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DER WEG DER GEWÜRZE WELTWEIT

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Manche Gewürze haben einen langen Weg hinter sich, einige wurden um die halbe Welt getragen. In vielen Gewürzen steckt eine ganze Menge Geschichte.


1 Basilikum: Indien. Nach: Südostasien, Ägypten, Europa (Antike, Mittelalter).

2 Brunnenkresse: Nordostafrika. Nach: Europa (Mittelalter, arabische Händler).

3 Chili: Mexiko, Karibik. Nach: Europa (16. Jh.). Von dort: Afrika, Asien (16. Jh.).

4 Estragon: Russland. Nach: Frankreich (Mittelalter).

5 Gartenkresse: Persien. Nach: Europa (Mittelalter, arabische Händler).

6 Gewürznelken: Molukken. Nach: Asien (1. Jt. v. Chr.). Griechenland (4. Jh. v. Chr., Alexander). Niederlande (17. Jh., V.O.C.). Île Bourbon (18. Jh., Pierre Poivre).

7 Ingwer: Südchina. Nach: Südostasien. Von dort: Madagaskar, Indien, Afrika, Griechenland, Rom (Antike, Alexander). Von dort: Europa (Rom, arabische Händler). Von dort: Amerika (16. Jh., Seefahrt). Von dort: Australien (19., 20. Jh.).

8 Kapuzinerkresse: Ecuador, Peru. Nach: Europa (16. Jh., Entdeckungsfahrten).

9 Kardamom: Sri Lanka. Nach: Babylon, Ägypten, Rom (8. Jh. v. Chr., Handel).

10 Knoblauch: Kasachstan. Nach: Persien, China, Ägypten (Altertum). Von dort: Rom. Von dort: Mitteleuropa, Balkan (Antike, Ausdehnung Roms).

11 Langer Pfeffer: Nordindien. Nach: Griechenland (4. Jh. v. Chr., Alexander). Europa (20. Jh., wiederentdeckt).

12 Muskat: Banda. Nach: Indien (4. Jh. v. Chr.). Von dort: China (1. Jh., Handel). Nach: Europa (17. Jh., Portugal, V.O.C.), Mauritius, Karibik (18. Jh., Poivre, BEIC).

13 Piment: Jamaika. Nach: Europa (15. Jh., Kolumbus).

14 Pfeffer: Malabarküste. Nach: Java. Von dort: Malaysia, Borneo, Sumatra, Sri Lanka, Singapur, Vietnam, Thailand. Nach: Griechenland, Rom (4. Jh. v. Chr., Alexander). Venedig (Mittelalter, venezianische und arabische Händler).

15 Rosa Beeren: Brasilien. Nach: USA, Europa (20. Jh.)

16 Sesam: China. Nach: Ägypten, Griechenland, Rom (Antike). Von dort: Osmanisches Reich (Mittelalter).

17 Sternanis: Vietnam. Nach: China (15. Jh.). Von dort: Europa (arabische Händler).

18 Vanille: Mittelamerika, Antillen. Nach: Spanien (15. Jh., Kolumbus), Frankreich. Von dort: Île Bourbon (19. Jh., Schmuggel). Nach: Seychellen, Indonesien, Madagaskar (19. Jh., Kolonisten).

19 Zitrone: Himalaya. Nach: Alexanderreich (4. Jh. v. Chr.). Von dort: Spanien (Mittelalter, Mauren).

20 Zitronenmelisse: Kaukasus. Nach: Mittelmeerraum, Mitteleuropa (Mittelalter).

21 Zwiebel: Sibirien. Nach: China, Japan. Von dort: Persien, Ägypten (1. Jt. v. Chr., Handel). Von dort: Griechenland (4. Jh. v. Chr., Alexander), Mitteleuropa (1. Jh., Rom).

