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B4. Englischlehrerin

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Nichts Offizielles ist bekannt über die Lehrtätigkeit Veza Taubners an einem Privatuntergymnasium in Wien. Nach einer biografischen Anmerkung in den Notizen über Leben und Werk der 30 neuen deutschen Erzähler muss sie allerdings das Unterrichten später wieder aufgegeben haben.171 Erstaunlich ist, dass Veza Taubner, als Veza Magd, in besagter biografischer Anmerkung angibt, dass das Privatuntergymnasium, an dem sie als Lehrerin tätig war, in nur vier Jahren heruntergewirtschaftet worden sei, ja dass sie das Herunterwirtschaften mit einem „wir“ einleitet und sich selbst damit eine Mitschuld gibt. Leider lässt sich nicht mehr feststellen, um welche Privatschule Wiens es sich gehandelt haben könnte. Warum Veza Magd ausgerechnet das Zuspätkommen zum Unterricht in diesem autobiografischen Text thematisiert, ist ebenfalls unklar. „Immer, wenn ich zu spät kam, zog der Direktor bedeutungsvoll die Uhr, sagte aber nichts.“172 Womöglich ist das nur metaphorisch zu verstehen, im Sinne der Aussage: Diese Form des Unterrichtens entspricht nicht mehr der gegenwärtigen Zeit.

Falls die Erzählung Der Dichter autobiografische Züge Veza Canettis trägt, würde an dieser Schnittstelle zwischen Unterrichten und anderen neuen Tätigkeiten wie zum Beispiel das Schreiben oder das Dichten der von aussen an den Lehrer herangetragene Wunsch stehen, dessen Erfahrungen im Klassenraum in Erzählungen zu giessen – da der Zeit entsprechend mit einem höheren gesellschaftlichen Wirkungsgrad zu rechnen wäre, gerade was das Gerechtigkeit-Üben betrifft. „Er brachte es in sehr jungen Jahren zu einer Stelle an einer öffentlichen Schule und gewann die Knaben durch den fanatischen Eifer, mit dem er Gerechtigkeit übte.“ (DF 21)

Interessanterweise hat auch eine weitere Erzählung Veza Canettis, die im Lehrermilieu spielt, nämlich Die Grosse, zum Zentrum das Gerechtigkeit-Üben. Hier geht es wie in der Erzählung Der Dichter um die schichtspezifische Herkunft der Lehrerinnen und die sich daraus ergebende unterschiedliche Haltung zu den Schülern. Die Grosse Bürger – der Spitzname für die Lehrerin hatte sich für die Schüler daraus ergeben, dass zwei Lehrerinnen der gleichen Schule Bürger hiessen – behandelt das Mädchen einer Bedienerin so, dass es gleich lernt, sich zu bescheiden und nicht die gleiche Behandlung zu erwarten, wie für die Kinder der Mittel- oder Oberschicht vorgesehen. Entsprechend belehrt die eine Lehrerin, eben die Grosse Bürger, die Schülerin Käthi folgendermassen: „Du hast es am wenigsten notwendig, dich aufzutun, wart nur, bis du in den Dienst gehen musst wie deine Mutter, dann wirst du schon Demut erlernen!“ (DF 10) Die auf Gleichberechtigung unter Schülern achtende Lehrerin mit dem Namen Kleine Bürger hingegen weiss um die Ungerechtigkeit einer abwertenden Spezialbehandlung für Arbeiterkinder. Die Erzählung Die Grosse führt die Mechanismen einer Gesellschaft vor, in der schon in der Volksschule Kinder aus der Unterschicht auf ihre spätere inferiore gesellschaftliche Stellung vorbereitet werden. Am Kulminationspunkt dieses Einübens stehen die Lehrerinnen und Lehrer dieser Schulen. Die Grosse Bürger fügt sich dem gesellschaftlichen Diktat, sie entstammt, wie ihr Name suggeriert, aus dem Grossbürgertum. Die Lehrerin, die sich dem nicht fügt, ist die Kleine Bürger, ihr ist eine Gesellschaft, in der mindestens in der Schule alle gleich behandelt werden, wichtig. Dieser Lehrerinnenfigur entspricht in Der Dichter der Lehrer Gustl, der, statt ein theoretisches Werk über seine pädagogisch-methodischen Erfolge als Lehrer zu verfassen, beginnt, kleine Erzählungen zur gleichen Thematik zu schreiben, und so zum Dichter wird. Dass Veza Canetti eigene Erfahrungen aus der Lehrerinnentätigkeit in den Erzählungen Die Grosse oder Der Dichter verarbeitet hat, ist im Kontext zu den Aussagen in der biografischen Notiz in Dreissig neue Erzähler des neuen Deutschland sehr gut möglich. Denkbar ist auch, dass Veza Canetti an einer jüdischen Mädchenschule unterrichtet hat. Davon soll es neben der Schwarzwald-Schule vier weitere gegeben haben, wie die Biografin von Helene Weigel (Ehefrau von Bertolt Brecht und Absolventin der Schwarzwaldschule) zu berichten weiss.173 Sie schreibt dementsprechend hinsichtlich der Spuren der Begründerinnen dieser jüdischen Mädchenschulen in der Biografie Helene Weigel. Abstieg in den Ruhm: „Von ihren Instituten sind noch nicht einmal mehr Dokumente erhalten geblieben. Die einzigen Spuren ihrer Begründerinnen sind Abmeldungsscheine nach dem Konzentrationslager Theresienstadt.“174

Im Gegensatz zur Tätigkeit als Lehrerin an einem Privatuntergymnasium ist aus verschiedenen Quellen bekannt, dass Veza Canetti Privatunterricht in Englisch erteilt hat, das „Stundengeben“175, wie sie es in den Notizen über Leben und Werk der 30 neuen deutschen Erzähler in den Dreissig neuen Erzähler des neuen Deutschland nennt. Ernst Fischer schreibt in seinen Lebenserinnerungen Erinnerungen und Reflexionen, sie habe ihn in „englischer Konversation“176 unterrichtet.

Veza Canetti zwischen Leben und Werk

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