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b) Offenbare Unrichtigkeiten im Verwaltungsakt (§ 42 VwVfG)

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Anwendungsbereich. Nach § 42 Satz 1 VwVfG kann die Behörde offenbare Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt jederzeit berichtigen. Diese Vorschrift gilt unmittelbar nur für Verwaltungsakte. Bei sonstigem Verwaltungshandeln findet jedoch der in ihr zum Ausdruck gebrachte allgemeine Rechtsgedanke entsprechende Anwendung.[555]

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Unrichtigkeit. Eine berichtigungsfähige Unrichtigkeit kann gem. § 42 Satz 1 VwVfG aus Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten bestehen. Welche Unrichtigkeiten „ähnlich“ sind, ergibt sich aus der beispielhaften Aufzählung des Schreib- und Rechenfehlers[556] und der Einschränkung, dass der Fehler „in einem Verwaltungsakt“ selbst liegen muss und demzufolge – anders als bei § 129 Satz 1 AO[557] – nicht schon in der Phase der Willensbildung unterlaufen sein darf.[558] Die Berichtigung gem. § 42 Satz 1 VwVfG hat eine Klarstellungsfunktion[559] und kommt daher nur bei einer Diskrepanz zwischen dem eindeutig erkennbaren Erklärungswillen der Behörde und dem objektiv Verlautbarten (sei es im verfügenden Teil oder in der Begründung des Verwaltungsakts) in Betracht.[560] „Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten“ sind also lediglich Verlautbarungsfehler. Daher liegt eine gem. § 42 Satz 1 VwVfG berichtigungsfähige Unrichtigkeit dann nicht vor, wenn der Fehler zwar offensichtlich ist, aber im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts dem Regelungswillen der Behörde entsprochen hat.[561]

Beispiele:

1. Wird der Eigentümer eines Grundstücks zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 1.500,00 EUR herangezogen (vgl. § 127 Abs. 1, § 134 Abs. 1 Satz 1 BauGB), ergibt sich aber aus der in der Begründung dargelegten Berechnung unzweifelhaft, dass sich der zu zahlende Betrag auf 15.000,00 EUR beläuft, muss die Behörde den Erschließungsbeitragsbescheid nicht aufheben, sondern kann ihn gem. § 42 Satz 1 VwVfG berichtigen.
2. Die Bauaufsichtsbehörde verfügt den Abriss eines Wohnhauses, weil die erforderliche Abstandsfläche nicht freigehalten worden sei (vgl. §§ 6, 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW). Auch wenn nach Aktenlage und Inaugenscheinnahme des Grundstücks offensichtlich ist, dass die Abstandsfläche tatsächlich gewahrt wurde, liegt keine gem. § 42 Satz 1 VwVfG jederzeit berichtigungsfähige offensichtliche Unrichtigkeit vor, wenn der Behörde bei der Ermittlung des Sachverhalts oder der Berechnung der Abstandsfläche ein Fehler unterlaufen ist und sie diesen zur Grundlage ihrer Abrissverfügung gemacht hat.
3. Eine „ähnliche offenbare Unrichtigkeit“ kann z.B. eine fehlerhafte Anrede sein, die auf eine sorglose Verwendung von Standardschreiben zurückzuführen ist.[562]

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Offensichtlichkeit. Offenbar ist die Unrichtigkeit dann, wenn sie ohne Weiteres auffällt, also „sich der Irrtum aus dem Zusammenhang des Verwaltungsakts oder den Vorgängen bei seiner Bekanntgabe ergibt“[563]. An der Offensichtlichkeit fehlt es hingegen z.B. dann, wenn die Unrichtigkeit erst durch Akteneinsicht erkennbar wird.[564]

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Jederzeit. § 42 Satz 1 VwVfG erlaubt die Berichtigung „jederzeit“ und damit ohne zeitliche Beschränkung. Sie darf auch nach Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsakts erfolgen.[565]

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Ermessen. Ob die Behörde die offenbare Unrichtigkeit korrigiert, steht in ihrem Ermessen. Von dieser Ermessensermächtigung muss sie nach Maßgabe des § 40 VwVfG Gebrauch machen.[566]

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Rechtsschutz. Eine in den Grenzen des § 42 Satz 1 VwVfG vorgenommene Berichtigung ist mangels Regelungswirkung kein selbstständig anfechtbarer Verwaltungsakt (vgl. § 35 Satz 1 VwVfG), sondern ein Realakt.[567] Hat die Behörde hingegen die Grenzen der Berichtigungsbefugnis aus § 42 Satz 1 VwVfG überschritten und hat sie dadurch den Bescheid geändert, sind gegen den Bescheid in Gestalt des Änderungsverwaltungsakts der Widerspruch und Anfechtungsklage statthaft, deren Begründetheit sich nach den §§ 48 ff. VwVfG beurteilt.[568] Hat das Überschreiten der Berichtigungsbefugnis nicht zugleich die Änderung des Verwaltungsakts zur Folge,[569] ist die Berichtigung zwar rechtswidrig. Ein hiergegen erhobenes Rechtsmittel ist gleichwohl regelmäßig unzulässig, weil der Bescheidadressat von einer bloßen Korrektur nicht beschwert wird.[570]

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Hat der Adressat des Verwaltungsakts ein berechtigtes Interesse an der Berichtigung, steht ihm gem. § 42 Satz 2 VwVfG ein Berichtigungsanspruch zu. Diesen kann er bei einer rechtswidrig unterlassenen Berichtigung mit der allgemeinen Leistungsklage geltend machen, weil hier nicht der Erlass einer Regelung, also eines Verwaltungsakts, begehrt wird, sondern die Vornahme eines Realakts.[571]

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