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DIE GEFAHREN DES MASSENSPRINTS (1981)

Es gibt Rennfahrer, die die Kraft aufbringen, nicht bei Massensprints mitzumachen, wenn ihre Reputation nicht auf dem Spiel steht, aber es gibt auch Süchtige, die von jedem Zielbanner zur Tobsucht getrieben werden, auch wenn sie wissen, dass schon vierzig Fahrer darunter durchgefahren sind. Ein Beispiel dafür ist Roger De Vlaeminck; einer der Gründe, warum ich diesen Fahrer in mein Herz geschlossen habe. Er macht jetzt, gegen Ende seiner Karriere, nichts anderes, als sich über die nervenaufreibenden Gefahren des Radsports zu beklagen. Das erscheint inkonsequent, aber es ist genau das Gegenteil: Es sind natürlich die Gefahren selbst, die abhängig machen.

Die Gefahren werde ich anhand eines Massensprints illustrieren, den ich im Juni 1979 in Lunteren bestritt. Ich war auch so ein Süchtiger. Massensprints schienen übrigens Teile meines Gehirns zu reizen, die ungenutzt geblieben waren, seit ich keine Zeitnotduelle mehr auf dem Schachbrett miterlebt hatte. Die gleiche, quälend näher kommende Zeitgrenze, die gleichen Bruchteile von Sekunden, um Entscheidungen zu treffen, die alles verändern können, wenn auch beim Schachspiel wenigstens ausgeschlossen ist, dass man unerwartet mit dem Kopf gegen einen Laternenpfahl fliegt.

Die Strecke in Lunteren war kurvenreich und gefährlich. Der Massensprint, um den es geht, war einer um Prämien, als erster Preis war ein Rennreifen ausgelobt. Es war eine großzügigere Prämie, als wir es gewohnt waren, und die Erregung unter den Abhängigen war fühlbar größer. Persönlich ließ ich mich nicht mehr aufstacheln, als taktisch gut war, und so befand ich mich zwei Kurven vor der Ziellinie in einer aussichtsreichen achten Position. Vorläufig würde niemand mehr vorbeikönnen, dafür war die Straße zu schmal, und zwischen den beiden Kurven könnte ich entscheidend nach vorne kommen.

Aber aus dem Augenwinkel sah ich, wie neben mir, über den Gehweg, ein Fahrer nach vorne schoss, den ich im gleichen Augenblick auch noch erkannte: ein in der Regel friedfertiger Maurerlehrer von der Handwerksschule. Ich sah auch, wie ein Fußgänger, den er scheinbar übersehen hatte, ihn dazu zwang, den Gehweg wieder zu verlassen, bevor er an uns allen vorbeigesaust war. Er musste sich entscheiden: den Zuschauer anfahren oder sich blindlings wieder zwischen uns stürzen.

Er wählte uns. Er sprang wieder von der Bordsteinkante runter, es gab keinen Platz für ihn, und dann gab es wieder das furchtbare knackende Geräusch von brechenden Speichen und dem Kratzen von Metall auf der Straße: Massensturz. Plötzlich ist ein Peloton in eine Sammlung Puppen transformiert, die durch die Luft fliegen, ohne Einfluss auf die Bahnen, die sie beschreiben, nehmen zu können. Unabhängig von den Knochenbrüchen und Wunden, die dabei entstehen können, finde ich es furchtbar anzusehen: Fahrer sehen auf einmal so lächerlich aus in ihren bunten Trikots mit Aufdruck – das sind doch Kleidungsstücke, in denen man als Verkehrsopfer nicht gefunden werden will.

Von den heranrasenden Fahrern war ich der erste, der nicht stürzte. Gleichzeitig zu meiner Erleichterung und meinem Entsetzen war ich auch stolz: dass ich jetzt als Fahrer so fortgeschritten war, dass ich die Natur eines beginnenden Sturzes sofort durchschaute, damit ich eine maximale Chance hatte, ihn zu überleben.

Ich fuhr als Erster durch die vorletzte Kurve, es stellte sich heraus, dass ich durch die Verwirrung Längen Vorsprung hatte, und ich sicherte mir unangefochten den Rennreifen. Der war weniger luxuriös, als ich gehofft hatte, und ich montierte ihn an einem Trainingsrad. Ein paar Tage später platzte er schon, in einer Kurve. Ich stürzte unglücklich und konnte anderthalb Wochen lang nicht fahren.

Die vierzehnte Etappe

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