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Alsterwasser

Bevor die Freundinnen aufbrachen, erledigten sie noch ihre Telefonate. Melanie ließ sich von Jakob versichern, dass es ihrer Familie gut ging. Emma sprach mit der Pflegerin ihrer Mutter, Sandra turtelte mit Dimitri und Lilli beauftragte ihre Mutter damit, nachzusehen, ob die Barbie Catherine das blaue oder das grüne Ballkleid der limitierten Edition besaß. Nur Marie telefonierte nicht, sie tippte abwesend auf ihrem Handydisplay herum.

Die Frauen verließen unter Mr. Fu Changs Begleitwünschen das Hotel: „Haben Sie einen sönen Tag, meine Damen. Bis spätel.“

Es war zwar erst elf Uhr, aber auf der Straße herrschte bereits reges Treiben. Während das Quintett im Slalom über den Gehweg lief – die dort stationierten Damen dachten nicht daran, auszuweichen – lockten die grell beleuchteten Schaufenster mit Erotikutensilien aller Art.

Melanie, Lilli und Sandra betrachteten kichernd die ausgestellten Dildos und die minimalistische Reizwäsche für spezielle Gelegenheiten. Marie blieb auf Abstand, sie begutachtete stattdessen die Giebel der umliegenden Gebäude. Emma hingegen fixierte staunend die Auslagen.

„Was macht man damit?“ Emma zeigte auf einen gigantischen schwarzen Dildo, dessen Spitze mit Noppen bestückt war, sodass er wie ein mittelalterlicher Morgenstern aussah.

„Wohl keine Feinde abwehren“, lachte Melanie und schubste Emma neckend an, „was glaubst du wohl?“

„Ich möchte mir nicht vorstellen, wie sich das Ding anfühlt.“ Lilli verzog ihr Gesicht.

„Die Bedürfnisse sind eben unterschiedlich“, meldete sich Sandra wissend. Emma starrte Sandra großäugig an: „Du meinst … du und Dimitri?“

„Nein, wir nicht! Ich mein ja nur allgemein“, stellte Sandra klar.

„Sollen wir mal hineingehen? Emma würde ein bisschen ‚Aufklärung‘ guttun“, lautete Melanies ironischer Kommentar. Sie wartete nicht lange auf Zustimmung, sondern drückte bereits die Eingangstür auf.

„Muss das sein?“ Marie, die bisher geschwiegen hatte, seufzte hörbar.

„Sei kein Spaßverderber, Marie! Das wird lustig!“ Lilli schob Marie vor sich her in den Laden.

Das Geschäft empfing sie mit farbwechselnder Beleuchtung und lautem Technosound. Hinter der Kasse stand ein Mädchen mit grünen und blauen Haaren, die mit ihrem Kopf zum Rhythmus der Musik wippte, was auch als Begrüßung interpretiert werden konnte. Neben dem Eingang standen ein paar Wühltische mit überquellendem Inhalt. Bunte Stringtangas, Federboas und Gesichtsmasken wetteiferten um Aufmerksamkeit. Melanie zog mit ihrem Zeigefinger einen roten Satinstring in der Größe eines Anstecktüchleins in die Höhe und klagte: „Bitte, welcher Hintern passt da hinein?“

„Der Hintern muss ja nicht hinein“, erklärte Lilli weise. „Das ist ja das Gute an Strings, die passen fast jeder.“

„Aber nur, weil man sie anbekommt, heißt das noch lange nicht, dass es auch gut aussieht!“ Melanie warf den Tanga naserümpfend auf den Haufen zurück und wandte sich den figurneutralen Gesichtsmasken zu.

Emma schlenderte inzwischen mit großen Augen durch die Regale und blieb an einer Wand stehen, an der verschiedene Peitschen hingen sowie andere Utensilien, auf die sie sich keinen Reim machen konnte. Sie berührte eine schwarzglänzende Gerte, an deren Ende schmale Lederriemen befestigt waren. Emma spürte, wie sich die Härchen an ihrem Arm aufrichteten. Neben der Gerte hing ein Lederhalsband, das mit Metalldornen bestückt war. Mit ihren Fingern streichelte sie die kalten Spitzen, wobei sich ihre Brustwarzen unerwartet aufrichteten. Sie hörte Schritte hinter sich und zog hastig ihre Finger zurück.

