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C5. Die Asriels – mehr als ein Treffpunkt
ОглавлениеDie Familie von Alice Asriel ist nicht nur mit den Calderons über Alices Schwester Sarina verwandtschaftlich verbunden, sondern auch freundschaftlich mit der Familie Canetti über Mathilde, die Mutter von Elias Canetti, wie ferner durch die Freundschaft von Veza Taubner zu Alice Asriel. Dieser erweiterte Familienkosmos Veza Taubners in Richtung Asriel muss seine Anfänge deutlich vor dem Ersten Weltkrieg gehabt haben, deshalb ist davon auszugehen, dass sich Veza Taubner und Elias Canetti schon als Kinder gekannt haben müssen. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass die Wurzeln der Freundschaft zwischen Veza Taubner und Elias Canetti in diesem erweiterten Familienkosmos liegen. In der Lesart von Elias Canetti hat das etwas mit dem Ungenügen von Mathilde Canetti im Umgang mit ihren Söhnen zu tun, wie Elias an Georges am 15. November 1935 schreibt: „Auf verschiedene Weise ist die Mama mein und Dein Schicksal geworden. Mich hat die Veza, die ein ebenso interessanter, aber besserer Mensch als die Mama ist, gerettet; Dich Deine Krankheit. Das sind höchst merkwürdige Dinge.“ (BaG 48)
Mit Sicherheit ist hingegen davon auszugehen, dass das Haus Asriel als Katalysator für die Liebesbeziehung zwischen Elias Canetti und Veza Taubner gewirkt haben muss. Wie weit die Übersetzertätigkeit von Alice Asriel für Veza als berufliches Vorbild gedient haben könnte, ist mit keinen Quellen zu bestätigen, aber durchaus naheliegend.
Mit der Mitgliedschaft von Alice Asriels Schwester Tony Levy im Chor von Bruno Walter, der sich dem Werk vom Gustav Mahler verschrieben hat, und dem späteren Nachzug von Alice und Hans Asriel wie auch Fredl Waldinger in diesen Chor kommt eine frühe Bekanntschaft der Asriels und damit auch Veza Taubners mit der Familie Mahler ins Spiel.
Mit den Felonen, den jungen Kommunisten, die im Hause Asriel verkehrt haben, gerät neben dem Musikalischen auch das Thema Sozialismus in den Fokus. Da nur die Felonen in ihren sozialistischen Aktivitäten quellengestützt fassbar sind, ist nicht mehr bestimmbar, ob es vielleicht nicht umgekehrt war und sich die Felonen im sozialistisch konnotierten Hause Asriel zu ihrem ideologischen Engagement inspirieren liessen.
Mit den Studienrichtungen der Frauen der Felonen – Psychologie und Medizin – ergab sich für Veza Taubner im Hause Asriel schon in jungen Jahren eine Möglichkeit, Themen der Psychologie breit zu diskutieren. Dass es dann mehr adlersche als freudsche Ansätze waren, die faszinierten, ergibt sich aus den politischen Profilen der Beteiligten.
Wie viele Beziehungen Veza Canettis aus dem Familienkosmos endet auch diese mit der Shoa. Im Jahre 1968 schreibt Elias Canetti in seinen Notizen: „(..) Alice Asriel, die eine Jugendfreundin meiner Mutter war, ihre Tochter Nuni und der geistesschwache älteste Bruder der beiden Walter, von den Nazis abtransportiert und vergast. Ich weiss nur, dass sie umgekommen sind, sonst weiss ich von ihnen nichts.“310
Etwas konkreter muss sich Fredl Waldinger gegenüber Elias Canetti 1973 zum Schicksal der Asriels geäussert haben, wie Elias Canetti dessen Wissen in den Notizblöcken von 1973 wiedergibt: „Sie (Alice Asriel, Anm. va) hätte sich retten können, sie hätte von Paris weg können, aber wegen ihres Sohnes, der zurückgeblieben war, wegen dem Walter, der etwas idiotisch war, ist sie nicht gegangen. So sind sie alle drei, Mutter und Tochter und Walter umgekommen.“311