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ee) Einwendungspräklusion
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Gem. § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG sind mit Ablauf der Einwendungsfrist alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln[125] beruhen.
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Wirkung. Die Einwendungspräklusion wirkt materiell-rechtlich, d.h. die Einwendungen sind verwirkt und können selbst im gerichtlichen Verfahren nicht mehr gegen das Vorhaben vorgebracht werden.[126] Eine Rechtmäßigkeitskontrolle bleibt im Umfang der Präklusion also aus.[127] Die Einwendungspräklusion hindert die Planfeststellungsbehörde zwar nicht an der amtswegigen Berücksichtigung verfristeter Einwendungen; hierdurch wird aber nicht eine (erneute) Möglichkeit eröffnet, die verfristeten Einwendungen auch gerichtlich geltend zu machen.[128] Nicht präklusionsfähig ist die Rüge der Missachtung solcher Vorschriften, die den formell-rechtlichen Rahmen der Planfeststellung bilden.[129]
Beispiel:
Die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit der Behörde ist auch dann nicht präkludiert, wenn sie erst nach Ablauf der Einwendungsfrist vorgebracht wird. Denn die sachliche Zuständigkeit der Behörde gehört zum formell-rechtlichen Rahmen der Planfeststellung.[130]
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Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht. Die Einwendungspräklusion an sich begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.[131] Allerdings muss die Anwendung der Präklusionsregelung im Einzelfall verhältnismäßig sein. Für die an die Stellungnahme bzw. Einwendung gestellten Substantiierungsanforderungen bedeutet dies, dass sie an den konkreten Erkenntnismöglichkeiten des Einwenders bzw. der Vereinigung ausgerichtet werden müssen und das im Hinblick auf die Einwendungsfrist und den Sachverstand des Einwenders bzw. der Vereinigung zumutbare Maß nicht überschreiten dürfen.[132]
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Unvereinbarkeit mit Unionsrecht. Die Vereinbarkeit der Einwendungspräklusion mit Unionsrecht[133] hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 15.10.2015 für den Anwendungsbereich des Art. 11 der UVP-Richtlinie[134] und des Art. 25 der Industrieemissions-Richtlinie[135] verneint. Es sei mit dem Ziel dieser Vorschriften, im Rahmen des Umweltschutzes einen weitreichenden Zugang zu Gerichten zu gewähren, nicht vereinbar, dem Rechtsbehelfsführer eine Beschränkung hinsichtlich der Art der Gründe aufzuerlegen, die er vor Gericht geltend machen könne. Dabei sei die Einwendungspräklusion weder aus Gründen der Rechtssicherheit noch mit Blick auf die Effizienz von Verwaltungsverfahren gerechtfertigt. Nur missbräuchliches oder unredliches Vorbringen, das der Wirksamkeit des gerichtlichen Verfahrens entgegenstehe, dürfe nach nationalem Recht ausgeschlossen werden.[136] Im Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie und der Industrieemissions-Richtlinie scheidet daher eine auf § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG gestützte Einwendungspräklusion aus und wird so in einem weiten Umfang an praktischer Bedeutung verlieren. Das auffallend knapp begründete Argument des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass dadurch der Grundsatz der Rechtssicherheit und der Effizienz von Verwaltungsverfahren nicht beeinträchtigt werde, muss jedoch gerade bei tatsächlich und rechtlich komplexen planfeststellungsbedürftigen Vorhaben, die mit einem hohen Planungsaufwand und Kostenrisiko verbunden sind, bezweifelt werden.[137]
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Formelle Voraussetzungen. Die Präklusionswirkung kann nur bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Bekanntmachungs- und Auslegungsverfahren eintreten; kann die Kausalität eines dabei unterlaufenen Verfahrensfehlers für das Nichtvorbringen oder das nicht ordnungsgemäße Vorbringen von Stellungnahmen oder Einwendungen nicht ausgeschlossen werden, ist die betreffende Stellungnahme bzw. Einwendung schon aus formell-rechtlichen Gründen nicht präkludiert.[138] Insbesondere müssen die Bekanntmachung der Auslegung der Planunterlagen sowie die Planunterlagen selbst die notwendige Anstoßwirkung entfalten, damit dem Betroffenen die Art und das Ausmaß seiner Betroffenheit und damit das Erfordernis des Erhebens von Einwendungen bewusst werden.[139]
Beispiel:
In der Bekanntmachung eines eisenbahnrechtlichen Vorhabens wurde dieses als „Ausbau und Elektrifizierung der Strecke Magdeburg – Marienborn – (Helmstedt), Planfeststellungsabschnitt 1.1., Streckenkilometer 142,900 bis 148,720, Stadt M.“ bezeichnet. Allerdings fehlte ein Hinweis auf die in einem anderen Streckenabschnitt verlaufende Stromspeiseleitung, die nach Auffassung der Klägerin auf ihrem Grundstück zu unzumutbaren elektromagnetischen Störungen führe. Das Bundesverwaltungsgericht verneinte die erforderliche Anstoßwirkung und damit die Präklusion der hierauf gerichteten Einwendung.[140]
