Читать книгу Goschamarie Alte Geschichten - neue Freunde - Stefan Mitrenga - Страница 4

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Vorspiel

02. Februar 2009, 2.35 Uhr

Schwere Wolken schieben sich vor den Mond wie der schwere Vorhang am Ende der Theatervorstellung. Der stattliche Bauernhof hebt sich nur wage von der Umgebung ab. Aus dem nahegelegenen Wald dringen vereinzelt die Geräusche wilder Tiere. Ein flüchtiger, feuchter Schleier liegt über den Senken der angrenzenden Wiesen. Nicht ungewöhnlich in einer Februarnacht. Zwei Lichter steuern langsam auf den Hof zu und erlöschen in der Einfahrt.

Dr. Baumann bemüht sich leise zu sein, als er die Autotür zuschlägt. Unnötig. Im Wohnhaus sind alle wach, sonst wohnt weit und breit niemand.

Der alte Mann liegt halb zugedeckt in seinem Bett. Jeder Atemzug kostet ihn unendlich viel Kraft. Ein leises Gurgeln beim Einatmen, das Ausatmen wie entweichende Luft aus einem undichten Reifen. Ein Schlauch spannt sich von Ohr zu Ohr und lässt aus zwei Öffnungen Sauerstoff direkt in die Nasenlöcher strömen. Er hat die Augen geschlossen und seine Arme liegen schlaff neben seinem Körper auf der Bettdecke. Auf dem kleinen Nachttisch steht eine alte Lampe, die kaum den halben Raum beleuchtet. Der deckenhohe Kleiderschrank gegenüber des Bettes ist so tief, dass nur ein schmaler Durchgang bleibt. Das Fenster auf der rechten Seite ist geschlossen und von schweren Vorhängen verdeckt. Die Tür gegenüber des Bettes öffnet sich langsam. Ein Keil aus kühler Luft bohrt sich in die Stickigkeit des Raumes. Dr. Baumann stellt seine Arzttasche am Fußende des Bettes ab und nimmt sein Stethoskop heraus. Der alte Mann spürt die kalte Membran des Geräts auf seiner Brust und schaudert leicht. Kurz atmet er etwas heftiger, öffnet dann gequält die Augen und nickt dem Arzt kaum merklich zu. Dr. Baumann beugt sich hinab und kommt mit dem Ohr ganz nah an den Mund des alten Mannes.

„Ich muss mit meinem Sohn sprechen ... jetzt.“

Ohne ein Wort greift der Arzt nach seiner Tasche und verlässt das Zimmer.

In der Küche sitzen der Sohn, dessen Frau und der Knecht am Esstisch. Rote Augen. Verquollen. Zerzauste Haare, knittrige Kleidung. Keiner spricht. Ein Feuer im Herd knackt leise vor sich hin. Keine Reaktion als der Arzt die Küche betritt. Er legt dem Sohn eine Hand auf die Schulter.

„Er will dich sehen.“

Der Sohn verharrt einen Moment und löst sich dann schwerfällig vom Tisch.

Als er das Zimmer betritt, erscheint ihm alles seltsam fremd. Der Geruch, die Wände, die Möbel, selbst der Teppich unter seinen Schuhen. Klarheit: Dies wird ihr letztes Gespräch sein. Mit einer fast unsichtbaren Geste winkt ihn die so vertraute Hand ans Bett. Der Sohn setzt sich und beugt den Kopf hinunter zu dem seines Vaters. Ohne die Augen zu öffnen spricht dieser seine letzten Worte.

„Es tut mir leid, dass ich dir nun dieses Geheimnis anvertrauen muss ... aber es muss bewahrt werden ...DU musst es bewahren!“

Der alte Mann spricht langsam und deutlich, immer wieder mit kurzen Pausen. Er weiß, was er zu sagen hat. Und so erfährt der Sohn das Unglaubliche.

Nach einiger Zeit öffnet der Arzt vorsichtig die Tür. Auf dem Bett liegen zwei Männer. Blasse Gesichter, die Augen fest geschlossen. Nur einer der beiden lebt.

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