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§ 6. Voraussetzungslosigkeit und innere Fraglichkeit des Philosophierens 1. Die Voraussetzungslosigkeit des Philosophierens

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Als radikales Fragen, das, dem Wortsinn gemäß, auf die Wurzeln geht, kann das Philosophieren auch seine eigenen Wurzeln nicht unbefragt stehen lassen. Es muß zu dem Punkte vordringen, an dem ihm nichts mehr fraglos zugrunde liegt, an dem alle Voraussetzungen in die Fraglichkeit hinein aufgelöst sind.

Hier taucht jedoch eine Schwierigkeit auf. Kann es überhaupt ein voraussetzungsloses Philosophieren geben? Gilt hier nicht, was Heidegger behauptet: daß „die vermeintliche Standpunktsfreiheit wider allen Sinn des Philosophierens als einer wesenhaft endlichen Möglichkeit der Existenz ein Wahn bleibt“ 1 In der Tat zeigt die Philosophiegeschichte, daß jeder philosophische Entwurf aus bestimmten Voraussetzungen erwächst, die den einzelnen Denkern selbst freilich zumeist nicht eigens bewußt sind. Eine Darstellung der Geschichte der Philosophie, will sie auf den Grund des philosophischen Geschehens vorstoßen, kann daher weniger in einem Bericht über die vorgebrachten Lehren und Ansichten bestehen, als vielmehr darin, die jeweils vorausgesetzten Selbstverständlichkeiten aufzuspüren. Voraussetzungen zu haben scheint sogar notwendig zu sein für das faktische Philosophieren. Alles lebendige Denken beginnt nicht im leeren Raum, sondern in einer je bestimmten konkreten Situation, und diese enthält bereits einen Bestand an Gewußtem, das teils ausdrücklich angeeignet, teils als selbstverständlich übernommen ist. Von daher erhält das Philosophieren offenbar seine Fülle und seinen Gehalt. Wollte der Philosophierende dagegen im Nichts der absoluten Voraussetzungslosigkeit einsetzen, dann ist fraglich, wie es zu mehr als zu einer leeren Klarheit kommen könnte. Angesichts dessen scheint nichts übrig zu bleiben, als unter den sich anbietenden Voraussetzungen die wahrscheinlichste und überzeugendste auszuwählen.

Doch das wäre Verrat am Wesen der Philosophie. Zwar ist unbestreitbar, daß alles konkrete Philosophieren aus bestimmten Voraussetzungen heraus geschieht und erst von ihnen her möglich wird. Und doch bleibt unabdingbar, daß das Philosophieren, verstanden als radikales Fragen, keine Voraussetzungen hinnehmen kann, sondern daß es durch sie alle hindurch zum Nullpunkt vordringen muß.

Der in diesen beiden Feststellungen liegende Widerspruch ist nur so lösbar, daß die Voraussetzungslosigkeit nicht als Faktum, sondern als Postulat verstanden wird. Philosophieren entspringt zwar je aus bestimmten Voraussetzungen. Aber wenn es in Gang gekommen ist, erwächst ihm aus seinem eigensten Wesen heraus die Aufgabe, eben diese seine Voraussetzungen infrage zu stellen. Mag auch für eine solche fragende Reflexion das Nichts der absoluten Voraussetzungslosigkeit nie faktisch erreichbar sein, weil das Philosophieren in seiner jeweiligen geschichtlichen Situation den vollen Umfang seiner Voraussetzungen nie überschauen kann: der Nullpunkt der Voraussetzungslosigkeit ist gleichwohl das Ziel. Wenn es also auch richtig ist, daß es kein voraussetzungsloses Philosophieren geben kann: es gibt doch Philosophieren aus dem Willen zur Zerstörung aller Voraussetzungen.

Wenn aber so das Philosophieren auf den Nullpunkt der absoluten Voraussetzungslosigkeit zustrebt, dann bleibt es offenbar im Bereich des bloß Destruktiven. Es müßte aber doch seine Aufgabe sein, zu sachhaltigen Aussagen über das Wirkliche zu gelangen. Wie kann dies aus der rein destruierenden Tendenz heraus möglich sein? Wie kann ein konkretes Philosophieren aus dem bloßen ständigen Fraglichmachen von allem, aus der absoluten Fraglichkeit entspringen? Das ist die Frage, vor die sich ein Philosophieren, das sich selber ernst nimmt und die Konsequenzen aus seinem Wesen zieht, unausweichlich gestellt sieht.

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