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2.2.5Geheime Wahl
Оглавление110Der Grundsatz der geheimen Wahl dient der Sicherung der freien Ausübung des aktiven Wahlrechts. Zu diesem Zweck verlangt er, dass der Wahlvorgang in der Weise stattfindet, dass keine andere Person von der Wahlentscheidung Kenntnis erlangen kann.74 Verboten ist zudem das amtliche Ausforschen, etwa die gerichtliche Vernehmung eines Wählers über seine Stimmabgabe.75
Geschützt ist aber nicht nur die Ausübung des Wahlrechts als individuelles Recht, sondern auch die Gewährleistung der Wahl als freier Vorgang insgesamt. Deshalb kann ein Wähler nicht darauf verzichten, geheim zu wählen. Dagegen steht es jedem frei, seine Wahlentscheidung nachträglich zu offenbaren.
111Problematisch ist im Lichte des Grundsatzes der geheimen Wahl die Briefwahl, weil diese Manipulationen durch Dritte ermöglicht.76 Ein geringfügiges Risiko für die Geheimheit der Wahl ist jedoch im Blick auf den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gerechtfertigt, wenn mit der Briefwahl das Ziel verfolgt wird, niemanden, der wahlberechtigt ist und wählen will, von der Wahl auszuschließen. Eine völlig voraussetzungslose Alternative darf die Briefwahl allerdings nicht sein.77 Zudem haben „Gesetz- und Verordnungsgeber … die Regelung und Handhabung der Briefwahl ständig in Anbetracht neu auftretender Entwicklungen, die unvorhergesehene Gefahren für die Integrität der Wahl mit sich bringen können, zu überprüfen.“78 Durch den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ist auch die Ausnahme von der geheimen Durchführung der Wahl für solche Wähler gerechtfertigt, die lese- oder schreibunkundig oder durch körperliche Gebrechen in der Stimmabgabe behindert sind (§ 57 BWahlO).79
Der Grundsatz der geheimen Wahl gilt in seiner strikten Form zwar nur für den Wahlvorgang selbst, strahlt aber auch auf die Wahlvorbereitung aus. Das Wahlgeheimnis darf auch bei der Wahlvorbereitung „nicht in weiterem Umfang preisgegeben werden, als zur ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl notwendig ist“.80 Das Bundesverfassungsgericht hat daher das in § 20 Abs. 2 und 3 BWahlG geforderte Unterschriftenquorum nicht nur im Hinblick auf die Wahlrechtsgleichheit81, sondern auch im Hinblick auf die Geheimheit der Wahl geprüft und im Ergebnis durch den Zweck der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl für gerechtfertigt befunden.82
Rechtsprechung: BVerfGE 1, 208 – 7,5 %-Sperrklausel; 21, 200; 59, 119 – Briefwahl; 82, 322; 82, 353 – erste gesamtdeutsche Wahl; 95, 408 – Grundmandatsklausel; 95, 355 – Überhangmandate; 97, 317 – Nachrücken in den Überhang; 121, 266 – negatives Stimmengewicht; 120, 82 – 5 % Sperrklausel bei Kommunalwahlen; 123, 39 – Wahlcomputer; 129, 300 – 5 %-Sperrklausel nach EuWahlG; 131, 316 – negatives Stimmengewicht und Überhangmandate; 132, 39 – Wahlberechtigung von Auslandsdeutschen; 134, 25 – Briefwahl; 135, 259 – 3 %-Sperrklausel nach EuWahlG; 146, 327 – Eventualstimme, BT-Wahl 2013; 151, 1 – Wahlrechtsausschluss.
Literatur: C. Danker, Paritätische Aufstellung von Landeswahllisten – Beeinträchtigung der Wahlrechtsgrundsätze, NVwZ 2020, 1250; D. Ehlers, Sperrklauseln im Wahlrecht, Jura 1999, 660 (Examinatorium); W. Frenz, 3 %-Klausel als europäischer Mindeststandard beim Wahlrecht, DÖV 2014, 960; B. Grzeszick, Verfassungsrechtliche Grundsätze des Wahlrechts, JA 2014, 1110; A. Guckelberger, Wahlsystem und Wahlrechtsgrundsätze Teil I – Allgemeinheit, Unmittelbarkeit, Freiheit und Geheimheit der Wahl, JA 2012, 561; dies., Wahlsystem und Wahlrechtsgrundsätze Teil II – Gleichheit und Öffentlichkeit der Wahl, JA 2012, 641; H. Meyer, Verbietet das Grundgesetz eine paritätische Frauenquote bei Listenwahlen zu Parlamenten?; J. Ipsen, Wahlrecht im Spannungsfeld von Politik und Verfassungsgerichtsbarkeit, DVBl. 2013, 265; J. Krüper, Wahlrechtsmathematik als gesetzgeberische Gestaltungsaufgabe, Jura 2013, 1147; S. Lampert, Die wahlrechtlichen Gleichheitssätze, JuS 2011, 884; J. Milker, Äußerungen von Hoheitsträgern im Wahlkampf und darüber hinaus, JA 2017, 647; M. Morlok/A. Hobusch, Ade parité – Zur Verfassungswidrigkeit verpflichtender Quotenreglungen bei Landeslisten, DÖV 2019, 14; F. Reimer, Nachhaltigkeit durch Wahlrecht? Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen eines „Wahlrechts von Geburt an“, ZParl 2004, 322; M. Rolfsen/D. Pauland, Aktuelle Probleme des Wahl(prüfungs)rechts in der Fallbearbeitung, Jura 2010, 677; M. Sachs, Allgemeinheit der Wahl, JuS 2013, 376; ders., 5 % Sperrklausel im Europawahlrecht, JuS 2012, 477 f.; S. Schiedermair, Zum Einsatz von Wahlcomputern – Anforderungen an die öffentliche Überprüfbarkeit, JZ 2009, 572; dies., Gefährden Wahlcomputer die Demokratie?, JZ 2007, 162; M. Schwarz, Nationale Minderheiten und Sperrklauseln im Wahlrecht, JA 2015, 842; A. Voßkuhle/A.-K. Kaufhold, Grundwissen – Öffentliches Recht: Die Wahlrechtsgrundsätze, JuS 2013, 1078; M. Wild, Die Gleichheit der Wahl. Dogmengeschichtliche und systematische Darstellung, 2003.
Fallbearbeitungen: Bruns/Wernsmann, Übungsklausur – Betreutes Wählen, Jura 2011, 384; H. Greve/F. Schärdel, Übungsklausur – Kommunalwahlrecht, JuS 2009, 531; G. Hornung/C. Kammermeier, Referendarexamensklausur – Wahlrecht – Wahl-O-Mat und Wahlautomat, JuS 2012, 931; S. Mückl, Anfängerhausarbeit im Öffentlichen Recht, Jura 2001, 704 (ruhendes Mandat in Landesverfassung); M. Otto, Übungsklausur – Verfassungsrechtliche Probleme des Familienwahlrechts, JuS 2009, 925; Th. Silberhorn, Klausur Öffentliches Recht, JA 2000, 858 (Wahlpflicht unter Strafandrohung); F. Shirvani/M. Schröder, „Unregelmäßigkeiten bei der Bundestagswahl“, Jura 2007, 143 (Examensklausur); G. Stumpf, Anfängerklausur – Wahlrechtsgrundsätze auf Abwegen?, JuS 2010, 35; P. Szczekalla, Der Schleier des Nichtwissens im Staatsorganisationsrecht, JuS 2006, 901 (Anfängerhausarbeit, Nachwahl bei Tod eines Direktkandidaten).