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„Was war das denn, Harry?”, raunte Rudi mir zu, während Talabani einige Meter vorausging und wir ihm zum Haupteingang folgten.

„Es war nur eine harmlose Frage”, sagte ich. „Und wenn wir hier fertig sind, dann werde ich mir ganz sicher mal ansehen, was über Tico Talabani so in unserem Datenverbundsystem abrufbar ist.”

„Hauptsache, du hast gesehen, auf welcher Seite der Kerl seine Waffe trägt.”

„Wieso?”

„Weil er Rechtshänder ist, Harry! Deshalb!”

„Herr Förnheim kann sich ja auch mal in einem Punkt geirrt haben.”

„Glaubst du wirklich, dass der Tag noch kommt, Harry?”

„Nein, aber es ließe ihn wahrscheinlich um einiges menschlicher erscheinen.”

Talabani wartete in der großzügig angelegten Eingangshalle auf uns. Die Säulen, die hier vorzufinden waren, erinnerten an griechische Tempel. Kalter Marmor prägte diesen Raum. Es wirkte alles ein wenig protzig. Für die Eingangshalle eines Nobelhotels wäre das angemessen gewesen. Für ein privates Wohnhaus wirkte es eigenartig.

„Warten Sie hier”, sagte Talabani. „Man wird Sie hier abholen.”

Talabani trug ein kaum sichtbaren Ohrhörer mit einem dazugehörigen Kragenmikro, über das er offenbar mit seinen Leuten in Verbindung stand.

Er ließ uns erstmal allein.

Wenig später erschien eine Hausangestellte, die uns in einen großen Wintergarten brachte, der sich auf der Rückfront des Hauses befand. Man hatte von hier aus einen traumhaften Blick auf den Fluss. Das Ufer lag im Moment allerdings unter einer Wand aus Frühdunst. Ein Mann mit militärisch kurz geschnittenen grauen Haaren und energisch wirkendem Gesichtsausdruck begrüßte uns. „Gunnar Bellenborn, Polizeipräsident von Frankfurt”, stellte er sich vor und deutete dann auf die zierliche Frau neben sich. „Das ist meine Frau, um die ich mir nach dem Vorfall mit dem Kopf an unserem Tor natürlich besonders Sorgen mache.”

„Das verstehe ich durchaus”, sagte ich.

„Wir sind sehr froh, dass unser Sohn im Ausland studiert”, sagte Frau Bellenborn. „Ansonsten würde ich jetzt auch kein Auge mehr schließen können.”

„Sie müssen Kriminalinspektor Kubinke und Kriminalinspektor Meier sein”. ergriff wieder Bellenborn das Wort. Er sah auf die Uhr. „Etwas früher als gedacht. Sie entschuldigen, dass ich ab und zu auf die Zeit achte. Aber ich habe gleich noch einen Termin im Rathaus.”

„Mir ist schon klar, dass Sie ein viel beschäftigter Mann sind”, sagte ich. „Deswegen sind wir ja auch etwas früher hier.”

„Dann wäre es gut, wenn wir gleich zur Sache kommen würden”, sagte Bellenborn. „Setzen können Sie sich aber trotzdem.” Sein Lächeln wirkte geschäftsmäßig. „So viel Zeit muss sein.”

Wir nahmen zusammen mit den beiden Bellenborns in der Sitzecke Platz. Frau Bellenborn wirkte aus irgendeinem Grund sehr nervös.

„Herr Bellenborn, die zu dem Kopf an ihrem Tor gehörende Leiche wurde gestern gefunden”, eröffnete ich.

„Ich weiß. Kollegen haben mich darüber informiert.”

„Oh”, murmelte ich und wechselte mit Rudi einen kurzen Blick.

Gunnar Bellenborn lächelte sehr breit und entblößte dabei zwei Reihen makellos blitzender Zähne. „Hier in Frankfurt sind die Dienstwege manchmal sehr kurz”, meinte er. „Und als Polizeipräsident sollte man über genügend Kontakte verfügen, um immer gut und schnell über alles informiert zu sein, was so geschieht.”

„Ich verstehe”, murmelte ich.

„Und zwar unabhängig davon, ob ich von dem jeweiligen Vorgang jetzt offiziell hätte unterrichtet werden müssen oder dürfen.”

„Der Geköpfte heißt Günter Pressburger und hat als Profi-Killer gearbeitet”, sagte ich. „In den letzten Jahren muss er unter falscher Identität gelebt haben und ist mutmaßlich weiterhin seinem Job als Lohnkiller nachgegangen. Wir haben ansonsten keine Ahnung davon, wie er in den letzten Jahren gelebt hat.”

„Der Name sagt mir nichts”, sagte Bellenborn. „Ein Profi-Killer, sagen Sie?” Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin der Polizeipräsident. Das heißt, ich bin über alles Wichtige informiert, aber es ist schon lange her, dass ich selbst auf der Straße war und die Gerüchte mitgekriegt habe, die so umgehen.”

„Ja, das kann ich mir vorstellen.”

„Sehen Sie!”

