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Kapitel 32 Traurige Vergangenheit - Mittelmeer

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Nach einer Weile nahm Jenny das Gespräch wieder auf.

Sabine lauschte gebannt:

„Es begann vor etwa fünf Jahren, mit dem Tod von Florian´s Mutter. Wir waren zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Jahre zusammen und hatten darüber nachgedacht zu heiraten und eine Familie zu gründen. Florian war in der Kanzlei zum Juniorchef aufgestiegen und verdiente sehr gut. Mein Geschäft lief ebenfalls prima. Wir hatten alles, was man sich als junges Paar wünscht. Unserem Glück schien nichts im Wege zu stehen, als plötzlich seine Mutter an Knochenkrebs erkrankte. Sie war gerade mal siebenundfünfzig Jahre alt. Als die Nachricht ihn erreichte, war ich bei einem Shooting in Cannes und konnte nicht sofort nach Hause kommen. Florian buchte den nächsten Flug nach Mallorca und kümmerte sich um seine Eltern. Drei Tage später reiste ich ihm nach und fand ein Haus vor, dessen Mülleimer überquollen. Die Ameisen liefen, in dicken schwarzen Straßen durch die Küche und trugen die Essensreste davon. Der Kühlschrank war leer und überall lagen Klamotten verstreut.

Karin, Florian´s Mutter, lag in der Universitätsklinik Son Dureta in Palma. Florian und Karl verbrachten täglich mehrere Stunden bei ihr und versuchten die Diagnosen der Spezialisten zu deuten. Doch keine der angewandten Methoden schien anzuschlagen und Karin baute täglich mehr ab. Dann mussten wir zurück nach Deutschland. Wir waren bereits drei Wochen fort gewesen. Mein Geschäft hatte ich einfach, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, abgeschlossen und Florian wurde in seiner Firma gebraucht. Also füllten wir Karls Kühlschrank bis zum Anschlag, packten unsere Sachen und flogen zurück. Fortan telefonierte Florian täglich mit den beiden. Am dreiundfünfzigsten Tag nach ihrer Einlieferung erlag sie dem Krebs. Ihre Beerdigung fand in Memmingen, ihrem Geburtsort in der Nähe von Augsburg statt. Karl verbrachte eine Woche bei uns und flog dann alleine zurück nach Mallorca. Er meinte, er würde schon zurechtkommen. Er war ja erst dreiundsechzig und zu diesem Zeitpunkt noch gesund. Jedenfalls so gesund, wie man in diesem Alter eben sein konnte. Weder Florian noch ich hätten je daran gedacht, dass Karl seinem Leben ein Ende setzen würde. Er tat dies, zwei Tage nachdem er zurückgeflogen war. Wir waren an jenem Abend mit unseren Freunden Micki und Melanie zum Abendessen verabredet, um auf andere Gedanken zu kommen. Dass Florian versehentlich sein Handy zu Hause liegen gelassen hatte und somit Karls Versuche ihn zu erreichen gescheitert waren, bemerkten wir erst später. Karl sprang in jener Nacht von der Klippe und schlug unten auf dem überstehenden Fels auf. Er war sofort tot“.

Sabine atmete tief durch und versuchte vergebens die Tränen zurückzuhalten. Mit dem Handtuch wischte sie sich die Wangen trocken.

„Von diesem Zeitpunkt an machte sich Florian die schlimmsten Vorwürfe. Er veränderte sich sehr. Von einem Tag auf den anderen nahm er mich nicht mehr in den Arm, schlief nicht mehr mit mir, lachte nicht mehr, blieb lange bei der Arbeit und aß unregelmäßig. Er veränderte sich so sehr, dass ich manchmal nicht mehr wusste, wie ich ihn ansprechen sollte, ohne ihn zu nerven. Dann begann er mich auszufragen. Für wen arbeitest du im Moment? Mit wem warst du Mittagessen? Wen triffst du am Set? Wann kommst du nach Hause? ...und so weiter. Er misstraute mir plötzlich, obwohl ich an meinem Leben nichts verändert hatte. Im Gegenteil. Ich versuchte all meine Liebe aufzubringen, um ihm mit Verständnis und Kraft zur Seite zu stehen. Aber er interpretierte mein Verhalten wohl falsch. Irgendwann begann er mich anzuschreien. Die ersten Male versuchte ich noch Verständnis für ihn aufzubringen und entschuldigte mich für mein Fehlverhalten, obwohl ich gar nicht so recht wusste, was ihn gestört und in Rage gebracht hatte. Die Abstände zwischen seinen „Ausrutschern“ wurden immer kürzer, und schon bald fing ich an, länger bei der Arbeit zu bleiben. Ich dachte mir immer neue Entschuldigungen aus, um später nach Hause zu kommen“.

