Читать книгу Aroma - Die Kunst des Würzens - Thomas Vierich - Страница 6

WÜRZPRAXIS

Оглавление

Wie können wir abwechslungsreicher und gezielter würzen und abschmecken, so dass ganz bewusst gewollte Assoziationen entstehen? Gibt es dabei so etwas wie eine einheitliche Harmonielehre?

Zumindest ist eine gute Kenntnis von Gewürzen, Kräutern, Schlüsselaromen und etwas Chemie sehr hilfreich – sie kann sogar essenziell sein. Nachdem im ersten Kapitel gezeigt wurde, inwiefern sich Geschmacksrichtungen und Duftgruppen unterscheiden und einteilen lassen, geht es nun direkt um die Würzpraxis am eigenen Herd. Wie können wir gezielt die Grundgeschmacksrichtungen beeinflussen, trigeminale Reize wie zum Beispiel Schärfe gekonnt einsetzen und schließlich das Ganze mit Hilfe von Düften systematisch verfeinern? Die Möglichkeiten scheinen fast unbegrenzt, wenn man einige ebenso einfache wie effektive Prinzipien beherzigt. Lassen wir Tradition und Experiment in unseren Kochtöpfen zusammenfinden!

WÜRZEN MIT REIZEN: GESCHMACK, SCHMERZ UND DUFT

Beim Würzen und Abschmecken muss unterschieden werden, ob der Geruchssinn angesprochen werden soll oder ob man das Geschmackserlebnis beeinflussen will. Beides sind verschiedene Dinge. Obwohl im Alltag meist pauschal vom „Geschmack“ der Speisen und Zutaten die Rede ist, bezeichnet dieses Wort eigentlich nur die Grundgeschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, bitter und umami – unklar ist noch, ob auch fettig dazuzählt ( Die Grundgeschmacksrichtungen, Seite 10). Sie können auf der Zunge wahrgenommen werden – und nur dort: Zucker oder Salz riechen nach nichts. Gerüche wiederum existieren in sehr großer Zahl, können aber nicht auf der Zunge geschmeckt werden: Ein Essen mit zugehaltener Nase wirkt fade ( Geruchssinn und Aromen, Seite 18). Schließlich existiert noch eine dritte Empfindung beim Essen: Temperaturreise, die im Mund als „Schärfe“ oder „Kühle“ wahrgenommen wird ( Seite 13, 50).

In jedem dieser drei Bereiche gibt es einige Grundregeln sowie jede Menge Tricks, die in der Sterneküche angewandt werden, aber auch zu Hause zu erstaunlichen Ergebnissen führen – und zwar oft auf recht einfachem Weg. In diesem Kapitel wird gezeigt, mit welchen Zutaten, Mitteln und Techniken man etwa süßt, salzt, säuert, bittert – oder wie aufdringliche Geschmacksnoten oder Geschmacksspitzen maskiert werden können, damit ein ausgewogener Gesamteindruck entsteht. Außerdem wird der richtige Einsatz trigeminaler Reize vorgeführt. Hinter diesem Begriff verbergen sich nämlich wichtige sinnliche Komponenten eines kulinarischen Erlebnisses, angefangen vom leichten Brennen, das Petersilie auslöst, bis hin zum pelzigen Zungengefühl, das man vom Genuss eines guten Rotweinseiner Tasse grünen Tees oder beim Kauen eines Walnusskerns kennt. Die dafür verantwortlichen Moleküle gehören nach der Einteilung dieses Buchs zur achten Gruppe, die im Lexikon an der Farbe Petrol zu erkennen ist. Als kleine Einführung in den Gebrauch des Aromenlexikons ist besonders der Abschnitt zur Duft-Würzpraxis zu verstehen, der das Grundprinzip des „richtigen“ Kombinierens erläutert: das Food-Pairing und das Food-Completing.

ABSCHMECKEN IN DEN GRUNDGESCHMACKSRICHTUNGEN

Die wenigsten Speisen vereinen in sich alle fünf beziehungsweise sechs Grundgeschmacksrichtungen, sind also gleichzeitig süß, sauer, salzig, bitter, umami – sowie fett. Doch empfinden wir Speisen, die mehrere dieser Reize auslösen, oft als ausgewogener, als wenn nur eine der Geschmacksrichtungen angesprochen wird. Die zu starke Betonung nur einer Richtung führt meist zum gegenteiligen Effekt, etwa einer versalzenen Suppe. Die Prinzipien des Würzens lauten hier: Ausgewogenheit und Hervorhebung.

Wie sich einzelne Geschmacksrichtungen gezielt steuern und beeinflussen lassen und was kleine Unterschiede dabei bereits ausmachen können, wird im Folgenden näher erklärt. Die Grundgeschmacksrichtungen süß und umami werden als sehr angenehm empfunden: Ihr Genuss muss nicht erst erlernt werden ( Geschmackssinn und Grundgeschmack, Seite 8) und sie brauchen auch nicht maskiert oder abgemildert zu werden. Bei den anderen Geschmacksrichtungen gibt es dagegen Tricks, um eine in diese Richtung übersäuerte oder verbitterte Speise noch zu retten.

ABSCHMECKEN: SÜSS

Das bekannteste Geschmacksmittel für die Grundgeschmacksqualität „süß“ ist Zucker. Neben kristallinem Haushaltszucker, Saccharose, gibt es eine ganze Reihe anderer bekannter Zucker: Fruchtzucker (Fructose) kommt häufig in Früchten und Gemüse vor, Traubenzucker – Glucose oder auch Dextrose genannt – ist die „Grundform“ des Zuckers. Aus diesem Zucker sind alle Stärken aufgebaut, die sich etwa in Kartoffeln und Weizen finden. Glucose spielt im Stoffwechsel eine zentrale Rolle und dient als Energielieferant für sehr viele zellbiologische Prozesse. Milchzucker oder Lactose ist den meisten ebenfalls vertraut: Er gibt Milch ihre leichte Süße.

Die Zucker unterscheiden sich in ihrer chemischen Struktur und haben demzufolge eine unterschiedliche Süßwirkung ( Süßkraft, Seite 371). Auch ihre Wasserlöslichkeit unterscheidet sie voneinander. Daher lassen sich mit den verschiedenen Zuckern nicht nur jeweils eigene, charakteristische Süßwirkungen hervorrufen, sondern auch vollkommen unterschiedliche physikalische Eigenschaften bei einer Speise erzeugen. Wird etwa ein Kuchenteig mit anderen Zuckern oder Süßstoffen statt mit dem im Rezept angegebenen Haushaltszucker zubereitet, verändern sich sein Knet- und Backverhalten sowie der Trieb. Zucker in Rezepten auszutauschen ist daher nicht nur eine Frage des Süßens, sondern auch der Wasserbindung.

SÜSSEN

ERYTHRITOL (meso-1,2,3,4-Butantetrol) ist ein süß schmeckender Zuckeralkohol mit einer Süßkraft, die dem Zucker vergleichbar ist. Er ist sehr verträglich, verursacht keinen Karies und hat keinen Brennwert. Er karamellisiert nicht und bildet ähnlich dem Mannitol beim Abkühlen kein Glas, sondern knusprige Kristalle.

INULIN ist ein Vielfachfruchtzucker. Unter Speisen gemischt, gibt er ein gutes, „fettähnliches“ Mundgefühl, daher wird er in einigen Diätprodukten oft als Fettersatz verwendet.

ISOMALT erzeugt wie viele andere Zuckeraustauschstoffe keine Karies. In der Patisserie spielt er eine ganz besondere Rolle: Er lässt sich bestens in warmem Zustand verarbeiten und karamellisiert erst ab ca. 270–280 °C. – ideal, wenn keine Karamellnote erwünscht ist. Sein Lösungsverhalten im Mund ist leicht „klirrend“ und erzeugt eine leichte „Kühle“. Er wird für die Herstellung von Lollis und Bonbons verwendet. Außerdem kann er in Speisen unerwünschte Bitternoten maskieren.

LÄUTERZUCKER besteht nur aus Zucker und Wasser, im Verhältnis von 3:2. Ein paar Tropfen Läuterzucker in einer stark reduzierten Bratensauce wirken Wunder: Die oft wahrnehmbaren Bitterstoffe lassen sich so in den Hintergrund drängen, „maskieren“. Wird der Zucker-Wasser-Lösung während des Kochens etwas Säure zugegeben, bildet sich Invertzucker ( Zucker).

MALTODEXTRIN ist weniger süß als Zucker und wird aufgrund seiner Eigenschaften oft dazu verwendet, Süßspeisen Stabilität zu verleihen. Aufgrund seiner chemischen Struktur bindet es wasserunlösliche und stark flüchtige Aromen.

MANNITOL kommt in Bäumen, Pilzen, Algen und Feigen als natürlicher Zucker vor. Er bildet nach dem Abkühlen immer „knusprige“ Zuckerkristalle. Weil er nur 50 Prozent der Süßkraft von Haushaltszucker besitzt, lassen sich mit ihm krachende, kaum süße Überzüge über Lollis oder Desserts zubereiten.

SORBITOL kommt in praktisch allen Steinfrüchten vor: Aprikosen, Birnen, Datteln, Pfirsichen und Zwetschgen. Er ist in der Lage, große Mengen Wasser zu binden und weist nur etwa die Hälfte der Süßkraft des Haushaltszuckers auf. Dadurch gelingt der Spagat, Ganaches, Cremes oder Pralinenfüllungen schön geschmeidig und cremig zu halten, ohne diese zu übersüßen.

STEVIA, der Süßstoff aus der gleichnamigen Pflanze, ist als Zuckerersatz in Küche und Patisserie nur bedingt geeignet: Wegen der hohen Süßkraft darf das Kraut nur sparsam eingesetzt werden – und in dieser Menge gibt ihr Wasserbindungsvermögen Teigen, Cremes oder Schäumen nur wenig Stabilität. Zudem schmecken andere Aromabestandteile der Pflanze bitter, was zusätzlich maskiert werden muss.