„Wir fragen uns jetzt einfach, ob Sie vielleicht eine Idee haben, wer dahinter stecken könnte?”

„Da wollte jemand mich ganz persönlich treffen”, sagte Bellenborn. „Das liegt doch auf der Hand.”

„Durchaus möglich.”

„Sehen Sie, ich habe mich in all den vergangenen Jahren immer im Kampf gegen das organisierte Verbrechen exponiert. Kompromisslos! Der eine oder andere meiner Vorgänger stand selber auf der Lohnliste des Organisierten Verbrechens. Und immer wieder wurde mal hier und mal da ein Auge zugedrückt. Manchmal auch alle beide. Aber mit mir hat es so etwas nicht gegeben. Ich bin in dieser Hinsicht für Null Toleranz. Man muss mit aller zu Gebote stehender Härte dafür sorgen, dass das Gesetz geachtet wird und wenn man da irgendwo auch nur den Anschein erweckt, dass es in dieser Hinsicht Kompromisse geben könnte, dann hat man schon verloren.”

„Ihre Erfolge gegen das organisierte Verbrechen sind allgemein anerkannt”, sagte ich.

„Schön, dass Sie das so sehen”, meinte er.

„Es muss eine Verbindung zwischen Günter Pressburger und Ihnen geben, Herr Bellenborn. Ich glaube jedenfalls nicht, dass man Pressburgers Kopf zufällig an Ihrem Tor aufgespießt hat!”

„Ich bin zu einem Symbol für den Kampf gegen das Verbrechen geworden. Es ist doch ganz klar, dass man mir damit eine Art Warnung zukommen lassen will. Sieh her, Bellenborn, dir kann es bald genauso gehen! Und wenn du deinen Kopf auf den Schultern behalten willst, dann sollst du dich besser etwas zurückhalten.” Bellenborn ballte die Hände zu Fäusten. „Aber diesen Gefallen werde ich denen nicht tun. Jetzt erst recht, würde ich sagen! Diese Stadt vom Verbrechen zu säubern, dem Recht zur Geltung zu verhelfen und die Schwachen zu schützen, das sind Ziele, für die sich der Einsatz lohnt, und ich denke gar nicht daran, die Ideale, für die ich immer gelebt habe, jetzt aufzugeben, nur weil es da ein paar Schweinehunde gibt, die mich einzuschüchtern versuchen!”

Ich hatte irgendwie den Eindruck, Zeuge eines gut einstudierten Auftritts zu werden. Mochte der Himmel wissen, vor wie vielen Gremien, in wie vielen Pressekonferenzen und bei wie vielen Auftritten vor lokalen TV-Kameras Gunnar Bellenborn mehr oder weniger dieselben markigen Sätze schon einmal gesagt hatte.

Ein paar konkrete Informationen wären uns in diesem Augenblick auf jeden Fall sehr viel lieber gewesen. Aber in dieser Hinsicht schien Bellenborn uns einfach nicht weiterhelfen zu können. Oder zu wollen.

Rudi zeigte Bellenborn ein Bild von Günter Pressburger, das bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung aufgenommen worden war. Natürlich war es einige Jahre alt, aber dafür war das Gesicht vielleicht dennoch besser wiedererkennbar. Der abgetrennte Kopf war jedenfalls ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden. „Sehen Sie sich Pressburger nochmal an. Könnte es nicht doch sein, dass er Ihnen irgendwann einmal begegnet ist?”

Bellenborn warf nur einen flüchtigen Blick auf das Bild.

„Nein, ich kenne den Mann nicht und ich habe nie von ihm gehört. Und wenn er ein Profi-Killer war, dann hatten seine Verbrechen nichts mit Fällen zu tun, mit denen ich näher befasst war, denn andernfalls hätte ich mir diesen Namen sicherlich gemerkt.”

„Sie sind sich ganz sicher?”, hakte ich nach.

„Ganz sicher.”

„Welcher andere Zusammenhang wäre sonst noch denkbar?”

„Herrgott nochmal, ich weiß es nicht!”, brauste Bellenborn auf. „Bin ich hier eigentlich der Angeklagte oder das Opfer?”

„Hören Sie, Herr Bellenborn...”, begann ich, aber Bellenborn war so in Fahrt, dass er mir gar nicht die Chance ließ, ihm die Sache näher auseinanderzusetzen.

„Nein, jetzt hören Sie erstmal mir zu, Herr Kubinke!”, schnitt er mir das Wort ab. „Wir haben hier in Frankfurt eine sehr gut funktionierende Polizeibehörde, deren Chef ich seit geraumer Zeit bin. Es ist wirklich beschämend, wie Sie mit Ihren Andeutungen versuchen, diese Behörde in Misskredit zu bringen.”

„Das entspricht in keiner Weise den Tatsachen!”, widersprach ich.

