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Die Rolle der Fantasie
ОглавлениеWenn sich die Fähigkeit zum Austausch entwickelt, orientiert sich die Fantasie an den realen Möglichkeiten der beteiligten Personen. So erschließt sie in einem imaginären »Probehandeln« (Freud) neue Austauschmöglichkeiten und optimiert diese. Traumatische Einflüsse fixieren die Fantasie auf Vermeidung einer erneuten Verletzung und blockieren diese Kreativität. Die Fantasie entfernt sich von der Realität.
Die Fantasie wird ärmer an Nuancen und Differenzierungen. Sie nähert sich dem Perfektionismus. Nur die ideale Befriedigung ist gut genug, um für das Trauma zu entschädigen. Reale Möglichkeiten werden abgekanzelt. Die traumatisierte Fantasie verliert spielerische Qualitäten in einem wertfreien Raum. In ihr erhebt sich sofort die Frage: gut oder böse, normal oder krankhaft, richtig oder falsch, wertvoll oder wertlos, Beweis der Liebe oder der Lieblosigkeit. Der klassische Witz von der jüdischen Mutter beleuchtet die Folgen dieser Entwicklung. Sie schenkt dem Sohn zwei Krawatten. Am nächsten Morgen trägt er die eine. Die Mutter weint. »Warum?« fragt der Sohn. »Du liebst mich nicht, die andere Krawatte gefällt dir nicht!« Dieser Witz blamiert die Mutter. Aber in den Austauschsituationen des Lebens gibt es immer zwei Beteiligte. Selten ist der eine ganz schuldig, der andere ganz unschuldig. Vielleicht würde die Mutter nicht so reagieren, wenn der Sohn sie nach dem Geschenk in den Arm genommen und ihr gezeigt hätte, dass die Krawatten nicht Materie, sondern Symbole für Liebe sind. Er trägt die Krawatte, dazu ist sie da und damit ist es auch genug des Gefühlsausdrucks.