KLASSISCHE HANDELSWEGE

A Landhandelsroute (Antike bis Mittelalter) Indien, Indus, Afghanistan, Persien, Kleinasien, Alexandria (Antike), Konstantinopel (Mittelalter)

B Seehandelsroute (Antike bis Mittelalter) Singapur, rund um Afrika, Lissabon, Venedig

C Seehandelsroute (Mittelalter bis Frühe Neuzeit) Singapur, rund um Afrika bis Lissabon, London, Rotterdam, Hamburg, Venedig

Das erste Kochbuch der Renaissance thematisiert diese neue Herangehensweise an die Ernährung. Bartolomeo Sacchi, genannt Platina, veröffentlichte 1474 eine Sammlung von Rezepten, die auf der Grundlage der Vier-Säfte-Lehre beruhte und mit moralischen und diätischen Tipps antiker Experten versehen war: „De honesta voluptate et valetudine“ (Von der ehrlichen, ziemlichen, auch erlaubten Wollust des Leibs) avancierte zu einem wahren Verkaufsschlager und wurde in viele Sprachen übersetzt, ins Deutsche 1542. Es war die erste mittelalterliche Philosophie des Essens. Wer es sich leisten konnte, kochte mit seinem „Platina“. In den Rezepten wird nach wie vor reichlich gewürzt – zum Beispiel mit Safran, Pfeffer, Zimt und Nelken. Ebenfalls erwähnt werden Rosinen, Dörrpflaumen und Trauben, woran man den bleibenden Einfluss der arabischpersisch-islamischen Küche erkennt. Zwischen süß und herzhaft wurde noch nicht immer unterschieden. Stattdessen wurde fast alles gezuckert – ein Indiz dafür, dass sicherlich nur begüterte Haushalte diese Rezepte nachkochen konnten, denn Zucker war nach wie vor sehr teuer.

Ein Rezept aus dem „Platina“ für „Lombardische Suppe“: „Nimm Rüben oder Spinat, schneide sie klein und wasche sie. Gib das Gemüse dann mit frischer Butter und Wasser in einen Topf und füge gleich einen Zweig wohlriechenden Krautes bei. Ist das Gemüse gekocht, so gieße das Ganze in ein irdenes Gefäß, gib geriebenen Parmesan- oder Fettkäse hinzu und würze mit Pfeffer, Zimt, Nägelein [Nelken], Safran und Traubensaft und füge auch genügend rohe Eier bei. Wird die Suppe zu dünn, so gib geriebenes Brot hinzu, wird sie zu dick, so füge frische Butter bei.“ Das „wohlriechende“ Kraut kann alles Mögliche gewesen sein, je nach Verfügbarkeit: Thymian, Basilikum oder auch Petersilie oder Kerbel.

Mit dem Übergang zur Frühen Neuzeit dehnte sich das europäische Einflussgebiet schlagartig aus. Auf der Suche nach der Westroute Richtung Indien hatte Kolumbus 1492 Amerika entdeckt – er und nachfolgende spanische Entdecker brachten von dort neue Speisen und Gewürze mit nach Europa. Kartoffeln oder Tomaten stießen nicht sofort auf große Gegenliebe, lediglich die neuen Heißgetränke Kaffee, Tee und Kakao konnten sich schnell durchsetzen. Sie hatten den Vorteil, dass sie zunächst als medizinische Getränke eingeführt wurden. Der Chili hingegen fand keinen Anklang: Die Europäer blieben beim erschwinglich gewordenen Pfeffer und kultivierten Chili lediglich als Zierpflanze. Allerdings brachten die europäischen Kolonialisten ihn nach Afrika und Asien, wo er schnell als preisgünstiger Scharfmacher akzeptiert und zum wesentlichen Bestandteil der regionalen Küchen wurde. Eine wichtige Rolle spielte dabei der portugiesische Handelsstützpunkt in Goa: Über Indien fanden die Chilipflanzen ihren Weg nach China. Im 16. Jahrhundert eröffneten die Portugiesen schließlich erste Handelsposten in China selbst. Tomaten, Mais, Erdnüsse und Kartoffeln reisten so buchstäblich um die halbe Welt und wurden zum Teil vollkommen von den jeweiligen Länderküchen assimiliert: Heutzutage sind Erdnüsse und Chilis eng mit der traditionellen asiatischen Küche verbunden.

Die Osmanen wiederum verbreiteten den Gebrauch des Chilis in Osteuropa und Westasien. Sie brachten ihn letztlich auch nach Ungarn und auf den Balkan, wo er im Laufe der Zeit zum milden Paprika umgezüchtet wurde. Ein anderes Mitbringsel von Kolumbus wurde in Europa dagegen schnell als Universalgewürz populär: Piment, das in Großbritannien bis heute den bezeichnenden Namen „Allspice“ trägt. Mit ihm wurde zum Beispiel gern die neue Schokolade aromatisiert – oder mit der ebenfalls neuen, in gehobenen Kreisen sehr beliebten Vanille.

