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AROMEN DER WELT

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Man kann die Weltkarte grob in Aromenregionen einteilen – je nach Verwendung bestimmter Grundzutaten wie Olivenöl, Sojasauce, Fischsauce, Knoblauch, Kokos oder Tomaten. Darüber hinaus lassen sich Gewürze und Kräuter definieren, die in bestimmten Regionen traditionell verwendet werden: z.B. der Kümmel in Mitteleuropa / Deutschland, das Basilikum in Italien/mediterraner Raum. Natürlich wird – mittlerweile – auch in Deutschland zum Beispiel mit Basilikum gewürzt – aber erst seit einigen Jahrzehnten.





Damals wie heute hing, was die Verwendung von Gewürzen betraf, natürlich auch viel von persönlichen Vorlieben oder der eigenen Weltanschauung ab. Bei Henriette Davidis, die mit ihrem „Praktischen Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche“ die populärste deutsche Kochbuchautorin der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, kommen auffällig wenige Gewürze vor. Immer wieder warnt sie davor, zu viel zu würzen. Im Zweifelsfall solle man das erwähnte Gewürz eher weglassen: „Das Übermaß an Zucker, Butter und Gewürzen macht die Speisen nicht wohlschmeckend, wohl aber benimmt es denselben das Feine und verdirbt manche gute Schüssel“, schreibt sie. Vor Pfeffer warnt Davidis ausdrücklich, da er der Gesundheit nicht zuträglich sei. Geschmack und Aroma sollten ihre Gerichte eher durch die Zutaten selbst bekommen – und immer wieder durch Butter, Sahne, Eidotter, Zwiebeln und Speck. Gerade in ihrem Anspruch auf Sparsamkeit und Verzicht wird deutlich, wie bekannt einstmals seltene, wertvolle Gewürze bereits in der Küche bürgerlicher deutscher Haushalte gewesen sein mussten. Ganz selbstverständlich nennt sie Muskatnuss, Nelken, Piment, Lorbeer und Essig, bei Süßspeisen häufig echte Vanille und Zimt. Ab und zu verwendet sie Schwarzen und Weißen Pfeffer, Kümmel, Zitronenschale und Zitronensaft, Kapern, Sardellen und Wacholder. Saucen werden mit Senf, Meerrettich, Kresse, Petersilie und Dill gewürzt, selten benutzt sie Estragon, Majoran und Knoblauch. Bis auf ein „Kräuterpulver zu Ragouts“, das aus Estragon, Basilikum, Rosmarin und Salbei besteht, ist nie von Rosmarin und Salbei die Rede, von Thymian nur bei den Pasteten. Die hin und wieder verwendete „englische Soja“ dürfte Worcestershiresauce gewesen sein, die seit 1837 erzeugt wurde. Man darf annehmen, dass vieles für die meisten Hausfrauen doch noch sehr exotische und keinesfalls günstige Zutaten waren, die es nicht alle Tage gab. Im großen Stil fanden exotische Gewürze erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts Einzug in die deutschen Küchen.

Das österreichische Gegenstück zu Davidis „Praktischem Kochbuch“ war das ebenfalls sehr einflussreiche Kochbuch der Grazerin Katharina Prato: „Die süddeutsche Küche“, erschienen 1858. Muskatnuss beziehungsweise Muskatblüte sind, wie bei Davidis, auch bei Prato Standardgewürze. Hier werden aber nicht nur mehr Gewürze genannt, sie spielen auch eine größere Rolle. Dem Thema wird sogar ein eigenes, wenn auch kurzes Kapitel gewidmet. Prato würzt mit Gewürznelken und Safran, sie empfiehlt immerhin, statt Zwiebeln die feineren Schalotten zu verwenden. An frischen Kräutern für Saucen nennt sie Petersilie, Kerbel, Bertram (Estragon), Kresse, Sauerampfer, Schnittlauch, Bohnenkraut und Pimpinelle. Aus der englischen Küche hat sie für ihr Ragout eine Art Currymischung mit Kurkuma, Koriander, Ingwer, Paprika, Kardamom, Paradieskörnern und Kümmel übernommen. Zucker und seine unterschiedlichen Aggregatzustände beim Erhitzen werden in einem eigenen Kapitel vorgestellt – hier kommt die österreichisch-mitteleuropäische Hingabe für Süßspeisen voll zum Tragen. Sie erwähnt auch Limonen und Pomeranzen, Rosenzucker und Vanilleschoten, außerdem Pinienkerne, Rosinen, Pistazien und allerlei Nüsse. Sogar Citronat und Arancini kommen vor. Süßspeisen und süße Saucen werden von Prato häufig mit den verschiedensten Fruchtsäften aromatisiert. Wichtig als Würze sind auch ihre „feinen Kräuter“, eine Mischung aus Schalotten, Champignons und Petersilie, in Butter gedünstet. Außerdem erwähnt sie immer wieder einen Fleischextrakt – damit sind die ersten Brühwürfel gemeint.

Schon um 1800 hatten französische Chemiker erstmals durch Eindampfen von Fleischbrühe zu Mus „Bouillontafeln“ hergestellt. Sie dienten als Schiffsproviant und als Nahrung für Kranke und Genesende. 1847 entwickelte der deutsche Chemiker Justus Liebig die Fleischbrühe weiter und stellte bald in Zusammenarbeit mit dem Unternehmer Georg Christian Gilbert „Liebigs Fleisch-Extract“ her: Massenweise erzeugt in Uruguay, wo es billiges Rindfleisch gab, fand diese günstige Alleswürze weltweit Eingang in die bürgerliche Küche. Der Schweizer Julius Maggi produzierte Ende des 19. Jahrhunderts seine Maggi-Würze und Suppenwürfel. Seine Würze stellte vergleichbar mit der damals schon populären englischen Worcester-shiresauce eine „Allzweckwaffe“ in der Küche dar, die einen umami-Geschmack erzeugt: Das Essen schmeckt „würzig, herzhaft, nach Fleisch“, auch wenn kein teures Fleisch drin ist. „Entdeckt“ und benannt wurde die Geschmacksrichtung „umami“ allerdings erst 1908, vom japanischen Chemiker Ikeda Kikunae.

