Читать книгу Prosecco~Wellen - Ursula Flajs - Страница 14
ОглавлениеFrühstücksei
Der helle Frühstücksraum lag im ersten Stock des Hotels. Hohe schmale Jugendstilfenster und ein Fischgrätparkett harmonierten mit geschwungenen Korbsesseln. Riesige weiße Lampions an der Decke, die als Beleuchtung dienten, rundeten das elegante Ambiente ab.
„Oh, wie schön“, zeigte sich Emma erfreut. Die nacheinander eintretenden Freundinnen teilten ihre Begeisterung. Melanie stürmte mit Laura im Schlepptau dem einladenden Buffet entgegen, während sich die anderen nach einem Platz umsahen.
„Wir nehmen den“, entschied Lilli und steuerte auf einen großen Ecktisch zu, „dann haben wir genug Platz, falls sich Sandra doch noch von Dimitri losreißen kann.“
Nach einigen Minuten hatten sich alle mit gefüllten Tellern um den Tisch versammelt. Melanie kaute an einem dick mit Schinken und Käse belegten Brot. Marie, die neben ihr saß, knabberte an einer Scheibe Toast. Emma aß ihr Müsli und Lilli bestrich ihr Croissant mit Marmelade. Die sichtlich hungrige Laura verschlang ein Käsebrot und löffelte nebenher ein Frühstücksei.
„Ich hole noch was.“ Melanie ging gerade zum Buffet, als Sandra in den Frühstücksraum rauschte. „Guten Morgen!“ Sie strahlte und fing Melanie mit einer spontanen Umarmung ab. „Hast du gut geschlafen?“
„Haha … ja, sicher! Ich hab super geschlafen! Und du? Bist du überhaupt zum Schlafen gekommen?“, fragte Melanie zwinkernd.
„Ach jaaa, ein bisschen …“, gurrte Sandra und steuerte auf den Tisch in der Ecke zu. „Hallo, Mädels!“, warf sie fröhlich in die Runde, bis ihr Blick an Laura hängen blieb. „Und wer bist du?“ Laura duckte sich ein wenig.
„Das ist Laura“, übernahm Lilli die Vorstellung, „wir frühstücken zuerst, danach klären wir dich auf.“
Sandra nahm die Erklärung gelassen auf, sie nickte der stummen Laura zu: „Hallo, ich bin Sandra.“ Dann schlenderte sie zum Buffet und schäkerte mit Melanie vor dem Toaster.
„Was für ein sorgloses Gemüt.“ Lillis Blick folgte Sandra, während sie einen Schluck Kaffee trank.
„Was für ein sonniges Gemüt“, bemerkte Emma und rührte gedankenverloren in ihrem Müsli.
„Als gäbe es kein Morgen“, meinte Marie.
Laura sagte nichts. Sie verschlang eine weitere Scheibe Brot und trank ein Glas Milch leer, dabei behielt sie die Tischrunde im Auge. Als Sandra und Melanie mit vollen Tellern vom Buffet zurückkehrten, erhob sich Laura. Sie murmelte: „Muss mal aufs Klo.“ Dann huschte sie aus dem Frühstücksraum.
Sandra wartete, bis die Tür hinter Laura zugefallen war, bevor sie fragte: „Und? Was ist mit der Kleinen?“ Lilli erzählte von den nächtlichen Ereignissen und was Laura ihnen am Morgen anvertraut hatte. „Das arme Ding! Aber was wollt ihr jetzt mit ihr machen? Sie wird doch sicher gesucht.“ Sandra dachte an ihren Sohn Lukas, der bei seinem Vater lebte und etwas jünger als Laura war.
„Ich weiß nicht … Wenn ihre Mutter drogensüchtig ist und sie keine Geschwister hat? Aber vielleicht sucht dieser Jürgen nach ihr …“ Melanie rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Aber gerade der sollte sie nicht finden!“ Lilli sprach aus, was allen im Kopf herumspukte.
„Vielleicht fragen wir Laura, was sie tun möchte.“ Emmas sinnvoller Vorschlag erntete Zustimmung.
Marie fand, es sei an der Zeit, das Thema zu wechseln: „Und wie sieht heute unser Programm aus? Wir müssen nochmals proben, wollen uns die Stadt ansehen und shoppen gehen.“
„Stimmt, Marie! Wir sollten uns unsere Reisepläne nicht durcheinanderwirbeln lassen.“ Melanie streichelte ihren vollen Bauch und überlegte, ob noch ein Joghurt darin Platz hätte. Sie entschied sich für ein Erdbeer-Joghurt. Nachdem sie den Becher ausgelöffelt hatte, blickte sie stirnrunzelnd in Richtung Ausgang: „Wo bleibt eigentlich Laura? Sie braucht aber lange auf dem Klo.“ Im nächsten Moment klopfte sie sich mit der flachen Hand auf die Stirn und rief: „Verdammt! Sie ist sicher abgehauen!“ In den Gesichtern ihrer Freundinnen sah Melanie ihre Vermutung bestätigt.
