Читать книгу Goschamarie Alte Geschichten - neue Freunde - Stefan Mitrenga - Страница 14
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Balu und Kitty brauchten in lockerem Galopp nur fünf Minuten bis Herrgottsfeld. Der Ort war eigentlich keine richtige Ortschaft, denn er bestand nur aus einem einzigen Hof. Sie liefen zwischen Stallgebäude und Wohnhaus hindurch zur Eingangstür. Sie war verschlossen und niemand war zu sehen.
„Was sucht ihr denn hier?“, muhte es aus dem Stall. Eine gutgenährte braune Kuh musterte sie widerkäuend. Kitty lief mit erhobenem Schwanz zur Stalltür. „Hallo, wir suchen einen Freund. Eglon, ein rothaariger Kater – hast du ihn gesehen?“ Die Kuh ließ sich Zeit mit der Antwort, während sie im immer gleichen Rhythmus weiter kaute. „Du meinst den fetten Schmarotzer, den die Chefin heute Morgen angeschleppt hat? Der liegt auf der anderen Seite vom Haus in der Sonne. Wenn er nicht gerade beim Fressen ist …“ Kitty bedankte sich ohne weiter nachzufragen, warum die Kuh Eglon einen Schmarotzer genannt hatte. Zusammen mit Balu ging sie zwischen Stall und Wohnhaus wieder zurück und bog dann links zur Terrasse ab. Im Halbschatten eines Quittenbaumes entdeckten sie Eglon. Er lag halb auf dem Rücken, hatte die Beine weit von sich gestreckt und schnarchte leise. Seine Zunge hing ihm ein paar Millimeter aus dem Maul. Dass er Besuch hatte, merkte Eglon nicht einmal, als die beiden Tiere direkt vor ihm standen. Balu schaute Kitty mit einem schelmischen Grinsen an, die erwartungsvoll nickte. Als Balu Eglon direkt ins Ohr bellte, stellte dieser im Bruchteil einer Sekunde alle Haare und sprang aus dem Liegen einen halben Meter in die Luft (keine Ahnung, wie er das geschafft hatte). Dabei kreischte er sein fürchterlichstes Miau heraus und flüchtete mit nur einem Satz auf den Quittenbaum. Als Balu und Kitty sich mit erhobenen Köpfen unter den Baum setzten, war sein Fell immer noch aufgestellt und er hechelte wie nach einem Halbmarathon. „SEID IHR WAHNSINNIG???“, schrie der rote Kater wütend von seinem Ast herunter. „Wie könnt ihr mich so erschrecken? Ich hätte vor Schreck sterben können!“ Kitty lächelte süffisant und leckte ihre rechte Vorderpfote. „Ach Eglon, wer so weggetreten ist wie du, kann durch alles Mögliche sterben: Hunde, Füchse, Traktor, Verwesung – du solltest etwas wachsamer sein!“ Allmählich legte sich Eglons Fell wieder an und er versuchte eine halbwegs katzenwürdige Haltung einzunehmen. „Das ist nicht fair! Ihr habt mich bei meinem Verdauungsschläfchen erwischt. Die haben hier kürzlich geschlachtet und deshalb gab es heute reichlich Schlachtabfälle. Sehr lecker – aber halt auch fett. Hab mich wohl etwas überfressen. Aber egal – was macht ihr hier?“ Balu trat etwas näher an den Baumstamm heran. „Die Frage ist: was machst du hier? Wir haben dich in Alberskirch gesucht, aber du warst nirgends zu finden. Dann kam uns die Idee, dass Annemarie dich vielleicht mitgenommen hat. Deshalb sind wir hier.“ Eglon machte große Augen. „Ihr habt euch Sorgen um mich gemacht?“ Balu hüstelte verlegen. „Ähm … nicht direkt Sorgen … wir wollten halt wissen, wie es dir geht. Was ist denn genau passiert?