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2.2.1Allgemeinheit der Wahl

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97Das Erfordernis der Allgemeinheit der Wahl stellt einen speziellen Gleichheitssatz dar. Er verlangt Gleichheit in Bezug auf die Zulassung zum aktiven und passiven Wahlrecht, betrifft also das „Ob“ des Wahlrechts. Der persönliche Anwendungsbereich ­dieses Gleichheitssatzes ist begrenzt auf das deutsche Staatsvolk.12 Eine weitere verfassungsrechtliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs des Allgemeinheitserfordernisses enthält Art. 38 Abs. 2 GG, wonach wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat. Wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt. Diese Formulierung ist irritierend, da die Volljährigkeit gemäß § 2 BGB ebenfalls mit Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt. Dies war jedoch nicht immer der Fall. Die Formulierung geht zurück auf die Zeit, als die Senkung des Volljährigkeitsalters von der Vollendung des 21. Lebensjahrs auf das 18. Lebensjahr bereits geplant, aber noch nicht umgesetzt war und für die anstehende Bundestagswahl den 18-Jährigen bereits das aktive, nicht aber das passive Wahlrecht eingeräumt werden sollte.13

Wie jeder Gleichheitssatz kennt auch das Gebot der Allgemeinheit der Wahl Ausnahmen. Solche Ausnahmen bedürfen eines Grundes, der sich vor dem Zweck des Gleichheitsgebots rechtfertigen lässt. Dieser Zweck ist im Falle der Wahl die demokratische Legitimation des Bundestages durch das Volk. Im Lichte der demokratischen Idee vermittelt jede Person allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Staatsvolk in gleichem Maße Legitimation. Dementsprechend stellen politische, wirtschaftliche und soziale Umstände ebenso wenig wie religiöse oder ethnische Zugehörigkeiten oder gar das Geschlecht rechtfertigende Gründe für den Ausschluss vom Wahlrecht dar.14 In diesem Sinne ist der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ein strikter oder auch „formaler“ Gleichheitssatz.

98Anforderungen an die Ausübung des Wahlrechts, die sich vor dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl rechtfertigen lassen, enthalten die §§ 12 und 13 BWahlG. Dies ist zum einen das Erfordernis der Sesshaftigkeit im Wahlgebiet. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG hängt die Wahlberechtigung davon ab, dass die jeweilige Person seit mindestens drei Monaten in der Bundesrepublik Deutschland eine Wohnung innehat oder sich sonst gewöhnlich aufhält. Absatz 2 formulierte hiervon Ausnahmen für im Ausland lebende Deutsche. Diese Ausnahmen waren ursprünglich restriktiv gefasst15 und zielten darauf, eine tatsächliche Verbindung zwischen den im Ausland lebenden Deutschen und den Verhältnissen in Deutschland sicherzustellen. Angesichts der zunehmenden Mobilität und Kommunikationsmöglichkeiten lockerte der Gesetzgeber die Anforderungen immer weiter, bis schließlich nur noch das Erfordernis eines dreimonatigen ununterbrochenen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland – gleichgültig zu welchem Zeitpunkt – übrigblieb.16 Die Relevanz dieser Unterscheidung zwischen Auslandsdeutschen mit Blick auf das Wahlrecht ist kaum noch sachlich fassbar. Ein dreimonatiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, gleichgültig in welchem Alter oder vor wie vielen Jahren, sagt über die Verbundenheit mit Deutschland oder über Vertrautheit mit den deutschen Verhältnissen nichts aus. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelung deshalb für verfassungswidrig erklärt.17 Durch erneute Änderung des BWahlG mit Wirkung vom 3.5.2013 lautet die aktuelle Fassung nunmehr: „Wahlberechtigt sind bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch diejenigen Deutschen im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes, die am Wahltag außerhalb der Bundesrepublik Deutschland leben, sofern sie 1. nach Vollendung ihres vierzehnten Lebensjahres mindestens drei Monate ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland eine Wohnung innegehabt oder sich sonst gewöhnlich aufgehalten haben und dieser Aufenthalt nicht länger als 25 Jahre zurückliegt oder 2. aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind.“

Weitere Spezialregelungen gibt es für Seeleute, Binnenschiffer und Häftlinge in § 12 Abs. 4 BWahlG.

Die in § 13 BWahlG aF. aufgeführten Ausschlussgründe betrafen staatsbürgerliche Mängel und Mängel der Einsichtsfähigkeit.