Jenny´s Stimme versagte kurz. Sie musste schlucken, und Sabine sah, dass sie Tränen in den Augen hatte, doch sie fasste sich und erzählte weiter:

„Ich verbrachte damals viel Zeit mit meiner Freundin Caro. Sie wohnte in der Nähe und kannte Florian praktisch vom ersten Tag an. Sie war es, die mich ans Isarufer mitgenommen hatte, wo ich Florian das erste Mal begegnet bin. Caro gab mir den Rat ihn zu verlassen, aber dumm wie ich war, glaubte ich an das Gute. Ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das nur ein vorübergehender Moment war, und Florian bald wieder der Alte sein würde. Doch ich hatte mich getäuscht. Eines Abends, als ich nach der Arbeit wieder einmal bei Caro saß, klingelte es an der Haustür. Caro öffnete, und da stand er mit hochrotem Gesicht. Ohne ein Wort zu sagen, schlug er ihr mit voller Wucht ins Gesicht, stürzte in die Wohnung und zerrte mich nach Hause“.

Sabine schrie auf.

„Nein“!

„Das war das letzte Mal, dass ich Caro gesehen habe“.

„Warum ist sie nicht zur Polizei gegangen“, fragte Sabine.

„Ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich den Kontakt abgebrochen um sie zu schützen. Ich habe ihr einen Brief geschrieben, in dem ich mich für alles entschuldigte, aber es kam nie eine Antwort. Florian´s Ausraster wurden immer heftiger, bis zu dem Tag, an dem er mich das erste Mal geschlagen hat. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Ich war von der Arbeit nach Hause gekommen und hatte gerade die Tür aufgeschlossen, da stand er direkt vor mir und fragte nur, „wieso kommst du erst jetzt“, und ohne eine Antwort abzuwarten, hatte er zugeschlagen. Er traf mich an der Backe und in diesem Moment dachte ich mein Schädel würde platzen. Die Wucht des Schlages schleuderte mich gegen den Türpfosten, wo ich mir eine Platzwunde am Kopf zugezogen hatte. Ich wurde ohnmächtig und als ich, einiges später wieder erwachte, lag ich im Flur auf dem Boden. Neben meinem Kopf hatte sich eine Blutlache gebildet, die bereits getrocknet war. Mein Haar war verklebt vom verkrusteten Blut und Florian war nicht mehr da. Alles drehte sich. Mir war speiübel und ich kroch auf allen Vieren ins Bad wo ich mich notdürftig wusch und verarztete. Ich nahm das Telefon und rief Melanie an. Du erinnerst dich? - Micki´s Freundin, sie ist Krankenschwester“.

Sabine nickte.

„Bereits zehn Minuten später war sie da und brachte mich ins Krankenhaus wo die Wunde genäht wurde. Natürlich habe ich denen nicht die Wahrheit erzählt, aber Melanie. Die hatte sich bereits gewundert, weshalb wir uns nur noch so selten gemeldet hatten. In dieser Nacht blieb ich bei ihr und Micki. Es war wohl kurz nach Mitternacht, als Florian Micki angerufen hatte, um zu fragen, ob er wisse wo ich bin. Micki war zwar sein bester Freund, hielt aber in diesem Moment zu mir und log für mich. Tags darauf ging ich nach Hause und traf ihn, im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzend, das Gesicht in seine Hände vergraben. Als ich den Raum betrat, sah er auf und fing an zu weinen. Ich überlegte nicht lange und ging auf ihn zu, denn ich dachte, jetzt wäre der Moment gekommen, wo alles wieder ins Lot kommen würde. Aber ich hatte mich getäuscht. Für den Moment schien es tatsächlich so, er nahm mich in den Arm und sagte immer wieder: „Gott sei Dank, dir ist nichts passiert“. Erst später wurde mir klar, dass er besorgt war, ich hätte mich beim Sturz gegen den Türpfosten schlimmer verletzt und wäre in irgendeinem Krankenhaus womöglich gestorben, oder so. Letztlich fand er ja nur den großen Blutfleck auf dem Boden und das Blut im Bad vor, als er nach Hause gekommen war.

