Читать книгу Disziplinarrecht Baden-Württemberg - Stefan Stehle - Страница 46

3.Abs. 2

Оглавление

6Als Ausnahme vom Legalitätsprinzip des Abs. 1 bestimmt Abs. 2, dass in bestimmten Fällen ein Disziplinarverfahren nicht eingeleitet werden darf.

6aa) Der erste Fall des Abs. 2 betrifft die Konstellation, dass zu erwarten ist, dass ein Maßnahmeverbot nach § 34 wegen eines sachgleichen Straf- oder Bußgeldverfahrens die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme ausschließen wird.

– Nach § 34 Abs. 1 gilt: Wenn gegen den Beamten ein Straf- oder Bußgeldverfahren abgeschlossen wurde mit dem Ergebnis, dass ihm gegenüber eine Strafe, Geldbuße oder Ordnungsmaßnahme unanfechtbar verhängt wurde (oder es wurde das Strafverfahren nach Erfüllung einer Auflage oder Weisung eingestellt, so dass die Tat nach § 153a Abs. 1 Satz 5 oder Abs. 2 Satz 2 StPO nun nicht mehr als Vergehen verfolgt werden kann), so darf gegen den Beamten ein disziplinarrechtlicher Verweis keinesfalls mehr ausgesprochen werden. Eine schärfere Maßnahme (Geldbuße, Kürzung der Bezüge bzw. Kürzung des Ruhegehalts) darf daneben nur dann ausgesprochen werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten zur Pflichterfüllung anzuhalten (sogenannter disziplinarischer Überhang). An einem solchen disziplinarischen Überhang fehlt es insbesondere dann, wenn es um eine erstmalige, leichte Verfehlung des Beamten geht und sich der dienstliche Gehalt der Tat in der Straftat oder Ordnungswidrigkeit erschöpft; die Gesetzesbegründung betont in diesem Zusammenhang, dass in diesen Fällen das Maßnahmeverbot noch nicht eingetreten sein muss (insbesondere muss also die Strafe, Geldbuße oder Ordnungsmaßnahme derzeit noch nicht unanfechtbar verhängt worden sein), es genüge vielmehr, dass der Eintritt des Maßnahmenverbots (nach einer objektiven Prognose auf hinreichend breiter Tatsachengrundlage) „zu erwarten“ ist33 – was sich mit dem Gesetzeswortlaut des Abs. 2 deckt. In der Tat kann von einer Verfahrenseinleitung dann abgesehen werden, wenn schon jetzt klar ist, dass ein disziplinarischer Überhang ausgeschlossen ist (ein Beispiel hierfür wäre etwa außerdienstliches Fehlverhalten, bei dem jede Ausstrahlungswirkung auf den öffentlichen Dienst fehlt); ansonsten kann die Disziplinarbehörde aber auch den Ausgang des anderen Verfahrens abwarten und dann prüfen, ob das Einleitungsverbot des Abs. 2 Fall 1 gegeben ist. Erfordert der Vorwurf eine noch schärfere Disziplinarmaßnahme (Zurückstufung, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis), so entfaltet § 34 Abs. 1 kein Maßnahmenverbot (vgl. § 34 Rn. 8); die Frage eines disziplinarischen Überhangs stellt sich in diesen Fällen daher nicht.

– Nach § 34 Abs. 2 gilt: Wurde der Beamte (aufgrund einer Prüfung des Sachverhalts) in einem Straf- oder Bußgeldverfahren rechtskräftig freigesprochen worden, so darf wegen dieses Sachverhalts eine Disziplinarmaßnahme nicht ausgesprochen werden (etwas anderes gilt nur dann, wenn der Freispruch darauf zurückgeht, dass die Tat keinen Straftatbestand oder Bußgeldtatbestand darstellt, dennoch aber ein Dienstvergehen ist – was etwa der Fall sein kann bei einer juristisch fehlerhaften Sachbearbeitung durch den Beamten, die bei seinem Dienstherrn zu einem Schaden führt ohne dass hierbei zugleich eine Straftat vorliegt). In den eingangs genannten Fällen des rechtskräftigen Freispruchs gilt, dass die Disziplinarbehörde an diesen Freispruch insofern gebunden ist als wie (wegen desselben Sachverhalts) kein Disziplinarverfahren einleiten darf.

