Читать книгу Goschamarie Alte Geschichten - neue Freunde - Stefan Mitrenga - Страница 7
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Walter zwängte sich in seine lederne Trachtenhose. Zum Glück hatte er sie damals etwas größer gekauft, sonst käme er jetzt nicht mehr hinein.
„Ich muss dringend ein bisschen abnehmen“, murmelte er seinem Spiegelbild zu. Balu lag flach auf dem Boden und beobachtete Walter mitleidig. Er konnte nicht verstehen, warum der große Hund im Himmel Wesen erschaffen hatte, die überhaupt kein Fell hatten. Sie mussten sich mit Kleidung behelfen, um die kalte Jahreszeit zu überstehen. Und dann passte die Kleidung noch nicht mal richtig. Walter hielt die Luft an und zerrte am Hosenbund. Der Hosenknopf näherte sich Millimeter für Millimeter seinem vorbestimmten Loch. Ein gepresstes „Uah!“, dann hakte der Knopf ein. Mit hochrotem Kopf ging Walter die Treppe hinunter, um seine Jacke anzuziehen. Es war Zeit für den Stammtisch.
Als Balu und Walter das Haus verließen, gesellte sich Kitty zu ihnen.
„Da seid ihr ja endlich. Hat Walter wieder mit seiner Hose gekämpft?“, lästerte die Katze. „Und wie! Irgendwann wird der Knopf abreißen und dann möchte ich nicht in der Nähe sein! Das Teil wird wie ein Geschoss durch die Luft schießen!“ Beide Tiere lachten und folgten Walter zur Goschamarie. Das Gasthaus war nur ein paar hundert Meter von Walters Haus entfernt. Auf dem Parkplatz standen schon einige Autos. Auch zwei Traktoren. Am Bach gegenüber erleichterte sich gerade einer der Gäste. „Grüß dich Walter!“, rief dieser und winkte mit der linken Hand (da er die rechte nicht frei hatte). Walter winkte zurück und ging die drei Stufen zur Eingangstür hinauf. Im Hausgang standen zwei Ehepaare und warteten auf einen freien Platz. Sie waren nicht aus Taldorf, sonst hätten sie einen Platz gehabt. „Darf ich mal durch?“, fragte Walter und schob sich an den Wartenden vorbei und betrat die Gaststube mit Balu und Kitty, die sich schnell unter die Eckbank am Stammtisch legten. Dort saßen schon Max, Peter und Elmar. Marie kassierte gerade an einem Tisch mit Zimmerleuten ab, die alle noch ihre Arbeitskleidung trugen. Sie nickte Walter kurz zu, der sich auf seinen freien Platz am Stammtisch setzte. Heute war Freitag und dies war freitags sein Platz. Deshalb war er noch frei. Kurz darauf brachte Marie die Getränke. Für Walter zwei Flaschen Bier, beide schon geöffnet. „Griaß di Walter! Schee, dass do bisch. Dei Veschper kommt au glei.“ Und schon war sie wieder weg, um den frei gewordenen Zimmermannstisch mit ein paar Bauarbeitern zu besetzen, die gerade gekommen waren. Die beiden Paare standen immer noch im Hausgang. „Die hent reserviert“, raunte Marie ihnen zu, als sie ihre missbilligenden Blicke bemerkte. In Wahrheit hatte natürlich niemand reserviert, aber bei der Goschamarie hatten Freunde und Bekannte immer Vorrang. Walter hob eine der beiden Bierflaschen und streckte sie am ausgestreckten Arm in die Tischmitte. „Zum Wohl meine Herren! Wieder eine Woche geschafft!“ Elmar, Max und Peter erhoben ebenfalls ihre Flaschen und mit viel Schwung und einem zustimmendem „So isches!“ wurde angestoßen. Elmar, der jüngste am Tisch, fingerte eine Lord aus der Schachtel. Walter schaute besorgt zu der niedrigen Decke, unter der bereits eine dichte Rauchwolke waberte. „Kannst du dir die Qualmerei überhaupt noch leisten?“ Elmar hatte sich vor einem halben Jahr als Fliesenleger selbstständig gemacht und kämpfte noch um sein monatliches Auskommen. „Klar. Hab ja was gespart. Aber sag mal Walter: ich hab gehört das Häusle neben deinem wäre verkauft. Weißt du da was?