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Inhaltliche Voraussetzungen. Des Weiteren setzt die Einwendungspräklusion voraus, dass die Stellungnahme oder Einwendung entweder nicht, nicht innerhalb der Einwendungsfrist oder nicht hinreichend substantiiert vorgebracht wurde. Es genügt nicht, auf früher erhobene Einwendungen zu verweisen oder die aktuellen Einwendungen vor Beginn der Einwendungsfrist vorzutragen.[141] Das Vorbringen von Umständen, die nach Ablauf der Einwendungsfrist eingetreten sind, ist nicht präkludiert.[142]
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Die beteiligten Behörden müssen ihre Stellungnahmen innerhalb einer von der Anhörungsbehörde zu setzenden Frist, die drei Monate nicht überschreiten darf, abgeben (§ 73 Abs. 3a Satz 1 VwVfG). Die Behördenpräklusion[143] hat der Gesetzgeber im Zuge des Planungsvereinheitlichungsgesetzes „im Interesse einer möglichst sachgerechten Verwaltungsentscheidung gelockert“[144]. Anders als nach § 73 Abs. 3a Satz 2 VwVfG a.F. ist die Berücksichtigung verspäteter Stellungnahmen zwingend, wenn der Planfeststellungsbehörde die vorgebrachten Belange bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen oder sie für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von Bedeutung sind; im Übrigen steht ihre Berücksichtigung im Ermessen der Planfeststellungsbehörde (§ 73 Abs. 3a Satz 2 VwVfG).[145] Damit sollen „sehenden Auges“ getroffene rechtswidrige Entscheidungen vermieden werden. Anknüpfungspunkt für die Verspätung ist auch nicht mehr der Zeitpunkt des Erörterungstermins, sondern der Ablauf der von der Anhörungsbehörde gesetzten Stellungnahmefrist.
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Die Betroffenen müssen ihre Einwendungen gegen den Plan bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist bzw. innerhalb der gem. § 73 Abs. 4 Satz 2 VwVfG bestimmten Einwendungsfrist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Anhörungsbehörde oder bei der Gemeinde erheben (§ 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG). Welche inhaltlichen Anforderungen an eine präklusionshindernde Einwendung zu stellen sind, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab. Allgemein sind an die Einwendung eines Privaten, im Unterschied zu den Einwendungen der mit größerem Sachverstand ausgestatteten Vereinigungen, keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie muss „erkennen lassen, in welcher Hinsicht nach Meinung des Einwenders Bedenken gegen die in Aussicht genommene Planfeststellung bestehen können. Hierzu reicht es aus, wenn die Einwendung in groben Zügen erkennen lässt, welches Schutzgut als gefährdet angesehen und welche Beeinträchtigungen befürchtet werden. Die Darlegungsanforderungen orientieren sich an den Möglichkeiten betroffener Laien; Ausführungen, die fachwissenschaftlichen Sachverstand voraussetzen, können regelmäßig nicht erwartet werden […]. Ebenso kann privaten Einwendern keine rechtliche Einordnung ihrer Einwendungen abverlangt werden […]“.[146]
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In entsprechender Anwendung der Regeln über die Einwendungspräklusion sind die anerkannten Vereinigungen nach Ablauf der Stellungnahmefrist mit ihrem Vorbringen präkludiert (§ 73 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 3 VwVfG).[147] Die inhaltlichen Anforderungen an den präklusionshindernden Vortrag sind im Vergleich zu den an Privateinwender gesetzten Maßstäben höher. Der Verband muss nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „zunächst angeben, welches Schutzgut durch ein Vorhaben betroffen wird und welche Beeinträchtigungen diesem drohen. Die räumliche Zuordnung eines Vorkommens oder einer Beeinträchtigung ist zu spezifizieren, wenn sie sich nicht ohne Weiteres von selbst versteht. Im Weiteren hängt die Intensität des Vortrages der Naturschutzvereinigung davon ab, in welchem Umfang der Vorhabenträger bereits eine Begutachtung geleistet hat und die Planunterlagen fachlich bewertet worden sind. Erforderlich ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Material unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten […]“[148]. Diese vergleichsweise strengen Substantiierungsanforderungen rechtfertigen sich aus der Funktion der Verbände als sachverständige „Verwaltungshelfer“ und aus der Notwendigkeit von Rechtssicherheit.[149] Wegen der sehr kurzen Einwendungsfrist (vgl. § 73 Abs. 4 Satz 5 i.V.m. Satz 1 VwVfG) und der begrenzten personellen und sachlichen Ressourcen der Verbände sind die Anforderungen an die Substantiierung der Stellungnahme dennoch moderat zu handhaben.[150]