Insgesamt gilt: Die Vorschrift auch des Abs. 2 Fall 1 ist – als Ausnahme zum grundsätzlich gemäß Abs. 1 geltenden Legalitätsgrundsatz – eng auszulegen; verbleiben Zweifel, ob ein Maßnahmeverbot nach § 34 zu erwarten ist, muss ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden.34

7b) Der zweite Fall des Abs. 2 betrifft die Konstellation, dass „feststeht“, dass eine Disziplinarmaßnahme „aus sonstigen Gründen“ nicht in Betracht kommt. Hier geht es insbesondere um den Fall, dass ein Maßnahmeverbot nach § 35 vorliegt (Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs). Nach § 35 Abs. 1 darf ein Verweis zwei, eine Geldbuße drei, eine Kürzung der Bezüge oder des Ruhegehalts fünf und eine Zurückstufung sieben Jahre nach der Vollendung eines Dienstvergehens nicht mehr ausgesprochen werden. Dabei sind sorgfältig die Unterbrechungstatbestände des § 35 Abs. 2 und die Hemmungstatbestände des § 35 Abs. 3 zu prüfen. Auch kann sich über die Figur der „Einheit des Dienstvergehens“35 im Einzelfall ergeben, dass eben doch noch kein Maßnahmeverbot nach § 35 eingetreten ist.

Im Übrigen soll der zweite Fall des Abs. 2 als Auffangvorschrift für besondere Fallgestaltungen dienen. Die Gesetzesbegründung nennt als Beispiel, dass ein Ruhestandsbeamter ein leichtes Dienstvergehen begangen hat, für das eine Kürzung des Ruhegehalts als schwächste mögliche Disziplinarmaßnahme unverhältnismäßig wäre. Tatsächlich ist der Anwendungsbereich des Abs. 2 Fall 2 in der Praxis viel bedeutender als das vorgenannte Beispiel nahelegt. Denn immer, wenn der Dienstherr aufgrund der Vorermittlungen zum Ergebnis kommt, dass zwar ein Dienstvergehen vorliegt, dieses aber eine förmliche Disziplinarmaßnahme nicht rechtfertigt, weil eine Disziplinarmaßnahme unverhältnismäßig wäre (etwa, weil infolge der objektiven Leichtgewichtigkeit des Dienstvergehens und/oder wegen des positiven Persönlichkeitsbilds des Beamten nur eine schriftliche oder gar nur eine mündliche Missbilligung angezeigt ist oder sogar letztere noch unverhältnismäßig wäre), kommt – angesichts des in Abs. 1 grundsätzlich vorgesehenen Legalitätsprinzips – ein Absehen von der Verfahrenseröffnung dogmatisch korrekt nur über Abs. 2 Fall 2 („sonstiger Grund“) in Frage; insoweit ist diese Fallgruppe ganz generell Ausdruck des Opportunitätsprinzips.

Auch wenn ein Schuldausschließungsgrund feststeht, liegt ein „sonstiger Grund“ vor, so dass kein Disziplinarverfahren eingeleitet werden darf.

Insgesamt gilt aber auch hier: Die Vorschrift auch des Abs. 2 Fall 2 ist – als Ausnahme zum grundsätzlich gemäß Abs. 1 geltenden Legalitätsgrundsatz – eng auszulegen; verbleiben Zweifel, ob ein sonstiges Maßnahmehindernis besteht, ist ein Disziplinarverfahren einzuleiten.36 Keine Zweifel können dagegen richtigerweise bei der Frage bestehen, ob ein Maßnahmeverbot nach § 35 vorliegt, denn hierbei handelt es sich um eine reine Rechtsfrage.