„Na, Emma, schon was gefunden?“ Melanie war hinter ihrer Freundin aufgetaucht und griff nach dem Lederband, das diese gerade berührt hatte.

„Äh, nein, ich schau mich nur um“, stammelte Emma verlegen.

„Aber hallo“, kicherte Melanie, „du stehst am Regal für Fortgeschrittene!“

„Sei nicht so fies!“ Lilli legte schützend ihren Arm um Emma.

„Reg dich ab! Ich hab nur Spaß gemacht oder, Emma?“, rechtfertigte sich Melanie.

Ihre gutmütige Freundin nickte: „Aber ja.“

„Seid ihr fertig? Ich würde gerne noch etwas von der Stadt sehen!“ Marie war die ganze Zeit mit dem Ausdruck einer Marmorstatue in der Mitte des Geschäfts stehen geblieben.

„Wir haben es gleich“, beschwichtigte Sandra, die ein schwarzes Nichts aus Spitze im Arm hielt.

„Zeig her!“, forderte Melanie.

Sandra präsentierte ein transparentes Babydoll. „Man muss die Männer ja bei Laune halten“, erklärte sie ungeniert.

„Genau! Besonders, wenn man sie nicht mal vierundzwanzig Stunden kennt“, spottete Lilli.

Sandra zuckte unbekümmert ihre Schultern. Marie drehte sich plötzlich auf dem Absatz um und verließ das Geschäft.

„Los, Mädels, zahlt bitte! Ich kümmere mich um Marie!“ Emma trieb ihre Freundinnen in Richtung Kasse.

Lilli kaufte eine blaue Federboa: „Kann man im Fasching anziehen.“ Melanie eine silberne Maske: „Sonst passt eh’ nichts.“ Und Sandra die durchsichtige Reizwäsche.

Emma gesellte sich inzwischen zu Marie vor das Geschäft. Sie hakte sich fürsorglich bei ihrer Freundin unter: „Geht’s dir gut?“

„Ja, danke! Manchmal geht mir Sandra so auf die Nerven! Mit ihrem Männerverbrauch könnte sie sich genauso gut hier an die Straße stellen. Sie sollte sich besser mehr um ihren Sohn kümmern!“ Marie klang bitter. Emma blickte erstaunt auf. So untergriffig hatte sich Marie noch nie über ihre Schwester geäußert. Soweit Emma es beurteilen konnte, kümmerte sich Sandra liebevoll um ihren Sohn, auch wenn er nicht bei ihr lebte.

„Du weißt ja, dass sie Rainer das Sorgerecht überlassen hat, weil es Lukas’ Wunsch war, bei seinem Vater zu leben. Aber Sandra sieht ihn regelmäßig, sie vermisst ihren Sohn sicher oft“, verteidigte Emma ihre Freundin. „Man kann nie wissen, was in einem Menschen vorgeht!“ Ihr Blick verlor sich im weiten Himmel. Marie dagegen heftete ihre Augen auf den Asphalt.

„Da sind wir!“ Melanie holte beide aus ihren Gedanken. „Ich hab Durst! Wie wär’s mit einem Alsterwasser?“

„Alsterwasser?“, rätselte Emma.

„Bier mit Limo gemischt“, klärte Melanie auf.

„Schon wieder Alkohol?“ Lilli gesellte sich mit Sandra zu ihren Freundinnen.

„Was heißt schon wieder? Es ist bald Mittag, zum Essen passt Alsterwasser wunderbar!“ Melanie blickte sich suchend um.

„Aber in dieser Gegend will ich nicht essen!“, entschied Lilli.

Sie einigten sich darauf, mit der U-Bahn wiederum zu den Landungsbrücken zu fahren.

Eine frische Brise wehte über das Elbufer und trieb sie fröstelnd voran. Da Melanies Durst keine lange Suche zuließ, wählten sie wieder ein Touristenrestaurant an den Landungsbrücken und nahmen drinnen Platz, weil Sandra mit ihrem kurzen Röckchen nicht im Freien sitzen wollte.

„Warum trägst du bei dem Wetter einen Minirock? Wir sind hier nicht im Süden!“, beschwerte sich Melanie, die lieber draußen gesessen wäre. Sie liebte es, den vorbeigleitenden Schiffen zuzusehen, die für sie den Duft grenzenloser Freiheit mit sich zogen.

