Читать книгу Die vierzehnte Etappe - Tim Krabbé - Страница 16

Оглавление

DIE VERTEILUNG DER PRÄMIEN (1980)

Vor kurzem bestritt ich ein Rennen in Hoeselt (Belgien). Nach circa einer viertel Stunde fand ich, dass ich nicht weit genug vorne im Peloton fuhr, und mit einem gewagt wirkenden, aber vertretbaren Manöver an der Innenseite einer Kurve konnte ich auf einen Schlag mehr als zehn Plätze gutmachen. Sofort nach der Kurve fuhr der Niederländer Jan van der Horst an mir vorbei. Er schaute mich kurz an und schlug gleichzeitig mit seiner rechten Hand auf seine rechte Pobacke.

Van der Horst, ein ehemaliger Radprofi, Ex-Amateurmeister der Niederlande und Gewinner der Olympia’s Tour, ist so ungefähr der beste niederländische Fahrer bei den Senioren. Vor allem seine Tempofahrten sind phänomenal. Bei der letzten Zieldurchfahrt in Hoeselt (wir fuhren Runden von fünf Kilometern) war eine Prämie von zweihundertfünfzig Franc angekündigt, und das Peloton war noch beisammen. In den Niederlanden besteht ein Prämiensprint immer aus vier oder mehr Prämien, in Belgien ist meist nur eine Prämie ausgesetzt. Van der Horst kann auch ausgezeichnet sprinten, aber Letzteres kann ich ein kleines bisschen besser, und das wissen wir beide.

So. Jetzt haben Sie die Informationen, die man braucht, um genauso im Dunkeln zu tappen, wie ich das in dem Moment tat. Was hatte Van der Horst gemeint mit seinem Klapps auf den Po? Wollte er den Sprint für mich anziehen? Hatte ihn meine Aktion in der Kurve gestört? Zur Sicherheit blieb ich an seinem Hinterrad, und na klar, etwa einen Kilometer vor dem Ziel zog er an die Spitze und fuhr dort mit hohem Tempo weiter. Zweihundert Meter vor der Ziellinie zog er das Tempo an, damit ich mit einem einfachen Sprint von hundert Metern die zweihundertfünfzig Franc in die Tasche stecken konnte. (Ich werde manchmal ausgelacht wegen der Höhe der Beträge. Dies beruht auf einem Missverständnis, wie es auch über Tennisspieler existiert, von denen man oft denkt, dass es die Tonnen an Preisgeld wären, die sie motivieren.)

Eine Runde später wurde wieder eine Prämie angekündigt, jetzt hundert Franc, und ich beschloss, mich zurückzunehmen. Diese Entscheidung sollte mir den Sieg bringen. Ich sah, wie sich fünfzehn Plätze vor mir Van der Horst wieder auf den gleichen Platz an der Spitze schob. Er schaute zwei Mal nach hinten, vermisste mich an seinem Hinterrad, nehme ich an, und kurz darauf sah ich, wie er es dann eben allein machte: Mit einem starken Sprint gewann er die Prämie. Nur wenige Sekunden danach, wie so oft nach Prämiensprints, war die entscheidende Schlacht geschlagen. Ich war dabei und Van der Horst, der einen Moment brauchte, um sich zu erholen, nicht.

Wir waren zu viert, wir arbeiteten wundervoll zusammen und rasch waren wir dem Griff des Pelotons entwischt. Es regnete weiterhin Prämien, bei jeder Runde hundert Franc. Beim ersten der Sprints begannen zu meinem Entsetzen, zwei von uns wie wild zu sprinten (zwei sehr erfahrene Fahrer sogar), wonach der Verlierer sich weigerte, sich weiterhin an der Führungsarbeit zu beteiligen, und der Gewinner aus Protest dagegen ebenfalls.

Es gibt feste Regeln zur Verteilung der Prämien in einer Spitzengruppe. Wenn man ganz ernsthaft dafür sprinten würde, dann würden sie jedes Mal (erst recht, wenn es nur eine Prämie gibt) vom stärksten Fahrer gewonnen werden. Nicht vom besten Sprinter, sondern von dem Mann, der sich die immer wiederkehrende Kraftanstrengung am ehesten leisten kann. Es ist aber unvernünftig, in einer Spitzengruppe wirklich zu sprinten, es bricht das Tempo und sorgt für Unzufriedenheit. Meistens kommt es stillschweigend zu einer Art Rotationssystem, bei dem jeder ungefähr gleich viele Prämien bekommt. In den Niederlanden werden dabei manchmal sehr schön ausgeführte Scheinsprints durchgeführt, mit den gleichen Manövern, den gleichen gebogenen Rücken, den gleichen verbissenen Gesichtern, mit besonders kleinen Abständen auf der Ziellinie, nur mit vierzig Kilometern pro Stunde statt mit fünfzig, was mit dem bloßen Auge nicht einfach zu erkennen ist.

Das ist notwendig, da Jurys manchmal Prämien annullieren, »weil nicht wirklich dafür gesprintet wurde«. In Belgien aber, wo niemand dem Publikum zu erklären braucht, was Radsport bedeutet, rollen die Fahrer einfach so, ohne Rennaktion und Tempowechsel, in der Windstaffel über die Ziellinie.

Zumindest, wenn es gut geht. Aber bei uns drohte Streit, und weil ich nur allzu gut wusste, wie Radrennfahrer, die sich auf die Zehen getreten fühlen, mit völliger Vernachlässigung der eigenen Interessen die Ambitionen eines anderen torpedieren, schlug ich rasch ein Schema zur Prämienverteilung vor. Mich selbst schloss ich dabei wohlweislich aus, sonst hätten die anderen gesagt: Hallo, du hast die zweihundertfünfzig Franc schon, du hast schon. Natürlich hatten sie keinen Beitrag zu meinem Prämiengewinn geleistet, aber diese Art von Ungerechtigkeit hat tiefe Wurzeln; bei Schulausflügen bekam auch immer das Kind, dem seine Mutter eine Flasche mit Sirup eingepackt hat, im Restaurant keine Limonade, »weil er schon was hat«.

Die Ruhe kehrte zurück, wir fuhren weiter in einem Tempo, das jede Attacke im Vorhinein schon aussichtslos machte, die Prämien wurden verteilt, ich bekam nichts und gewann den Schlusssprint. Danach, als ich Van der Horst die hundertfünfundzwanzig Franc unserer Prämie brachte, sagte ich ihm, dass ich ihn erst nicht verstanden hatte, und ich fragte, ob der Klapps auf die Pobacke vielleicht ein gängiger Brauch ist, der auch in dieser Bedeutung von den Profis benutzt wird. »Ja«, sagte er, »ganz grob gesagt bedeutet das ganz einfach: Häng dich an meinen Hintern!«

Die vierzehnte Etappe

Подняться наверх