8c) Abs. 2 Satz 2: Wird nach Abs. 2 Fall 1 oder 2 von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens abgesehen, müssen die maßgeblichen Gründe für die Nichteinleitung in einem Aktenvermerk festgehalten werden. Auf diese Weise kann auch später noch nachvollzogen werden, weshalb ein Disziplinarverfahren seinerzeit nicht eingeleitet wurde.37 Dem Beamten sind die Nichteinleitungsgründe bekannt zu ­geben. Grund hierfür: Es ist denkbar, dass der betroffene Beamte selbst mit der Nichteinleitung nicht einverstanden ist – z. B., weil sie nur mit Opportunitätsgesichtspunkten begründet wurde, der Beamte aber der Meinung ist, kein Dienstvergehen begangen zu haben und genau dies auch amtlich bestätigt haben möchte. In diesen Fällen soll ihm die Eröffnung der Gründe die Möglichkeit geben, ein Selbstreinigungsverfahren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 zu beantragen. Ein solcher Antrag kann nämlich (nach § 9 Abs. 1 Satz 2) nur abgelehnt werden, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, nicht vorliegen“, so dass der Beamte auf diesem Wege die gewünschte amtlich bestätigte Reinwaschung erreichen kann.38 Vor diesem Hintergrund muss der Nichteinleitungsvermerk, der dem Beamten bekanntgegeben wird, zumindest Informationen darüber enthalten, um welche Dienstpflichtverletzung es geht, aufgrund welcher Tatsachengrundlage (und ggf. Beweiswürdigung) und aufgrund welcher rechtlicher Erwägungen von der Einleitung abgesehen wurde. Die Nichteinleitungsentscheidung (ggf. inkl. Unterlagen) ist sodann zur Personalakte zu nehmen, weil es sich hierbei um Personalaktendaten handelt (nämlich um Unterlagen, die „den Beamten betreffen [und] mit dem Dienstverhältnis in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang stehen“, § 50 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Hat der Dienstherr nach Abs. 2 Satz 1 und 2 von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens abgesehen, hat er also insbesondere die Nichteinleitungsgründe aktenkundig gemacht und dem Beamten bekanntgegeben, so kann er bei unverändertem (dem Dienstherrn bekannten) Sachverhalt diesen nicht zum Gegenstand einer erneuten Würdigung unter disziplinarischen Gesichtspunkten machen.39

9d) Der dritte Fall des Abs. 2 (= Satz 3) betrifft Beamte auf Probe und Beamte auf Widerruf. Auch bei ihnen gilt grundsätzlich das in Abs. 1 normierte Legalitätsprinzip, d. h.: Besteht gegen sie der auf Tatsachen gegründete Verdacht eines Dienstvergehens, so ist auch bei ihnen die Disziplinarbehörde grundsätzlich verpflichtet, ein Disziplinarverfahren zu eröffnen. Allerdings besteht bei diesen Beamtengruppen die disziplinarrechtliche Besonderheit, dass bei ihnen überhaupt nur die Disziplinarmaßnahmen Verweis und Geldbuße verfügt werden können (so § 25 Abs. 1 Satz 2). Für den Fall, dass das mutmaßliche Dienstvergehen (ersichtlich) so schwerwiegend ist, dass (bei einem Lebzeitbeamten) eine Kürzung der Bezüge, eine Zurückstufung oder eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis angezeigt wäre, so ist (statt eines Disziplinarverfahrens) bei Probebeamten die Entlassung nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG und bei Widerrufsbeamten die Entlassung nach § 23 Abs. 4 i. V. m. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG40 jeweils dadurch vorzubereiten, dass gemäß § 13 Abs. 3 LBG zunächst Entlassungs-Ermittlungen durchzuführen sind. Folgerichtig untersagt Abs. 2 Satz 3 in diesen Fällen (d. h., „wenn gegen einen Beamten auf Probe oder auf Widerruf [Entlassungs-]Ermittlungen nach § 13 Abs. 3 des Landesbeamtengesetzes eingeleitet worden sind“) die Einleitung eines Disziplinarverfahrens. Dem Entlassungsverfahren gebührt aus Sicht des Gesetzgebers der Vorrang, weil es auf die schärfere Maßnahme abzielt.41 Sieht die Disziplinarbehörde gemäß Abs. 2 Satz 3 (angesichts eines bereits eingeleiteten Entlassungsverfahrens) von der Eröffnung eines Disziplinarverfahrens ab, so ist sie nicht gesetzlich verpflichtet, diese Nichteröffnung und deren Gründe aktenkundig zu machen und dem Beamten zur Kenntnis zugeben. Das ergibt sich zunächst aus der systematischen Stellung des Satzes 3 nach Satz 2;42 zudem enthält § 13 Abs. 3 Hs. 2 LBG selbst einen Verweis auf § 8 Abs. 1, so dass die Einleitung des Entlassungsverfahrens demnach aktenkundig zu machen ist. Wurde gegen den Probe- bzw. Widerrufsbeamten ein Disziplinarverfahren eröffnet und wird erst später ein (sachgleiches) Entlassungsverfahren gegen ihn eingeleitet, so ist das Disziplinarverfahren auszusetzen (§ 13 Abs. 3).43

Disziplinarrecht Baden-Württemberg

Подняться наверх