“ Eglon erhob sich und kletterte auf dem Ast bis zum Stamm. Dort schob er seine Vorderpfoten stammabwärts, während sein Hinterteil noch auf dem Ast saß. Als er nicht mehr tiefer ausgreifen konnte, ließ er die Hinterbeine nachrutschen und stützte sich dabei am Stamm ab, um die Fallgeschwindigkeit so gering wie möglich zu halten. Trotzdem spürten Balu und Kitty die leichte Erschütterung, als die dicke Katze auf dem Boden aufkam. g=9,81m/s^2. „Na ja … Pfarrer Sailer kam am Sonntag nicht von der Messe nach Hause. Als ich Hunger bekam, bin ich ein bisschen durch Alberskirch gelaufen und hab hier und da ein bisschen Futter stibitzt. Aber abends bin ich dann wieder zum Haus gelaufen. Der Pfarrer war immer noch nicht da und ich machte mir echt Sorgen. Ich hab in einer Scheune übernachtet und als ich heute Morgen wieder zum Haus kam, war die Tür zum Garten offen und ich freute mich schon, aber da war nur Annemarie, die Haushälterin vom Pfarrer. Sie hatte die Küche aufgeräumt und stellte gerade die Kaffeesachen weg. Als sie mich sieht, kommt sie zu mir her und streichelt mich, sagt, an mich hätte sie ja gar nicht mehr gedacht, und nimmt mich auf den Arm. Eigentlich mag ich das ja nicht, aber sie kann so toll unter dem Kinn kraulen – da hab ich’s mir gefallen lassen. Dann hat sie mich und die Bücher vom Küchentisch zum Auto getragen und wir sind hierher gefahren. Das war alles. Kann ich denn jetzt wieder nach Hause? Ist Pfarrer Sailer wieder aufgetaucht?“ Kitty senkte den Kopf und ihre Augenlider verengten sich. „Du weißt es noch gar nicht?“ „Was … weiß ich nicht“, stotterte Eglon. Balu legte den Kopf leicht schief. „Pfarrer Sailer kommt nicht mehr nach Hause. Er hatte nach der Messe einen Herzinfarkt und ist gestorben.“ Alle Spannung wich aus dem roten Kater und sein Kopf sank nach unten. „Aber … aber er war doch so gut drauf an diesem Sonntag. Ich möchte fast sagen, es ging ihm so gut wie schon lange nicht mehr. Er hat sich sogar einen richtigen Kaffee gemacht.“ Balu spitzte die Ohren. „Was heißt „richtigen“ Kaffee“?“ Eglon schüttelte immer noch ungläubig den Kopf, als er leise antwortete. „Na, er sollte doch nur noch den Koffeinfreien trinken. Wegen seinem Herz. Aber wenn er sich richtig gut fühlte, hat er sich schon mal eine echte Tasse gegönnt. Er dachte zwar, das merkt keiner, aber hey, meine Nase kriegt das sehr wohl mit!“ Kittys Augen wurden groß. „Warum hat er das gemacht? Er wusste doch, dass ihm das nicht gut tut. Vielleicht ist er deshalb sogar gestorben!“ „Das glaube ich nicht.“ erwiderte Eglon. „Er war danach richtig gut drauf. Da haben ihn die Bücher viel mehr aufgeregt.“ Balu dachte an die Bücher, die auf dem Küchentisch gelegen hatten, als er mit Walter durch das Fenster geschaut hatte. „Diese alten Bücher mit Ledereinband? Was war an denen denn so besonders?“ „Er hat sie neulich erst mitgebracht und dann viele Stunden da drin rumgeblättert. Hat immer wieder Namen in sein Notizbuch geschrieben und von Krankheiten und Ärzten gefaselt. Am Freitag muss er dann irgendetwas entdeckt haben, worüber er sich sehr aufgeregt hat. Er war ganz durch den Wind, als er zur Goschamarie gegangen ist.“ Balu und Kitty erinnerten sich gut an den Abend als Pfarrer Sailer völlig außer Atem bei der Goschamarie aufgetaucht war. In Kitty keimte ein Verdacht auf. „Was, wenn der Streit, den er mit den Kartenspielern hatte, doch nicht so harmlos war? Ich habe das Gefühl, dass wir nicht die ganze Geschichte kennen, und dass Pfarrer Sailers überraschender Tot vielleicht gar nicht so überraschend war.“