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§ 30Der Komparativ. Allgemeines
Оглавление(1) Das lateinische Adjektiv besitzt wie das deutsche Adjektiv drei Steigerungsstufen: Positiv (Gradus positivus), Komparativ (Gradus comparativus), Superlativ (Gradus superlativus): fortis (mutig), fortior (mutiger), fortissimus (der Mutigste, sehr mutig).38 Der deutschen Fortführung des Komparativs mit ‘als’ entspricht im Lateinischen die Vergleichspartikel quam oder der Ablativus comparationis (vgl. § 367). Kasus, Genus und Numerus des im Komparativ stehenden Adjektivs richten sich nach dem ersten, vor quam stehenden Vergleichsglied. Die Vergleichspartikel quam hat keinen Einfluss auf die Konstruktion. Beide Vergleichsglieder erfüllen dieselbe syntaktische Funktion, meistens die des Subjekts. Auch Adverbien werden kompariert. Da die Verwendungsweisen von komparierten Adjektiven und Adverbien weitgehend identisch sind (abgesehen von den Unterschieden, die sich aus der Verschiedenheit der Wortarten ergeben), wird in diesem Kapitel auch die Verwendung der Komparative und Superlative von Adverbien behandelt.
Num ego officiosior sum quam ceteri? (Bin ich etwa pflichtbewusster als die anderen? Sowohl ego als auch ceteri erfüllen die syntaktische Funktion des Subjekts.) (S. Rosc. 2). Ei natura nihil melius quam vocem dedit (Die Natur hat ihm nichts Besseres mitgegeben als seine Stimme. nihil melius und vocem sind Akkusativobjekte.) (Quinct. 11). Lucullus, qui tum in Macedonia fuit, melius haec cognovit quam tu, Hortensi, qui Romae fuisti (Verr. II 2,24).
(2) Der Komparativ bezeichnet im Lateinischen nicht nur eine Steigerung gegenüber einer zweiten explizit genannten Sache bzw. Person (Hans ist größer als Fritz.), sondern auch eine Modifikation der durch das Adjektiv ausgedrückten Eigenschaft (modifizierender Komparativ), die man im Deutschen im Falle einer starken Modifikation mit ‘zu, zu sehr, allzu’, im Falle einer schwächeren Modifikation mit ‘ziemlich, etwas, ein wenig’ wiedergibt. In vielen Fällen kann man aus dem Kontext einen Vergleichsgegenstand, der dem Redner nur in Gedanken vorschwebt, ergänzen. Statt des modifizierenden Komparativs kann auch mit stärkerer Hervorhebung nimis (oder nimium) mit dem Positiv stehen.
Ea ipsa, quae dixi, sentio fuisse longiora (zu ausführlich); ignoscite autem; nam senectus est natura loquacior (denn das Alter ist von Natur aus ziemlich geschwätzig) (Cato 55). Qui plura (zu viel) loquitur, is ineptus esse dicitur (de orat. 2,17). Perturbatio est appetitus vehementior (Tusc. 4,47). Omnia plerumque, quae absunt, vehementius (ziemlich stark) hominum mentes perturbant (sc. quam praesentia) (Gall. 7,84,5). Nimis obscurus est poeta Euphorion (Der Dichter Euphorion ist viel zu dunkel, vollkommen unverständlich.) (div. 2,133).
(3) Werden an einem Gegenstand oder an einer Handlung zwei Eigenschaften miteinander verglichen, so werden entweder (a) (seltener) beide mit dem Komparativ bezeichnet oder (b) (fast regelmäßig) beide durch den Positiv ausgedrückt, wobei bei der wichtigeren Eigenschaft magis steht. Im Deutschen setzt man beide Adjektive in den Positiv und stellt entweder zur wichtigeren Eigenschaft ein ‘eher’ oder knüpft das zweite Adjektiv mit ‘aber nicht’ an.
