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B5. Fremdsprachenkorrespondentin

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Wie bereits kurz erwähnt, sucht Veza Canetti in London 1940 eine Stelle als Fremdsprachenkorrespondentin, sie schreibt an Franz Baermann Steiner hierzu: „Ich kann commercial correspondance in 3 Sprachen, wenn Sie von etwas erfahren, schreiben Sies mir.“177 Dass Veza Canetti damit tatsächlich an eine entsprechende Tätigkeit in Wien anknüpfen möchte, ist gut vorstellbar. Veza Canetti könnte allenfalls für Dr. Richard Hoffmann nicht nur als Übersetzerin, sondern auch als Fremdsprachenkorrespondentin tätig gewesen sein. Unter Umständen schon in der Zeit, als der Jurist Dr. Richard Hoffmann noch in diplomatischen Diensten stand. Dass dies keine abwegige Spekulation sein muss, zeigt ein Vergleich mit dem ehemaligen Universitätsprofessor Leon Kellner, der nach dem Ersten Weltkrieg in der Präsidialkanzlei als Fremdsprachenkorrespondent178 gearbeitet hat.

Ähnliches ist von Ernst Polak (1886–1947) – dem Literaten ohne Werk – zu berichten, der ursprünglich bei der Österreichischen Landesbank als Fremdsprachenkorrespondent tätig war. Ernst Polak gilt als Freund und Berater der Literaten nicht nur in Prag, sondern später auch in Wien. „Es ist seine Rolle als Freund, Berater und literarischer Agent österreichischer Schriftsteller und belletristischer Verlage, seine Bedeutung als Integrationsfigur der wichtigsten Kaffeehauszirkel in Prag und Wien. – Karl Kraus und Heimito von Doderer porträtieren ihn in ihrem literarischen Werk.“179

Elias Canetti hingegen bezeichnet ihn als Kröte,180 über die er in den Lebenserinnerungen III nichts als die Wahrheit erzählen wolle. „Ernst Polak: die Wahrheit über ihn, die volle Wahrheit. (aber knapp, er ist nicht nur abscheulich, er ist unwichtig)“181 Leider erfährt man über diese Polemik hinaus nichts Konkretes darüber, weshalb Ernst Polak eine Kröte sein soll und was dann die volle Wahrheit dazu sei.

Ernst Polak ist ein guter Freund von Hermann Broch, ihnen ist gemeinsam, dass sie in hohem Alter die gesicherte Berufstätigkeit mit einem unsicheren Studium getauscht haben. Im Gegensatz zu Polak kann Broch aber seine Ideen dichterisch umsetzen. Hermann Broch schreibt seinem Freund Ernst Polak diesbezüglich am 19. Dezember 1943: „Dass Du Dein reiches Material nicht zur richtigen Verwendung hast bringen können war ja stets ein Teil Deiner Neurose.“182

Und der Polak-Biograf Hartmut Binder bringt es folgendermassen auf den Punkt:

„In diesen psychischen Rahmen passt auch eine in ihrer Schärfe freilich von Polaks späterem Scheitern seiner Beziehung zu Milena (der späteren Freundin Kafkas, Anm. va) beeinflusste Bemerkung von Johannes Urzidil, der ihn zu den unproduktiven Literaten rechnet, die aber ‚vermöge ihres Herumwanderns oder Herumsitzens im Gelände des Schrifttums, durch ihr Sprechen oder vernehmbares Denken, durch überraschende Bemerkungen, Handlungen oder Verhaltensweisen eine gewisse Wirkung üben, die mitunter von Person zu Person stärker sein kann als die geschriebener oder gedruckter Aussagen … Der überbelesene Ernst Polak war … ein ganz und gar unschöpferischer, aber höchlichst angestaunter Zyniker, ein Viel- und Besserwisser von stupender Behendigkeit, ein in allen Sätteln gerechter intellektueller Bankbeamter, scharfgesichtig, kleingestaltig, aber einen lebenskünstlerischen Rastignac erfolgreich mimend‘.“183

In der Erzählung Drei Viertel hat Veza Canetti beschrieben, wie der Morgen einer Kanzleiangestellten aussehen könnte. „Eine Kanzlei war ihr Ziel, sie lag in einem Wohnhaus. Der Raum war wie ein Hofzimmer. Aber sie verlor hier ihre Zaghaftigkeit, es schien, als wäre diese Düsterheit ihre Luft. Sie ging auf die Schreibmaschine zu, in Hut und Mantel, und betastete sie, wie ein Galeerensklave nach dem Ruder greift. Mit einem Lappen wischte sie über die Maschine. Dann begann sie den verstaubten Schreibtisch zu ordnen. Sie ahnte selbst, dass sie die Papiere eher in Unordnung brachte.“ (DF 48) Ihr Ziel dieses Morgens ist nicht die Arbeit, sondern sie möchte den Kunstmaler Bent kennenlernen, dabei entpuppt sich das, was sie als Nachteil empfunden hatte, ein Leben buchstäblich „ohne Gesicht“, als Vorteil für den Maler. (DF 59) Nachdem eine Begegnung mit Bent eingefädelt ist: „Dann wandte sie sich der Maschine (Schreibmaschine, Anm. va) zu. Die Maschine lief nach einem alten System. Aber die Sprünge und Widerstände der alten Maschine waren ihr recht.“ (DF 53)

Ernst Polak ist derjenige Autor, der Ivan Cankars Erzählung Knecht Jernej mit einer Rezension in der Literarischen Welt184 im Jahr 1929 dem deutschsprachigen Publikum bekannt gemacht hat. Die Übersetzung dieses Werkes ins Deutsche war zuvor im Niethammer-Verlag Wien185 erschienen. Der Knecht Jernej lässt sein Lebenswerk, einen gutgehenden, ertragsreichen Bauernhof, in Flammen aufgehen, nachdem ihm durch alle Instanzen hindurch bestätigt worden ist, dass er absolut keine Rechte am Hof hat, da der Besitzer ein anderer ist und seine Aufbauarbeit nur der Familie seines Herrn gedient hat.186

Die Fremdsprachenkorrespondentin Anna in der Erzählung Drei Viertel, die sich einerseits als Galeerensklavin sieht, die ihr Ruder, eben die Schreibmaschine, ergreift, scheint hingegen noch weit mehr Freude an ihrem Beruf gehabt zu haben. Genau dieses Bild evoziert auch Georges Canetti, wenn er Vezas Rolle im Leben seines Bruders mit verbannt auf diese Galeere, die ihr nicht gehöre, vergleicht. (BaG 185)

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Veza Canetti mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits in Wien als Fremdsprachenkorrespondentin gearbeitet hat. Wenn sie schreibt, dass sie „commercial correspondance in 3 Sprachen“187 kann, meint sie bestimmt Englisch, Französisch und Deutsch. Falls sie aber Fremdsprachen gemeint hat, wäre zu klären, was die dritte Sprache gewesen sein könnte. Das Ladino der spaniolischen Juden war wohl nicht gemeint, vielleicht jedoch Spanisch oder noch wahrscheinlicher Ungarisch, die Muttersprache ihres Vaters und eines Teils der Verwandtschaft Calderon.

Veza Canetti zwischen Leben und Werk

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