“ Walters Haus lag nicht im Dorfkern, sondern an einem Weg etwas außerhalb. Daneben befand sich noch ein weiteres Haus, das aber unbewohnt war, seit die Besitzerin vor ungefähr einem Jahr gestorben war. „Ich hab nichts gehört. War auch noch niemand da. Wäre mir aber nur recht, wenn da mal einer aufräumen würde. Der Girsch springt überall über den Zaun zu mir rüber.“ Walter hasste das dreifingerige Unkraut, das nicht zu bändigen war. Es überwucherte bereits den gesamten Nachbargarten und schaffte es mit unterirdischen Trieben zielstrebig auch in seine Blumen- und Gemüsebeete. „So Walter, dei Veschper. Loss es dir schmecka!“ Für diesen Vesperteller war Marie berühmt. Was hier für zehn Euro auf den Teller kam, reichte bequem um eine vierköpfige Familie zwei Tage zu ernähren. Schinkenwurst, Blutwurst, grobe Leberwurst, zwei Essiggurken und ein riesiges Stück Rauchfleisch. Dazu frisches Bauernbrot. Walter langte kräftig zu und ließ hin und wieder unauffällig ein kleines Stück Rauchfleisch für Balu und Kitty auf den Boden fallen. Elmar kam wieder auf sein Thema zurück. „Ich hab das von meinem Schwager gehört. Der arbeitet doch auf dem Amt. Das Häusle hat irgendwer von weiter weg gekauft. Bei Frankfurt, sagt mein Schwager. Weißt du, da ist doch sicher einiges zu richten. Ein neues Bad und so. Wäre ideal für einen ortsansässigen Fliesenleger.“ Elmar zwinkerte und saugte genüsslich an seiner Lord. „Wer von weiter weg kauft sich denn hier so eine alte Hütte?“, knurrte Max. Er war der ruhigste am Stammtisch, hatte aber das bemerkenswerte Talent immer die richtigen Fragen zu stellen. „Klar, das Grundstück ist groß, die Lage ruhig – aber halt am Arsch der Welt. Vor allem für ein Frankfurter Würstchen!“ Sie lachten über Max’ Wortspiel und Walter verschluckte sich fast an einem Stück Schinkenwurst. Am Nebentisch wurde bezahlt und abgeräumt. Die beiden Pärchen aus dem Flur witterten ihre Chance. Während die alten Gäste aufstanden, nahmen sie ihnen die Stühle aus der Hand und setzten sich. „Nun bin ich aber sehr gespannt, was wir hier tolles bekommen. Nachdem uns diese Lokalität mehrfach empfohlen wurde“, dozierte einer der beiden Männer in druckreifem Hochdeutsch. Er hob eine Hand und winkte in Maries Richtung. „Frau Wirtin! Die Speisekarte bitte!“ Als Marie sich dem Tisch näherte, wurde es ruhig im Raum. Walter hatte sogar das Gefühl, es wurde kälter. Marie baute sich mit verschränkten Armen vor dem Hochdeutschsprecher auf. „A Karta hon i net. Brauch i au net. I woiss jo, wasses gibt.“ Der Mann hatte offensichtlich Probleme alles zu verstehen, denn er kniff die Augen zusammen und neigte den Kopf zur Seite, wie ein Hund, wenn man mit der Zunge schnalzt. „Aber ich muss doch wissen, was ich bestellen kann!“, brachte er – jetzt schon deutlich unsicherer – hervor. „Des ka i dir au sage: a Veschper gibts. Gucksch do beim Walter. So sieht des aus. Des nimmsch oder losch es!“ Der Mann wechselte ein paar Blicke mit seinen Begleitern und bestellte dann für alle vier. „Und die Getränke? Was können Sie uns denn da empfehlen?“ Marie rollte mit den Augen und schnaufte genervt aus. „Empfähla ka i dir gar nix, du Schwungguschtl. Du kasch a Bier hon, an Wei oder a Wasser. N Schnaps packsch du eh it!“ Der Mann gab auf und bestellte Bier für sich und seinen Freund, für die Frauen Wein und eine Flasche Wasser. Balu und Kitty kicherten unter der Eckbank. „Marie kann auf Fremde schon sehr einschüchternd wirken, dabei ist sie so ein guter Mensch“. Balu schob Kitty noch einen Rauchfleischschnipsel hin. „Das ist sie wirklich. Und sie spricht sogar mit mir, wie alle guten Menschen.