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Kapitel 33 Therapie – Rottach Egern

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Weitere sechs Monate vergingen, in denen Florian in unzähligen Sitzungen mit Dr. Schreiber sein eigenes Ich erforschte, um herauszufinden an welchem Punkt in der Vergangenheit er falsch abgebogen war. Immer wieder kam er an denselben Punkt.

Anfangs hatte er Jenny als Engel gesehen, als sein Ein und Alles.

Im Laufe seiner Erzählungen jedoch, hatte sich sein Bild von ihr, in das eines Feindes gewandelt. Fortan sah er in all ihren Taten etwas Hinterhältiges, gar etwas Vernichtendes. Er vertraute ihr nicht mehr. Seine Ängste wuchsen von Tag zu Tag, und als er ihr sagte, dass er Bescheid wusste, hatte sie geweint und alles geleugnet. Sie hatte es förmlich abgestritten. Anfangs hatte sie noch versucht ihn zu bezirzen und ihn mit Zuneigung abzulenken und vom Gegenteil zu überzeugen, aber er war nicht dumm. Er hatte kapiert, dass das nur ein billiger Versuch gewesen war, ihn ein weiteres Mal zu betrügen. Sie hatte ihn ausgelacht, woraufhin er sie geschlagen hatte. Das würde sie schon zur Vernunft bringen, hatte er gedacht. Aber sie flüchtete zu ihren Eltern. Eine Woche später war sie zurückgekommen. Sie war einsichtig und hatte ihm versprochen sich zu bessern. Doch das tat sie nicht. Bei einem gemeinsamen Abendessen in der Trattoria, hatte Vittorio sie in den Arm genommen und geküsst, als wäre sie eine billige Nutte, und sie hatte es lachend zugelassen.

Danach kam der Filmriss.

Das Nächste, woran er sich erinnerte, war, wie er spät an jenem Abend bei Micki zu Hause aufgekreuzt war.

Micki hatte ihm Vorwürfe gemacht und erklärt, dass er nur mit aller Mühe Vittorio davon abhalten konnte, Anzeige zu erstatten. Die Bedingung war, dass er sich einer Therapie unterzog.

So kam es, dass er am darauffolgenden Tag die Klinik Schöne Au in Rottach Egern aufgesucht hatte.

Bei einer späteren Routinebefragung durch die Polizei hatte Micki ausgesagt, dass Florian direkt nach dem Vorfall in der Trattoria zu ihm nach Hause gefahren war um dort die Nacht zu verbringen.

Erst vor kurzem hatte Florian begonnen die Realität zu erkennen. Er hatte seine Geschichte wieder und wieder erzählt, und Dr. Schreiber hatte ihm stets aufmerksam dabei zugehört. Er vermerkte sich hier und da etwas, auf seinen ominösen Notizblättern und stellte immer wieder Fragen, wie:

„Was denken sie, hat Jennifer dazu veranlasst, sie zu belügen“?

„Warum denken sie, ist Jennifer, obwohl sie sie betrog, bei ihnen geblieben“?

„Wieso glauben sie, hat Jennifer sie am Ende verlassen“?

Florian drehte sich der Kopf. Er konnte sich in diesen Momenten oft gar nicht mehr konzentrieren, doch Dr. Schreiber half ihm weiter:

„Versuchen sie, das Ganze einmal aus der Perspektive eines Dritten, eines neutralen Beobachters zu betrachten und erzählen sie mir die Geschichte erneut“.

Florian erzählte die Geschichte immer wieder, bis der Moment gekommen war, in dem er zu begreifen begann.

Er erkannte, dass Jennifer ihn niemals beschimpft hatte, ihn nie angeschrien hatte, für ihn gekocht, geputzt und eingekauft hatte, ihn nach einem seiner Anfälle, in den Arm genommen und weinend gestreichelt hatte, bis er eingeschlafen war, am Morgen darauf das Frühstück für ihn bereitet hatte und wieder für ihn da war, so als wäre nichts vorgefallen. Er konkludierte, dass sie all dies nur aus einem Grund hatte tun können, nämlich aus Liebe. Es gab keine andere Erklärung dafür.

Dr. Schreiber hatte ihm die Aufgabe gestellt, eine alternative Interpretation zu suchen, aber ihm war keine eingefallen und als er das begriffen hatte, traf ihn die gesamte Wahrheit mit solcher Wucht, dass er zusammengebrochen war und eine Woche lang in seinem Bett gelegen, nichts gegessen und jegliches Gespräch verweigert hatte. Der Schmerz der Erkenntnis war zu groß gewesen.

Immer wieder durchlebte er das Geschehene und jedes Mal wenn er kurz davor war glücklich mit Jenny in seinen Gedanken einzuschlafen, produzierte seine Erinnerung Bilder davon, wie er sie schlug, ohrfeigte, anschrie und peinigte. Er fühlte die Schmerzen, die er ihr zugefügt hatte, an seinem eigenen Körper wieder. Sein Herz schien seinen Brustkorb zerreißen zu wollen, als ihm klar wurde, dass er ihr Leben zerstört hatte und dadurch auch sein Eigenes. Er bekam hohes Fieber und musste an den Tropf. Eine Woche später hatte er nach Dr. Schreiber verlangt.

„Hören sie, Doktor. Ich denke, ich habe endlich begriffen, was mit mir los war. Ich habe kapiert, dass ich die Ursache, und somit verantwortlich für die gesamte Situation bin. Was kann ich tun, um wieder ein normales Leben zu führen? Bitte helfen sie mir“?

Dr. Schreiber hatte, wie immer, aufmerksam zugehört und erst einmal Zeit verstreichen lassen, jedoch flackerte für einen kurzen Moment ein triumphierendes Strahlen in seinen Augen auf.

Mit ruhiger Stimme antwortete er:

„Mein lieber Herr Schneider. Ich bin sehr glücklich, diese Worte von ihnen zu hören. Sie sind der Beleg dafür, dass sie auf dem Weg der Genesung sind. Die Selbsterkenntnis ist in Fällen wie dem ihren, der wichtigste Schritt, um wieder gesund zu werden, denn nur mit dem Wissen und dem Verständnis für die eigene Schwäche, werden sie in der Lage sein, diese zu besiegen“.

Mit einem zufriedenen Lächeln hatte er den Raum verlassen.

Dies lag nun drei Monate zurück.

Seither hatte Florian riesige Fortschritte gemacht. Er hatte im Dialog mit Dr. Schreiber die Geschichte seiner Vergangenheit aus der Perspektive von Micki, Jenny und einer fiktiven, dritten Person erzählt. Jedes Mal endete er mit tränenüberströmtem Gesicht und demselben Ergebnis. Dr. Schreiber insistierte fast täglich darauf, dass Florian ihm die Geschichte zu Ende erzählte, so sehr ihn das auch schmerzte. Diese Methode erschien ihm für Florian die Richtige zu sein.

Nur eines hatte nicht geklappt.

Die Gedächtnislücke, zwischen seinem Ausraster in der Trattoria und seinem Aufkreuzen bei Micki spät in der Nacht, zu schließen.

Sieben Stunden, in denen er weiß Gott was hatte anstellen können, waren einfach aus seinem Gedächtnis, aus seinen Erinnerungen gelöscht.

WENN DER HIMMEL SICH VERFÄRBT...

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