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dd) Modifizierte Einheitslösung der Rechtsprechung
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Nachdem das Bundesverwaltungsgericht zunächst nach der Art der Nebenbestimmung und zwischenzeitlich nach der Art des Hauptverwaltungsakts differenziert hatte,[278] ist nach seiner inzwischen gefestigten Rechtsprechung grundsätzlich jede Nebenbestimmung isoliert anfechtbar.[279] Ob die Anfechtungsklage „zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, hängt davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann; dies ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet“[280]. Stellt sich im Rahmen der Statthaftigkeit der Anfechtungsklage heraus, dass der Verwaltungsakt offenkundig nicht teilbar ist, ist die Anfechtungsklage unzulässig. Zeigt sich im Rahmen der Begründetheitsprüfung, dass der begünstigende Hauptverwaltungsakt ohne die (rechtswidrige) Nebenbestimmung nicht sinnvoll oder rechtmäßig ist, ist die Anfechtungsklage unbegründet. Der Kläger muss in diesen Fällen der mangels Teilbarkeit unzulässigen oder unbegründeten Anfechtungsklage eine Verpflichtungsklage erheben.[281] Mit Blick auf die mit der Teilbarkeitsprüfung verbundenen Unsicherheiten ist zu empfehlen, nicht nur eine Anfechtungsklage isoliert gegen die belastende Nebenbestimmung zu erheben, sondern hilfsweise auch eine Verpflichtungsklage auf Erlass des begünstigenden Hauptverwaltungsakts ohne die belastende Nebenbestimmung.
Beispiel:
Eine sanierungsrechtliche Genehmigung war mit einer der Einhaltung von Sozialplänen dienenden Bedingung des Inhalts versehen, dass betroffenen Mietern Modernisierungs- oder Räumungsvereinbarungen anzubieten sind. Weiter hieß es: „Diese Bedingung hat aufschiebende Wirkung, d.h. von der Genehmigung kann erst Gebrauch gemacht werden, wenn die Bedingung erfüllt ist. Die Erfüllung ist uns vor Beginn der Baumaßnahmen schriftlich anzuzeigen.“ Das Berliner Oberverwaltungsgericht entschied, dass die isolierte Anfechtbarkeit der Nebenbestimmung hier offensichtlich von vornherein ausscheide. Mit der Bedingung habe verhindert werden sollen, dass mit den Sanierungsarbeiten begonnen wird, bevor die Modernisierungs- oder Räumungsvereinbarungen angeboten worden sind. Vor diesem Hintergrund sei die in Rede stehende Bedingung unzweifelhaft ein unerlässlicher Bestandteil der Sanierungsgenehmigung, ohne die diese Genehmigung nicht sinnvoll und rechtmäßig bestehen könne.[282]
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Ein Sonderfall ist gegeben, wenn im Rahmen der Begründetheitsprüfung nicht abschließend festgestellt werden kann, ob der Verwaltungsakt ohne die zulässigerweise isoliert angefochtene Nebenbestimmung rechtmäßig ist. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung scheidet auch in einem solchen Fall die isolierte Aufhebung der Nebenbestimmung aus und ist die Anfechtungsklage als unbegründet abzuweisen.[283]
Beispiel:
Die Behörde darf eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nur erteilen, wenn dem andere öffentlich-rechtliche Vorschriften, wie z.B. die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG, nicht entgegenstehen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Verbindet die Behörde die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage mit einer Auflage in der Annahme, nur durch sie sicherstellen zu können, dass der im Vorhabengebiet lebende Kiebitz nicht i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG erheblich gestört wird, muss sie dafür eine Bestandserfassung durchgeführt und dabei die lokale Population des Kiebitzes zutreffend abgegrenzt haben.[284] Dabei ist ihr eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative eingeräumt.[285] Hat sie von dieser fehlerhaft Gebrauch gemacht, weil sie z.B. den Begriff der „lokalen Population“ unzutreffend ausgelegt hat, ist die artenschutzrechtliche Nebenbestimmung rechtswidrig. Allerdings kann das Gericht dann auch nicht beurteilen, ob bei einer fehlerfreien Bestandserfassung anzunehmen wäre, dass ohne die artenschutzrechtliche Auflage ein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG vorliegen würde. Es kann also nicht feststellen, ob die Genehmigung ohne diese Nebenbestimmung rechtmäßig oder rechtswidrig wäre. In einer solchen Situation hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Sachsen-Anhalt die isolierte Aufhebung der Nebenbestimmung abgelehnt, solange es nicht schlechthin ausgeschlossen ist, dass die Genehmigung ohne sie rechtswidrig sein könnte.[286]
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Die vom Bundesverwaltungsgericht bejahte isolierte Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen schließt die Statthaftigkeit eines auf den Erlass eines Verwaltungsakts ohne belastende Nebenbestimmungen gerichteten Verpflichtungsantrags nicht aus, „wenn dieser einen im Vergleich zum Anfechtungsantrag weitergehenden Rechtsschutz verschafft“.[287]
D. Handlungsformen und Entscheidungen im Verwaltungsverfahren › II. Der Verwaltungsakt › 7. Bestimmtheit