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bb) Schriftform (§ 57 VwVfG)
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Grundlagen. Öffentlich-rechtliche Verträge sind schriftlich zu schließen, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist (§ 57 VwVfG).[911] Der Sinn und Zweck dieser Bestimmung liegt in der mit der Schriftform verbundenen Warn- und Beweisfunktion.[912] § 57 VwVfG gilt für alle Verwaltungsverträge i.S.d. §§ 54 ff. VwVfG. Er kommt nicht nur bei Vertragsabschluss, sondern auch bei einer Vertragsänderung[913], Vertragsaufhebung[914] oder Vertragskündigung[915] zur Anwendung.
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Die Wahrung der Schriftform richtet sich in erster Linie nach § 62 Satz 1 i.V.m. § 37 Abs. 3 bis 5 VwVfG.[916] Anhand des Vertragstextes müssen sich die vereinbarten Haupt- und Nebenleistungspflichten nach Art, Umfang und dem mit ihnen verfolgten Zweck ermitteln lassen können.[917] Eine Auslegung unklarer oder mehrdeutiger Formulierungen sowie eine ergänzende Vertragsauslegung[918] sind zulässig, soweit sich aus der Vertragsurkunde selbst noch ein hinreichender Anhaltspunkt für die Auslegung ergibt (Andeutungstheorie).[919] Sich aus dem Gesetz, namentlich aus einer entsprechenden Anwendung der § 311 Abs. 2 und 3 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB (c.i.c.) oder des § 280 Abs. 1 BGB (pVV) ergebende Nebenpflichten müssen nicht in den Vertragstext aufgenommen werden.[920]
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Urkundeneinheit. Umstritten ist, ob das Schriftformerfordernis des § 57 VwVfG stets Urkundeneinheit erfordert (vgl. § 62 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB), „oder ob von einem entsprechenden Erklärungsbewußstein getragene, mit Bindungswillen abgegebene Vertragserklärungen durch Schriftwechsel“[921] genügen. Ist Urkundeneinheit erforderlich, muss das jeweilige formbedürftige Rechtsgeschäft in seiner Gesamtheit in einer einzigen Urkunde enthalten sein und muss – vorbehaltlich des § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB – diese Urkunde von allen Vertragschließenden unterzeichnet worden sein.[922] Nach der sog. „Auflockerungsrechtsprechung“ ist dabei eine feste körperliche Verbindung der einzelnen Blätter nicht erforderlich, sondern es genügt die anderweitige Erkennbarkeit der Zusammengehörigkeit (z.B. durch fortlaufende Paginierung).[923] Auch muss ein komplexes, aus mehreren miteinander zusammenhängenden und von den Vertragspartnern jeweils auf derselben Urkunde unterzeichneten Teilverträgen bestehendes Rechtsgeschäft nicht in einer einzigen Urkunde zusammengeführt werden.[924]
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Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage der Notwendigkeit der Urkundeneinheit bei Verwaltungsverträgen noch nicht abschließend geklärt.[925] Im Grundsatz geht es aber offenbar von der Anwendbarkeit des § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB aus.[926] Zugleich betont es aber, dass Formvorschriften kein Selbstzweck seien und § 57 VwVfG deshalb unter Berücksichtigung seines Sinngehalts ausgelegt und angewendet werden müsse, namentlich also danach zu fragen sei, inwiefern die Warn- und Beweisfunktion im Einzelfall nur durch Urkundeneinheit erfüllt werden könne.[927] Anhand dieses Maßstabs hat es zwei Fallgestaltungen herausgearbeitet, in denen das Schriftformerfordernis des § 57 VwVfG auch ohne Urkundeneinheit erfüllt sei: Bei „hinkenden Austauschverträgen“, in denen der Bürger einseitig Verpflichtungen gegenüber der Verwaltung übernehme, genüge es, wenn der Bürger seine Vertragspflichten schriftlich fixiere und in einem anderen Dokument eine unmissverständliche schriftliche Annahmeerklärung der Behörde niedergelegt sei.[928] Gleiches gelte bei Verwaltungsvereinbarungen zwischen Ländern.[929]
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Verallgemeinernd folgt daraus, dass § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB im Rahmen des § 57 VwVfG entgegen der wohl h.M. im Schrifttum grundsätzlich zur Anwendung kommt. Ausnahmsweise kann auf die Urkundeneinheit verzichtet werden, wenn dies im Einzelfall mit der Warn- und Beweisfunktion der Schriftformanordnung in § 57 VwVfG vereinbar ist.[930]
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Ersetzung. Die Schriftform kann durch die elektronische Form (§ 62 Satz 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVfG[931]) oder durch notarielle Beurkundung (§ 62 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 126 Abs. 4 BGB) ersetzt werden.[932] Ebenso kann die Schriftform durch die prozessordnungsgemäße Protokollierung (vgl. § 105 VwGO i.V.m. §§ 159 ff. ZPO) eines Prozessvergleichs i.S.d. § 106 Satz 1 VwGO substituiert werden (§ 62 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 126 Abs. 4, § 127a BGB).[933]
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Strengere Anforderungen. Nach § 57 VwVfG gilt das Schriftformerfordernis nur, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist. Insbesondere ist hier das Erfordernis der notariellen Beurkundung bei Verpflichtungsverträgen betreffend die Übertragung oder den Erwerb von Grundstückseigentum gem. § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB zu beachten.[934]
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Fehlerfolgen. Verstöße gegen das Schriftformerfordernis des § 57 VwVfG führen gem. § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 125 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit des Verwaltungsvertrages.[935] In Ausnahmefällen kann es den Vertragsparteien nach dem Gebot von Treu und Glauben aber verwehrt sein, sich auf den Formmangel zu berufen.[936]
Beispiel:
Im Ortstermin arbeitet das Tonaufnahmegerät fehlerhaft. Der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt, der mit einem bei ihm in der Ausbildung tätigen Referendar erschienen ist, bietet an, den Referendar mit der Protokollführung zu beauftragen. Selbst wenn dieser korrekt arbeitet und den im Protokoll enthaltenen schriftlichen Vergleich vorliest und von den Beteiligten genehmigen lässt, ist der Vergleich formnichtig. Der Referendar durfte nicht mit der Protokollführung beauftragt werden, weil die Niederschrift über den Gerichtstermin vom erschienenen Richter aufzunehmen ist. Dieser könnte zwar einen Referendar mit der Protokollführung beauftragen, aber nur dann, wenn er sich beim Gericht in der Ausbildung befindet (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 10 Satz 1 GVG, § 159 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 40 JAG NRW).[937]