Читать книгу Aroma - Die Kunst des Würzens - Thomas Vierich - Страница 8
FOOD-PAIRING UND FOOD-COMPLETING
ОглавлениеLebensmittel, beliebig herausgegriffen, lassen sich auf zwei Arten würzen – ohne dass die angegebenen Möglichkeiten vollständig wären. Ihre dominanten Aromen sind gemäß des Farbschemas gekennzeichnet. Die Zutaten mit Überlapp weisen Aromen aus derselben Gruppe auf und wirken harmonisch als „Food-Pairing“. Kreise ohne Überlapp haben keine (oder keine dominanten) Duftbeiträge aus der entsprechende Aromengruppe. Damit wirken diese Lebensmittel ergänzend, als Spannung erzeugendes „Food-Completing“. Schmackhafte Arrangements nutzen beide Gedanken.
DAS VERFAHREN DER ENFLEURAGE funktioniert ähnlich und wird in der Parfümerie schon lange angewandt: Kräuter, Gewürze oder Blüten werden für längere Zeit zwischen feste Fette gegeben, die später ebenfalls mit Alkohol wieder ausgewaschen werden, um so die darin gelösten Aromen zu gewinnen.
WEITERE METHODEN sind die Wasserdampfdestillation oder der Einsatz von Spezialgeräten wie dem Rotationsverdampfer. Besonders diese Methode ist aber nur für Fortgeschrittene geeignet: Man kann hierbei Aromastoffe in solch hohen Konzentrationen erzeugen, dass sie gesundheitsschädlich sein könnten. Das Extrakt mal zu „probieren“ ist bei diesen Methoden leider der falsche Weg.
AROMATISIEREN MIT ULTRASCHALL UND UNTER DRUCK
Aromaextraktion ist auch mit Ultraschall oder einem einfachen Sahnesiphon möglich. Dazu wird das Lösungsmittel – je nach Anwendung Öl, Alkohol oder möglichst kalkarmes Wasser, das aber leicht gezuckert oder gesalzen sein darf – mit ganzen Kräutern versetzt und mit einem Ultraschallstab beschallt. Alternativ in einen Plastikbeutel geben, vakuumieren und im Reinigungsultraschallbad beschallen. Durch den Ultraschall entstehen starke wellenförmige Druckunterschiede im Wasser. Dabei bilden sich „Kavitäten“, Bläschen, die rasch platzen und die Pflanzenzellen zum Bersten bringen. Die ätherischen Öle ergießen sich dadurch in das Lösungsmittel. Das Resultat ist eine stark aromatisierte Flüssigkeit, die zum Würzen verwendet werden kann.
Es geht auch einfacher, wenngleich nicht so wirkungsvoll: möglichst kalkarmes Wasser oder Öl in einen Sahnesiphon füllen. Kräuter oder Gewürze dazugeben und mit zwei Patronen begasen. Der Druck im Sahnesiphon lässt ebenfalls die Zellen platzen: Das ätherische Öl tritt heraus. Danach den Druck vorsichtig ablassen und die aromatisierte Flüssigkeit abseien. Voilà, vive la physique!
DAS PRINZIP DES DUFTWÜRZENS – FOOD-PAIRING UND FOOD-COMPLETING
Wie im ersten Kapitel erläutert, gibt es im Unterschied zu den fünf plus einer Geschmacksrichtung eine unüberschaubar große Anzahl von Duftstoffen, die sich aufgrund ihrer Molekülstruktur sinnvoll in acht Gruppen einteilen lassen ( Acht plus eine charakteristische Molekülgruppe, Seite 23, Das Farbschema: So funktioniert’s, Seite 32). Gehört ein Duftstoff zu einer bestimmten Gruppe, kann man bereits erahnen, wie er ungefähr riechen wird. Dieses Wissen erleichtert die „richtige“ Kombination von Gewürzen nach den Prinzipien des Food-Pairings und des Food-Completings.
FOOD-PAIRING
Das sogenannte Food-Pairing, oft fälschlicherweise auch als Flavour-Pairing bezeichnet, geht von der naheliegenden Idee aus, „Gleiches mit Gleichem“ zu paaren, sodass es zwischen den Lebensmitteln und Kräutern überlappende Bereiche gibt: dasselbe Molekül in zwei Zutaten oder zwei Düfte, die zumindest der gleichen Gruppe zugeteilt sind. Der gemeinsame Nenner wird verstärkt, die Zutaten harmonieren miteinander.
Bezogen auf das Farbschema dieses Buches bedeutet das: Wenn bei zwei verschiedenen Gewürzen im Lexikonteil ( ab Seite 91) jeweils die gleiche Farbe „aktiv“ ist, dann steckt in beiden ein sehr ähnlicher Duft – vielleicht sogar das gleiche Molekül. In der Kombination wird das typische Aroma dieser Gruppe verstärkt.
FOOD-PAIRING
Schnittfester kalter Milchreis mit Kokosmilch oder Kokos-aromen zubereitet und mit einer Bananen-, Mango- oder Papaya-Creme serviert: Hier bestehen genügend Überschneidungen von Aromen aus den Gruppen 1 und 3.