Vor etwa zwei Jahren passierte dann das Unausweichliche. Wir waren mal wieder mit Micki und Mel zum Abendessen verabredet gewesen und hatten uns bei unserem Italiener getroffen. An jenem Abend kam Vittorio uns bereits beim Betreten seines Lokals entgegen und war bestens gelaunt. Er umarmte Florian und klopfte ihm in italienischer Manier auf die Schulter, dann kam er auf mich zu und küsste mich zur Begrüßung spontan auf den Mund. Ich denke, das war eine ungeplante Aktion, die aus der Situation heraus entstanden war, aber Florian sah das ganz anders. Er rastete sofort komplett aus, ballte seine Rechte zur Faust und donnerte sie mir, ohne zu zögern, mitten ins Gesicht. Er traf meine Nase und der Schmerz schoss mir wie ein Blitz ins Gehirn. Ich verlor das Bewusstsein. Micki erzählte mir später, dass ich Glück gehabt hatte, da ich direkt in die Arme eines, am Nebentisch sitzenden Mannes gefallen war. Keine Ahnung was sonst passiert wäre. Melanie war im Krankenwagen mitgefahren und hielt die ganze Zeit meine Hand. Naja, zum Glück war mein Nasenrücken nicht gebrochen, sonst würde ich heute vermutlich anders aussehen“.

Sie grinste schräg, aber Sabine konnte den Schmerz der Erinnerung in ihrem Gesicht ablesen.

„In dieser Nacht fasste ich meinen Entschluss. Ich beendete unsere Beziehung. Viel zu spät, ich weiß, aber besser spät als nie. Von Micki weiß ich, dass Florian spät in der Nacht zu ihm nach Hause gekommen war und bereits tags darauf in eine Klinik am Tegernsee gegangen ist. Seither habe ich von ihm kein Lebenszeichen mehr erhalten. In der folgenden Woche habe ich meine persönlichen Dinge aus unserer Wohnung geholt und Micki den Schlüssel gegeben. Ich habe ihm gesagt, ich wolle keinen Kontakt mehr zu Florian und zog zu meinen Eltern. Es dauerte zwei Monate bis ich wieder am Leben teilnehmen konnte. Mein Vater hatte zwischenzeitlich ein schönes Haus gefunden, das ich mieten konnte. Eine alte Villa, direkt in Utting, am Ufer des Ammersees. Das war zwar täglich eine Fahrstrecke ins Geschäft, aber ich brauchte den Abstand zur Stadt und fand dort meine Ruhe.

Das folgende Jahr nutzte ich, um all das zu tun, was mir in der Beziehung mit Florian nicht gelungen war. Ich begann zu tauchen und lernte die Unterwasserfotografie, dann wagte ich den ersten Tandemsprung aus einem Flugzeug. Ich kaufte mir ein Motorrad und machte einen Kitesurfkurs in Holland. Währenddessen versuchte ich die Vergangenheit zu vergessen, oder zu verdrängen. Ich arbeitete wie eine Verrückte und konnte zum Glück bei meinen „alten“ Auftraggebern direkt anknüpfen und wurde mit den besten Jobs betraut. Zeit für Freunde blieb dabei keine. Dann, vor einem halben Jahr, hast du dich bei mir beworben und ich merkte zum ersten Mal, dass etwas fehlte in meinem Leben, nämlich jemand zum Reden. Ich weiß, wir haben in deiner Probezeit keinen privaten Kontakt gepflegt, aber das wollte ich nicht riskieren. Ein halbes Jahr ist zu kurz. Dass ich mich dir hier anvertraue, ist vermutlich auf die außergewöhnliche Situation, hier an Bord der Seadream zurückzuführen. Und weißt du was? Ich bin sehr froh, dass du da bist“.

Sabine fiel Jenny um den Hals und heulte los wie ein kleines Kind. Jenny konnte nicht anders, als auch zu weinen. Der Moment war sehr emotional.

„Danke fürs Zuhören“.

„Danke dafür, dass du es mir erzählt hast. Ich werde dein Vertrauen nicht missbrauchen, das verspreche ich dir“.

„Ich weiß“, sagte Jenny und schnäuzte sich die Nase.

WENN DER HIMMEL SICH VERFÄRBT...

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