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6. Heraklit

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Eben darum kreist das Denken Heraklits, das, wo es in seine Tiefe gelangt, eindeutig philosophisch-theologischen Charakter trägt. Das Wissen von der Anwesenheit des Göttlichen im Wirklichen, schon von Thales und Anaximander ausgesprochen, wird ausdrücklich aufgenommen; nach einer von Aristoteles überlieferten Anekdote sagt Heraklit zu den Besuchern, die sich wundern, ihn am Herde sitzend zu finden, „auch hier seien Götter“ (A 9). Ebenso kommt in dem Satze, daß „alle menschlichen Gesetze von dem einen göttlichen genährt werden“ (B 114), der Gedanke der Wirksamkeit des Göttlichen im Wirklichen zum Ausdruck. Doch nun wird, im geschärften Blick für die Fragwürdigkeit des Wirklichen, eben jene Anwesenheit des Göttlichen genauer durchdacht. Das Göttliche ist weder das rein Entrückte, wie das Sein des Parmenides, noch etwa das in seine Anwesenheit völlig Aufgegangene, wie es in der Konsequenz des Ansatzes von Thales und Anaximander liegen könnte. Beides gehört vielmehr in paradoxer Einheit zusammen: Der Gott ist anwesend und doch zugleich nicht anwesend. Einerseits ist er die Gegensätzlichkeit selber; das spricht Heraklit gerade da, wo er die Gegensätze hart und unversöhnlich einander gegenüberstellt, aus: „der Gott ist Tag, Nacht, Winter, Sommer, Krieg, Frieden, Sattheit, Hunger“ (B 67). Doch Gegensätzlichkeit und Widerstreit vermögen den Gott nicht zu zerreißen. In ihrer Mitte ist er das Eine, das das Widerstreitende in sich versammelt, die „verborgene Harmonie“ (B 54) im Sinne jenes paradoxen Satzes, daß „alles eins sei“ (B 50). Doch das im Widerstreitenden Anwesende geht nicht in diesem auf. Das aocp6v, das „Weise“, das als Bezeichnung für das Göttliche gedeutet werden darf, ist „etwas von allem Abgesondertes“ (B 108). Wesen und Walten des Göttlichen – das zeigt dieser Denker in der Tiefe seiner Dunkelheit – ist gerade da, wo es um das Verhältnis zur endlichen und als solcher zwiespältigen Wirklichkeit geht, in seiner paradoxen Einheit von Nähe und Ferne, von Offenbarkeit und Verborgenheit, nur im vieldeutigen Rätselwort auszusagen. Das „Eine, das allein Weise, will nicht und will mit dem Namen des Zeus benannt werden“ (B 32); „der Herr, dessen das Orakel in Delphi ist, sagt weder, noch verbirgt er, sondern er gibt Zeichen“ (B 93).

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