Читать книгу Staatsrecht I - Ute Mager - Страница 53

1. Kapitel:Das Staatsvolk in Bund und Ländern

Оглавление

88Das „Volk“ von dem die Staatsgewalt ausgeht, ist das deutsche Staatsvolk, dh. alle Deutschen im Sinne des Art. 116 GG. Zum deutschen Staatsvolk gehören danach alle Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen sowie diejenigen, die als Flüchtlinge oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit oder als deren Ehegatte oder Abkömmlinge in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 19371 Aufnahme gefunden haben. Hintergrund dieser Regelung ist zum einen die traditionelle Prägung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts durch das Abstammungsprinzip (ius sanguinis), zum anderen die Notwendigkeit der Kriegsfolgenbewältigung.2 Eine Reaktion auf das nationalsozialistische Unrechtsregime enthält Art. 116 Abs. 2 GG, wonach die deutschen Staatsangehörigen, die vom Nazi-Regime aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen ausgebürgert wurden, auf Antrag wieder eingebürgert werden. Sie gelten von vornherein als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben.3 Eine Regelung über die Zugehörigkeit zum Volk der einzelnen Bundesländer4 enthält das GG – anders als noch Art. 110 WRV – nicht.

89Die Bedeutung des Volksbegriffs war Gegenstand des Streits um die Verfassungsmäßigkeit des kommunalen Wahlrechts für Ausländer in Schleswig-Holstein und Hamburg. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt, dass in den Ländern, Kreisen und Gemeinden das Volk eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Damit stellte sich die Frage nach der Bedeutung des Volksbegriffs im GG und insbesondere im Hinblick darauf, ob er in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG und in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG denselben Inhalt haben muss. Die sich ohnehin aufdrängende Annahme, dass mit dem Begriff des Volkes das deutsche Volk gemeint ist, belegt das Gericht in systematischer Argumentation durch Hinweis auf die Präambel, Art. 33 Abs. 1 und 2, Art. 56 und 64 Abs. 2 sowie Art. 116 und 146 GG, in denen jeweils ausdrücklich vom Deutschen Volk oder zumindest von Deutschen und staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten die Rede ist.5 Das Wahlrecht, durch dessen Ausübung die Staatsgewalt in der Demokratie ihre Legitmation erhält, ist wesentlicher Bestandteil dieser staatsbürgerlichen Rechte. Das Bundesverfassungsgericht erkennt durchaus an, dass es zum Kern der demokratischen Idee gehört, eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und denjenigen herzustellen, die dauerhaft der staatlichen Herrschaft unterworfen sind. Die zunehmende Abweichung von diesem Ideal als Folge eines wachsenden Anteils von Ausländern mit einem dauerhaften Aufenthaltsstatus sei jedoch nicht dadurch zu korrigieren, dass die Verknüpfung zwischen Staatsvolk und Deutscheneigenschaft aufgelöst werde. Es bestehe kein Anlass, den Volksbegriff im Zusammenhang des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG anders auszulegen als in Art. 20 Abs. 2 GG. Den Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung sei vielmehr auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsrechts Rechnung zu tragen.6

Diesen Ausführungen ist schon im Interesse klarer Begrifflichkeit zuzustimmen. Nicht ausgeschlossen hat das Bundesverfassungsgericht allerdings die Möglichkeit, dass die im Bereich der EU erörterte Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer „Gegenstand einer nach Art. 79 Abs. 3 GG zulässigen Verfassungsänderung sein kann“.7 Mit dem Vertrag von Maastricht fand das kommunale Wahlrecht für Unionsbürger Eingang in das europäische Primärrecht (Art. 22 AEUV). Dem trug der verfassungsändernde Gesetzgeber durch Ergänzung des Art. 28 Abs. 1 Satz 3 Rechnung.8 Inzwischen hat das sog. Zuwanderungsgesetz9 den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für die Kinder von dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländern erheblich erleichtert (insbes. § 29 StAG).

90Nur noch von historischem Interesse sind die Probleme um die Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk, die aus der Teilung Deutschlands hervorgingen. Im Fall Teso10 stellte sich die Frage, ob eine Einbürgerung in die DDR die Deutscheneigenschaft im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG begründen kann. Das Bundesverfassungsgericht leitete aus dem Wiedervereinigungsgebot in Verbindung mit Art. 116 Abs. 1 GG und dem Verbot der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 16 Abs. 1 GG das „Gebot der Wahrung der Einheit der deutschen Staatsangehörigkeit“ ab, aus dem es sodann folgerte, dass dem Erwerb der Staatsbürgerschaft der DDR für die Rechtsordnung der Bundesrepublik in den Grenzen des ordre public11 die Rechtswirkung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit beizumessen ist.

Rechtsprechung: BVerfGE 83, 37 – Ausländerwahlrecht Schleswig-Holstein; 83, 60 – Ausländerwahlrecht Hamburg.

Fallbearbeitungen: N. Grosche, Neue Wege in der Demokratie, JuS 2016, 239; N. Riedel, Das streitige Ausländerwahlrecht, JuS 1992, 941 (Kommunalwahlrecht für Unionsbürger); U. Spies, Das verwehrte Kommunalwahlrecht, JuS 1992, 1036.

Staatsrecht I

Подняться наверх