Читать книгу Goschamarie Alte Geschichten - neue Freunde - Stefan Mitrenga - Страница 21
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Als Walter am Sonntag aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Er hatte gestern mehr Bier getrunken als sonst, und auch um den abschließenden Schnaps war er nicht herumgekommen. Zwar war er um kurz nach zehn zu Hause gewesen, doch die Menge Alkohol forderte jetzt ihren Tribut. Er hasste dieses Gefühl, den halben Tag verschlafen zu haben, und spürte, dass der Alkohol ihn noch immer lähmte. Für den Frühschoppen war es zu spät und er hätte ihm vermutlich auch nicht gut getan. In der Küche wartete Balu schon winselnd an der Tür und stürmte nach draußen, als Walter sie öffnete. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Den Detektiv spielen zu wollen. Gerade er. Jeder Idiot musste gestern gemerkt haben, dass er Georg nur hatte ausfragen wollen. Nach Josef. Doch er hatte tatsächlich etwas erfahren. Hatte er sich vielleicht doch nicht so blöd angestellt? Walter schüttelte den Kopf und sortierte seine Gedanken. Er holte das kleine Notizbuch und versuchte, sich so genau wie möglich an das Gespräch mit Georg zu erinnern, aber immer wieder wurde er unsicher wie es wirklich gewesen war. Er pfefferte das Notizbuch unbenutzt auf die Küchenanrichte und setzte Kaffeewasser auf. Bevor er nicht klar denken konnte, würde er damit nicht weiter kommen und eine Tasse Kaffee schien ihm erst mal die beste Hilfe zu sein. Er füllte gerade das Pulver in die Kanne, als es an der Tür klingelte. Walter bekam zu Hause nur selten Besuch. Nicht weil er keine Freunde hatte - im Gegenteil: es gab viele Menschen in seinem Leben, die er schätzte und denen er vertraute und einige davon waren richtig gute Freunde. Aber man besuchte sich nur selten, meist traf man sich irgendwo, häufig natürlich bei der Goschamarie. Er konnte sich nicht vorstellen, wer an einem späten Sonntagvormittag bei ihm klingelte. Als er die Tür öffnete, blieb sein Gehirn in einer Art Leerlauf stecken. Hatte er bisher gedacht, dieser Tag konnte nicht viel schlimmer werden, so wurde er nun eines besseren belehrt.
„Na, mein Freund, um die Uhrzeit noch im Bademantel unterwegs? Da lässt sich einer aber ganz schön gehen!“ Eugen Heesterkamp sprühte geradezu vor guter Laune und schob sich ungefragt an Walter vorbei. Er ließ eine gigantische Einkaufstüte mit Werbeaufdruck auf den Küchentisch fallen und baute sich mit einem breiten Verkäuferlächeln daneben auf.
„Das, mein lieber Walter, ist der Start in ihr neues Leben!“ Walter schaute Eugen verständnislos an, sah zum Tisch mit der Tüte, dann wieder zu Eugen.
„Ich … ich … also ich weiß nicht, was …“, stammelte Walter und hob dabei unbeholfen die Arme.
„Natürlich wissen sie nicht, was das ist. Das ist ja auch eine Überraschung.“ Freudestrahlend griff Eugen in die Tüte und holte einen Karton heraus. Einen Schuhkarton. Er platzierte ihn bedeutungsvoll neben der Tüte.
„Wir hatten uns doch neulich darüber unterhalten, wie wir sie … na sagen wir mal, wieder ein bisschen in Schwung bringen. Ich habe gleich gemerkt, dass sie nicht der Typ sind, der sofort die Initiative ergreift und habe daher selbst das Zepter in die Hand genommen.“ Eugen trat hinter den Tisch und hob mit nur zwei Fingern jeder Hand behutsam den Deckel des Schuhkartons an.
„Das … sind … ihre … neuen … … … LAUFSCHUHE!!!“ Das letzte Wort hatte Eugen herausgeschrien, wie der Ansager der Profiboxkämpfe im Fernsehen, und Walter war erschrocken zwei Schritte zurückgewichen. Jetzt starrte er auf ein Paar neongrüne Plastikschuhe, während seine Nase den starken Geruch purer Chemie wahrnahm. Walter hasste Schuhe aus Kunststoff. Doch Box-Ansager Heesterkamp war noch nicht fertig.
„Zu den neuen Schuhen gehört … natürlich … auch … eine … richtige … … … LAUFHOSE!!!“ Bei diesen Worten zog er ein kleines Knäuel Stoff aus der Tüte und ließ es voller Stolz zwischen zwei Fingern schlaff herabbaumeln. Walter kniff die Augen zusammen um das kleine Fetzchen besser sehen zu können. Wie um Himmels willen sollte er da hinein passen? Der Anblick erinnerte Walter eher an ein gebrauchtes Kondom als an eine Hose. Doch Eugen war in Hochform, legte die Hose auf den Schuhkarton und griff ein letztes Mal in die Einkaufstüte.