“ Kitty konnte, wie alle Katzen übrigens, in die Herzen der Menschen sehen. Sie hatte sich noch nie geirrt. „Pass auf! Gleich kommt Pfarrer Sailer. Ich habe seinen Peugeot im Hof gehört.“ Wie auf Kommando drehten beide Tiere ihren Kopf zur Tür. Pfarrer Sailer stolperte mit hochrotem Kopf in die Gaststube und suchte nach einem freien Platz. Er war kein Stammgast, aber ein gern gesehener. Er sah Marie am anderen Ende des Raumes und nickte ihr zum Gruß zu. Sie verstand und kämpfte sich zum Tresen durch, um ihm seinen Trollinger einzuschenken. An einem kleinen Tisch in der Ecke saßen drei Bauern aus der Umgebung und spielten Skat. Pfarrer Sailer begrüßte sie freundlich und setzte sich zu ihnen. „Heute kennt er uns wohl nicht“, grummelte Max. „Wird der alte Herr Pfarrer jetzt etwa zum Kartenspieler?“ Peter klopfte eine Priese Schnupftabak auf seinen Handrücken und gab das silberne Döschen dann an Max weiter. „Mit einem Pfarrer würde ich nie Karten spielen“, sagte er und zog den Tabak in die Nase. „Zum einen würde ich eh immer glauben, dass er Hilfe von oben kriegt, und wenn ich dann mal gute Karten hätte, würde ich ihn wahrscheinlich trotzdem gewinnen lassen. Man will es sich mit dem da oben ja nicht verscherzen.“ Elmar schüttelte den Kopf. „Ich würde ihn nicht gewinnen lassen! Wenn meine Karten besser wären, hätte es der Herrgott wohl so gewollt.“ Am Tisch der Skatspieler wurde es plötzlich laut. „Ach hör doch auf mit dem alten Scheiß! Interessiert ja doch keinen.“ Josef, ein Bauer aus Herrgottsfeld warf seine Karten auf den Tisch und stand auf. „Hätte ich gewusst dass heute nur geredet wird, wäre ich gar nicht erst gekommen!“ Er nahm seine Jacke von der Stuhllehne und verließ wütend die Gaststube. „Reden beim Kartenspielen mag ich auch nicht“, sagte Walter und legte sein Besteck auf den Teller. Er hatte gerade mal die Hälfte gegessen. Mehr ging nicht. Marie würde ihm nachher eine Plastiktüte für den Rest geben. „Beim Skat musst du dich konzentrieren. Aufpassen, wer was spielt. Und mitzählen, welche Karten schon gefallen sind. Wenn da dauernd einer redet, kannst du es vergessen.“ Max, Peter und Elmar stimmten ihm brummelnd zu, dann diskutierten sie noch eine Weile, ob nicht Binokel eigentlich das bessere Kartenspiel sei. Als Walters zweites Bier leer war, winkte er Marie mit seiner Börse zu. Sie kam und knallte ihren schweren, ledernen Geldbeutel auf den Tisch und stellte ein Sprudelglas vor Walter, das ungefähr zu einem Viertel gefüllt war. Mit Obstler. „Ui Marie, den hab ich aber nicht bestellt“, versuchte Walter sich herauszureden. „Isch scho räat. Der got auf mi. Zahle musch oi Veschper und zwoi Bier. Wieviel Brot hosch kett?“ Beim Brot kannte Marie keinen Spaß. Jede Scheibe kostete 30 Cent. Walter hatte zwei Scheiben gegessen. „Denn gibsch mir vierzeh sechzig.“ Walter legte 15 Euro auf den Tisch und verzichtete aufs Wechselgeld. Auch Max und Peter bezahlten. Nur Elmar wollte noch bleiben. Walter, Max und Peter verabschiedeten sich vom ganzen Lokal mit einem kurzen Gruß und von Marie mit einem „Danke! Bis bald wieder“. „Machets guat, ziernet nix, kommet wieder!“, rief sie ihnen hinterher. Vor der Tür gingen die drei getrennte Wege. Walter mit seiner Plastiktüte voll Wurst zu Fuß, die beiden anderen stiegen in ihre Autos. Balu und Kitty freuten sich endlich wieder an der frischen Luft zu sein. „Was war denn vorhin mit dem Josef los?“, fragte Balu. „Der alte Pfarrer hat doch sicher nichts Schlimmes gesagt. Wie kann man denn da gleich so sauer sein?“ „Der war nicht sauer“, korrigierte Kitty, „Joseph hatte Angst.“