„Weil ich kann!“, erwiderte Sandra selbstbewusst.

„Danke, ich habs verstanden!“ Melanie ließ sich auf einen Sessel fallen und zog die Getränkekarte an sich.

„Tut mir leid, so hab ich es nicht gemeint.“ Sandra lächelte versöhnlich.

„Aber so ist es!“

Melanie hatte keine Illusionen über ihr Aussehen. Sie erinnerte sich noch an den Spitznamen, den ihr ein paar Mitschüler verpasst hatten: „Mellie-Tower!“ Dabei war sie nicht übermäßig dick, sondern nur sehr groß und dementsprechend kräftig gebaut.

Ihr Vater hatte Melanie schon in jungen Jahren vorgeschlagen, dass sie im Sport Karriere machen solle, entweder in einer Frauenfußballmannschaft oder bei den Wurfdisziplinen der Leichtathletik. Doch Melanie hielt Sport für eine unnötige Anstrengung und widmete sich lieber der Musik.

„Freundinnen?“ Emma legte ihre Hand flach auf die Tischmitte.

„Freundinnen!“, klang es im Chor, als die anderen ebenfalls ihre Hände über die von Emma legten.

Dieses Ritual praktizierten die Freundinnen seit ihrer Chorgründung vor über zwanzig Jahren. Sie kannten sich aus der Zeit am Gymnasium, wo sie bereits gemeinsam im Schulchor gesungen hatten, später hatten sie sich aber aus den Augen verloren.

Marie arbeitete nach der Matura in einer Notariatskanzlei; Sandra absolvierte ihr Krankenpflegediplom; Lilli begeisterte sich seit jeher für Mode und nahm das Jobangebot einer Boutique an; Emma erledigte Büroarbeiten für die Tischlerei ihres Stiefvaters und Melanie brach ihr Musikstudium ab, weil sie mit zwanzig Jahren Mutter wurde und ihre Jugendliebe Jakob heiratete.

Melanie liebte ihre Familie, aber sie haderte mit der unerfüllten Sehnsucht nach einer musikalischen Herausforderung. Darum schwebte ihr schon lange die Gründung eines kleinen Chors vor. Sie traf Emma und Lilli im Foyer des Bregenzer Festspielhauses wieder, wo sie das Konzert des Oratorienchors besuchten, der O Fortuna zum Besten gab. Sie sprachen über die schöne gemeinsame Schulzeit und Melanie erzählte von ihren Chorplänen. Die ruhige Emma freute sich auf Abwechslung. Die quirlige Lilli begeisterte sich immer für Neues, sie war es auch, die ihrer ehemaligen Schulfreundin Marie von Melanies Plänen erzählte. Marie war Kundin in der Boutique, in der Lilli arbeitete. Da Melanie fünf Sängerinnen für die Idealbesetzung hielt, lud sie auch Maries Schwester Sandra zum Mitsingen ein. Trotz der unterschiedlichen Temperamente und Lebenssituationen waren die Frauen ein gutes Team. Denn während der letzten zwanzig Jahre sangen sie nicht nur gemeinsam, sondern sie begleiteten einander auch durch Freud und Leid. Dabei lockerte der stets präsente Prosecco ihre Gesprächsbereitschaft, und das Getränk wurde einstimmig zum Chornamen bestimmt.

„Können wir jetzt endlich bestellen?“ Melanie winkte dem Kellner, der von einem anderen Tisch herübereilte.

„Moin, moin, die Damen. Was darf ich bringen?“

„Sehen wir so zerknautscht aus, dass sie uns zu Mittag mit ‚Guten Morgen‘ begrüßen müssen?“, beschwerte sich Lilli.

„Nee, nee, das sagt man bei uns den ganzen Tag“, lächelte der Kellner nachsichtig.

„Komm, ich spendiere dir etwas, Lilli! Damit du ein bisschen lockerer wirst.“ Melanie bestellte großzügig Alsterwasser für alle. „Wenn du weiter so rumpolterst, werfen sie uns noch aus Hamburg raus!“, fügte sie hinzu, als der Kellner wieder gegangen war.

„Haben wir es nicht schön hier?“ Emma versuchte, den Zündstoff aus dem Gespräch zu nehmen, sie blickte treuherzig in die Runde. Lilli und Melanie grinsten sich versöhnlich zu.