„Und zum Schluss … noch … ein … topmodisches … … … LAUFSHIRT!!!“ Wieder riss er den Arm in die Höhe und präsentierte erneut einen Stofffetzen, der zwar etwas größer zu sein schien als die Hose, aber immer noch weit von dem entfernt war, was Walter im Schrank hängen hatte. Eugen, der zweifelsohne Konfettiregen und Dankesreden erwartet hatte, bemerkte Walters skeptischen Blick. „Was ist denn, Walter? Gefallen ihnen die Sachen nicht?“
Walters Mutter hatte ihm schon von Kindesbeinen an eingebläut, dass man immer die Wahrheit sagen muss. Doch das ging hier nicht, denn Walter hatte keine passenden Worte hierfür. Er war einfach nur entsetzt. Er entschied sich für ein Hintertürchen.
„Das … ähm … das ist mir, glaube ich, alles zu klein. Viel zu klein! Bis auf die Schuhe. Die könnten passen.“ Eugen erkannte Walters Ahnungslosigkeit und legte ihm jovial die Hand auf die Schulter.
„Aber nicht doch. Die Hose und das Shirt sind aus ultramodernem Stretch-Stoff. Die passen sich ihrem Körper an und betonen ihre Linie … oder ihre Kurven. Wollen sie nicht mal reinschlüpfen?“
Nie im Leben würde Walter vor Eugen eine Stretch-Stoff-Modenschau hinlegen, er würde diese seltsamen Dinger überhaupt niemals anziehen. Jetzt sah er nur noch einen Ausweg.
„Das ist ja sehr nett von ihnen, Eugen, aber das ist doch alles so neumodisch teuer. Das kann ich mir beim besten Willen nicht leisten!“
Wieder lächelte Eugen überheblich, schlug aber einen versöhnlichen Ton an.
„Das dachte ich mir schon. Aber wie es der Zufall wollte, hatte ich noch einen Gutschein für Sport-Discount-24-de übrig. Bei denen kaufe ich persönlich natürlich nicht ein, aber für den Einstieg ist das genau die richtige Ausrüstung. Kostet fast nichts, nur die Versandkosten, und die schenke ich ihnen!“ Eugen verstummte und blickte Walter erwartungsvoll mit großen Augen an.
Musste er jetzt etwas sagen? Wahrscheinlich ja. Vielleicht etwas Nettes? Ja, etwas Nettes – aber nicht zu nett. Walter überlegte, legte den Kopf leicht schräg, rieb sich mit der Hand am Kinn und schob die Unterlippe nach vorne.
„Hmmm …“, brummte er. Eugen hing noch immer an seinen Lippen. „Hmmm … ja … schön.“
Der Wasserkessel auf dem Herd begann zu pfeifen und Walter dankte Gott für diese Ablenkung.
„Das ist ja prima! Kommen sie Eugen, als kleines Vergelts-Gott spendiere ich einen Kaffee!“
Während Walter den Kaffee einschenkte, sagte Eugen kein Wort. Er schob seine Geschenke etwas zur Seite um Platz für die Kaffeetassen zu machen.
„Es gefällt ihnen nicht.“
Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Walter sah die Enttäuschung in Eugens Blick und hatte tatsächlich Mitleid.
„Es ist halt so, dass ich solche Sachen noch nie anprobiert habe“, erklärte Walter. „Aber ich werde sie natürlich ausprobieren und dann sag ich ihnen Bescheid, wie es war. Aber nicht heute. Ich habe heute noch … ähm … zu tun. Ja, etwas Wichtiges.“
Eugen schien mit dieser Erklärung für den Moment zufrieden zu sein und rührte gedankenverloren in seiner Tasse.
In der noch immer geöffneten Küchentür tauchte Balu auf und verzog angewidert die Lefzen.
„Boah – was stinkt denn hier nach Chemieabfällen?“
Eugen interpretierte Balus Grunzen als Begrüßung und tätschelte dem Wolfsspitz die haarige Flanke. Doch schon nach dem zweiten Klopfer zog er seine Hand erschreckt zurück und hielt sie angeekelt von sich gestreckt.
„Was ist denn mit dem Hund los? Total nass und dreckig!“
„Gewälzt!“, sagte Balu.
„Er hat sich gewälzt“, sagte Walter. „Dafür darf er jetzt unter die Dusche.“
Balu wusste, dass er da nicht drumrum kommen würde, nur hatte er einfach nicht widerstehen können, sich in der feuchten Wiese zu wälzen und seinen Geruch unauslöschlich in den Boden zu übertragen. Außerdem hatte es sich wundervoll angefühlt.
Eugen wusch sich die Hand am Waschbecken, bevor er seinen Kaffee in einem Zug leer trank, und sich von Walter verabschiedete. „Probieren sie die Sachen an. Sie werden es nicht bereuen!“
Walter war da anderer Meinung, lächelte aber trotzdem und winkte Eugen noch nach, als dieser den Heimweg antrat.
Das war gerade noch mal gut gegangen. Aber er wusste, dass Eugen in dieser Sache keine Ruhe geben würde.
Walter schloss die Eingangstür und machte sich auf die Suche nach Balu, der sich natürlich versteckt hatte, um der angekündigten Dusche vielleicht doch noch irgendwie zu entgehen.