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Das Selbstobjekt
ОглавлениеEine verletzte und überforderte Regulation des Selbstgefühls sucht sich durch Anlehnung an eine andere Person zu reparieren. Das Objekt dieser Anlehnung wird bewundert und überschätzt; wir nennen es ein Selbstobjekt. Sobald sich herausstellt, dass es zu diesem Zweck nicht (mehr) taugt, wird es fallen gelassen und entwertet. Parallel dazu fühlt sich auch der Mensch entwertet, der dieses Selbstobjekt verloren hat. Für Don Juan ist die Frau, die er soeben zu erobern sucht, ein solches Selbstobjekt, das er mit allen Aufwertungsfantasien ausrüstet. Einmal gewonnen, wird sie wertlos. Die Realität zerstört die Fantasie. Die entstehende Depression wird durch erneute Suche, erneute Idealisierung einer noch nicht eroberten Frau bekämpft.
Ein ruhiger, zuversichtlicher Mann verwandelt sich über Nacht in ein Bündel Elend. Er kann nicht mehr schlafen und schwankt zwischen Wutanfällen und Depressionen. Äußerlich hat sich in seinem Leben und in seiner Ehe nichts geändert. Er hat nur beim Stöbern in alten Papieren einen Packen Liebesbriefe gefunden, der ihn über eine Liebschaft seiner Frau unterrichtete, die seit zwölf Jahren beendet ist. Und so hat er sein Selbstobjekt verloren.
Besonders verwirrend ist diese Situation, wenn dasselbe Objekt sowohl überschätzt wie entwertet wird. So kann ein Mann seine Frau einerseits als völlig unattraktive Schlampe darstellen, die es nie wert war, dass er sie geheiratet hat, und gleichzeitig vor Angst zittern, dass ihn diese Schlampe verlässt. Der Entwertungsmechanismus wird in diesem Fall verwendet, um das seelische System vor der kränkenden Einsicht in die eigene Verletzlichkeit und Abhängigkeit zu bewahren.
Viele solcher Störungen verlaufen zyklisch, nach dem Modell »himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt«. In diesem Zyklus steckt die Abfolge von Idealisierung (Überschätzung, Abhängigkeitsbildung) und Entwertung (Entidealisierung, Trennungsversuch, (Pseudo)Autonomie). Das seelische System des Menschen kann sich auch selbst besetzen, idealisieren (»Ich bin der Größte«, »Der Starke ist am mächtigsten allein«) oder entwerten, ja im Selbstmord das eigene Entwertungsurteil auch vollstrecken.
Wer liebt und sich geliebt fühlt, handelt spontan und denkt nicht darüber nach, ob er den Partner überfordert, ihm zu viel gibt, zu viel verlangt. Sobald die Liebe nach Beweisen sucht oder Beweise fordert, sind ihre Potenziale bereits geschmälert.
Die so genannte »Objektbeziehungstheorie« von Melanie Klein entwickelt eine Reihenfolge, wonach erst Teilobjekte (Muttermilch, Mutterbrust, Penis) und dann ganze Objekte »verinnerlicht« werden. Das scheint eine unnötige Begriffsvermehrung. Primaten lernen aus einer ganzheitlichen Wahrnehmung des Objekts. Sie setzen diese Identifizierungen ein, um die Verarbeitungsfähigkeit ihres seelischen Systems zu verbessern.