Als staatsbürgerliche Mängel kann man diejenigen Mängel bezeichnen, die zu der in § 13 Nr. 1 BWahlG aF. genannten Aberkennung des Wahlrechts durch Richterspruch führen. „Das Strafgericht kann die aktive Wahlberechtigung nur aberkennen, wenn ein Tatbestand des besonderen Teils diese Nebenfolge explizit vorsieht (vgl. § 45 Abs. 5 StGB). Zu nennen sind etwa die Straftaten des ersten Abschnitts des StGB „Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats“, des zweiten Abschnitts „Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit“ (vgl. §§ 92a, 101 StGB), Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten (§ 102 Abs. 2 StGB) sowie Wahldelikte (Wahlbehinderung, Wahlfälschung, Wählernötigung, Wählerbestechung, vgl. § 108c StGB), Abgeordnetenbestechung (vgl. § 108e StGB) und bestimmte Straftaten gegen die Landesverteidigung (§ 109i StGB). Das Wahlrecht kann auch vom Bundesverfassungsgericht für die Dauer der Verwirkung eines Grundrechts aberkannt werden (§ 39 Abs. 2 BVerfGG, Art. 18 GG).

Der Gesetzgeber war zudem der Auffassung, dass das nötige Mindestmaß an Einsichtsfähigkeit für die Ausübung des Wahlrechts den Personen fehlt, die gemäß §§ 1896 ff. BGB unter Betreuung stehen18 (§ 13 Nr. 2 BWahlG aF.) sowie solchen, die sich aufgrund einer Anordnung nach § 63 iVm. § 20 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden (§ 13 Nr. 3 BWahlG aF.). Hierbei handelt es sich um schuldunfähige Wiederholungsstraftäter. Auf eine Wahlprüfungsbeschwerde hin hat das Bundesverfassungsgericht diese Einschränkungen für zu undifferenziert befunden und deshalb wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und gegen das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG für verfassungswidrig erklärt.19 Geblieben ist damit nur der Wahlrechtsausschluss aufgrund der Aberkennung durch Richterspruch, § 13 BWahlG nF.

99Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gebietet nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht die „zusätzliche verfassungsrechtliche Pflicht auch in einem positiven Sinne dafür Sorge zu tragen, dass die Aktivbürger, die aus einem ihrer Person oder in der Ausübung ihres Berufes liegenden Grund freiwillig oder unfreiwillig ihr Wahlrecht am Wahlort nicht auszuüben vermögen, von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können“.20 Diese Ansicht ist zu undifferenziert. Der Gesetzgeber ist durch den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gehalten, zumindest denjenigen, die am Wahltag „unfreiwillig“ nicht am Wahlort anwesend sind, die Wahl durch übliche und zumutbare positive Leistungen zu ermöglichen. Allerdings müssen auch die Gefahren der Briefwahl für die geheime und freie Durchführung der Wahl berücksichtigt werden.21 Die Briefwahl ist daher keine bedingungsfreie Alternative zum persönlichen Erscheinen.22 Die Anforderung, die Teilnahme an der Briefwahl mit einer Begründung zu rechtfertigen, hob der Gesetzgeber allerdings durch Gesetz vom 17. März 2008 auf,23 was angesichts der Tatsache, dass es ohnehin kaum möglich ist, die Begründungen zu überprüfen, und im Interesse der Förderung hoher Wahlbeteiligung gerechtfertigt erscheint.24

100Die Anforderungen an die Wählbarkeit (passives Wahlrecht) konkretisiert § 15 BWahlG. Sie bleiben hinter den Anforderungen an die Wahlberechtigung (aktives Wahlrecht) insoweit zurück, als das Erfordernis der Sesshaftigkeit fehlt. Sie gehen darüber hinaus, als nicht nur auf die in § 13 genannten Ausschlussgründe verwiesen wird, sondern zusätzlich die Aberkennung der Wählbarkeit oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter durch Richterspruch aufgeführt wird. Verwiesen wird damit auf § 45 Abs. 2 StGB, der wie § 45 Abs. 5 StGB eine entsprechende Bestimmung im Besonderen Teil fordert. Neben den Straftaten, die als Sanktion die Aberkennung des aktiven Wahlrechts vorsehen, können die in § 358 StGB enumerierten Amtsdelikte zum Verlust des passiven Wahlrechts führen. Die Wählbarkeit geht auch dann automatisch verloren, wenn jemand wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist (§ 45 Abs. 1 StGB).

Keinen Ausschluss von der Wählbarkeit regelt dagegen Art. 137 GG, wonach die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden gesetzlich beschränkt werden kann. Hierbei handelt es sich um die Befugnis, durch Gesetz die Unvereinbarkeit (Inkompatibilität) von Abgeordnetenmandat und Tätigkeit im öffentlichen Dienst einzuführen. Dies dient der Vermeidung von Interessenkonflikten25 und der Gewaltenteilung (personelle Gewaltenteilung).26

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