VIERSÄFTELEHRE


Die „Viersäftelehre“ nach dem spätantiken Arzt Galen (Galenos von Pergamon). Die vier Körpersäfte (Gelbe und Schwarze Galle, Blut, Schleim) wurden mit vier Temperamenten, den vier Elementen und weiteren Bereichen in Verbindung gesetzt. Bei einem gesunden Menschen befinden sich die Säfte im Gleichgewicht. Die Aufgabe eines Arztes war, ein Ungleichgewicht der Säfte zu korrigieren – auch und vor allem durch die Ernährung. Platina griff die Idee auf und verband sie mit kulinarischen Überlegungen.

Der Portugiese Vasco da Gama entdeckte 1498 den Seeweg nach Indien und kehrte voll beladen mit Pfeffer und Zimt von der Malagaküste zurück. Nur zwanzig Jahre nach der Entdeckung Amerikas stießen portugiesische Seefahrer auch auf die von arabischen Händlern lange geheim gehaltenen „Gewürzinseln“, die Molukken. Die heute zu Indonesien gehörende Inselgruppe befindet sich zwischen den Inseln Sulawesi und Neuguinea. Nun konnten zunächst die Portugiesen die Preise für Gewürznelken und Muskat diktieren, sie blieben jedoch nicht lange ungestört: In den folgenden Jahrhunderten entbrannten um die Vorherrschaft in der Region blutige Gewürzkriege zwischen Portugal, Spanien und den Niederlanden. Hauptleidtragender war dabei immer die indigene Bevölkerung, die ausgerottet oder zwangsumgesiedelt wurde. Statt über den Landweg wurden Gewürze nun ohne Zwischenhändler übers Meer transportiert, was sie wesentlich günstiger machte. Echter Schwarzer Pfeffer, Zimt und Kardamom wurden in Massen aus Indien direkt eingeführt, Paradieskörner aus Afrika. Ingwer, Langer Pfeffer, Paradieskörner und Kubebenpfeffer gerieten als nun nicht mehr benötigte „Ersatz-Pfeffer“ in Vergessenheit.

Gewürze wurden jetzt nicht mehr ausschließlich über Apotheken verkauft, sondern über einen neuen Berufsstand, den Gewürzkrämer. Für den Nürnberger Raum wurde ein erster feldmäßiger Anbau von Gewürz- und Heilpflanzen außerhalb der Kloster- und Privatgärten ab dem 17. Jahrhundert nachgewiesen: Fenchel und Majoran, später Anis und Koriander wurden dort in großen Mengen angepflanzt. Zucker war nun ebenfalls leichter verfügbar: Zum einen produzierten die Plantagen in der Neuen Welt immer mehr davon, und zum anderen wurde 1747 ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe Zucker auch aus den heimischen Zuckerrüben gewonnen werden konnte. Der europäische Zuckerkonsum explodierte infolgedessen regelrecht und führte erstmals zu einer Unterscheidung zwischen „süßen“ und „herzhaften“ Gerichten: Man süßte jetzt weniger umfassend, aber intensiver. Etwa zu dieser Zeit, Mitte des 18. Jahrhunderts, wurde auch die Mayonnaise erfunden – benannt nach der menorquinischen Stadt Mahón.

Obwohl er kein Rezept dafür hinterlassen hat, gilt La Varenne als der Erfinder von Duxelles: Einer Füllung aus gehackten Champignons, Schalotten und Zwiebeln, die in Butter gedünstet werden. Sie dienen wiederum als Grundlage für die mit Weißwein aufgekochte Duxellessauce. Von La Varenne stammt auch das Rezept zu Boeuf à la mode (gespickter und in Cognac eingelegter Rinderschmorbraten) sowie Rezepte für luftigen Blätterteig.

Viele Gewürze waren im Laufe der Renaissance so günstig geworden, dass sie für die Oberschicht – adelig oder nicht – kein Statussymbol mehr darstellten. Allein Muskatnüsse wurden durch das Monopol der Niederländer noch im 17. Jahrhundert regelrecht mit Gold aufgewogen. Erst um 1770 gelang es Pierre Poivre, Samen und Stecklinge von Gewürznelke und Muskatnuss von den Gewürzinseln zu schmuggeln und erfolgreich auf den französischen Inseln Mauritius und La Réunion anzupflanzen.