TREHALOSE karamellisiert erst bei Temperaturen um 290 °C. In sehr stark konzentrierten Trehaloselösungen mit einem Siedepunkt von 120–130 °C lassen sich Gemüse oder Klöße garen: Der Effekt ist eine leichte Süße ohne das eventuell störende Aroma eines Bratöls. Wie Läuterzucker und Isomalt eignet er sich auch gut zum Maskieren unerwünschter Bitternoten in Speisen.

XYLITOL hat eine dem Haushaltszucker vergleichbare Süßkraft, ist aber nicht kariesauslösend. Daher wird er manchen Süßigkeiten, Bonbons oder Lutschern beigefügt.

KARAMELLISIEREN spielt beim Einsatz von Zucker in der Küche eine besondere Rolle. Farbe und Geschmack des Zuckers verändern sich durch die Hitzeeinwirkung. Chemische Reaktionen sorgen für weniger Süße und weniger Kalorien, eine nussige, leichte Süße entsteht. Bei zu dunklen Farben schmeckt Karamell schnell bitter, daher ist Vorsicht angesagt.

SÜSSEN MIT LEBENSMITTELN Frische, reife Bananen haben beispielsweise eine ganz erstaunliche Süßkraft, weshalb sie püriert in Desserts Zucker praktisch ersetzen können. Der am häufigsten verwendete „Zuckerersatz“ ist wohl Honig. Er besteht aus Glucose, Fructose sowie weiteren verschiedenen Zuckern. Honig lebt von seiner Süße, trägt aber immer leichte Aromen der Blüten, von denen er gesammelt wurde, etwa Rosmarin-, Thymian- oder Lindenblüten. Werden Speisen und Desserts mit Honig gesüßt beziehungsweise abgeschmeckt, schlagen diese feinen Unterschiede nur wenig zu Buche. Süßen lässt sich auch mit Trockenfrüchten ausgezeichnet, etwa Aprikosen oder Rosinen. Ebenso eignen sich viele Liköre zum Süßen ( Süße Liköre), zum Beispiel Curaçao, Grand Marnier oder Eierlikör. Sie geben allerdings jeweils eigene Aromen mit, die in das Gericht einbezogen werden müssen.

ABSCHMECKEN: SAUER

Säuern, also das Absenken des pH-Werts eines Lebensmittels, wird schon sehr lange eingesetzt, um zu konservieren. In einer sauren Umgebung können sich Bakterien und viele Pilze nicht vermehren. Essige und in Essig eingelegte Lebensmittel verderben daher nicht oder nur sehr spät. Joghurt zum Beispiel ist haltbare Sauermilch. Beim Abschmecken reichen schon kaum merkliche Säurespuren, um eine Speise frischer, ansprechender oder runder zu gestalten. Was wären zum Beispiel Schwäbische Linsen ohne einen kleinen Schuss Weinessig, was wäre ein indisches Curry ohne eine Spur Tamarinde oder Amchoorpulver? Auch wenn die Säure selbst gar nicht direkt wahrnehmbar ist, wirkt sie im Gesamtbild als natürlicher „Geschmacksverstärker“. Ein Spritzer Zitronensaft, Essig, Balsamico oder ein Schuss Wein liefert immer einen nicht unerheblichen Beitrag zum Geschmack, sogar wenn die Konzentration der zugegeben Säure eher gering ist. Selbst in der Chocolaterie und in Desserts lassen sich Essige einsetzen. Es gibt zahlreiche Pralinenhersteller, die mit Fruchtessigen experimentieren. Und ein feiner, alter Balsamico hat noch keinem Dessert, zum Beispiel Eiscreme, geschadet. Aber die diversen Essige – vom Aceto Balsamico Tradizionale ganz zu schweigen – tragen so viel zusätzliches Eigenaroma in die Speisen hinein, dass sie bei den flüssigen Würzen ausführlich besprochen werden ( Seite 459).

SÄUERN

ÄPFELSÄURE kommt in vielen Obstsorten vor, wie sich am Duft leicht erkennen lässt: in Äpfeln, Quitten, Weintrauben, auch Stachelbeeren. Über die Früchte lässt sich leicht mit ÄPFELSÄURE abschmecken: Ein paar klein geschnittene Äpfel oder ein Stück mitgeschmorte Quitte sorgen neben fruchtigen Aromen für ein feines Säurespiel. Auch im Wein spielt ÄPFELSÄURE eine Rolle: In manchen Weißweinen, besonders in sehr trockenen Weinen und in eher schlechteren Jahrgängen, ist ihr mostiger Geruch wahrzunehmen. Apfelessig enthält ÄPFELSÄURE (neben Essigsäure) und riecht mostig wie Apfelwein und Cidre.

ESSIGSÄURE ist in Vinaigrettes allgegenwärtig und gibt Salaten, Gemüse oder auch Fleisch seine Geschmackskomponente mit auf den kulinarischen Weg. Häufig werden flüssige Vinaigrettes als zu sauer empfunden, weshalb mehr Öl einemulgiert wird. Ist diese Mischung (Emulsion) ausreichend stabil, erreicht man geschmeidige Vinaigrettes. Aber auch etwas Gelatine (als Pulver) in den Essig, Wasser oder Fond gegeben, erhöht die Viskosität der Vinaigrette. Das Öl kann dann in größeren Tropfen direkt auf den Teller zugegeben werden, sodass sich beide Komponenten erst im Mund und auf der Zunge vermischen.

OXALSÄURE, das bedeutet Rhabarber, Sauerklee oder Sauerampfer. Diese Säure kann man nicht nur schmecken, sondern auch „fühlen“: Sie entmineralisiert den Zahnschmelz, die Zähne werden „stumpf“. Der französische Klassiker Saumon à l’oseille der Brüder Troisgros spielt ganz gezielt mit dieser Säure im Sauerampfer, ebenso wie viele Rhabarbergerichte. Andererseits macht OXALSÄURE sauer, ohne den starken Beigeruch eines Essigs zu entwickeln. Die subtile, aber dennoch spürbare Säure lässt sich gut mit feinen Meeresfrüchten wie Jakobsmuscheln kombinieren.

WEINSÄURE findet sich reichlich in Tamarinde – in Weinen spielt sie nur eine untergeordnete Rolle. Tamarinde gibt, in Wasser eingelegt oder als Paste verarbeitet, vielen indischen Gerichten eine deutliche Säurenote. Industriell wird der Stoff bei der Herstellung und Verarbeitung von Speiseeis, Obst, Limonaden und Erfrischungsgetränken, Gelee, Weingummis, Konditorwaren und bei der erlaubten Säuerung säurearmer Weine verwendet. Salze der Weinsäure fallen übrigens als Depot in Weinen aus. Diese herrlichen Kristalle werden heute leider als störend betrachtet und Winzer versuchen, ihre Entstehung zu vermeiden. Schade, zumindest für Küchenphysiker ist dieses Kristallspiel immer ein Grund zur Freude.

ZITRONENSÄURE kommt nicht nur in allen Zitrusfrüchten (Zitronen, Limetten, Yuzu, Orangen), sondern auch in Äpfeln, Birnen, Sauerkirschen sowie in Himbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren, in Weintrauben und in Wein reichlich vor. Eine gebratene Gänsebrust, deren Pfanne mit Sauerkirschen abgeschwenkt wurde, ist also mit Zitronensäure gesäuert.

FÜR SELBST HERGESTELLTE ESSIGE benötigt man schwach alkoholische Flüssigkeiten mit etwa 4–6 Volumenprozent Alkohol: Wein, Apfelwein, verdünnte Brände oder Schnäpse. Deren Alkohol kann mittels Essigsäurebakterien zu Essigsäure fermentiert werden. Wegen des notwendigen Sauerstoffs läuft die Umwandlung von Alkohol zur Essigsäure besser in offenen, bauchigen Gefäßen, die nur halb gefüllt sind, etwa Gärkolben. Bei vollständiger Umsetzung wird aller Alkohol zu Essig vergoren, Essig enthält also nie Alkohol. Häufig findet man in hausgemachten Essigen oder Essigen aus einer Manufaktur einen etwas schlammigen Bodensatz. Hier handelt es sich um „Essigmutter“, der wieder Wein zugefügt werden kann. Die Fermentation von Alkohol zu Essig geschieht dann rascher und gezielter.

ESSIGE AROMATISIEREN funktioniert über die Alkohollöslichkeit vieler Aromen. Mittels guter und neutraler Branntweinessige lässt sich manches individuelle Schätzlein zubereiten, etwa Fruchtessige mit Fruchtmark. Dazu werden Früchte je nach Gusto (Himbeeren, Erdbeeren oder schwarze Johannisbeeren) mit Branntweinessig gemixt. Dann lässt man sie aromatisieren und filtert eventuell das Fruchtfleisch oder die Kerne heraus. Ein Schuss Weinessig in ein fast aufgebrauchtes Honigglas lässt eine süßsaure Würze für Salate, Saucen und Marinaden entstehen. Köstlich ist auch ein Essig aus Gemüsepaprika. Dazu werden diese gegrillt, bis deutliche Röstnoten entstehen. Danach schlägt man sie mit Essig – am besten Wein- oder Sherryessig – mit einem Stabmixer auf und lässt die Aromen einwirken. Grillaromen sind zwar wasserunlöslich, durch das Pürieren entstehen aus den Kleinstteilchen aber jede Menge „Andockstellen“ für diese Aromen. Daneben existieren viele weitere Essigvarianten, die aus den verschiedensten Grundzutaten gewonnen wurden ( Essige, ab Seite 459).