Aber Bellenborn hatte gerade erst angefangen, sich richtig in Rage zu reden. „Leute wie Sie kommen aus dem fernen Berlin und glauben, dass Sie beurteilen können, was hier in den Straßen von Frankfurt los ist. Ich kann das! Ich habe Jahre hinter mir, in denen ich im Außendienst war und am eigenen Leib zu spüren gekriegt habe, was es bedeutet, wenn das organisierte Verbrechen die Oberhand gewinnt! Wenn sich ein lähmender Mehltau aus Schweigen und Furcht über ganze Straßenzüge legt, weil Clans die Herrschaft an sich gerissen haben und sich selbst dann kein Zeuge mehr melden würde, wenn jemand auf offener Straße erschossen wird.”

„Vielleicht sollte ich an dieser Stelle mal ein paar Dinge klarstellen”, fuhr ich dazwischen.

„Ja? Was wollen Sie denn klarstellen? Dass es Ihr besonderes Privatvergnügen ist, hart arbeitende Polizisten bei der Arbeit zu stören? Dass Sie es gut finden, wenn Männer wie ich sich nicht dem Kampf gegen das Verbrechen widmen können, sondern stattdessen mit Klugscheißern konferieren müssen, die längst vergessen haben, wie die Wirklichkeit aussieht?”

Gunnar Bellenborns Kopf war so dunkelrot geworden, dass man sich ernsthafte Sorgen machen konnte. Eine dicke Ader an seinem Hals pulsierte.

„Gunnar!”, sagte seine Frau. Frau Bellenborn legte ihre Hand auf den Arm ihres Mannes. Aber das schien ihn keinesfalls zu beruhigen. Ich wechselte einen kurzen Blick mit Rudi. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass in diesem Augenblick in seinem Kopf dieselbe Frage herumspukte wie in meinem: Wieso reagierte der Polizeipräsident von Frankfurt so überaus empfindlich?

„Erstens sind wir nicht her, um Sie bei Ihrer Arbeit zu stören, Herr Bellenborn”, sagte ich. „Zweitens mag der Kerl an Ihrem Tor ein Krimineller gewesen sein. Aber das heißt nicht, dass er keinen Anspruch darauf hätte, dass wir herauszufinden versuchen, wer ihn umgebracht hat. Und zwar mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen und die das Gesetz zulässt.”

„Ein Krimineller weniger. So könnte man das auch sehen, Herr Kubinke.”

„Man könnte das vielleicht so sehen - aber ein Polizeipräsident, der seinen Job und das Gesetz ernst nimmt, wohl niemals”, hielt ich ihm entgegen. „Und davon abgesehen gibt es da einen Umstand, über den wir nunmal nicht hinwegsehen können.”

„Und der wäre?” Bellenborn klang jetzt eher genervt als wütend. Er bewegte beim Sprechen kaum die Lippen. Sein Mund wirkte wie ein gerader Strich in seinem Gesicht.

„Wir gehen davon aus, dass Günter Pressburger einen gewissen Dirk Andresen umgebracht hat. Und jetzt erzählen Sie mir nicht, dass dieser Name Ihnen auch nichts sagt!”

„Sie werden mir sicher auf die Sprünge helfen und mich aufklären!”

„Dirk Andresen war der Ermittler hier in Frankfurt, der gegen Ihre Behörde ermittelt hat! Und das wissen Sie ganz genau, denn ich nehme an, dass Sie dessen Ermittlungen genauso freundlich begleitet haben wie unsere!”

„Ah, daher weht der Wind”, murmelte Bellenborn. „Sie konstruieren sich da gerade anscheinend etwas zusammen!”

„Ich konstruiere gar nichts”, gab ich zurück. „Ich will lediglich ein paar Antworten von Ihnen.”

„Mit denen ich mir dann wahrscheinlich juristisch gesehen meinen eigenen Strick drehen soll! So haben Sie sich das gedacht!”

„Herr Bellenborn...”

„Bei unserem nächsten Treffen, sollte es dazu kommen, werde ich wohl am besten einen Anwalt mitbringen.”

„Tun Sie das, wenn Sie glauben, dass Sie das nötig haben”, mischte sich Rudi ein. „Allerdings frage ich mich, wie wir Ihr Leben schützen sollen, wenn Sie so wenig kooperativ sind.”

„Mein Leben brauchen Sie überhaupt nicht zu schützen”, sagte Bellenborn kalt. „Das tun die Jungs da draußen schon sehr gut. Und ganz ohne Ihre Hilfe!” Er sah auf die Uhr. „Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen würden. Ich muss jetzt den Vertretern unserer Bürger im Rathaus Rede und Antwort stehen. Wenn Sie noch weitere Fragen haben, steht Ihnen meine Sekretariat gerne zur Verfügung.”

„Sie selbst werden um eine weitere Vernehmung kaum herumkommen”, kündigte Rudi an.

Bellenborn verzog das Gesicht. Seine Züge drückten pure Verachtung aus. „Tun Sie, was Sie nicht lassen können!”, murmelte er. Er wandte sich kurz an seine Frau. „Es wird wahrscheinlich etwas später werden.” Damit erhob sich Bellenborn, nickte uns noch kurz zu und meinte: „Ich nehme an, dass Sie den Weg hinaus allein finden werden.”

Mörderdutzend: 12 Thriller - Sammelband 1200 Seiten Krimi Spannung

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