FOOD-COMPLETING
Reines Paaren nach gleichen oder ähnlichen Geruchsstoffen kann allerdings nicht der einzige Weg sein, denn die Erfahrung zeigt, wie schnell man damit an Grenzen stößt. Daher ist es immer eine Alternative, Gewürze mit Duftstoffen aus jeweils anderen Gruppen zu wählen. Hier ergänzen sich die Aromen der Zutaten gegenseitig und füllen gewissermaßen die im jeweiligen Gegenüber vorhandene „Duftlücke“ auf. Da dies nicht zwangsläufig eine völlig entgegengesetzte Duftrichtung sein muss, spricht man weniger von Kontrast als von Ergänzung, eben von Food-Completing.
Bezogen auf das Farbschema im Buch bedeutet das: Wenn zwischen zwei Gewürzen wenig bis gar keine farbliche Übereinstimmung herrscht, wird das Duftspektrum durch die Kombination der beiden Gewürze erweitert.
FOOD-COMPLETING
Eine Scheibe Milchreis wird vor dem Servieren in der Pfanne kurz gegrillt, dadurch entstehen Röststoffe (Gruppe 8). Diese waren in der angerichteten Speise bisher nicht enthalten. Alternativ kann ein Teil der Zutaten mit Süßholz oder Zimt geräuchert werden, was teerige Raucharomen und weniger süßliche Karamellnoten beisteuert. Der dritte Weg wären dezenter Liebstöckel oder etwas Kubebenpfeffer: In ihnen befinden sich bereits von Natur aus nach Curry und Karamell duftende Noten aus der Gruppe 8. Beide Techniken heben die Gerichte auf unvergleichliche und unterschiedliche Weise.
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN
Dieser Ansatz könnte schnell zu dem voreiligen Schluss führen, dass dann alles mit allem kombiniert werden kann: Funktioniert die Kombination zweier oder mehr Zutaten nicht über das Prinzip des Food-Pairing, kommt eben dasjenige des Food-Completings ins Spiel. So einfach ist es aber nicht. Es gibt gewisse Grenzen. Für das Food-Pairing lassen sie sich relativ konkret benennen: Wird die Überlappung zu sehr übertrieben, ist die Gefahr einer einseitigen Überwürzung gegeben. Beim Food-Completing wird es schwieriger. Natürlich sind persönliche Vorlieben entscheidend – was manche als reizvolle Kombination empfinden, geht anderen schon zu weit. Auf dem Papier sind „unmögliche“ Aromenkombinationen immer nur Theorie, denn ein Großteil steht und fällt mit den jeweils verwendeten Mengen. Oft wird in der Theorie auch vergessen, den Geschmack der zu kombinierenden Speisen einzurechnen. Ein zunächst unmöglich erscheinendes Paar kann zum Beispiel über einen Vermittler zusammengebracht werden. Anis und Knoblauch etwa sind eine perfekte Kombination, wenn sie Rotbarben als Vermittler bekommen. Ein weiteres Beispiel ist die abwegig erscheinende Kombination von Blauschimmelkäse und Zimt: Nimmt man dazu als Vermittler eine Creme aus gekochten Pflaumen und Portwein, so ist der Zimt zu dem Blauschimmelkäse vollkommen unproblematisch.
Entscheidend sind auch die jeweiligen Dosierungen, da die Geruchsaktivitäten der Duftstoffe stark von Textur, Lösungsmittel und Temperatur abhängen. Ein Zuviel eines komplementären Gewürzes kann daher rasch eine Disharmonie erzeugen. Erst wenn alle Genussparameter der Komponenten, wie Geruchsaktivität, Temperatur und Textur, auf einem Teller stimmig sind, kann man von einem perfekten Flavour-Pairing sprechen.
Durch das hypothetische Food-Pairing wird hier ein großer Überlapp in den Gruppen 4 (minzartig-würzig), 5 (kampferigholzig) und 6 (harzig-aromatisch) erreicht. Durch das Food-Completing erzielt man zwar eine Überlappung in der Gruppe
DIE KUNST DES WÜRZENS
Diese wenigen Beispiele zeigen: Die Einteilung der Gerüche in verschiedene Gruppen hat durchaus würzpraktische Relevanz. Über sie lässt sich das Prinzip Food-Pairing und Food-Completing visualisieren und einfach umsetzen – ob man sich die Namen der verantwortlichen Moleküle nun merken möchte oder nicht. Wie detailliert dabei die Verzahnung sein kann, wird im Schaubild Seite 56 angedeutet: So harmoniert der schwefelig riechende Kohl etwa bestens mit Gewürzen und Gerichten, in denen ähnlich duftende Aromen dominant sind. Ergänzt wird er hingegen von Zutaten, deren Duft von Aromen aus anderen Gruppen dominiert werden. Der lexikalische Teil des Buches behandelt ab Seite 91 alle Kräuter und Gewürze, die für mehr „Flavour“ im Essen sorgen – und damit auch die Vielzahl von Aromen, die sich hinter den neun farbigen Aromagruppen verstecken. Wird darüber hinaus noch der jeweilige Grundgeschmack oder trigeminale Reiz der zu paarenden Lebensmittel berücksichtigt, werden neue, mitunter wilde Kombinationen erst richtig spannend.