SÄUERN MIT SAUREN LEBENSMITTELN funktioniert ausgezeichnet, man ist nicht nur auf Essig oder Zitronensaft angewiesen: Sauerkraut, Saure Rüben, milchsauer vergorenes Gemüse, Essiggurken, Granatapfelkerne oder Limettensaft säuern ebenfalls. Joghurt dient als ideales Säurungsmittel, wenn gleichzeitig Milcharomen, Milchsäure und käsige Aromenbestandteile gefragt sind. Die arabisch-persische Küche setzt auf diese Weise zum Beispiel gerne einen sauren Akzent, auch in der indischen Küche werden Currys mit Joghurt verdickt – das reduziert gleichzeitig die Aggressivität der Chilischärfe. Eine andere Variante nutzt den Würzsud von Essiggurken: Abgeseiht kann dieser als Grundlage für Vinaigrettes und Würzflüssigkeiten dienen. Mit Agar-Agar geliert, lässt sich dieses eigens hergestellte „Essiggurkenimitat“ klein gewürfelt unter Rohkostsalate mischen oder auf Kanapees legen. Selbst beim Räuchern entstehen eine ganze Reihe „organischer Säuren“, zum Beispiel Essig- und Ameisensäure. Das lässt sich leicht nachvollziehen: Rauch wirkt trigeminal beißend in Nase und Augen.

SÄURE ERSETZT DEN HERD – zumindest teilweise: Ein weiterer Vorteil von Säure ist ihr Vermögen, Lebensmittel zu garen. Dabei greift die Säure in die Struktur der Proteine ein und verändert manche davon fast so, als würden die Speisen Hitze ausgesetzt. Ein kleines Experiment gefällig? Beträufelt man rohes Eiklar mit Essig, wird es an dieser Stelle sofort weiß. Auch beim roten, rohen Lachs lässt sich das ausprobieren – am besten gleich mit einer Ceviche. Diese Zubereitung für rohen, in sauren Marinaden „gegarten“ Fisch basiert auf genau derselben Grundlage wie das Eiklar-Experiment. Das Resultat hängt aber vom Lebensmittel ab: Gut abgehangenes Fleisch mit einer bereits stark gelockerten Struktur lässt sich leicht „garen“, ebenso Fisch. Gewöhnliches Fleisch hingegen muss gehackt werden und viele Gemüse lassen sich nur unter leichter Erwärmung marinieren: Den harten Pflanzenzellen aus Cellulose, Pektin und anderen Zellmaterialien ist durch Säureeinwirkung nur begrenzt beizukommen.

SÄURE ZU MASKIEREN gelingt nur schwerlich. Möglich ist das Verdünnen mit Wasser oder die Zugabe einer Prise Zucker – wenn es das Gericht erlaubt. Die vorsichtige Zugabe von Natron kann ebenfalls helfen. Ein Zuviel davon lässt das Gericht aber „seifig“ wirken. Manche Säuren, etwa die OXALSÄURE von Spinat und Rhabarber, lassen sich allerdings durch die Zugabe von etwas Zitronensaft bändigen. Dessen Säuren verhindern das Freisetzen einiger Protonen der OXALSÄURE, was ihre Wirkung abschwächt.

DIE PH-WERTE EINIGER FLÜSSIGKEITEN

Salzsäure 3,5% 0,0
Salzsäure 0,35% 1,0
Magensäure 1,0
Zitronensaft 2,0
Essigessenz 2,0
Essig 3,0
Coca 3,0
Wein 4,0
Sauermilch 4,5
Bier 5,0
Hautoberfläche 5,5
Mineralwasser 6,0
reines Wasser 7,0
Sauberes Seewasser 8,3
Natronlauge 3%: 14,0

PFLANZE / OXALSÄUREGEHALT IN MG PRO 100 G (RICHTWERTE )

Rote Bete 180
Bambussprossen 250
Sauerklee 400
Spinat 450
Kakaopulver 450
Rhabarber 460
Mangold 650
Sauerampfer 1000

Die Werte in dieser Tabelle geben lediglich die Richtwerte wieder, sie schwanken natürlich je nach Bodenchemie, Witterung, Ausbau und Sonneneinstrahlung.

Gestampfte, nicht zu fein zerdrückte Kartoffeln lassen sich wunderbar mit einem Esslöffel sehr klein gehacktem rohen Sauerkraut säuern. Dazu noch mit rohen, für ca. 10 Minuten gesalzenen Zwiebeln (Salz-Osmose) abgeschmeckt, passt diese feine, ungewöhnliche Säure in den gekochten Kartoffeln ausgezeichnet zu gebratenem Fisch.

ABSCHMECKEN: SALZIG

Unser Würzmittel Nummer eins riecht nach nichts und schmeckt eigentlich nur salzig. Aber es steigert den Eigengeschmack der Speisen. Außerdem gibt es einige Salze, in denen dann doch „mehr“ steckt ( Salz). Reines Koch- oder Speisesalz, NaCl, besteht lediglich aus Natrium- und Chloridionen, die in einem Kristall regelmäßig zusammengefügt sind. Bei Kontakt mit Wasser löst sich der Kristall auf und zerfällt in seine ionischen, also elektrisch geladenen Bestandteile: das einfach positiv geladene Natriumion und das einfach negativ geladene Chloridion. Die Geschmacksempfindung „salzig“ wird erst durch dieses Lösen ermöglicht, da die Rezeptoren der Zunge die elektrischen Ladungen der Ionen wahrnehmen ( Wie funktionieren Rezeptoren?, Seite 12).

SALZEN

Obwohl salzen der vielleicht einfachste Würzvorgang überhaupt ist, gibt es auch hierbei sowohl feine Unterschiede als auch einige Tricks für mehr Geschmack. Weltweit werden die verschiedensten „Sorten“ von Salz abgebaut ( Salze der Welt, Seite 295).

KRISTALLFORM UND TEXTUR sind entscheidend für die Salzempfindung. Wird nachgesalzen, sind nicht nur die Ionen entscheidend, sondern auch die Art und Geschwindigkeit, in der sich das Salz zusammen mit dem Lebensmittel im Mund unter Speicheleinfluss auflöst. So können die gleichen Stücke eines Steaks je nach Form und Größe der Salzkörner deutlich unterschiedliche Geschmacksnuancen entwickeln. Feine Salze dominieren über das Fleisch, grobes Salz wirkt milder und Salzflocken entsprechend fein – selbst wenn alle aus reinstem Natriumchlorid bestehen und keine weiteren Mineralien eingelagert sind. Kleine Kristalle haben im Vergleich zum Volumen große Oberflächen, sie lösen sich schneller als große Kristalle. Perfekte Kristalle – wie häufig bei Salzflocken – sind sehr dünn, lösen sich aber dennoch verhältnismäßig langsam. Sie wirken beim Zerbeißen zusätzlich „knusprig“, ohne ein Zuviel an Salzgeschmack hervorzurufen.

SALZ IM KOCHWASSER erhöht die Siedetemperatur je nach Salzkonzentration, weil die Salzionen wegen ihrer Ladung die (dipolaren) Wassermoleküle besser festhalten. Messbare Effekte für eine Verkürzung der Gardauer, wie immer wieder spekuliert wird, hat dies allerdings nicht – zumindest bei physiologisch erträglichen Salzkonzentrationen. Sobald das Wasser kocht und Flüssigkeit verdampft, nimmt die Salzkonzentration zu. Deshalb kann man ein Gericht auch versalzen, wenn man das Salz zu früh dazugibt. Profis salzen vorsichtig und schmecken zum Schluss noch einmal ab: Nachsalzen kann man immer, ein versalzenes Gericht ist nicht mehr zu retten.

WEGEN SEINER OSMOTISCHEN WIRKUNG „zieht“ Salz Wasser aus allen Lebensmittel. Damit wird vielen Mikroorganismen ihre Lebensgrundlage entzogen, was die Verderblichkeit dieser Lebensmittel verringert. Gepökeltes Fleisch und Fisch lassen sich auf diese Weise lange konservieren.

NITRITPÖKELSALZ verleiht Fleisch und Wurst eine rote Farbe. Es enthält Stickstoffverbindungen, deren Stickoxid sich mit dem Eisen-Ion der Hämgruppe des Muskelfarbstoffs Myoglobin verbindet. Myoglobin kann daher nicht oxidieren: Das Fleisch wird nicht grau.

NATRIUMREDUZIERTE DIÄTSALZE enthalten Kaliumchlorid und Glutamat, das Salz der Glutaminsäure. Damit lässt sich dezenter salzen als mit Salz, und über das Glutamat erhält man zusätzlich umami-Würzkomponenten.

„SALZEN“ LÄSST SICH AUCH MIT ANDEREN LEBENSMITTELN. In der mediterranen Küche ist das „Salzen“ (und „umamisieren“) mit Sardellen sehr beliebt. Diese in Salzlaken konservierten Minifische lassen sich leicht zu Pasten verarbeiten, die neben dem salzigen Geschmack auch herzhafte Anklänge beisteuern und gleichzeitig Meeresnoten im Aroma liefern. Salzig-fischige Noten werden ebenso durch Poutargue (Bottarga) beigefügt, dem gepressten und getrockneten Rogen der Großkopfmeeräsche. Auch Räucherspeck oder Salzfleisch eignen sich zum feinen und wohldosierten „Salzen“. Werden salzhaltige Algen zu Speisen gegeben, wird der salzige Geschmack „frei Haus“ mitgeliefert. Dazu gehört auch Queller (Salicorn). Ebenso lassen sich viele Wildkräuter der Salzwiesen an der Nordsee zum „Salzen“ verwenden.

VERSALZENE SUPPEN LASSEN SICH RETTEN – bei richtigen Missgeschicken ist aber alles zu spät. In übersalzene Cremesuppen gibt man eine fein geriebene Kartoffel. Bei klaren Suppen oder Brühen hilft, das Eiweiß von einem bis drei Eiern mitzukochen. Nachdem das Eiweiß geronnen ist, wird es abgeschöpft und nicht weiterverwendet: Es hat einen Teil des Salzes absorbiert, aber leider auch andere Aromen und Geschmacksstoffe.


