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6. Die Dialektik von Frage und Antwort

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Doch hier erhebt sich ein Bedenken. Wenn das radikale Fragen als Grundbestimmung des Philosophierens angesetzt wird, dann könnte dies dahin mißverstanden werden, als ginge es in letzter Intention um Fragen und Infragestellen und sonst um nichts. Dann aber wäre das Philosophieren nichts anderes als das leichtfertige und leichtherzige Spiel der unverbindlichen Zertrümmerung aller Gewißheit. Im Gegensatz dazu liegt es im Wesen des ernstlichen Fragens, auf eine Antwort aus zu sein. Dieser Grundzug geht auch im radikalen Fragen nicht verloren. Das Philosophieren stellt infrage, um ein Gewisses zu finden, das ihm standhalten könnte.

Dem steht jedoch entgegen, daß das Philosophieren, eben aus seinem Wesen als dem radikalen Fragen heraus, jede sich als gewiß ausgebende Antwort, jede sich als sicher anbietende positive Aussage erschüttern muß. Es muß immer tiefer fragen; es muß jede Antwort überholen. Es kann nichts in fragloser Unbefragtheit stehen lassen. Denn wollte es sich in irgend einer Antwort festsetzen, dann verlöre es gerade das, was es doch vom Wesen her auszeichnet: seine Radikalität. Offenbar also muß es antwortlos bleiben.

Damit aber verstrickt sich das Philosophieren in eine offenbar unentwirrbare Problematik. Frage und Antwort stehen hier in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Sie widersprechen einander und fordern sich doch im Medium des Philosophierens gegenseitig. Ernstliches Fragen muß auf Antwort aus sein und gegründete Antwort erwächst nur aus dem Fragen. Aber die Antwort dringt darauf, der Frage ihre Kraft zu nehmen, wie andererseits das radikale Fragen jede Antwort immer wieder unterläuft und fraglich macht. Das Philosophieren darf die Intention auf eine standhaltende Antwort nicht aufgeben und muß doch an seinem Wesen als dem radikalen Fragen festhalten und jede gefundene Antwort immer wieder in die Fraglichkeit hinein auflösen.

In diesem Streit scheint die innere Notwendigkeit des Fraglichmachens zuletzt über die Intention auf Antwort obzusiegen. Das Philosophieren kann aus seinem fragenden Wesen heraus nirgends haltmachen, es fragt und fragt, ohne jemals in einer Antwort, die sich als standhaltende Wahrheit vor ihm bewähren könnte, zur Ruhe zu kommen. Wird es aber dann nicht zu einem leeren, in sich selber kreisenden Tun? Ist dann nicht das letzte Wort des Philosophierens ein unfruchtbarer Skeptizismus, der sich darin erschöpft, in öder Wiederholung des immer gleichen Vorganges der Zerstörung alles in den Abgrund der Fraglichkeit hinabzuwerfen?

Diese aus ihm selber heraus erwachsende Gefahr des Absturzes in den leeren Skeptizismus ist in der Tat das Verhängnis, unter dem jedes radikale Philosophieren steht. Aber dieses Verhängnis gehört wesensmäßig zum Philosophieren. Dieses ist kein gefahrloses Tun. Es ist eine bodenlose Sache. Indem es sich darauf einläßt, daß alles fraglich wird, und zwar von der Wurzel her, indem es daran mitwirkt, daß die scheinbar gesicherten Standpunkte der Weltanschauungen in den Wirbel der Fraglichkeit hineingerissen werden, hält es sich frei für den Untergang von allem, begibt es sich im Verlust aller Halte in die äußerste Ungeborgenheit. Darin kommen in seltsamer Verschlingung Macht und Ohnmacht des Philosophierens zum Vorschein. In der Möglichkeit, alles infrage zu stellen, erweist das Philosophieren seine höchste Macht; sofern es aber die Fraglichkeit ist, in die es alles hineinreißt, bekundet sich darin zugleich seine tiefste Ohnmacht.

Muß das Philosophieren um dieser seiner innersten Gefährdung willen auf die Radikalität seines Fragens Verzicht tun? Muß es sich am Ende in einer unbefragten Gewißheit bergen? Ohne Zweifel ist die Versuchung dazu groß. Im Fragen auszuharren ist eine Sache höchster Anspannung. Doch wenn das Philosophieren dem Fragen den Abschied gäbe, dann verriete es sein eigenstes Wesen. Bleibt es dagegen sich selber treu, dann kann es sich dem nicht entziehen, in aller Gefährdung sich auf den Weg des radikalen Fragens zu begeben, im Ungewissen, ob und wann ihm eine Antwort zuteil wird.

1 Zur Zitierweise vgl. § 12, Anm. 3.

2 Mechanica 847 a 11. Die Frage nach der Echtheit dieser Schrift kann hier unberücksichtigt bleiben, da der zitierte Satz eindeutig im aristotelischen Sinne gesprochen ist.

3 Zur Zitierweise vgl. § 44, Anm. 1.

4 Vgl. Teil II.

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