La Réunion, früher Île Bourbon, sollte im 19. Jahrhundert noch für ein anderes Gewürz bekannt werden: die Vanille. Die dorthin geschmuggelten Stecklinge bildeten zunächst keine Schoten. Nachdem der belgische Botaniker Charles Morren das Geheimnis der Bestäubung entdeckt und der Plantagensklave Edmond Albius im Jahr 1841 eine Methode für die künstliche Bestäubung entwickelt hatte, war ein weiteres Monopol gefallen: Die Insel Île Bourbon löste Mexiko als größten Vanilleexporteur ab.

Auf der Suche nach neuen Raffinessen, die exklusiv der Oberschicht vorbehalten waren, entstand in Europa erstmals seit der Antike ein gebildeter Diskurs über das Kochen. Man setzte sich von der „arabischen“ Küche des Mittelalters ab, womit man alles bezeichnete, was stark gewürzt war. Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts entwickelten sich erste Ansätze einer neuen europäischen Küche, die vor allem den Eigengeschmack der Lebensmittel betonte und sich beim Würzen erstmals zurückhielt: die klassische „Haute Cuisine“, wie sie später genannt werden sollte. Die französische Küche mit ihrem Vorkämpfer François-Pierre de La Varenne (1618–1678) wurde stilprägend in ganz Europa, sie galt als Synonym für guten Geschmack. Das sollte sich auch in den kommenden Jahrhunderten nicht ändern.

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Ein siebenpfündiger Kapaun, gefüllt mit Trüffeln von Périgord bis zur völligen Kugelgestalt.

Eine ungeheure Straßburger Gänseleberpastete, wie die Vision eines Festungsturmes.

Ein großer Rheinkarpfen à la Chambord, schön und reich serviert.

Getrüffelte Wachteln mit Ochsenmark, auf Toast aux basilie.

Ein gespickter Flußhecht, farciert, in Krebssauce nach allen Regeln der Kunst.

Ein Fasan auf seiner Höhe, als Toupet gespickt, auf einer Bratröste serviert à la Sainte-Alliance.

Hundert Spargel von 5 Zentimeter Durchmesser, Primeurs, in Fleischbrühensauce.

Eine Pyramide von mit Vanille gefüllten Baisers. (Letzteres nur für Damen und Herren mit Abbé-Beinen.)

Reaktion: „Ah, Monseigneur! Was für ein Juwel von Koch! Solche Finessen findet man nur bei Ihnen!“

DIE REGENTSCHAFT DER FRANZÖSISCHEN HOCHKÜCHE

Trotz La Varennes Forderungen nach Zurückhaltung beim Würzen setzte sich die Haute Cuisine in den gehobenen Kreisen zunächst nur langsam durch. Die „Unsitte“ des Überwürzens und das Auftischen riesiger Mengen war noch immer weit verbreitet, man wollte bei seinen Gästen Eindruck schinden wie früher die Aristokratie. Inzwischen wirkten jedoch – ganz wie im alten Rom und in China – „Intellektuelle“ dieser Tendenz entgegen. Von Jean Anthèlme Brillat-Savarin (1755–1826) erschien 1826 posthum die „Physiologie du goût ou méditations de gastronomie transcendante“ (Physiologie des Geschmacks oder Betrachtungen über das höhere Tafelvergnügen, 1865). Darin schreibt er: „Ich meinerseits bin vollständig überzeugt, dass ohne Teilnahme des Geruchs keine vollständige Geschmacksempfindung stattfinden kann [...] Verhindert man den Geruch, so lähmt man den Geschmack.“ Eine ebenso simple wie bahnbrechende Beobachtung: Wie man heute weiß, hatte er ganz richtig vermutet ( Ein Fest für die Sinne, Seite 6). Köstlich und vermutlich durchaus repräsentativ, wenn auch in satirisch-kritischer Zuspitzung, sind Brillat-Savarins Menübeschreibungen, etwa für ein reiches Haus ( siehe links).

Endgültig räumte mit dieser Art der opulenten, auf Showeffekte setzenden Küche Ende des 19. Jahrhunderts Auguste Escoffier auf, der „Koch der Könige und König der Köche“. Er vereinfachte die komplizierte französische Küche und machte sie bekömmlicher. Dabei nahm er auch neue internationale Einflüsse auf, zum Beispiel das aus umgezüchteten Chilischoten erzeugte milde Paprikapulver aus Ungarn in seinem berühmten „Paprikahuhn“. Escoffier war auch Küchen-Praktiker: Er erfand die „Posten“ und rationalisierte so die Arbeit in großen Hotelküchen. Diese zwar nicht mehr überladene, aber immer noch sehr prächtige „Grande Cuisine“ ging einher mit der Belle Époque in Europa und den USA. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs sollte auch sie enden, denn abgesehen von der generell knappen Versorgungslage konnte sie sich kaum noch jemand leisten.