Struktur eines Salzkristalls

ABSCHMECKEN: BITTER

Eine Präferenz für Bitteres ist nicht angeboren ( Geschmack und Funktion, Seite 10). Ganz im Gegenteil: Der Geschmacksreiz signalisiert weder wertvolle Energie (süß) noch Mineralstoffe (salzig), sondern: Achtung, giftig! Gefahr! Sofort ausspucken! Deswegen mögen Kinder keinen Rosenkohl, kein Bier, keinen Kaffee: Der Genuss dieses Geschmacks muss erst „erlernt“ werden. In der westlichen Kultur gibt es kaum bittere Würzungen, die bewusst zu Tisch eingesetzt werden.

Zu starke Bitternoten können den Genuss eines ganzen Gerichts zerstören – ganz ohne Bitternoten bliebe allerdings der Genuss auf der Strecke. Bitternoten lassen sich kaum dominant einsetzen, es sei denn separat zum Aperitif – in Form vom Drinks bei Zubereitungen mit Kräutern sowie bei Chartreuse, Kräuterlikören oder gar gekräuterten Artischockenschnäpsen ( Alkohole, bittere, Seite 470) – in Softdrinks wie Tonic Water oder bei einem bitteren Pils. Auch bei Kaffee, Tee oder bei dunkler Schokolade beziehungsweise Kakao treten Bitterstoffe in den Vordergrund. Olivenöl, Chicorée oder Radicchio würde ohne den Bittergeschmack etwas fehlen. Die Köpfe (Innereien) von Meeresfrüchten wie Garnelen lassen sich aufgrund ihrer Bitterstoffe exzellent als Pürees zum dezenten Abschmecken oder als Tellerelemente nützen. Manchmal wird jedoch der Braten ungewollt bitter oder das Brokkolipüree fast ungenießbar. Die Grenze zwischen „gut“ oder „zu bitter“ findet man nur, wenn man die Kunst beherrscht, eine Balance mit den anderen Geschmacksrichtungen hinzubekommen.

Die Bitterkeit eines Stoffes wird mit dem sogenannten Bitterwert gemessen. Dieser standardisierte Wert gibt an, welche Gewichtskonzentration des Stoffes einen Liter Wasser erkennbar bitter schmecken lässt. 1 g Chininchlorid lässt bereits 200 l Wasser bitter schmecken. 1 g Absinthin des Wermutkrauts macht sogar 3000 l Wasser bitter. Das zeigt, wie wenig dieses Stoffes in entsprechenden Alkoholika wie Absinth enthalten sein darf, damit dieser überhaupt genießbar ist. Das Amarogentin der Enzianwurzel ist noch einmal 20 Mal bitterer (siehe Tabelle).

BITTERN

ARTISCHOCKEN(-BLÄTTER) haben eine dezente Bitterkeit, die besonders in Vorspeisen und Aperitifs beliebt ist. Der geschmacksbestimmende Bitterstoff ist das Cynaropicrin. Man beachte den darin versteckten Begriff „Cynar“: So heißt ein in Italien beliebter leichter Bitterlikör, dessen Hauptbestandteil Artischocken sind.

BITTERSALZE wie Calciumchlorid und Magnesiumchlorid wirken bei nicht ausgewogener Dosierung eher plump und isoliert. Bei sogenannten Diätsalzen, die man einsetzt, wenn aus medizinischen Gründen für bestimmte Personen Natriumchlorid nicht konsumierbar ist, werden deshalb oft Mischungen aus Kaliumchlorid, Calciumchlorid und Glutamat angeboten. Dabei wird die Wechselwirkung der Geschmacksrezeptoren für salzig, bitter und umami-Geschmack sichtbar: Je mehr verschiedene Rezeptoren angesprochen werden, desto „breiter“ ist die Wirkung, der reduzierte Kochsalz-Eindruck vermindert sich dadurch.

BOCKSHORNKLEESAMEN sind ein idealer Bittergeber. Sie werden dazu mit kochendem Wasser übergossen und nach dem Abkühlen abgeseiht. Das bittere Wasser kann noch als Würzfond im Kartoffelpüree oder im Bohnenpüree verwendet werden. Gibt man einen Teelöffel eingeweichter Früchte in frischen Ziegen- oder Kuhkäse und lässt diesen mindestens einen Tag lang aromatisieren, geben die nussigen Bitternoten dem Frischkäse ein ganz besonderes Aroma. So öffnet sich der Käse plötzlich reifen alten Weißweinen, oxidierten Juraweinen oder weißen jungen Sherries. Bitternoten in bester Mariage!

CHICORÉE UND RADICCHIO sind beliebte Bitterwürzer: Roh unter Salate gemischt, ergänzen ihre bitteren Noten sehr angenehm etwa eine säuerlich-süße Salatvinaigrette. Ihr Bitterstoff Lactucin ist auch in Kopfsalaten enthalten. Pürees von Kopfsalaten oder gebratene Kopfsalatherzen weisen daher eine ähnliche Bitterkeit auf. Roher Radicchio, unter ein cremiges Kartoffelpüree gemischt, wird sehr gut von den grün-bitteren Noten eines fruchtigen Olivenöls ergänzt.

GRÜNER TEE UND MATCHA erhalten ihre Bitterkeit über Koffein und und Polyphenole, etwa Catechin. Die Polyphenole und Bitterstoffe lösen sich besser bei hoher Temperatur, weshalb zu heiß aufgebrühter grüner Tee sehr bitter wirkt. Oft wird daher eine Brühtemperatur von nur 75 °C empfohlen. Aber auch bei diesen Temperaturen lösen sich desto mehr Bitterstoffe, je länger der Tee zieht. Sud aus grünem Tee eignet sich zum Pochieren von Geflügel oder Fisch. Die Bittertöne ergeben eine zarte Würzung des hellen Fleischs. Auch Meeresfrüchte- oder Gemüserisotti mit grünem Tee angegossen sind wunderbar. Matchateepulver fügt Vinaigrettes aus Balsamico Bitterkomponenten bei: Die süß-sauer-bittere Mischung würzt Gemüse, aber auch Huhn, Fisch oder Schwein.

KOFFEIN UND TEEIN ist derselbe Stoff: In Kaffee und (schwarzem wie grünem) Tee regt er nicht nur an, er schmeckt auch bitter. Die Bittertöne in Kaffee wirken wegen der geringen Wasserlöslichkeit des Koffeins und der karamellig süßlichen Röstaromen eher dezent. Die Aminosäurenderivate Theobromin und Theophyllin bestimmen den bitteren Geschmack von Kaffee und Tees.

LAKRITZ („BÄRENDRECK“) spielt mit der Kombination bitter-süß. Das Glycyrrhizin aus dem Süßholz hat eine circa fünfzigmal höhere Süßkraft als Saccharose, aber auch einen leichten Bitterton. Dieser wird durch die Zugabe von Bittersalzen verstärkt. Gleichzeitig wird oft außerdem Ammoniumchlorid (Salmiak) dazugegeben, das den Lakritzschnecken und Süßigkeiten seine typische Note verleiht.

ROSMARIN UND SALBEI geben an Speisen nicht nur ihre Aromen ab, sondern auch Bitternoten. Der Bitterstoff dieser Kräuter ist das Carnosol. Aus den Stängeln des Rosmarins löst er sich durch langes Mitkochen, aus Salbei durch kurzes Anbraten. Langes Ziehen der Blätter im Wasser lässt Salbeitee dagegen oft zu bitter geraten.

TONIC WATER erhält seine angenehme Bitterkeit von Chinin, das aus der Rinde des Chinabaums gewonnen wird. Ein Schuss Tonic Water in einem frischen Rohkostsalat, zusammen mit etwas Olivenöl, verleiht ihm eine fruchtige Bitterkeit, die ein Menü schmackhaft einleiten kann.

ZITRUSFRÜCHTE wie Orangen und Zitronen tragen Bitterstoffe in der weißen Membran zwischen Schale und Fruchtfleisch. Meist verwendet man diese Membran nicht. Kocht man die Schalen mit diesen weißen, faserigen Teilen mit, lassen sich jedoch deren Bitternoten neben den ätherischen Bestandteilen der Orangenbeziehungsweise Zitronenschale gezielt in die Gerichte hineintragen.

WEITERE MÖGLICHKEITEN FÜR BITTERTÖNE liefern bittere Alkohole, zum Beispiel Angostura, Bier und Campari, aber auch Olivenöl. Weil sie statt reiner Bitternoten auch viele ihrer typischen Aromen in die Speisen hineintragen, werden sie als flüssige Würzen im hinteren Teil des Buches ausführlicher besprochen.

MASKIEREN UNERWÜNSCHTER BITTERNOTEN: Stark reduzierte Saucen aus dunklem Bratenfond wirken neben ihrer Herzhaftigkeit häufig etwas bitter. Natürlich können diese Töne durch weniger starkes Anrösten vermieden werden, aber auch die sukzessive Beigabe von Kräutern wie Rosmarin hilft, das Ausbilden und Einschwemmen von Bitterstoffen zu vermeiden. Man gibt es erst zum Schluss dazu, lässt es nicht mitkochen und lässt vor allem seine polyphenolreichen, bitteren Stängel draußen, dann dominieren die Terpene. Alternativ funktionieren florale Noten – oder einfach etwas in die Speise gegebener Zucker beziehungsweise Trehalose.

Viele Kräuter und Gewürze maskieren ihre Bitterstoffe, wie etwa Safran. Das bitter wirkende PICROCROCIN spaltet sich bei der Trocknung der Safranfäden in das erdige SAFRANAL und süße Glucose. Auf der Duftebene unterstützen beerige, zitrusartige und warmkampferigen Aromen diesen maskierenden Effekt. Eine andere Möglichkeit der Maskierung ist Läuterzucker: Eine sehr kleine Menge wirkt Wunder – maximal ein halber Teelöffel sollte genügen. Weitere einfache und effektive Bittermaskierer sind die Zucker Trehalose und Isomalt ( Abschmecken: süß, Seite 36). Sie haben darüber hinaus den Vorteil, dass sie viel weniger süß sind als Haushalts- und Läuterzucker.

