer Sailers Umfeld kennt und im Auge behalten kann. Einer, der die Leute kennt und auch mal unauffällig nachfragen kann. Und da kommst du ins Spiel – hättest du Lust?“

Walter kam sich vor wie in einer Franz-Josef-Wanninger-Parodie. Was konnte diese zusammengewürfelte Truppe denn erreichen? Erwarteten sie von ihm etwa, dass er in Taldorf und Alberskirch für sie spionierte, die Nachbarn aushorchte und heimlich lauschte, wenn irgendwo getuschelt wurde? Walter sah sich schon um Hausecken schleichen und auf Bäume klettern, um irgendwen zu beobachten. Kindheitserinnerungen wurden wach und er erinnerte sich, wie er mit seinen Freunden damals „Detektiv“ gespielt hatte. Nachdem er zur Kommunion die gesammelten Werke von Sir Arthur Conan Doyle geschenkt bekommen hatte, war die ganze Clique für einige Zeit im Sherlock-Holmes-Fieber gewesen. Dabei wurden die Rollen nie eindeutig vergeben. Jeder von ihnen war mal Sherlock Holmes, mal Dr. Watson, manchmal auch beides, und sie machten Jagd auf alles, was in Taldorf geheimnisvoll oder gar kriminell erschien – also auf nichts. Es dauerte ein gutes halbes Jahr, bis sie resigniert feststellten, dass sie im langweiligsten, dafür aber wohl auch sichersten Ort der Welt lebten.

„Sorry, hat gedauert …“

Anne stellte die zwei Kaffeebecher auf den Tisch und nestelte an ihrer Jacke herum, um ihren Geldbeutel wieder in der Innentasche zu verstauen. Sie gab Walter den einen Becher und nahm selbst den anderen, um mit ihm anzustoßen.

„Also Walter – ich bin die Anne! Freut mich, dich kennenzu- lernen.“ Sie nahm einen Schluck Kaffee und signalisierte Walter mit hochgezogenen Augenbrauen das Gleiche zu tun. Dann umarmte sie ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Backe, wobei Walter instinktiv zurückschreckte. Er war körperliche Nähe einfach nicht mehr gewohnt. Anne bemerkte seine Reaktion, winkte aber grinsend ab.

„Keine Angst, Walter! Wir sind jetzt nicht verlobt! Aber befreundet … hoffe ich doch?“

Walter schoss das Blut in den Kopf und er ärgerte sich selbst über seine Verlegenheit.

„Äh ja, das … äh … geht, glaube ich, in Ordnung.“

Manni bewahrte Walter vor noch mehr Peinlichkeiten. „Wie sieht’s denn jetzt aus, Walter? Machst du mit? Das ist ja auch kein „Muss“! Wir hören uns einfach um, ermitteln ein bisschen, tragen alles zusammen und schauen, wo es uns hinführt. Du musst nichts tun, was du nicht tun möchtest.“

Eigentlich gefiel Walter die Idee ja. Er hatte selbst ein komisches Gefühl, was Pfarrer Sailers Tod anging und würde sich gern ein wenig umhören. Aber was würde passieren wenn er tatsächlich etwas herausfinden würde, etwas, das vielleicht auch gefährlich war? Immerhin würden sie nach einem Mörder suchen.

„Grundsätzlich würde ich gerne mitmachen, aber was passiert denn, wenn ich dadurch selbst in Gefahr gerate? Wenn wirklich jemand den Pfarrer ermordet hat, wird es demjenigen nicht gefallen, wenn wir versuchen das herauszufinden.“

Für einen Augenblick war es still und alle schauten sich an. Kripo-Hubert, der mit seinem fast kahlen Kopf und den tiefliegenden Augen ein wenig Ähnlichkeit mit Yul Brynner in dem Film „Westworld“ hatte, hob beschwichtigend die Hände.

„So weit wird es gar nicht kommen, Walter. Du bist nur aufmerksam und schaust gut hin. Wenn dir etwas komisch vorkommt, berichtest du uns davon und wir kümmern uns dann darum. Ich bin bei der Kripo, Manni und Hans bei der Bereitschaftspolizei und mit unserer süßen Anne haben wir eine Spezialistin für Medizin und Pathologie. Wenn du auch dabei bist, sind wir ein richtig gutes Team!“

Alle schauten erwartungsvoll auf Walter, der sich immer noch nicht recht entscheiden konnte. Da kuschelte sich Anne von der Seite an ihn heran und strahlte ihn mit ihren Funkelaugen direkt an.

„Ohne dich geht’s doch nicht, Walter.“

Hypnotisiert, wie das Kaninchen vor der Schlange, nickte Walter langsam mit dem Kopf.

„Ist okay. Ich mache mit!“ Wie um es zu besiegeln, schüttelte jeder Walters Hand und klopfte ihm auf die Schulter.

„Die nächste Runde Kaffee geht auf mich!“, rief Manni lachend und signalisierte Francesco mit fünf gestreckten Fingern, dass er noch eine Runde einschenken sollte.

Sofort machten sie sich daran zusammenzutragen, was sie bisher wussten, was leider nicht viel war. Schließlich vereinbarten sie, sich nächsten Samstag wieder auf dem Markt zu treffen. Für ein „Update“, wie Kripo-Hubert es nannte.

„Was mache ich denn, wenn vor Samstag schon etwas passiert?“, wollte Walter wissen.

„Gute Frage“, stimmte Streifenpolizist Hans zu, „aber ich hab da ne Idee. Wir tauschen alle unsere Handynummern aus und machen eine eigene Whatsapp-Gruppe auf!“

Sofort griff jeder zu seinem Handy und schaltete es ein. Auch Walter, der wie immer zwei Versuche brauchte, bis die PIN akzeptiert wurde. Dann erst bemerkte er, wie ihn die anderen anstarrten.

„Was ist denn los?“, fragte Walter verwirrt. Annes Lächeln war auf einmal verschwunden, stattdessen starrte sie mit großen Augen auf sein Handy.

„Was – ist – das – denn???“, stammelte sie.

Walter lächelte zufrieden, denn offensichtlich waren die anderen beeindruckt, dass er technisch so auf dem Laufenden war.

„Das ist mein Handy. Mein Siemens S4. Ist ein super Gerät!“

Kripo-Hubert war der erste, der nicht mehr an sich halten konnte. Er schlug die Hände vors Gesicht und prustete durch die Finger. Einer nach dem anderen prustete ebenfalls los und kurz darauf hielten sich alle die Bäuche vor Lachen. Anne musste sich die Tränen aus den Augen wischen und zeigte auf das Handy in Walters Hand.

„Das ist doch sicher zehn Jahre alt?“, fragte sie mit gepresster Stimme.

„Zwanzig. Es ist fast zwanzig Jahre alt und leistet mir treue Dienste.“

Walter steckte sein S4 wieder in die Tasche und wandte sich leicht mürrisch an Streifenkollege Hans.

“Was ist denn nun mit dieser Watt-Sepp-Gruppe?“

Wieder prusteten alle los und klopften sich auf die Schenkel. Halb erstickt winkte Streifenkollege Hans ab.

„Lass nur Walter. SMS tut’s auch!“

Was zum Teufel war SMS?

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