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c) Einzelheiten der Beweiswürdigung

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Jedes Beweismittel muss von der Behörde darauf überprüft werden, was es aussagt (Aussageinhalt), ob es für das Beweisthema ergiebig ist (Aussagewert) und ob es überzeugt (Beweiskraft). Sie muss sich dabei die Stärken und Schwächen der einzelnen Beweismittel stets vergegenwärtigen.

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Die Augenscheinseinnahme ist ein besonders verlässliches Beweismittel, weil sie der Behörde die eigene Wahrnehmung feststellungsbedürftiger Tatsachen ermöglicht und sie nicht auf subjektive Eindrücke anderer Personen angewiesen ist. Da die Verfahrensbeteiligten und ihre Bevollmächtigten dieselben Wahrnehmungen machen wie die Behörde, wird über das Ergebnis des Augenscheins in aller Regel kein Streit bestehen. Es ist allerdings (etwa zur Beurteilung der Zulässigkeit eines Bauvorhabens) unerlässlich, festzustellen, ob die örtlichen Verhältnisse mit den behördlichen Plänen und Karten übereinstimmen.

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Urkunden sind ebenfalls zuverlässige Beweismittel. Wenn ihre Echtheit feststeht, was normalerweise der Fall ist, darf die Behörde auf die Beweiskraftregeln der §§ 415 ff. ZPO zurückgreifen (s.o. Rz. 194). Diese bestimmen allerdings nur, unter welchen Voraussetzungen der Inhalt der Urkunde bewiesen ist. Welche tatsächliche und rechtliche Bedeutung diesem Inhalt für die Entscheidung des Falles zukommt (sog. materielle Beweiskraft der Urkunde), muss die Behörde eigenständig beurteilen. Kommen Beteiligte einer behördlichen Aufforderung, für die Entscheidung erhebliche Urkunden vorzulegen, mindestens fahrlässig nicht nach, so kann dies nach dem Rechtsgedanken des § 444 ZPO zu ihrem Nachteil berücksichtigt werden.[364]

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Sachverständigengutachten haben ebenfalls einen hohen Beweiswert. Der Sachverständige trifft seine Feststellungen regelmäßig sachlich, kritisch, mit beruflich geübter hoher Wahrnehmungsfähigkeit und ohne persönliches Interesse an der behördlichen Entscheidung. Dies enthebt die Behörde aber nicht von der Verpflichtung, sein Gutachten kritisch zu lesen, zu durchdenken und ihre Bewertung bei der Begründung der Entscheidung nachvollziehbar niederzulegen. Sie muss vor allem kontrollieren, ob der Sachverständige von einem richtigen Sachverhalt ausgeht (häufig von erheblicher Bedeutung im Baugenehmigungsverfahren, wenn eine Immissionsprognose zu bewerten ist – die Behörde muss insoweit kontrollieren, ob der Sachverständige seiner Prognose alle relevanten Schallquellen zugrunde gelegt hat), ob seine Erfahrungssätze gesichert und seine Schlussfolgerungen schlüssig und frei von Widersprüchen sind. Angesichts der Komplexität mancher Sachverhalte werden damit im Einzelfall an die Behörde hohe Anforderungen gestellt, die aber im Interesse einer rechtsstaatlichen Aufgabenerfüllung unerlässlich sind.[365] Denn die Behörde und nicht der Sachverständige ist nach der gesetzlichen Aufgabenverteilung zur Entscheidung befugt und muss diese auch – etwa im Falle einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtung – verantworten.

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Auskünfte von amtlichen Stellen haben im Verwaltungsverfahren eine erhebliche praktische Bedeutung und sind regelmäßig von hohem Beweiswert. Die Behörde sollte sich allerdings bewusst sein, dass auch hier Fehler geschehen können. Liegen im Einzelfall Anzeichen für die Unrichtigkeit oder Lückenhaftigkeit einer Auskunft vor, muss die Behörde ihre Ermittlungen fortführen und den Absender der Auskunft um eine Berichtigung bzw. Ergänzung bitten.

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Die Zeugenaussage ist im Allgemeinen ein schwächeres Beweismittel, weil ihr Wert durch viele Fehlerquellen eingeschränkt werden kann. Die Behörde muss bei ihrer Beweiswürdigung genau unterscheiden, ob der Zeuge Tatsachen oder nur Schlussfolgerungen bekundet, einen Sachverhalt bloß vom Hörensagen oder aus eigener Wahrnehmung schildert, in der Lage ist, auch Einzelheiten anschaulich zu unterbreiten, die geschilderte Beobachtung nach den örtlichen Verhältnissen überhaupt machen konnte und seine Aussage auch mit anderen Umständen (Urkunden, weitere Zeugenaussagen, feststehende Tatsachen etc.) übereinstimmt. Weiterhin ist zu prüfen, ob der Zeuge körperlich und geistig wahrnehmungsfähig war, wie es um seine Aufnahmebereitschaft stand, ob sein Erinnerungsvermögen intakt ist und er auch bereit ist, wahrheitsgemäß auszusagen. Bekanntschaft, Freundschaft und Verwandtschaft mit einem Verfahrensbeteiligten können in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Schließlich sind der persönliche Eindruck bei der Vernehmung und die inhaltliche Beschaffenheit der Aussage zu berücksichtigen. Der Zeuge darf sich nicht in Widersprüche verwickeln, seine Darstellung muss plausibel und eindeutig sein.

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Die Beteiligtenanhörung teilt die Schwächen der Zeugenvernehmung in noch stärkerem Maß. Bei der Aussage eines Beteiligten ist im Allgemeinen ein gehöriges Maß an Skepsis angebracht, da er natürlicherweise ein ureigenes Interesse am Ausgang des Verwaltungsverfahrens hat. Andererseits ist eine Tatsachenfeststellung ohne seine Mitwirkung in vielen Fällen (etwa im Asylrecht) nicht möglich. Kommt ein Beteiligter einer behördlichen Bitte, auszusagen oder sich schriftlich zu äußern, ohne Grund nicht nach, können aus diesem Verhalten wie oben ausgeführt (Rz. 163) für ihn negative Schlüsse gezogen werden.

B. Allgemeine Grundsätze, Subjekte und Ablauf des Verwaltungsverfahrens › V. Sachverhaltsermittlung im Verwaltungsverfahren › 9. Die Beweislast

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