„Ich finde, wir sollten für heute einen Zeitplan machen, damit wir nicht irgendwo hängenbleiben.“ Marie kannte Melanies ausgeprägte Feierlaune und es widerstrebte ihr, den ganzen Tag von einem Lokal zum nächsten zu pilgern.

„Also, ich würde vorschlagen, zuerst gehen wir shoppen. Ich möchte in das Spielzeugfachgeschäft beim Jungfernstieg, dann könnten wir vielleicht noch das Elbufer erkunden und in Richtung Övelgönne laufen. Dort soll es sehr schön sein. Was meint ihr?“ Lilli wollte die Zeit ebenfalls nicht nur in Lokalen verbringen.

„Klingt gut, aber ich habe keine Lust, den ganzen Tag rumzulaufen, sonst bin ich am Abend erschöpft!“ Melanies Freude an Bewegung hielt sich in Grenzen. Außerdem hatte Jens ihr eine besondere Reeperbahntour vorgeschlagen, die sie ihren Freundinnen noch schmackhaft machen wollte.

Lilli verdrehte die Augen: „Mensch, Melanie, sei nicht so faul!“, und duckte sich in gespielter Angst. Doch Melanie verzichtete auf eine bissige Antwort. Stattdessen erzählte sie von der Tour.

„Was sieht man sich da an?“, wollte Emma wissen.

„Man erfährt alles Wissenswerte über die Geschichte der Reeperbahn, zugleich werden einige Lokale, Klubs und berühmte Plätze besichtigt. Soll sehr unterhaltsam sein!“

Emma nickte begeistert und schielte zu Marie, der man deutlich ansah, was sie von diesem Vorschlag hielt. „Nicht schon wieder in so eine widerliche Gegend“, beschwerte sie sich.

„Aber wenn wir schon mal hier sind“, traute sich Emma einzuwerfen.

„Wer sagt denn, dass alle mitkommen müssen!“, beteiligte sich Sandra das erste Mal an dem Gespräch. Davor hatte sie die ganze Zeit Nachrichten in ihr Handy getippt.

„Wo du hinwillst, das können wir uns schon vorstellen!“, stichelte Lilli. „Muss Dimitri nicht arbeiten?“

„Nein! Er hat sich heute freigenommen“, erklärte Sandra, „und er schreibt, dass er etwas Wichtiges mit mir besprechen möchte!“ Sie betrachtete ihr Handydisplay liebevoll.

Melanie sah, dass Sandra ein Foto von Dimitri als Hintergrundbild gespeichert hatte. Sie runzelte ihre Stirn. „Das geht alles so schnell bei dir! Du kennst ihn doch gar nicht!“

„Ich weiß genug!“, erwiderte Sandra bestimmt. „Er hat mir von seiner Familie in Weißrussland erzählt. Er arbeitet in Deutschland, weil er hier mehr Geld verdienen kann und damit seine Eltern und Großeltern zu Hause unterstützt. Die haben dort ein schweres Leben! Für eine gute medizinische Versorgung muss man extra bezahlen. Ohne Schmiergeld geht gar nichts, die Politiker sind sowieso alle korrupt. Abgesehen davon kann niemand steuern, in wen und wie schnell man sich verliebt!“, schloss sie ihre leidenschaftliche Rede. Ihre Freundinnen schauten betreten oder besorgt drein. Dass Sandra bereits von Liebe sprach, gab allen zu denken.

Marie fand überraschenderweise zustimmende Worte für ihre Schwester: „Genau, Sandra! Ich bin auch dafür, dass jeder den Abend verbringen kann, wie er will!“ Sie verschwieg, dass sie allein im Hotelzimmer bleiben wollte, um ein ungestörtes Telefonat mit Johannes führen zu können.

„Na gut, wie ihr wollt“, lenkte Melanie ein und wandte sich an Emma: „Und du? Gehst du mit auf die Tour?“

Emmas ursprüngliche Begeisterung war Unsicherheit gewichen. Sie blickte fragend auf Marie und wartete darauf, dass ihre Freundin vielleicht einen anderen Vorschlag machen würde. Aber Marie dachte nicht daran. Sie nickte Emma aufmunternd zu: „Geh nur.“ Darauf hatte Emma eigentlich gehofft, sie strahlte in Vorfreude.

Prosecco~Wellen

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