BITTERSTOFFE MIT DAZUGEHÖRIGEN BITTERWERTEN

Bitterstoff Bitterwert Bemerkungen
Chininhydrochlorid aus Chinarinde 200 000 Alkaloid
Absinthin im Wermut 3 000 000 Bitterstoff
Quassin im Bitterholzbaum 13 000 000 Bitterstoff
Amarogentin in Enzian-Arten 58 000 000 Bitterstoff
Denatoniumbenzoat >100 000 000 bekannte bitterste Substanz

BITTERWERTE EINIGER LEBENSMITTEL

Weißbier ca. 15
Pils 20–25
Dunkle Biere ca. 30
Kaffee 100–500
Löwenzahn ca. 800

ABSCHMECKEN: UMAMI

Als der japanische Chemiker Ikeda Kikunae 1908 den Geschmack „umami“ isolierte – japanisch für „fleischig“, „herzhaft“, „wohlschmeckend“ –, war er einem uralten Küchengeheimnis chemisch auf die Spur gekommen. Tatsächlich würzten schon die Römer und Griechen ihre Speisen mit einer fermentierten Sauce aus Salz und Fisch: Garum ( Geschichte des Würzens, Seite 68). Umami-Geschmack wird durch freie Glutaminsäure erzeugt. Bekannter ist deren Salz, das Glutamat, auch „Geschmacksverstärker“ genannt. Dieser Begriff ist aus physiologischer und aus küchenpraktischer Sicht irreführend. Der Geschmack wird nicht – wie bis vor einiger Zeit angenommen – „verstärkt“, sondern es werden speziell für den umami-Geschmack zuständige Rezeptoren zusätzlich angeregt. Letztlich wird der Geschmack also um eine Empfindung erweitert.

Glutaminsäure ist eine proteinogen Aminosäure, die auch in uns vorkommt: Durchschnittlich 2 kg proteingebundenes und etwa 10 gfreies Glutamat nehmen in einem 70 kg schweren, gesunden Menschen biochemische Aufgaben bei der Zellkommunikation wahr – auch im Gehirn. Glutaminsäure ist in praktisch jedem Protein zu unterschiedlichen Anteilen gebunden. Beim Kochen werden viele dieser Proteine zerhackt, in der Fachsprache: hydrolysiert. Dabei bilden sich Proteinbruchstücke und freie Glutaminsäure. Das lange Kochen eines Gulaschs, eines Schmorbratens oder eines Fleischfonds dient also nicht nur dem Zartmachen des Bratens. Reduzierte Fonds und Saucen sind folglich die reinsten „Glutamatbomben“, auch wenn dies die Verächter von Glutamat vermutlich nicht wahrhaben wollen. Die eigene Erfahrung zeigt: Je länger der Fond gekocht wird, desto tiefer und herzhafter wird sein Geschmack, erst recht beim Reduzieren und beim Konzentrieren der Sauce.

Fermentation mit Enzymen oder Bakterien kann ebenfalls eine Hydrolyse bewerkstelligen. Das prominenteste Beispiel sind die Sojasaucen aus der asiatischen Küche. Bei ihrer Herstellung muss der Proteinspaltprozess so geführt werden, dass zwar keine bitter schmeckenden Proteinbruchstücke entstehen, aber viel Glutamin freigesetzt wird. Darüber hinaus soll je nach Art ein malziges, fruchtiges bis alkoholisches Aromenspiel entstehen. Eine hohe Handwerkskunst – tatsächlich haben viele Sojasaucen aus dem Supermarkt mit den besten Sojasaucen Japans nichts gemein. Bei der enzymatischen Fermentation von Weizen- und anderen Getreideproteinen wiederum – angewendet etwa in der Herstellung der Maggi-Würze – entsteht zwar auch viel freie Glutaminsäure, darüber hinaus werden hier aber ganz andere Aromen frei, die nur noch entfernt an die Sojasauce erinnern.

„SAUCENPULVER“ SELBST GEMACHT

Etwas Maltodextrin – daran werden die flüchtigen Aromen gut gebunden – unter einen dicklichen Fleischfond heben, etwas im Ofen auf 80 °C erhitzte Kartoffelstärke für erhöhte Rieselfähigkeit zugeben und den Brei bei 40–45 °C trocknen. Das entstandene Pulver nochmals kurz aufmixen und etwa über gekochte und in Butter geschwenkte Kartoffeln oder Kürbis geben. Das ergibt eine kleine geschmackliche Sensation – und ist ein einfaches, lehrreiches Küchengeschmacksexperiment.

Das Brechen der Eiweißketten kann durch die Beigabe von Säure effektiver werden. So ist die Schmorbeigabe Wein oder Essig eine schmackhafte Methode, um den Spaltungsprozess der Proteinketten zu verstärken. Der Côtes du Rhône in einer provenzalischen Daube oder der Riesling im elsässischen Coq au riesling wird also zu Beginn des Schmorprozesses nicht wegen des ohnehin zum Großteil verdampfenden Alkohols zugegeben, sondern wegen der Säure – die über Umwege auch den Geschmack umami verstärkt.

IST GLUTAMAT GEFÄHRLICH?

Mit dem Begriff Glutamat und Glutaminsäure werden allerlei Geschichten und Horrormeldungen verbunden. Es gibt allerdings bis heute keine seriöse wissenschaftliche Studie, die einen direkten Zusammenhang zwischen dem Genuss von Glutamat und gesundheitlichen Beeinträchtigungen festgestellt hat. Es gibt Menschen, die empfindlich auf Glutamat reagieren können, und natürlich ist Glutamat ab einer gewissen Menge nicht gesundheitsförderlich – aber das trifft auf normales Kochsalz genauso wie auf jedes andere Gewürz zu. Übrigens: In wunderbar schmeckenden, selbst hergestellten, lange geschmorten und anschließend geklärten Fleischfonds ist nicht nur viel Glutaminsäure vorhanden – sondern auch kein Gramm Fleisch mehr (Hydrolyse). Im Grunde genommen wäre diese Saucengrundlage einer ähnlichen Kritik zu unterziehen wie Saucenpulver.

UMAMISIEREN

Zum Abschmecken mit „umami“ gibt es zwei Methoden. Man kann das reine Pulver verwenden – so kann man selbst genau kontrollieren, wie viel man dazugeben möchte – oder Zutaten benutzen, die auf natürliche Weise viel freie Glutaminsäure besitzen. In unserer europäischen Kultur spielt das direkte Würzen mit Glutamatpulver keine Rolle, wird von vielen Verbrauchern sogar als kritisch angesehen – aber die Idee der „Geschmacksverstärkung“, genauer: des Hinzufügens der Geschmackskomponente umami, besteht nichtsdestotrotz: Parmesan über Pastagerichte gestreut wirkt genauso wie gebratene und mitgekochte Zwiebeln, wie mitgeschmorte Morcheln und Steinpilze oder wie getrocknete Tomaten. Diese „Geschmacksverstärker aus der Natur“ fügen Speisen zusätzlich auch viele ihrer eigenen typischen Aromen bei, weswegen sie ausführlicher im Lexikonteil des Buches besprochen werden.

GLUTAMAT, meist Natriumglutamat, kann als Pulver ganz trivial über einen garenden Topf gestreut werden – fertig. Weil sich der Stoff in Wasser löst, ist die Anwendung so einfach wie salzen. Sein Vorteil ist der fast reine umami-Geschmack, ohne „störende“ zusätzliche Aromen: Manchmal macht das den kleinen Unterschied aus, etwa wenn es um geschmorte Früchte im Dessert geht, die einen Hauch umami-Geschmack ohne Sojasauce- oder gar Maggiaromen bekommen sollen. In komplexen Desserttellern kann dies manchmal eine Hilfe sein, um Fruchtsäuren abzuschwächen, ohne gleichzeitig mit zusätzlichem Zucker arbeiten zu müssen. Die Glutamatdosen hierfür sind allerdings extrem gering zu halten. Der bereits bestehende Eindruck darf nicht durch zu viel umami-Geschmack überdeckt werden – das würde den bekannten unangenehmen Geschmack „künstlich“ wirkender Saucen erzeugen.

GUANYLAT oder Guanosinmonophosphat ist chemisch sehr nah mit Inosinat verwandt und hat eine ähnliche Wirkung und Funktion. Beide haben eine etwa zehnmal höhere Wirkung als die Glutaminsäure, wenn sie zusammen mit dieser verwendet werden. Auch wenn die Namen schrecklich klingen: Diese beiden Moleküle sind ebenso verträglich und natürlich wie die freie Glutaminsäure.

INOSINAT oder Inosinmonophosphat ist eine Würzflüssigkeit, die einen sehr angenehm fleischigen, herzhaften Geschmack aufweist. Dieses Molekül war auch Bestandteil des „Fleischextrakts“ von Justus von Liebig, dem Chemiker, dem es schon 1847 gelungen war, Würzmittel mit fleischig-herzhaftem Grundgeschmack aus Lebensmitteln zu extrahieren ( Geschichte des Würzens, Seite 83).

GESCHWÄRZTE ZWIEBELN in Consommés, Fonds und Schmorgerichten liefern nicht nur Bräunungs- und Röststoffe über die Maillard-Reaktion ( Würzpraxis Rösten, Seite 53), sondern auch nicht zu vernachlässigende Mengen freier Glutaminsäure. Wie bei lange gekochten Fonds zerfallen ihre Proteine und setzen dabei Glutamat frei. Bei der Bräunungsreaktion entsteht allerdings auch der Schadstoff Acrylamid. Die Mengen sind zwar zu vernachlässigen, wer aber darauf verzichten möchte, lässt die geschwärzte Zwiebel einfach weg. Man verzichtet damit allerdings gleichzeitig auf deren „umamisierende“ sowie farbgebende Wirkung.

