Читать книгу Staatsrecht I - Ute Mager - Страница 58

2.2.2Unmittelbarkeit der Wahl

Оглавление

101Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verlangt die direkte Wahl der Abgeordneten durch die Wählerinnen und Wähler ohne die Zwischenschaltung von Personen, die Einfluss auf das Wahlergebnis nehmen können.27 Das Wählervotum muss zwingend und berechenbar zur Zusammensetzung des Parlaments führen. Gefordert ist ein Wahlverfahren, „in dem der Wähler vor dem Wahlakt erkennen kann, welche Personen sich um ein Abgeordnetenmandat bewerben und wie sich die eigene Stimmabgabe auf Erfolg oder Misserfolg der Wahlbewerber auswirken kann“.28 An dieser Vorhersehbarkeit fehlt es, wenn im Wahlsystem infolge komplexer An- und Verrechnungen von der Bundes- auf die Landesebene und von Zweit- auf Erststimmen29 der Effekt des negativen Stimmengewichts auftritt. Gemeint ist der Effekt, dass die Abgabe von Zweitstimmen für die Partei A nicht zum Gewinn, sondern zum Verlust eines Mandats für die Partei A führen kann bzw. dass die Abgabe der Stimme für die Liste der Partei A der Partei B zu einem Sitz verhilft. Anders als bei der 5 %-Sperrklausel bleibt hier die Stimmabgabe nicht nur möglicherweise ohne Wirkung, sie wirkt sich vielmehr in unvorhersehbarer Weise entgegengesetzt zum Willen des Wählers aus. „Gesetzliche Regelungen, die derartige Unwägbarkeiten nicht nur in seltenen und unvermeidbaren Ausnahmefällen hervorrufen, sind mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl nicht zu vereinbaren.“30 Eine verletzungsgleiche Gefährdung der Unmittelbarkeit der Wahl liegt vor, wenn das Wahlverfahren in nicht zu kontrollierender Weise manipulierbar ist.31

Der Grundsatz der unmittelbaren Wahl verlangt bei Wahlen nach Listen nicht das System der starren gebundenen Liste, wie es das BWahlG in § 6 Abs. 6 Satz 4 für die Bundestagswahl vorsieht.32 Auch bei lose gebundenen Listen, bei denen die Wähler auf die Rangfolge durch die Häufung von Stimmen (Kumulieren) oder durch Rangordnungszahlen Einfluss nehmen können oder sogar durch das Ankreuzen von Bewerbern aus verschiedenen Listen die Zusammensetzung der Liste beeinflussen können (Panaschieren), besteht der direkte Zusammenhang zwischen Wählervotum und Wahlergebnis.

102Demgegenüber müssen nach der Wahl im Falle des Ausscheidens einer gewählten Person Ersatzleute nach der in der Liste festgesetzten Reihenfolge nachrücken. Wer nachrückt, steht nicht im Belieben der Partei, die die Liste aufgestellt hat. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 und 3 BWahlG ist ein Abweichen von der Reihenfolge nur dann erlaubt, wenn die Person, die an sich nachrücken müsste, nach dem Aufstellen der Liste aus der Partei ausgeschieden ist, auf deren Liste sie steht sowie in wenigen ähnlichen Fällen. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung lässt sich damit rechtfertigen, dass die von den Parteien aufgestellten Listen Parteilisten sind (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 BWahlG), so dass die aufgestellten Bewerber auch Exponenten ihrer Partei sind.33 Mit dem Argument, dass es sich bei den Überhangmandaten um zusätzliche (den Proporz übersteigende) Direktmandate und nicht um Listenmandate handele, hat das Bundesverfassungsgericht das Nachrücken in frei gewordene Überhangmandate aus der Landesliste für unvereinbar mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl erklärt.34

Staatsrecht I

Подняться наверх