Die Chemie hatte also im 19. Jahrhundert begonnen, sich mit unserer Ernährung und unseren Lebensmitteln zu beschäftigen. Vitamine, Nährwerte und ihre Bedeutung für den Menschen wurden entdeckt und erforscht und die neuen Erkenntnisse prompt in der Lebensmittelindustrie aufgegriffen: Der Bielefelder Apotheker Dr. August Oetker entwickelte und verkaufte den chemisch modifizierten Malzextrakt „Backin“ als Backpulver – und revolutionierte damit die Küche deutscher Hausfrauen. Zum Kuchenbacken brauchten sie keine heikle Hefe mehr und sie kamen mit kleineren Öfen aus. Das entsprach den überwiegend engen Küchen in den städtischen Ballungsräumen. In Dresden stellte Dr. Naumann seit 1872 „Gewürzextracte“ her, indem er Gewürze in Spiritus und Wasser einlegte – hier wurde die Alkohollöslichkeit vieler ätherischer Öle erstmals bewusst genutzt. So konnte er aus Pfeffer, Piment, Zimt, Ingwer, Nelkenwurz, Vanille, Paprika, Muskatnuss, Safran oder Zitronenschalen lange haltbare flüssige Gewürzextrakte oder auch Gewürzsalze herstellen. Um 1900 verkaufte er 57 einfache Gewürzextrakte, 50 Gewürzextrakt-Kompositionen und zehn verschiedene Gewürzsalze. Ein zeitgenössisches Kochbuch für die bürgerliche Küche von Emma Allenstein (1884) verwendet diese Gewürzextrakte als Alternative zu Naturgewürzen. Auch in die Gastronomie fanden diese Extrakte Eingang.

Gegen Ende des 19. und im frühen 20. Jahrhundert stieg der Verbrauch an Gewürzen in den bürgerlichen Haushalten der größeren Städte. Seltene und teure Kolonialgewürze wie Vanille, Zimt, Muskat wurden vom Luxusartikel zu eher alltäglichen Würzmitteln. Die Scharfmacher-Variationen Paprikapulver und Cayennepfeffer begannen, dem Schwarzen und Weißen Pfeffer Konkurrenz zu machen. Paprikapulver wurde auch dem immer populäreren englischen Curry beigemischt. Gleichzeitig stieg die Neugier des städtischen Publikums auf noch exotischere Gewürze. Auf der Pariser Weltausstellung 1900 boten viele orientalische und asiatische Restaurants in Europa bislang unbekannte Spezialitäten und Würzungen an wie Szechuanpfeffer, Fischsauce, Galgant, verschiedene Chilisorten oder Kreuzkümmel, Sesam und Bockshornkleesamen. Der Großteil der Bevölkerung – vor allem im ländlichen Bereich – ließ sich allerdings erst in den 1920er Jahren für die vielen neuen Gewürze begeistern. Dazu trug letztlich auch bei, dass bedeutende Gewürzhändler wie McCormick, Daamhouver oder Noel‘s Gewürze erstmals nicht mehr lose, sondern in Gläsern und Tütchen verkauften – was für den Konsumenten viel bequemer war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte zunächst Schmalhans in den Küchen: Es gab in den späten 1940er-Jahren fast alles als „Ersatz“, als künstliches Aroma, auch Nahrungsmittel und Würzzutaten wie Butter, Zucker oder Rum. Insgesamt werden in frühen Nachkriegsrezepten – ob Ost oder West – wieder die üblichen Verdächtigen verwendet: Senf, Majoran, Muskat, Pfeffer, Salz, Petersilie, Dill, Schnittlauch, Butter oder Margarine.

Das änderte sich, als mit den Wirtschaftswunderjahren, den Urlaubsreisen und der Ankunft von „Gastarbeitern“ zumindest in Westdeutschland ausländische und exotische Geschmacksvorlieben langsam populär wurden: Basilikum und Oregano kamen aus Italien, Ketchup, Steaksaucen, Raucharomen eines Barbecues und Chili aus den USA, die reichliche Verwendung von Knoblauch aus der griechischen oder jugoslawischen Küche, Kreuzkümmel, Minze und der üppige Einsatz von frischer Petersilie gelangte über die türkische und arabische Küche nach Deutschland. Durch die Einführung der geschlossenen Kühlkette und Neuerungen wie dem privaten Kühlschrank konnten erstmals auch frische Kräuter mitten in Ballungszentren angeboten werden. In den 1970er- und 1980er-Jahren entdeckten die Europäer die Geheimnisse der asiatischen Küchen: frischen Ingwer, Soja- und Fischsaucen. Die indische Küche mit Nigella, Bockshornklee, Koriander, Curryblättern, Kardamom war in Großbritannien schon lange bekannt – aber lange Zeit nur dort. Die chinesische und japanische Küche lernten die Europäer über US-amerikanische Vermittlung kennen: In New York, Chicago oder San Francisco waren „Chop Suey“ und Sushi bereits früher populär. Wenn es hingegen in der DDR international sein sollte, durfte der Blick nur nach Osten, Südosten und Kuba gehen. So hatte die scharfe und knoblauchlastige Balkanküche etwa auch in der DDR ihre Freunde – nicht heimische Gewürze waren allerdings fast ausschließlich in sogenannten Delikatläden erhältlich.

Aroma - Die Kunst des Würzens

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