SELBST HERGESTELLTE UMAMI-WÜRZPASTE

Getrocknete Tomaten werden mit Olivenöl püriert. Geröstete Nüsse oder Pinienkerne sorgen für Röstaromen, dazu gibt man noch etwas sehr reifen und sehr harten Ziegenkäse. Sie kann in Saucen eingerührt oder auf Rohkostteller getupft werden, was gerade rohem Gemüse ganz neue Nuancen verleiht.

UMAMI-GEHALT IN VERSCHIEDENEN LEBENSMITTELN

LEBENSMITTEL FREIE GLUTAMINSÄURE (MG/100 G) GEBUNDENE GLUTAMINSÄURE(MG/100 G)
Parmesankäse 1200 9800
Bohnen 200 5600
Tomaten 140 2400
Mais 130 1800
Kartoffeln 100 270
Spinat 40 290
Hühnerfleisch 45 3300
Karotten 35 200
Rindfleisch 35 2800
Makrelen 35 2400
Schweinefleisch 25 2300
Eier 25 1600
Zwiebeln 20 210
Lammfleisch 20 2700
Lachs 20 2200
Kabeljau 10 2100

TOMATENCOULIS stellt man her, indem man frische, sehr reife Tomaten im Mixer, ohne Rücksicht auf Kerne oder Schalen, püriert. Den Brei durch ein Sieb passieren, sodass eine schaumige Tomatenflüssigkeit übrig bleibt, die so lange unter Rühren gekocht wird, bis aller Schaum verschwunden ist und sich im Topf ein intensives Tomatenaroma entwickelt. Den Coulis dann in sterile Gläser füllen und bis zu seiner Verwendung im Keller lagern. Das längere Kochen zerstört die Tomate kaum, im Gegenteil: Der „Radikalenfänger“ Lycopin ist aus gekochten Tomaten weitaus besser verfügbar als aus rohen, kann also leichter vom Körper aufgenommen werden.

FETTSÄUREN


VERWENDUNG VON FETT

Fett wurde von der Ernährungswissenschaft lange – wie man heute weiß: zu Unrecht – verteufelt, denn zum Kochen und Abschmecken ist es unersetzlich. Sogar die gesättigten Fettsäuren sind keinesfalls schädlich. Im Gegenteil, sie erfüllen eine ganze Reihe biologischer Aufgaben, zum Beispiel in den Zellmembranen. Was wäre eine schmackhafte Sauce ohne Butter, ein mediterranes Gericht ohne reichlich Olivenöl oder ein südindisches Curry ohne schmackhaftes Kokosfett ( Fette, Seite 476)? Und wem schmeckt nicht das köstlichste aller Fette: Schokolade – also Kakaobutter ( Kakao)? Nicht zuletzt ist Fett ein gutes Lösungsmittel für eine ganze Reihe von Aromasubstanzen ( Flüchtigkeit und Löslichkeit, Seite 28). Aus molekularer Sicht sind Fettsäuren unterschiedlich lange Kohlenwasserstoffketten, die in unterschiedlicher Sättigung vorliegen. Eine der häufigsten Fettsäuren ist die Stearinsäure.


Stearinsäure (C 18:0, oben), Oleinsäure (C 18:1, unten). Da der„Knick“(die CIS-Doppelbindung) an der neunten Stelle erfolgt, wird der Code der Oleinsäure erweitert auf C 18:1,9.

GESÄTTIGTE UND UNGESÄTTIGTE FETTSÄUREN

Die Nomenklatur der Fettsäuren erklärt ihren Aufbau. Die abgebildete Stearinsäure besteht aus 18 Kohlenstoffatomen (Formelzeichen C), die in dieser Darstellung an der linken Spitze und an jedem „Eck“ sitzen – außer am rechten Ende (OH). In der Chemie wird diese Beschriftung meist weggelassen. Keines der 18 Kohlenstoffatome ist ungesättigt: Das würde durch einen „Knick“ und doppelte Striche zwischen zwei Kohlenstoffatomen (Doppelbindung) in der Kette dargestellt werden. Deswegen wird Stearinsäure mit C 18:0 bezeichnet.

Für eine einfach ungesättigte Fettsäure wie die Oleinsäure lautet der Code C 18:1. Nomen est omen: Die ungesättigten Enden einer Fettsäure streben nach Sättigung, sofern die Fette angebrochen und nicht gekühlt sind. Dieser Prozess wird Oxidation genannt: Durch die neuerfolgte Sättigung brechen die Fettsäuren auseinander und bilden Moleküle, die für den ranzigen Geruch verantwortlich sind. Je höher die Temperatur und je mehr ungesättigte Fettsäuren im Spiel sind, desto schneller geht dieser Prozess vonstatten. Im Falle der Brat- oder Frittierfette ist das kulinarisch alles andere als angenehm. Die gleichen Duftstoffe jedoch – zum Beispiel Buttersäure und Propansäure –, die isoliert und vermehrt auftretend schweißig, säuerlich, unangenehm riechen, tragen zu einem positiven Geruchsbild bei reifem Käse bei, da sie hier dezent vorkommen und in ein breites Aromenspektrum eingebettet sind ( Aromen beim Fettabbau, Seite 52).

Fette mit vielen gesättigten Fettsäuren wie Rindertalg, Lamm- oder Kokosfett werden dagegen kaum ranzig. Zum Braten oder gar Frittieren sollte man daher möglichst gesättigte Fette und Öle verwenden. Sind sie zusätzlich gefiltert, also raffiniert, enthalten sie auch weniger Feststoffe, die ihren Rauchpunkt herabsetzen würden: Ideal sind etwa Erdnussöl, Palmkernöl, Sojaöl oder Sonnenblumenkernöl, Butter eignet sich mit ihrem Rauchpunkt von knapp 180 °C ebenfalls zum Braten. Ungefilterte, unraffinierte und kaltgepresste Öle haben wegen der darin enthaltenen Feststoffe einen niedrigen Rauchpunkt, das bedeutet immer „Verbrennung“ – bei kalten Anwendungen aber auch deutlich mehr Aroma.

KULINARISCHE ANWENDUNGEN

Die kulinarischen Anwendungen des Fetts sind grenzenlos, sobald man die „Angst“ davor verliert und die kulinarische Fantasie schweifen lässt.

DER AB- UND UMBAU VON FETTEN UND FETTSÄUREN während des Kochens lässt Aromen entstehen. Das Fleisch verschiedener Tierarten unterscheidet sich in der Fettsäurenzusammensetzung, daher sind auch die Düfte nach dem Fettsäurenumbau verschieden. Für die Küchenpraxis bedeutet dies: Immer die entsprechende Brühe oder den richtigen Fond parat haben, dann hat man zu jedem Gericht die passende Sauce schnell zubereitet. Bei reifenden Käsen werden ebenfalls Aromen umgebaut ( Aromen beim Fettabbau, Seite 52, Abschmecken: umami, Seite 44, Parmesan, Parmigiano).

TIERISCHE FETTE AUS FONDS ODER BRÜHEN bilden sich nach dem Abseihen und Abkühlen im Kühlschrank. Dieses Fett ist zum Wegwerfen viel zu schade, denn damit lassen sich Gemüsegerichte besser betonen, wenn es darin gedünstet oder abgeschmeckt wird – schließlich sind in den Fetten noch einige Aromen ihrer Vorgeschichte gelöst, die sich durchaus nützen lassen.

GARFLÜSSIGKEIT AUS MONTIERTER BUTTER eignet sich für Fische und Meeresfrüchte wie Jakobsmuscheln, aber auch für kleine Zwiebeln oder Gemüse. Dazu werden erwärmte Butter und Wasser – oder der passende Fond – im Verhältnis 1:1 ausgeschlagen und das Gargut darin gekocht beziehungsweise gezogen. Die verbleibende Butter kann für spätere Zubereitungen verwendet werden, sofern die darin gelösten Aromen passen.

MIT ÖL MONTIERTE SAUCEN sind eine Alternative zu Butter. Dazu wird der reduzierte Braten- oder Fischfond von Herd gezogen und Olivenöl in feinem Strahl zugegeben und mit dem Schneebesen oder einem Mixstab eingerührt, bis eine sämige Konsistenz erreicht wird. Olivenöl und Brataroma ergänzen sich hervorragend.

FETTE LASSEN SICH IMMER MISCHEN. So kann man herbe Olivenölschokoladensaucen herstellen, etwa für kurzgebratenes Wild, oder schmelzende Cremes aus weißer Schokolade mit Kürbiskernöl als Beigabe zu Desserts. Olivenöl, Macadamiaöl und Kürbiskernöl können mit geschmolzener reiner Kakaobutter – sie ist weitgehend geschmacksneutral – angerührt werden, dann sind diese Öle „schnittfest“ oder „streichbar“ und können als schmackhafte „Butter“ mit Brot vor einem Menü gereicht werden.


3 (blumig), setzt aber einen vollkommenen Kontrast in der Gruppe 9 (etwa ein Schärfereiz). Der Gesamteindruck einer Speise setzt sich aus einer Reihe von Faktoren zusammen. Der kokumi-Effekt

KOKUMISIEREN OHNE LANGE GARZEITEN

Bohnensaucen helfen, die langen Kochzeiten abzukürzen: Schwarze-Bohnen-Paste, Schwarze-Bohnen-Sauce, Rote-Bohnen-Paste oder Gelbe-Bohnen-Sauce sind bei den kurzen Zubereitungszeiten im Wok die besten Garanten für eine breitere Kokumibasis. Besitzer eines Dampfdruckkochtopfs oder Schnellkochtopfs sind hier klar im Vorteil. Durch den hohen Druck im hermetisch verschlossenen Topf und die dadurch erhöhte Gartemperatur zersetzen sich die Proteine rascher und effektiver. Da das System geschlossen ist, dampfen auch kaum Aromen in die Umgebung ab.