Zu a) Libentius haec in illum evomere videor quam verius (Ich scheine das eher aus Genugtuung als aus Liebe zur Wahrheit über ihn ausgegossen zu haben. Ich scheine das aus Schadenfreude, aber nicht aus Wahrheitsliebe gegen ihn vorgebracht zu haben.) (Mil. 78). Rem talem per alios citius quam per se tardius confici malebat (Er wollte eine so wichtige Sache eher schnell durch andere als langsam durch eigenen Einsatz erledigt wissen.) (Sest. 70).
Zu b) Is disertus magis est quam sapiens (Er ist eher eloquent als intelligent. Er ist eloquent, aber nicht intelligent.) (Att.10,1,4). Ad dicendum veniebat magis audacter quam parate (eher frech als vorbereitet; frech, aber unvorbereitet) (Brut. 241).
Weitere Stellen: Verr. II 2,176; Manil. 24; Planc. 37; de orat. 1,190; ad Q. fr. 1,1,32.
(4) Statt des unklassischen quam pro aliqua re (als sich im Verhältnis zu einer Sache erwarten lässt; als sich mit einer Sache verträgt) nach einem Komparativ setzt Cicero nach der Vergleichspartikel quam einen Komparativsatz (vgl. § 572).
Illa doctrina est asperior et durior, quam aut veritas aut natura patitur (Diese philosophische Lehre ist härter und rigoroser, als es sich mit der Wirklichkeit oder der Natur verträgt.) (Mur. 60). Sum avidior, quam satis est, gloriae (Ich bin süchtiger nach Ruhm, als es zuträglich ist.) (fam. 9,14,2). Iis plus frumenti imperabatur, quam quantum exaraverant (Man verlangte mehr Getreide von ihnen, als sie geerntet hatten.) (Verr. II 3,57).
(5) In den meisten Fällen bleibt das betonte wie das unbetonte deutsche ‘noch’ vor einem Komparativ unübersetzt. Das betonte ‘noch’ kann mit vor- oder nachgestelltem etiam wiedergegeben werden.
Melior (noch besser) Enni quam Solonis oratio (Tusc. 1,117). Dic etiam clarius! (Verr. II 3,175). Ut in corporibus magnae sunt dissimilitudines, sic in animis exsistunt maiores etiam varietates (off. 1,107).
Weitere Stellen: Catil. 2,18; 4,14; Brut. 70.92.164; Tusc. 1,2; Gall. 1,16,6; civ. 3,47,5.
(6) Dem deutschen ‘viel’ beim Komparativ entspricht im Lateinischen der Ablativus mensurae multo (vgl. § 34,4b), ‘ein wenig, etwas’ paulo; schwächer als multo, aber stärker als paulo ist aliquanto (vgl. § 380,1).
Nova et multo crudelior per vos proscriptio instaurata est (S. Rosc. 153). Paulo incautius custodias in muro dispositas videbat (Gall. 7,27,1). Potesne aliquanto clarius dicere? (div. in Caec. 48).
Anm.: Die Verwendung des Adverbs longe beim Komparativ ist unklassisch (Δ).
(7) Das Adjektiv malus besitzt zwei Komparative: peior und deterior; peior bedeutet ‘schlechter als etwas anderes Schlechtes’, deterior ‘weniger gut als etwas anderes Gutes’.
Melius a deteriore distinguitur (de orat. 3,34). Turpis fuga mortis omni est morte peior (Phil. 8,29).
(8) Einige Positive können je nach Kontext komparativische Bedeutung besitzen:
angustus | zu enga |
difficilis | zu schwer |
exiguus, parvus | zu klein |
infirmus | zu schwach |
longus | zu lang, zu weitschweifigb |
magnus | zu groß |
a Gall. 1,2,5 b Verr. II 1,156
Sed nihil difficile amanti puto (Aber einem Liebenden ist wohl nichts zu schwer.) (orat. 33). Cives infirmi erant ad resistendum (civ. 3,9,3).
Anm.: Die Wendung ne sim longus (um nicht zu ausführlich zu sein, um nicht zu weit abzuschweifen) ist klassisch nicht belegt (Δ), statt dessen schreibt Cicero et (atque) ne longum sit (Cluent. 198; Catil. 3,10); nolo esse longus (nat. deor. 1,101), longum est dicere (Verr. II 1,156; Cluent. 36), ne sim longior (div. 2,60).