ESCOFFIERS POSTEN

Escoffier revolutionierte die Küche auch organisatorisch, indem er Spezialisten jeweils ein bestimmtes Aufgabengebiet zuwies: Küchenchef war der „gros bonnet“, erkennbar an seiner übergroßen Chefmütze. Der „chef saucier“ war für die (damals) so entscheidenden Jus und Fonds der Saucen zuständig, der „entremettier“ für Suppen, Gemüse und Nachspeisen, der „rotisseur“ für das Fleisch, der „garde-manger“ für Beilagen und kalte Speisen und schließlich der „patissier“ für alle Nachspeisen und Süßes. Solche Aufteilungen sind noch heute in großen Restaurantküchen üblich.

Zwischen den Weltkriegen und nach 1945 waren die Menüs der internationalen, französisch geprägten „Cuisine Bourgeoise“ simpler geworden: Aus Beilagen wurden eigenständige Gerichte, die Zubereitung und Würzung wurde insgesamt schlichter. Doch auch die Blütezeit dieser neuen „bürgerlichen Küche“ sollte nicht ewig währen, sie verlor sich wie schon die „Haute Cuisine“ des 19. Jahrhunderts in Dogmatismus, Starre und Langeweile. Darauf reagierte eine neue Generation von Köchen und Gourmetkritikern und erfand in den 1970er-Jahren die „Nouvelle Cuisine“. Ihre Vertreter forderten kürzere Garzeiten, ausschließlich marktfrische Zutaten und den Einsatz der neuesten Technik – inklusive Mikrowelle, Mixer und automatischer Garöfen. Doch auch die „klassische“ Nouvelle Cuisine à la Paul Bocuse wurde letztlich ein Opfer ihres eigenen Erfolgs, weil sie unzählige Nachahmer fand, die nur noch schwache Kopien ablieferten. Ihr Verdienst bleibt, den Fokus wirkungsvoll auf gesunde und frische Zutaten gelegt zu haben, sie hat neue Gewürze wie Rosa Beeren bekannt gemacht und den Weg für neue, ungewöhnliche Gewürzkombinationen wie Pfeffer zu Erdbeeren geebnet.

PFIRSICH MELBA

Escoffiers vielleicht populärste Kreation: Ein halber geschälter Pfirsich wird in Läuterzucker 15 Minuten sanft gekocht. Dann in eine Sektschale – Escoffier bestand auf einer aus Silber – auf Vanilleeis setzen, mit Himbeerpüree überziehen und mit Schlagsahne dekorieren. Dazu Waffeln servieren. Man kann auch noch Mandelsplitter darüber geben.

BÜRGERLICHE HAUSMANNSKOST IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT

Auch wenn sich die französische Haute Cuisine in gehobenen Kreisen durchsetzte, änderte das wenig an der Ernährung der breiten Masse in Europa. Hier bestimmten noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts regelmäßig auftretende Hungersnöte und bedrohliche Lebensmittelteuerungen den Küchenzettel. Die Mehrheit lebte von Getreide, Fleischgerichte waren den wohlhabenderen Schichten vorbehalten. Man verzehrte im 19. Jahrhundert viel weniger Obst und Gemüse als heute, vor allem fast nie frisch. Ihren Nährwert entdeckte man erst im 20. Jahrhundert, als man über Vitamine forschte. Einige neuartige Lebensmittel fanden jedoch langsam Zugang zu breiten Bevölkerungsschichten, etwa der Kaffee, wenn auch stark verdünnt. Gewürze spielten in dieser Zeit keine große Rolle, man nahm, was verfügbar und günstig war: Pfeffer, Salz und das eine oder andere Kraut wie Petersilie oder Dill, wenn es auf dem Markt angeboten wurde oder im eigenen Garten wuchs. Der Zugang war entscheidend: So wurde zum Beispiel in Hamburg, wo viele Importgewürze einfach zu bekommen waren, vielfältiger gewürzt als beispielsweise in Freiburg im Breisgau, das fernab des Welthandelsverkehrs lag.

Aroma - Die Kunst des Würzens

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