ROQUEFORT-WÜRZSPRAY

100 g Roquefort in ca. 200 ml Sojamilch aufkochen und vollkommen auflösen. Danach abkühlen lassen und die stark aromatisierte Sojamilch abschöpfen. Das zurückbleibende milde Käseprotein im Topf für andere Zwecke aufheben: Es lässt sich kalt würfeln und zum Beispiel unter Salate heben. Die Blauschimmeltrümmer ebenfalls aufbewahren und zerkrümelt zum Würzen von Fisch oder Fleisch verwenden. Die „Roquefortmilch“ durch einen Teefilter oder Haarsieb geben, um auch kleinste Partikel herauszubekommen, damit der Zerstäuber nicht verstopft. Diese Milch dann in einen Zerstäuber füllen und Gerichte der Wahl damit besprühen. Der Hauch eines Blauschimmelkäses wird jedes Schweinefilet, jedes Hühnerbrüstchen, jeden Seeteufel auf eine ganz andere Art würzen, als das mit vielen andern Gewürzen oder Kräutern möglich ist.

ABRUNDEN: KOKUMI

„Kokumi“ stammt aus dem Japanischen und umfasst die Eigenschaften „Mundfülle“ und „Rundheit“ ( Seite 16). Dabei ist der gesamte erste Eindruck einer Speise entscheidend, der sofort nach dem ersten Zungenkontakt entsteht: Welche Geschmacksrichtungen und welche Reize treten in jeweils welcher Intensität auf? Welche Konsistenzen lassen sich sofort erspüren? Wie der kokumi-Effekt wahrgenommen wird, ist noch nicht erforscht, man weiß nur, dass er durch Proteinbruchstücke ausgelöst wird, die aus einem Verbund von zwei oder drei Aminosäuren und einer Glutaminsäure bestehen. Diese Bruchstücke, γ-Glutamylpeptide, entstehen bei längerem Kochen ( Geschmacksmodulation, Seite 16 f.). Sie sind selbst ohne Geschmack, stimulieren aber den Gesamteindruck, kokumi „verbreitert“ gewissermaßen den Geschmack. Da Proteinbruchstücke aber nur während langen Kochens entstehen, lässt sich eine „Mundfülle“ nachträglich nicht mehr „korrigieren“. Die einzelnen Glutaminsäure-Stücke tragen hingegen zum umami-Geschmack bei ( Abschmecken: umami, Seite 43). Auch deswegen wird die Bolognese sehr lang geköchelt, Tomaten und Fleisch ergeben eine hohe Konzentration dieser Peptide. Die Sauce wird rund und süffig. Auch das Chili con carne mit Bohnen und Fleisch hat diese Eigenschaften.

RAUCHPUNKT VON FETTEN

FETT / ÖL RAUCHPUNKT IN °C
Senföl 240
Erdnussöl (raffiniert, gehärtet) 230
Palmkernfett 220
Sojaöl 210
Sonnenblumenöl (raffiniert) 210–220
Raffiniertes Olivenöl 200–210
Butterschmalz (Ghee) 200–205
Kokosfett 185–205
Sesamöl nativ 175
Butter 175
Erdnussöl (kaltgepresst) 170
Walnussöl 160
Distelöl 150
Rapsöl (kaltgepresst) 130–180
Olivenöl (kaltgepresst 130–175
Schweineschmalz (je nach Wasser/Proteingehalt) 130–210
Weizenkeimöl 120
Sonnenblumenöl (kaltgepresst) 110

KOKUMISIEREN

SELBST HERGESTELLTE KOKUMIWÜRZE erhält, wer eingeweichte weiße Bohnen mit Rindfleisch im Verhältnis 1:1 ohne Salz und Gewürze lange zusammen in möglichst kalkarmem Wasser kocht, bis alles sehr weich ist. Nach dem Pürieren wird die Paste durch ein feines Sieb gestrichen. Die dickliche Paste ist Verdickungsmittel, umami-Gewürz und Geschmacksmodulator in einem und hilft, ein Gericht abzurunden. Vegetarier ersetzen das Rindfleisch durch Käse, sofern tierische Produkte gegessen werden. Im Schnellkochtopf funktioniert dieser Prozess rascher und effektiver.

REIZEN DES TRIGEMINUSNERVS

Der Trigeminusnerv übermittelt groben Druck, Schmerz, Temperatur und Jucken – nicht nur im Mund, sondern am ganzen Körper. Wahrgenommen werden diese Reize als „heiß“, „kalt“, „ätzend“, „beißend“, „brennend“, „prickelnd“ und „adstringierend“ ( Trigeminus, Seite 13). Die gezielte Stimulation des Trigeminusnervs will allerdings geübt sein: In einem überchilisierten Curry wird man feine Nuancen nur noch schwer erkennen.


Die Trigeminusempfindung eines Gerichts lässt sich innerhalb eines dreidimensionalen Raumes verorten. Je mittiger der Reiz, desto ausgewogener ist er – je stärker die Tendenz zu einer Ecke hin, desto prägnanter ist diese eine Empfindung.

Den Umfang der Reize des Trigeminusnervs kann man sich als würfelförmigen Raum vorstellen, an dessen Ecken die einzelnen Empfindungen liegen (siehe Abbildung). Wird eine Empfindung zu sehr hervorgehoben, treten die anderen in den Hintergrund. Raffinierter ist es, mit der Würzung die Mitte einer Kantenlänge oder sogar die Mitte des gesamten Raumes anzustreben.

HEISS-KALT – SCHARF-KÜHLEND

PFEFFER darf in kaum einem Essen fehlen, deswegen ist die trigeminale Reizung „scharf“ ohnehin omnipräsent. Aber auch Chili, Ingwer oder frischer Knoblauch liefern diese Empfindung. Das CAPSAICIN in Chili ist dabei noch um ein Vielfaches schärfer als das PIPERIN des Pfeffers ( Schärfegrade, Seite 135). Wird der Reiz zu stark, artet der Genuss in Schmerz aus – die Grenze ist allerdings individuell beziehungsweise eine Sache der Gewöhnung.

PFEFFERMINZE, Pfefferminzbonbons oder Spearmint-Kaugummi hinterlassen eine angenehme Kühle auf der Zunge und im gesamten Mundraum. Die Trigeminusrezeptoren reagieren auf das Molekül MENTHOL, als träfen sie auf Eis. Minze ist das „kühlste“ Küchenkraut, bereits das 1,8-CINEOL in Eukalyptus wirkt viel schwächer.

„ECHTE“ UND „FALSCHE“ TEMPERATURKONTRASTE werden von vielen Köchen gerne als interessanter Reiz gezielt eingesetzt. So finden sich auf Tellerarrangements häufig kalte und warme Elemente, etwa ein intensiv schmeckendes Gemüseeis neben einem warmen Fisch- oder Fleischgericht. Aber es muss nicht unbedingt „echte“ Temperatur sein: So wie Minze als kühlend empfunden wird, vermitteln die Schmerzrezeptoren bei Pfeffer und Chili den Eindruck: „heiß“. Daher kann man zum Beispiel kalten Desserts durch etwas Chili Wärme vermitteln. Ein wenig grob zerstoßener Pfeffer im Schokomousse wirkt nicht scharf, sondern unterstreicht den Charakter in Richtung „heißer Schokolade“. Etwas Langer Pfeffer in einem kühlen, fruchtigen Obstsalat gibt diesem einen überraschenden „heißen“ Kick – der sich im übrigen steigern lässt, wenn noch ein Teelöffel Olivenöl untergehoben wird, um einen Hauch „bitter“ hineinzugeben.

BRENNEND, BEISSEND, PRICKELND

DER WÄRMENDE EFFEKT in Ingwer, ausgelöst durch das GINGEROL, unterscheidet sich in der Empfindung deutlich von Pfefferschärfe. Mit einem Teelöffel frischem Ingwer wird ein Obstsalat ordentlich aufgepeppt. Ebenso unterstützt etwas frischer Ingwer die Säure der Vinaigrette und verstärkt den Genuss durch zusätzliche Trigeminusreizung. Auch MYRISTICIN hat einenleicht „brennenden“ Effekt, es findet sich nicht nur in Muskatnuss, sondern auch in Pastinaken und den Blattgewürzen Petersilie und Liebstöckel. Reichlich Petersilie in einem Salat – oder einfach Petersilie mit Öl, Salz und ein paar Tropfen Zitronensaft als Tellerelement – liefert ein kräuteriges Aroma und ein leicht brennendes Gefühl im Mundraum. In verschiedenen Lakritzprodukten erzeugt Salmiak beziehungsweise Ammoniumchlorid ein brennendes Gefühl. Daher kann mit klein geschnittenen Lakritzrollen oder Konfekt entsprechend gewürzt werden. Den Versuch ist es wert, man sollte allerdings immer sparsam dosieren. Hier offenbaren sich ganz neue kulinarische Zusammenhänge – auf molekularer Basis.

ALS BRENNEND UND „BEISSEND“ können hochprozentiger Alkohol und Tabakrauch empfunden werden. Beides ist küchentechnisch nicht relevant, aber mit Tabak kann gewürzt werden: Dazu werden seine Aromen und Inhaltsstoffe über Wasser oder Öl extrahiert und so den Speisen zugefügt. Eine derart aromatisierte dunkle Schokolade hat tatsächlich ihren Reiz. Allerdings ist Vorsicht bei der Dosierung geboten, denn Nikotin ist bekanntermaßen nicht gesund, ein Zuviel wirkt toxisch. Das Gericht „schmeckt“ außerdem schon bei einer leichten Überdosierung nicht mehr. Ärzte werden es nicht empfehlen, aber für manche ist hin und wieder etwas Pfeifentabak im Schokodessert – genossen mit einem Gläschen bestem Rum, Whisky, Cognac oder Calvados – ein wahrhafter Genuss: Hier werden als „beißend“ empfundene Komponenten unterschiedlichster Aromatik zusammengeführt. Auch bringt etwas Tabakextrakt in Begleitung mit Fisch oder hellem Fleisch ganz besondere Noten. Von Sahnesaucen zu Poularden, die leicht mit Tabak und Morcheln geschwängert sind, ganz zu schweigen. Die Effekte lassen sich auch kombinieren: Eiszubereitungen mit geräuchertem Joghurt-Ziegenkäse ergeben sowohl einen gefühlten warm-kalt-Kontrast als auch einen ganz neuen Eindruck von Rauch.