Mit einem Satz war sie auf den Beinen und stürmte, gefolgt von Lilli, aus dem Raum. Sie kamen an der Rezeption vorbei, wo wieder der freundliche Mr. Fu Chang im Dienst war. „Schönen guten Molgen!“
„Ja danke, Ihnen auch!“, erwiderte Melanie hektisch. „Können Sie uns sagen, wo die Toilette ist?“
Mr. Fu Chang deutete lächelnd auf ein gut sichtbares WC-Schild am anderen Ende des Flurs. Melanie und Lilli liefen bereits los, als Mr. Fu Chang anmerkte: „Falls Sie Ihlen Übelnachtungsgast suchen, das Mädchen hat volhin das Hotel vellassen.“ Mr. Fu Chang war entweder ein Hellseher oder verfügte eher über viel Berufserfahrung. Melanie und Lilli schenkten ihm ein hastiges: „Danke“, bevor sie über die Treppe ins Erdgeschoss rannten. Dort rissen sie die Eingangstür auf und suchten die Straße in beide Richtungen nach einem Anzeichen von Laura ab. Doch außer patrouillierenden Damen des leichten Gewerbes und ein paar interessierten Kunden entdeckten sie keine Spur von ihrem Schützling.
„Verdammt!“ Melanie stampfte mit dem Fuß: „Ich hätte wissen müssen, dass sie davonrennt, sobald sie eine Chance dazu bekommt!“
„Was hätten wir tun sollen, Melanie? Mit ihr aufs Klo gehen? Dann hätte Laura eine andere Gelegenheit genützt.“ Lilli legte eine Hand auf Melanies Arm: „Komm, gehen wir wieder rein. Die anderen warten sicher.“
Mit einem letzten suchenden Blick und einem resignierten Seufzen wandte sich Melanie wieder dem Eingang zu. Mr. Fu Chang hatte die Szene wohl durch die Überwachungskamera mitverfolgt, denn mit einem Surren öffnete sich die Eingangstür unaufgefordert.
„Alles in Oldnung, meine Damen?“ Mr. Fu Chang erwartete sie mit einem besorgten Gesichtsausdruck. Er denkt wohl, Laura hat etwas geklaut, dachte Lilli und sagte beschwichtigend: „Ja, danke! Alles ist in Ordnung! Wir wollten uns nur verabschieden.“ Mr. Fu Changs Erleichterung war deutlich zu erkennen. Ermittelnde Polizeibeamte in einem Hotel waren in Zeiten von Onlinebewertungen keine erstrebenswerte Sache.
Melanie und Lilli begaben sich wieder in den Frühstücksraum, wo ihre Freundinnen bereits mit fragenden Gesichtern warteten.
„Laura ist weg“, erklärte Melanie mit traurigem Blick.
„Mr. Fu Chang hat sie weggehen sehen“, fügte Lilli hinzu.
„Das arme Ding! Hoffentlich geht es ihr gut“, meinte Emma besorgt.
„Wohl kaum“, sagte Melanie. Sie nahm sich vor, ihren Kindern gleich Nachrichten zu schicken, auch wenn sie noch in der Schule waren.
„Sie wird schon einen Weg finden“, meinte Sandra zuversichtlich.
„Stimmt, Sandra!“ Marie war ausnahmsweise einmal einer Meinung mit ihrer Schwester. „Außerdem können wir nichts tun. Wir wissen nur ihren Vornamen und ihr Alter. Falls beides überhaupt stimmt! Was sollen wir machen? Zur Polizei gehen, dort einen halben Tag verbringen, um schließlich zu hören, dass man mit unseren spärlichen Informationen nichts anfangen kann?“ Marie blickte in vier aufmerksame Augenpaare, als sie zu einem für sie ungewohnten Plädoyer anhob: „Das hier ist unsere Chorreise! Wir wollten doch Spaß haben und vielleicht einen Wettbewerb gewinnen! Wir wollten eine Auszeit vom Alltag haben …“ Maries leidenschaftliche Rede endete mit einem erstickten Laut.
Für ein paar Sekunden herrschte betroffenes Schweigen. Marie räusperte sich und blinzelte heftig. Dann beugte sie sich über ihre Teetasse und rührte konzentriert darin herum. Emma fasste sich als Erste wieder: „Marie, du hast recht. Wir können uns nicht um alles kümmern.“
„Ja, Marie, wir haben schon genug für das Mädchen getan“, fügte Lilli kleinlaut hinzu.
„Vielleicht kriegt sie es ja allein auf die Reihe.“ Melanie versteckte ihre Zweifel hinter einem heftigen Nicken. Doch Marie antwortete nicht. Sie rührte weiter in ihrem Tee und fixierte den Tassenboden, als könne sie die Zukunft darin lesen. Nach einem stummen und doch beredten Blick in die Runde meinte Lilli: „Nun, Mädels! Wie sieht es aus? Gehen wir zuerst shoppen! Hamburg hat tolle Spielzeugfachgeschäfte!“
Lilli sammelte begeistert Barbiepuppen und sämtliches Zubehör. In ihrem Elternhaus, in dem sie mit ihrer Mutter wohnte, war ein ganzer Raum mit allem gefüllt, was sie seit Kindertagen zusammengetragen hatte.
„Klingt gut, und nebenher sehen wir uns die Stadt an.“ Melanie, die sonst gerne über Lillis Sammelleidenschaft spottete, verkniff sich heute einen Kommentar.
„Ja, gehen wir shoppen!“ Sandra nahm den letzten Schluck aus ihrer Tasse, bevor sie hinzufügte: „Aber ich treffe mich später noch mit Dimitri.“
Melanie und Lilli schwiegen ausnahmsweise, Emma nickte kaum merklich. Alle warteten, was Marie dazu sagen würde. Doch Marie blickte wieder beherrscht in die erwartungsvollen Gesichter ihrer Freundinnen und sagte: „Ja, gehen wir los!“