Die kühlende Wirkung des synthetisch für Pharmazwecke hergestellten Icilins, eines schmerzlindernden Wirkstoffs, übersteigt diejenige des Menthols (Minze) um ein Vielfaches, während das eukalyptusartig duftende 1,8-Cineol (unter anderem in Basilikum, Eukalyptus, Kardamom und Lorbeer) weit schwächer ist und erst bei hohen Konzentrationen wirkt.

(Nach Hanns Hatt, www.cphys.ruhr-uni-bochum.de)

EIN DEUTLICHES PRICKELN sowie eine leichte Taubheit der Zunge werden etwa von HYDROXY-α-SANSHOOL in Szechuanpfeffer und Parakresse ausgelöst. Die chinesische Provinz Szechuan, aus der diese Pflanze stammt, hat für ihre besondere Schärfequalität einen speziellen Begriff eingeführt (má), um sie von der Schärfe etwa einer Chili (là) abzugrenzen. Die Kombination der beiden Qualitäten (má là) führt zu ganz besonderen und in Europa wenig bekannten „Geschmacks“-Erlebnissen, die sich durch ihr breites Empfindungsspektrum auszeichnen, das über gewöhnliche Schärfe hinausgeht.

ADSTRINGENZ

Ein Lebensmittel wirkt adstringierend, wenn es Mund und Zunge „zusammenzieht“. Manchmal wird das adstringierende Gefühl irrtümlicherweise als „bitter“ beschrieben, da sich beide Effekte oft überlagern.

GALLUSSÄURE kommt in grünem Tee vor, im Schwarztee aber ist sie weit weniger nachzuweisen. Auch in Rhabarber ist der Stoff enthalten. Mit Sorten, die arm an OXALSÄURE ( Abschmecken: sauer) sind, beispielsweise jungem Erdbeerrhabarber, lassen sich dezent adstringierende Effekte herausarbeiten, indem man etwa einige kleine Würfel süffigen Sahnesaucen oder Saucen auf Innereienbasis zugibt. Selbst einfache Dessertelemente wie Milchreis bekommen dadurch eine ganz besondere Note.

QUERCETIN kommt in sehr vielen Früchten (Äpfel, Brombeeren, Heidelbeeren, Johannisbeeren Kirschen, Zitrusfrüchte) und Gemüse (Brokkoli, Grünkohl, Grüne Bohnen) vor, außerdem in vielen Gewürzen und Kräutern (Kapern, Liebstöckel, Sanddorn, Schnittlauch, Zwiebel) und sogar in Weinen.

GEHACKTE WALNUSS erzielt ebenfalls adstringierende Effekte. Gleichzeitig erhält man einen Textureffekt durch das knackende Mundgefühl. Zum Beispiel lässt sich gekochtes Rotkraut kurz vor dem Servieren mit ein paar Walnüssen veredeln. Der begleitende Gänsebraten kann diese Adstringenz ebenso vertragen.

DÜFTE ERZEUGEN UND KOMBINIEREN

Wenn eine Zutat duftet, liegt das an kleinen Molekülen, die die Pflanzenzellen verlassen und in die Luft schweben. Deswegen riechen zerstoßene oder geschnittene Gewürze intensiver: Bei ihnen sind viele Zellwände zerstört worden. Einige Düfte sind sehr flüchtig und duften sofort sehr stark, verschwinden jedoch bald. Andere, weniger flüchtige Noten riechen dezenter, aber länger anhaltend. Sie kommen zur Geltung, sobald sich die intensiveren Düfte verflüchtigt haben ( Geruchssinn und Aromen, Seite 18). Um Düfte etwas in ihrer Flüchtigkeit zu bremsen, können sie in geeigneten Lösungsmitteln „festgehalten“ werden. Alle Aromen lösen sich in Alkohol, Fett oder Wasser – oder in mehreren dieser drei Stoffe ( Lösungsmittel, Seite 29). Aus diesem Grund lassen sich auch Essige beziehungsweise Butter oder Käse (Fett) aromatisieren.

ENTSTEHUNG VON AROMEN: REIFUNGSPROZESSE

Viele Aromen und Düfte sind nicht von vornherein in Gewürzen oder Lebensmitteln enthalten, sondern entstehen erst durch Lagerprozesse: Das bekannteste Beispiel ist wohl der typisch heuartige Waldmeisterduft, der erst beim Welken der Pflanze freigegeben werden kann. Oft sind an dieser Steigerung des Genusses eine ganze Reihe von Stoffen beteiligt, die im Lebensmittel mit der Zeit zu anderen Molekülen mit anderen Dufteigenschaften „umgebaut“ werden. Dies ist angewandte Biotechnologie in Reinstform.

BEI DER FLEISCHREIFUNG werden die enthaltenen Fettsäuren durch enzymatische Prozesse zu völlig neuen Aromen umgebaut. Jede Fleischsorte weist ein anderes Spektrum an Fetten auf, darauf lässt sich der unterschiedliche und sehr charakteristische Geruch etwa von Rind, Schwein, Schaf oder verschiedenen Geflügelarten zurückführen. In den Gerüchen der jeweiligen Brühen und Fonds sind diese Unterschiede noch immer wahrzunehmen: Hühnerbrühe riecht deutlich verschieden von einer Rinder-, Lamm- oder einer Brühe auf Schweinefleischbasis. Die chemischen Prozesse, bei denen aus den Fettsäuren Aromen gebildet werden, benötigen Zeit, daher müssen zum Beispiel Fleischbrühen und Fonds eine gewisse Zeit garen, bis sie ihr volles und tiefes Aroma entwickelt haben. Solche chemischen Prozesse sind auch der Grund, weshalb nach Tagen im Kühlschrank wieder aufgewärmte Schmorgerichte häufig „besser“ werden. Wegen des fortschreitenden Fettabbaus und der damit verbundenen weiteren Aromenbildung werden Geruch und Geschmack intensiver. Außerdem ziehen die Aromen des Schmorfonds nach und nach in das Fleisch und würzen es zusätzlich ( Verwendung von Fett, Seite 47).

AROMEN BEIM FETTABBAU


AUCH DURCH PILZE lassen sich Aromen „herstellen“ – die Fermentierung durch Hefe ist ein Beispiel. Jeder Käseliebhaber profitiert davon: Edelschimmel wird den Käselaiben zugefügt, woraus köstliche Camemberts oder Edelschimmelkäse entstehen. Durch das Einreiben mit Salzlake lassen sich die besten duftenden Rotschmierkäse herstellen, die Affineure zu bieten haben.

AROMEN AUS DEM FEUER: RÖSTEN UND RÄUCHERN

Rösten und Räuchern sind uralte Verfahren, um Speisen zu würzen. Die Rauch- und Röstaromen wirken als Würzung, die nicht durch herkömmliche Gewürze oder Kräuter nachzuahmen ist.

RÖSTEN

DIE MAILLARD-REAKTION ist beim Grillen und Rösten stets beteiligt. Bei dieser sogenannten nichtenzymatischen Bräunungsreaktion bilden sich unter großer, offener Hitze von mehr als 100 °C aus den Proteinbestandteilen der Aminosäuren und Zucker röstig-karamellig, nussig und brotrindenartig duftende Aromen, die Pyrazine. Das Aroma von Lebensmitteln wie gebratenem Fleisch, Brotkrusten, Kakao, Kaffee und gerösteten Nüssen lässt sich so beeinflussen. Wenn Zucker (Glukose) unter hohen Temperaturen auf die Aminosäure Asparaginsäure trifft, entstehen allerdings auch Schadstoffe wie Acrylamid. Das betrifft vor allem stärkehaltige Produkte wie Brot und Kartoffeln.

Der Vorteil der Pyrazine ist ihre niedrige Wahrnehmungsschwelle. Man muss daher gar nicht immer das ganze Gericht auf den Grill oder in die Pfanne legen: Für einen deutlichen Würzeffekt ohne Dominanz genügen bereits ein paar „Röstpunkte“ auf einem ansonsten pochierten oder bei Niedrigtemperatur gegarten Fleisch, die mit einem Gourmetbrenner aufgetragen werden.

EIN RÖSTIGES WÜRZÖL lässt sich relativ einfach herstellen, weil Pyrazine und andere Röstprodukte fettlöslich sind. Dazu werden zum Beispiel 100 g Sonnenblumenkerne sehr dunkel angeröstet und mit 300 ml Sonnenblumenöl grob püriert. Nach einigen Tagen Marinierzeit (Mazeration) lässt sich das Püree abseihen und das gewonnene Öl filtern. Das Öl hat jetzt einen starken Röstcharakter.

FÜR RÖSTSCHMALZ werden Zwiebeln und Knoblauch mit reichlich Gänse oder Schweineschmalz kräftig angeröstet und danach in der Pfanne abgekühlt. Nach zwei, drei Tagen Marinierzeit wird es leicht erwärmt und abgefiltert. Wenn das Schmalz wieder abgekühlt und fest geworden ist, kann es als Röstfett zum Abschmecken von Saucen verwendet oder schlicht mit Salz auf Brot zum Aperitif genossen werden.

KAFFEE UND KAKAO bringen in ihrem Aromenspektrum auch Pyrazine mit. Speisen können daher gänzlich ohne Feuer mit Röststoffen gewürzt werden, wenn man gemahlene Kaffee-, Kakaobohnen oder Kakaoschalen (grué de cacao) dazugibt.

Aroma - Die Kunst des Würzens

Подняться наверх